Skip to main content

Verfolgung jüdischer Mieter*innen von Gemeindewohnungen
 

Zur Methodik der Erstellung der Listen

Zur Datengrundlage

 

Die Kündigung jüdischer Mieter*innen

 

Die Kündigungsaktion gegen jüdische Mieter*innen ging trotz Überlastung der sie aus­führenden Behörden (Wohnungsamt und Bezirksgerichte) binnen weniger Wochen aus der Sicht der Nationalsozialisten mehr oder weniger reibungslos vonstatten. Innerhalb kürzester Zeit mussten ca. 3.600 Jüdinnen*Juden (Hauptmieter*innen und Angehörige) im Sommer 1938 aus ihren Gemeindewohnungen ausziehen. Bei der Kündigung handelte es sich um einen bürokratischen Vorgang, dessen rechtliche Grundlage nicht von den Nationalsozialisten geschaffen wurde, sondern die im österreichischen Mietrecht wurzelte. Es waren nur wenige zusätzliche Maßnahmen nötig, um diese erste konzertierte Vertreibungsaktion der jüdischen Bevölkerung in Gang zu setzen, die in ihrer Erbarmungslosigkeit bereits erahnen ließ, welches Schick­sal den Jüdinnen*Juden noch bevorstehen würde.[1]

Am 14. Juni 1938 erteilte Vizebürgermeister Thomas Kozich den Auftrag, jüdischen Mieter*innen, die in städtischen Wohnhäusern lebten, die Kündigung auszusprechen. Exenberger / Koß / Ungar-Klein vermuten, dass deren Erfassung bereits im Rahmen der Volksabstimmung im April 1938 durch die örtlichen NS-Parteidienststellen erfolgt sein könnte.[2] Zur Durchführung der Kündigungen erhielten die zuständigen Bezirksreferenten im Wiener Wohnungsamt die Erfassungslisten der jüdischen Mieter*innen und ordneten in weiterer Folge die Kündigungen an. Das Kündigungsformular wurde unterfertigt, vergebührt und schließlich den örtlich zuständigen Bezirksgerichten zugestellt. Die Kündigungsfrist betrug entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen des § 1116 ABGB 14 Tage.[3] Die Kündigungen wurden schließlich bei den Bezirksgerichten protokolliert und dem „Kündigungsgegner“, also dem*der gekündigten Mieter*in zugestellt. Diese*r hatte das Recht, Einwendungen gegen die Kündigung zu erheben, die aber in der Regel mit formalisierten, gleichlautenden Begründungen zurückgewiesen wurden. Die Mieter*innen argumentierten meist damit, keinen Kün­digungsgrund geliefert zu haben, was allerdings keine Rolle spielte, da für die Gemeindebauten des Roten Wien das Mietengesetz 1922 nicht galt[4], weshalb eine Kündigung ohne Angabe von Gründen ausgesprochen werden konnte. Wurden keine Einwendungen erhoben, so erwuchsen die Kündigungen nach Ablauf des Einwendungstermines in Rechtskraft und es konnte Exekution (Delogierung) beantragt werden. Wurden Einwendungen erhoben, so wurde vom Bezirksgericht eine Tagsatzung ausgeschrieben. „Die meisten […] Einwendungen wurden jedoch entweder auf Grund der juristisch aussichtlosen Lage, unter Druck der NS-Parteistellen oder der übrigen Hausbewohner zurückgezogen, bzw. wurde bei der Zurückziehung der Einwendungen ein kurzer Räumungsaufschub gewährt oder ein gerichtlicher Ver­gleich abgeschlossen.“[5] Der Räumungsaufschub erlaubte es immerhin Betroffenen, die eine Flucht in Aussicht nahmen, ihre diesbezüglichen Pläne – soweit dies möglich war – zu forcieren. Doch nicht allen gelang es, dies in die Tat umzusetzen und sie gerieten wie viele andere in die nationalsozialistische Verfolgungsmaschinerie, die vielfach mit dem Tod endete.

Jene, die in einer sogenannten „Mischehe“ lebten, versuchten, wenigstens dem*der „arischen Ehepartner*in“ die Wohnung zu erhalten, indem sie sich scheiden ließen. Das wurde aber in den allermeisten Fällen abgelehnt und auch der*die „arische“ Part­ner*in musste aus der Wohnung ausziehen und sich eine neue Bleibe suchen.

Die Kündigungswelle, von der binnen kürzester Zeit mehr als 3.500 jüdische Bewohner*innen von Gemeindewohnungen betroffen waren, beanspruchte das Wohnungsamt und führte zu einer Überbelastung der Bezirksgerichte. Die überwiegende Mehrheit der Gekündigten beließ es allerdings bei der Erhebung eines Einwandes, nur we­nige beriefen gegen die Kündigungen und gingen damit – so gut wie immer ohne Erfolg – vor Gericht. Manche*r Mieter*in ließ es jedoch auf eine Zwangsräumung ankommen. Meist wurde aber, um kein großes öffentliches Aufsehen zu erregen, – in der Regel erfolgreich – versucht, die Juden*Jüdinnen zum Verlassen ihrer Wohnungen zu bewegen – sei es durch Druck der örtlichen NS-Parteistellen, der übrigen Haus­bewohner*innen oder seitens der Gemeinde Wien.

Am 10. Mai 1939 trat schließlich die „Verordnung zur Einführung des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden in der Ostmark“ in Kraft, die es „arischen“ Eigentümer*innen erlaubte, jüdische Mieter*innen fristlos zu kündigen.[6] Dieses Gesetz wirkte sich aber nur dort aus, wo überhaupt ein Mieterschutz bestanden hat, also nicht in Gemein­debauten.

 

Ergebnis

 

Es konnten 3.598 in Gemeindebauten wohnende Jüdinnen*Juden (Männer, Frauen, Kinder) eruiert werden, die im Zuge der im Sommer 1938 einsetzenden Kündigungswelle delogiert wurden. 1.090 von ihnen wurden im Zuge der Shoah ermordet. 2.508 überlebten die Judenverfolgung zur Zeit des Nationalsozialismus. Entweder gelang ihnen die Flucht aus dem Deutschen Reich oder sie überlebten die Deportation in die Lager bzw. versteckt als „U-Boote“[7].

 


[1] Die Kündigungsaktion gegen jüdische Mieter*innen beschreiben Exenberger / Koß / Ungar-Klein aus­führlich in ihrem Buch „Kündigungsgrund Nichtarier“, S. 28-36.

[2] Ebenda, S. 29.

[3] ABGB 1812, § 1116.

[4] § 1 des Bundesgesetzes vom 7. Dezember 1922 über die Miete von Wohnungen und Geschäftsräumlichkeiten (Mietengesetz).

[5] Exenberger / Koß / Ungar-Klein, „Kündigungsgrund Nichtarier“, S. 31.

[6] RGBl I 1939, S. 906, Verordnung zur Einführung des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden in der Ostmark, 10.5.1939; Kundmachung des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, wodurch die Verordnung zur Einführung des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden in der Ostmark vom 10. Mai 1939 bekanntgemacht wird, GBlÖ 607/1939.

[7] Jüdinnen*Juden, die in den Untergrund gingen, um der Deportation und Ermordung zu entgehen, werden als „U-Boote“ bezeichnet. Siehe dazu: Brigitte Ungar-Klein, Schattenexistenz. Jüdische U-Boote in Wien 1938–1945, Wien 2019.