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Datengrundlage 

 

  • Kündigungsakten

Im Zuge des 1992 vom Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschungen abgeschlossenen Projektes „Kündigungsgrund Nichtarier“ haben die Autorinnen der 1996 vorgelegten gleichnamigen Publikation Herbert Exenberger, Johann Koß und Brigitte Ungar-Klein in der damaligen Registratur der Magistratsabteilung (MA) 52 (Verwaltung der städtischen Wohnhäuser) 2.064 Kündigungsakten recherchiert, die nach Be­­zirken und innerhalb dieser nach Gemeindebauten geordnet waren.[1] Von diesen Akten wurden auszugsweise Kopien angefertigt und die Datenbank „Kündigungsgrund Nichtarier“ angelegt, die seit 2014 im DÖW für Recherchen zur Verfügung steht.

Im Zuge der 1996 eingeleiteten Umstrukturierungen der Magistratsabteilungen[2], die im Jahr 2000 schließlich in der Übernahme durch das Unternehmen Stadt Wien – Wiener Wohnen, das die städtischen Wohnhausanlagen verwaltet, saniert und bewirtschaftet, mündete, wurden die originalen Kündigungsakten in einem Gebäude von Wiener Wohnen in der Simmeringer Hauptstraße 108a im 10. Bezirk deponiert. Dabei wurde der Aktenbestand auseinandergenommen und den einzelnen Gebietsteilen Nord – Süd – West – Ost eingegliedert. Im Frühjahr 2023 erfolgte die Übersiedlung von großen Teilen des Wiener Wohnen-Archivs in ein Archivdepot im Gebäude der Wiener Wohnen Hausbetreuung GmbH, Erdbergstraße 200 im 3. Bezirk. Die Struktur der Kündigungsakten in der ehemaligen Registratur der MA 52 ist damit nicht mehr nachvollziehbar. Als Grundlage der Recherche wurde daher die DÖW-Datenbank „Kündigungsgrund Nichtarier“ herangezogen. Aufgrund intensiver Nachforschungen im Wiener Wohnen Archiv konnten dennoch eine Reihe von origina­len Kündigungsakten vorgefunden werden.

 

  • Auswandererkartei

Die – damals unter der Kon­trolle der im August 1938 von Adolf Eichmann in der Prinz-Eugen-Straße eingerichteten Zentralstelle für jüdische Auswanderung stehen­de – Is­ra­elitische Kul­tus­gemeinde gab ab Mai 1938 Fra­ge­bögen an jüdische Auswan­derungswer­ber*innen aus und erfasste sie karteimäßig. Die Fragebögen wurden von Jüdinnen*Juden ausge­füllt, die hofften, allein oder gemeinsam mit ihrer Familie das Land möglichst rasch verlassen zu können, um den nationalsozialistischen Ver­fol­gun­gen zu entgehen. Da die IKG die sogenannte „Auswanderung“ aus dem jüdi­schen Vereins- und Stiftungsvermö­gen unterstützte, mussten entsprechende An­trä­ge gestellt werden. Allerdings gelang nicht allen, die einen Bogen ausfüllten, dann tatsächlich die Flucht.

Im Herbst 1938 beinhaltete die Auswandererkartei Angaben zu ca. 136.000 Per­­so­nen. Ins­ge­samt enthält der heute er­hal­tene Be­stand 97.027 Personenein­träge, da­von sind 5.000 bis 6.000 Dubletten.

Die Auswandererkartei besteht aus drei Teilen:[3]

  • Alphabetische Kartei

Bestehend aus: Name, Ad­res­se, gewünschtes Auswanderungsziel, Verwandte in Übersee, Laufnummer.

  • Fragebögen:

Informatio­nen zu: Na­­­me, Adres­­se, gewünschtes Auswanderungsziel, Verwandte in Übersee, Geburtsdatum, Zahl der An­ge­­hö­­ri­gen, bis­he­­riger Beruf, neu erlernter Beruf, berufliche Fähigkeiten, Umschu­lungen, Spezialkenntnisse, Sprachkenntnisse, Reisespesen, Besitz ei­­ge­­­ner Mittel.

  • Berufsspezifische Kartei:

Informationen zu: bisheriger Beruf, neu erlernter Be­ruf, Sprach­­­­­­­­kenntnisse, Reisespesen, Laufnummer – unter dieser wurden manchmal mehrere Fa­milienangehörige verzeichnet.

Die Karteikarten und Fragebögen wurden vom DÖW digitalisiert, ausgewertet und bearbeitet.[4] Die Auswanderungsfragebögen können auf Mikrofilm im Archiv der IKG Wien eingesehen werden.[5] Die Originale befinden sich in den Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem[6] und können über die Genealogie-Plattform MyHeritage online abgefragt werden.

 

  • Opferfürsorgeakten

Die Akten zu einmaligen Entschädigungszahlungen von Opfern oder deren Hinterblie­benen nach dem Opferfürsorgegesetz[7] (Opferfürsorgeakten) sind Antragsakten von Opfern der NS-Herrschaft. Sie enthalten u.a. Anträge und Bewilligungen bzw. Ablehnungen der Entschädigung oder Anträge auf Opferausweise, Anträge auf Amts­bescheinigungen und Meldebestätigungen.

Seit 2012 liegen die Hauptakten im Wiener Stadt- und Landesarchiv.[8] Im Zuge des DÖW-Projekts „Widerstand und Verfolgung in Wien“ wurden die Opferfürsorgeakten, damals noch bei der MA 12 befindlich, in den 1970er Jahren auszugsweise themenbezogen kopiert und daraus der Bestand DÖW Sig. 20.000 gebildet, der einen wesentlichen Grundstock der DÖW-Opferdatenbanken bildet.

 

  • Akten des Hilfsfonds

1956 beschlossen die österreichische Bundesregierung, das Committee for Jewish Claims on Austria und die Israelitische Kultusgemeinde Wien die Gründung eines Fonds zur Hilfestellung an politisch Verfolgte mit Wohnsitz und ständigem Aufenthalt im Ausland (Hilfsfonds).[9] Er sollte vor allem jüdischen Vertriebenen zugutekommen, die nicht nach Österreich zurückgekehrt waren („Alter Hilfsfonds“, genannt „Wiener Kartei“), bzw. Personen, die keinen Anspruch auf Leistungen aus dem Titel des Opferfürsorgegesetzes – ausgenommen Haftentschädigung – hatten. Nach Abschluss der Auszahlungen 1962 erfolgte wiederholt eine Aufstockung in Form des „Neuen Hilfsfonds“, der über die 1970er Jahre hinaus weitergeführt wurde.[10]

Die „Wiener Kartei“ ist, ausgehend von der letzten Wohnadresse der Antragstellenden im Jahr 1938, nach Bundesländern bzw. Wiener Bezirken geordnet. Sie enthält Daten zu mehr als 30.000 Personen (u.a. Namen, Geburtsdaten und -orte sowie Wohn­adressen). Der dazugehörige Aktenbestand befindet sich im Österreichischen Staatsarchiv, Archiv der Republik.[11]

 

  • Matriken der IKG Wien

Der im Archiv der IKG aufbewahrte Bestand der Matriken umfasst v.a. die Geburts-, Trauungs- und Sterbebücher der jüdischen Bevölkerung in Wien bis zur NS-Zeit.[12]

 

  • DÖW-Datenbank der österreichischen Shoah-Opfer

Ausgehend von den Deportationslisten der Großtransporte aus Wien und der Deportationskartei der Israelitischen Kultusgemeinde erfasst das DÖW seit 1992 die biographischen Daten und Todesumstände von österreichischen Opfern der Shoah.[13] Gegenwärtig beinhaltet die online zugängliche Datenbank mehr als 64.500 Einträge. Abfragbar sind Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort und letzter Wohnort des Opfers, der Zielort und das Datum der Deportation und – soweit bekannt – das To­des­datum sowie der Todesort. Erfasst sind jüdische Österreicher*innen, die zwischen 1938 und 1945 in Österreich durch Mord oder Selbstmord ums Le­ben kamen, aus Österreich deportiert wurden oder als Flüchtlinge in anderen europäischen Staaten von den nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen eingeholt wurden.[14]

 

Von der Problematik der letzten Wohnadresse

Eine Herausforderung bei der Recherche nach gekündigten jüdischen Mieter*innen von Gemeindewohnungen liegt darin, dass die DÖW-Opferdatenbank die letzte Wohn­adresse ausweist,[15] diese aber in den seltensten Fällen jene Wohnadresse war, wo die Menschen über Jahre hinweg gewohnt hatten.

Das Wiener „Wohnungsamt“ begann 1938 zunächst Jüdinnen*Juden in Häuser und Wohnungen, die sich in jüdischem Eigentum befanden oder in denen bereits Jüdinnen*Juden wohnten, umzusiedeln. Durch diese massenhaften Zwangsumsiedlungen entstanden sogenannte „Judenhäuser“ mit „Judenwohnungen“, schlech­tere und kleinere Quartiere bis hin zu völlig desolaten und heillos überfüllten Räumlichkeiten. Andere kamen bei Verwandten unter – sofern diese nicht ebenfalls aus einer Gemeindewohnung delogiert worden waren. Auch in Depoträumen, Lagern oder in ihren Geschäften, so sie noch nicht „arisiert“ waren, fanden manche eine prekäre Unterkunft.

Ungefähr zwei Drittel der aus ihren Wohnungen Gekündigten gelang in den Monaten danach die Flucht ins Ausland. Jene, die nicht auswandern konnten, wurden schließlich in sogenannten Sammelwohnungen vor allem im 2., 9. und 20. Bezirk zusammen­gepfercht.[16] Von dort wurden sie schließlich in Sammellager in den 2. Bezirk verbracht, von wo der Abtransport zum Aspangbahnhof im 3. Bezirk erfolgte. Von dort gingen ab Februar 1941 die großen Deportationszüge in die Vernichtungsorte im Osten Europas.

Die Adresse der Sammelwohnung war in den meisten Fällen die letzte Wohnadresse der Betroffenen, die in der DÖW-Opferdatenbank ausgewiesen ist. Zur Eruierung der Wohnadresse im Gemeindebau war es daher notwendig, auch andere Quellen auszuwerten. Neben der Auswandererkartei war dies das „Wiener Adreßbuch“ im „Lehmann“[17], aus dem das Verschwinden der jüdischen Mieter*innen aus ihren Wohnungen augenscheinlich nachvollziehbar ist.

 


[1] Exenberger / Koß / Ungar-Klein, „Kündigungsgrund Nichtarier“, S. 12.

[2] Vgl. dazu: Peter Csendes, Geschichte der Wiener Magistratsabteilungen in den Wahlperioden 1969 bis 2005 (= Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Reihe C. Sonderpublikationen, Heft 13), Wien 2007.

[3] Siehe dazu: Alexander Mejstrik / Therese Garstenauer / Peter Melichar / Alexander Prenninger / Chris­ta Putz / Sigrid Wadauer, Be­­­rufs­­schä­di­gun­gen in der nationalsozialistischen Neuordnung der Arbeit: Vom österreichischen Berufsleben 1934 zum völkischen Schaf­fen 1938-1940 (= Ver­­öffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Ver­­­mö­gen­s­entzug während der NS-Zeit sowie Rück­stellungen und Ent­schädigungen seit 1945 in Österreich, Bd. 16), Wien-München 2004, S. 576.

[4] Siehe dazu: Vertreibung – Exil – Emigration (II): Die jüdisch-österreichischen NS-Vertriebenen im Spiegel der „Auswandererkartei“ der IKG Wien, www.doew.at/erforschen/projekte/datenbankprojek­te/ver­treibung-exil-emigration-ii [1.2.2025].

[5] Siehe: Dokumente zur Auswanderung, www.archiv-ikg-wien.at/archives/flucht-vertreibung/?tab=2015&topic=2191 [1.2.2025].

[6] www.nli.org.il/en/discover/archives/cahjp [1.2.2025].

[7] BGBl Nr. 183/1947.

[8] WStLA, 1.3.2.208.A36 – Opferfürsorgeakten – Entschädigungen (E) | 1947–2012.

[9] Bundesgesetz vom 18. Jänner 1956, womit Bundesmittel zur Hilfeleistung an politisch Verfolgte, die ihren Wohnsitz und ständigen Aufenthalt im Ausland haben, zur Verfügung gestellt werden (Hilfsfondsgesetz), BGBl Nr. 25/1956.

[10] Soweit ersichtlich zuletzt BGBl.197/1988 bzw. im Voranschlag des BFG 2008, Z 2 der BFG-Novelle BGBl. I 95/2007).

[11] AT-OeStA/AdR Finanzen BMF 2Rep AHF, Alter Hilfsfonds 1955 – 1962 Teilbestand.

[12] Siehe: Matrikenbestände im Archiv der IKG Wien, www.archiv-ikg-wien.at/archivportal/bestaende/matriken/

[13] Siehe dazu ausführlich: Brigitte Bailer / Gerhard Ungar, Die namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.), Opferschicksale. Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus. Jahrbuch 2013, Wien 2013, S. 63-73.

[14] Die Datenbank der österreichischen Shoah-Opfer ist mit den Basisdaten auf www.doew.at abrufbar und wird laufend ergänzt.

[15] Siehe dazu die DÖW-Website www.memento.wien, die die letzten Wohnadressen von NS-Opfern aus Wien verortet.

[16] Siehe dazu ausführlich: Michaela Raggam-Blesch, „Sammelwohnungen“ für Jüdinnen und Juden als Zwischenstation vor der Deportation, Wien 1938–1942, in: Dokumentationsarchiv des ös­ter­rei­chi­schen Widerstandes (Hrsg.), Forschungen zu Vertreibung und Holocaust. Jahrbuch 2018, Wien 2018, S. 81-100.

[17] Siehe: www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/periodical/titleinfo/2316398 [1.2.2025].