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60 Lebensläufe - 60 Schicksale

Exemplarisch für die vielen Menschen im Gemeindebau, die vom NS-Regime verfolgt wurden, sollen rund 60 Lebensläufe vorgestellt werden.
Hier sind Ihre Namen:

Aschenbrenner Anna (25.2.1922-26.12.2021)

Steurer Leopold (18.8.1921-7.2.1944)

 

Anna Aschenbrenner und Leopold Steurer, die 1940 ein Paar wurden, wohnten zu diesem Zeitpunkt beide in einem Gemeindebau. Sowohl Aschenbrenner als auch Steurer wurden von der NS-Justiz wegen kommunistischer Betätigung zum Tode verurteilt. Während das Urteil an Steurer vollstreckt wurde, wurde Aschenbrenner zu einer Zuchthausstrafe begnadigt.

Anna Aschenbrenner wurde am 25. Februar 1922 in Wien geboren und wuchs im Robert-Blum-Hof in der Vorgartenstraße 73-79 (Stiege 2) bzw. Engerthstraße 110-118 im 20. Wiener Gemeindebezirk (Brigittenau) auf. Ihr Vater Leopold arbeitete als Werkzeugschleifer, ihre Mutter Anna war Hausfrau. Nach acht Jahren Pflichtschule übernahm Aschenbrenner Gelegenheitsarbeiten, um das Familieneinkommen aufzubessern, da ihr Vater arbeitslos war. Dieser hatte zunächst dem Republikanischen Schutzbund angehört, schloss sich aber 1935 der illegalen SA an und wurde – nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 – Mitglied der NSDAP, in der er bis zum Ortsgruppenleiter seines Wohngebiets aufstieg. Seit Oktober 1938 arbeitete Anna Aschenbrenner in der Glühlampenfabrik Kremenezky in der Brigittenau, die 1931 mit der Watt AG fusioniert hatte. Zunächst war sie dort als Hilfsarbeiterin und seit April 1942 als technischer Lehrling beschäftigt. In der Fabrik lernte sie im Herbst 1940 ihren späteren Verlobten Leopold Steurer kennen.

Leopold Steurer wurde am 18. August 1921 als Sohn eines Sattlers in Wien geboren. Er wuchs mit seinen Eltern Leopold und Leopoldine (geborene Wildeis) in der Bahnsteiggasse im 21. Bezirk (Floridsdorf) auf. Die Ehe wurde 1932 geschieden. Im November 1939 bezog er mit seiner Mutter eine Gemeindewohnung in der 1933/34 errichteten Wohnhausanlage in der Werndlgasse 14-18 (Stiege 14) in Floridsdorf. Nach acht Jahren Pflichtschule absolvierte Steurer eine Schlosserlehre und drei Jahre Gewerbeschule. Seit dem Frühjahr 1939 arbeitete er als Schlosser bzw. Elektriker in der Glühlampenfabrik Kremenezky. Als Kind war Steurer Mitglied der sozialdemokrati­schen Kinderfreunde, 1937 wurde er im illegalen Kommunistischen Jugendverband (KJV) aktiv und stellte Verbindungen zwischen Betriebszellen des KJV und der Bezirksleitung des Verbands her. Im Dezember dieses Jahres war er wegen kommunistischer Betätigung zehn Tage in Haft.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs war Leopold Steurer einer der führenden Funktionäre des KJV in Floridsdorf und Umgebung. 1938 wurde er Kreisleiter für Floridsdorf, Kagran, Stadlau, Hirschstetten und Umgebung. In dieser Funktion bildete er Betriebsgruppen des KJV in den Industriebetrieben Hofherr-Schrantz-Clayton-Shuttleworth (landwirtschaftliche Maschinenfabrik), Floridsdorfer Lokomotivfabrik und Paukerwerke. Gemeinsam mit der später zu einer Zuchthausstrafe verurteilten KJV-Aktivistin Erika Uhlir verfasste er einen Kettenbrief, der per Post an Jugendliche verschickt wurde. Steurer stand 1939/40 auch in Verbindung mit führenden KPÖ-Funktionären wie Leopold Blauensteiner, Engelbert Magrutsch, Karl Hodac, Matthias Pista und Rudolf Fischer. Im März 1939 wurde Steurer durch den im KJV Hirschstetten aktiven Rudolf Mašl mit Elfriede Hartmann bekannt. Nach einer Verhaftungswelle in der Wiener KJV-Leitung nahm er 1940 gemeinsam mit Hartmann, Friedrich Mastny und Anton Kellner die Reorganisierung und den Wiederaufbau des Verbands in Angriff. Steurer war für den organisatorischen Aufbau des Verbands zuständig. In der zweiten Jahreshälfte 1940 wurde der Wiener KJV in vier Gebiete eingeteilt. Steurer fungierte bis Jänner 1941 als Leiter des Gebietes I (Bezirke 1, 2, 9, 20 und 21).

Im Februar 1941 wurde Steurer zur Wehrmacht einberufen. Mit seiner Verlobten blieb er danach in Briefkontakt. Auch im Rahmen von Urlaubsaufenthalten in Wien schaltete sich Steurer in die illegale Arbeit des KJV ein. So kam er etwa während eines zweieinhalbwöchigen Heimaturlaubs im Juli 1941 zu Besprechungen mit den KJV-FunktionärInnen Elfriede Hartmann, Walter Schopf und seiner Nachfolgerin als Gebietsleiterin Gertrude Müller zusammen. Auch im Oktober 1941 kam er über Vermittlung von Anna Aschenbrenner im Zuge eines dreitägigen Urlaubs mit Müller zusammen. Als der KJV im Sommer 1941 von Elfriede Hartmann, Friedrich Mastny, Walter Kämpf und Alfred Fenz neu geordnet wurde, wurde Aschenbrenner von Hartmann mit Gertrude Müller und Emil Homolka, ihren späteren Mitangeklagten, bekannt gemacht. Laut Erhebungen der Gestapo übte Aschenbrenner die Funktion einer Verbindungsperson des Gebietes I zur zentralen Druckschriftenstelle des KJV aus. Ihr wurde u.a. die Übernahme und Weitergabe illegaler Flugschriften wie „Die Rote Jugend“ und „Der Soldatenrat“ vorgeworfen. Zur Verbreitung dieses an Wehrmachtsangehörige gesendeten Briefes übermittelte sie auch Feldpostanschriften.

Anna Aschenbrenner wurde am 27. August 1942 wegen Betätigung für den KJV festgenommen. Bis zur Verhandlung saß Aschenbrenner im Polizeigefangenenhaus Rossauer Lände bzw. im Gefängnis des Landesgerichts Wien I in der Landesgerichtsstraße in Haft. Leopold Steurer diente seit Februar 1942 auf der „Krim“ (einem Grätzel in Döbling) in einer Heeres-Küsten-Artillerie-Abteilung der Wehrmacht als Oberkanonier. Anfang Oktober 1942 wurde auch er aufgrund von Ermittlungen der Wiener Gestapo bei seiner Truppe festgenommen und ins Wehrmachtsgefängnis Berlin-Tegel überstellt. Am 19. Mai 1943 trat das zuständige Reichskriegsgericht das Verfahren an den für Hochverratsfälle zuständigen Volksgerichtshof ab. Am 29. Juli 1943 wurde Steurer wegen Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt.

Am 14. Oktober 1943 wurde auch Anna Aschenbrenner – ebenso wie ihre Mitangeklagten Gertrude Müller, Emil Homolka, Friedrich Lachnit und Wilhelm Fuhry – vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum kommunistischen Hochverrat zum Tode verurteilt. Am 8. Dezember 1943 wurde die gegen sie verhängte Todesstrafe vom Reichsminister für Justiz in eine achtjährige Zuchthausstrafe umgewandelt, die sie bis Mai 1945 in den Zuchthäusern Waldheim in Sachsen und Jauer in Niederschlesien (heute Polen) verbüßte. In Summe war Aschenbrenner in der NS-Zeit 134 Wochen in Haft. Müller, Homolka, Lachnit und Fuhry wurden am 11. Jänner 1944 im Wiener Landesgericht hingerichtet.

Anna Aschenbrenners Verlobter Leopold Steurer wurde am 7. Februar 1944 im Zuchthaus Brandenburg-Görden im Alter von 22 Jahren hingerichtet. Im Abschiedsbrief an seine Mutter schrieb er:

„So schwer es auch ist, es dir schreiben zu müssen, so will ich es doch nicht unterlassen. Es ist mein letzter Brief. In einer Stunde werde ich nicht mehr sein. Bitte verzeihe mir alles Böse, was ich dir angetan habe und glaube du mir wenigstens, dass meine Tat, für die ich jetzt büße, nicht aus egoistischem Grunde von mir getan wurde, sondern weil ich glaubte andern Menschen etwas Gutes zu tun. Ich gehe mit der Gewissheit von dieser Welt, im guten Glauben gehandelt zu haben. Hab es bis jetzt nicht glauben können, dass es wirklich aus sein soll, aber nun ist es halt so. [...] Habe noch deinen l. [letzten] Brief mit Annys Begnadigung erhalten. Hab mich so sehr gefreut, ist wenigstens ein Sorgenkind weniger. Bitte schreibe ihr nichts von mir. Nach einiger Zeit wird sie es leichter überwinden. [...] Hoffentlich ist der Krieg bald aus und ihr habt wieder ein ruhiges Leben.“
www.doew.at/result

Anna Aschenbrenner arbeitete nach der Befreiung Österreichs zunächst als technische Zeichnerin, trat im Juli 1945 aber ihren Dienst als Stenotypistin bei der Wiener Polizeidirektion an. Da ihre Eltern die Wohnung im Robert-Blum-Hof verloren hatten, lebten sie gemeinsam mit ihren beiden Töchtern in der Spittelauer Lände im 9. Bezirk. Bei der Polizei lernte Aschenbrenner ihren späteren Ehemann Adolf Bienstock kennen, der ebenso im Widerstand aktiv gewesen war. Bienstock wurde am 22. Oktober 1914 in Wien geboren und absolvierte eine Ausbildung zum Elektrotechniker. Er war zunächst Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend und danach im Kommunistischen Jugendverband. In den Jahren der austrofaschistischen Diktatur war er neuneinhalb Monate wegen kommunistischer Betätigung in Haft, u.a. im Anhaltelager Wöllersdorf. In der NS-Zeit gehörte er einer Widerstandsgruppe namens „Österreichisches Nationalkomitee“ an und lebte ab November 1944 versteckt als „U-Boot“ in Wien. 1945 arbeitete er zunächst beim Fahndungsdienst der Staatspolizei und ab 1947 als Kriminalbeamter. Wegen Teilnahme am Oktoberstreik im Jahr 1950 wurde er frühzeitig pensioniert. In diesem Jahr wechselte Anna Bienstock ins staatspolizeiliche Büro und 1954 ins Verkehrsamt. Seit 1967 arbeitete sie im Bezirkspolizeikommissariat in Hernals. Seit 1946 lebte das Ehepaar Bienstock in der Meynertgasse im 9. Bezirk. Anna Bienstock starb am 26. Dezember 2021 im Alter von 99 Jahren.

 

Autor: Manfred Mugrauer

Baldermann Josef (28.2.1903-2.3.1943)

 

Josef Baldrmann wurde am 28. Februar 1903 in Wien geboren und wuchs in der Engerthstraße 106 im 20. Bezirk (Brigittenau) auf. Sein Vater, der 1877 geborene Eisengießer Josef Baldrmann, war um die Jahrhundertwende aus Mähren nach Wien zugewandert. Zum Jahreswechsel 1925/26 bezog die Familie eine Wohnung in der 1924 fertiggestellten kommunalen Wohnhausanlage in der Stromstraße 36-38 bzw. Pasettistraße 39-45 (Stiege 21 des Winarskyhofs), wo Vater Baldrmann eine Hausbesorgerstelle antrat. Küche und Kabinett waren zum Innenhof hin ausgerichtet, das Schlafzimmer zur Pasettistraße hin. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1938 übernahm Baldrmanns Mutter, die 1882 geborene Köchin Agnes Baldrmann, geb. Safranek, seine Stelle als Hausbesorgerin im Winarskyhof.

Nach dem Besuch der Volks- und Bürgerschule trat Baldrmann als Praktikant in eine Galanteriewarenhandlung ein und besuchte die gewerbliche Fortbildungsschule. Nach dreijähriger Lehrzeit und einem halben Jahr als Handelsgehilfe wechselte er in die Wiener Neustädter Flugzeugwerken, wo er zunächst als Hilfsarbeiter und danach als Maschinenarbeiter tätig war. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde er entlassen, worauf er auf Wanderschaft ging. 1922 begann er bei Siemens-Schuckert in der Engerthstraße zu arbeiten, wo er vom Hilfsarbeiter bis zum Maschinenmeister aufstieg.

In einer sozialdemokratischen Familie aufgewachsen, trat auch Baldrmann 1918 der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) und 1921 der Sozialdemokratischen Partei (SDAP) bei, der er bis zu ihrem Verbot im Februar 1934 angehörte. Er war auch Mitglied des Republikanischen Schutzbunds und der Naturfreunde. Als Naturfreunde-Wanderführer unternahm er zahlreiche ausgedehnte Bergtouren. In sportlicher Hinsicht war er im Rahmen des Arbeiter-Athletik-Klubs Nordmark aktiv.

Über eine Auseinandersetzung im Brigittenauer Bezirksteil Zwischenbrücken mit Mitgliedern der antidemokratischen „Frontkämpfervereinigung Deutsch-Österreichs“ am 8. Juli 1923 notierte Baldrmann in sein Tagebuch:

„Glockenweihe in Zwischenbrücken. Aufmarsch der Frontkämpfer. Große Erregung unter den Arbeitern. Nach der Feier Abmarsch der Frontkämpfer unter Absingen von monarchistischen Liedern. Darauf stürmen die Arbeiter vor und es erfolgt ein Zusammenstoß. Zahlreiche Verletzte, meistens Wachleute durch Steinwürfe, ich erhielt auch zwei leichte Verletzungen.“

Tags darauf wurde Baldrmann festgenommen und mehrere Stunden in Haft behalten. Während des mehrwöchigen Metallarbeiterstreiks im Jahr 1924 versah Baldrmann Ordnerdienste.

1931, in den Jahren der Weltwirtschaftskrise, verlor Baldrmann seine Arbeit bei Siemens-Schuckert. Bis 1938 fand er nur gelegentlich Verdienstmöglichkeiten, u.a. als Bau- bzw. Holzarbeiter. Am 26. Dezember 1933 wurde er wegen Verstoßes gegen das von der Dollfuß-Regierung verhängte Demonstrationsverbot vom Polizeikommissariat Brigittenau mit zwei Tagen Arrest bestraft. 1934, nach der Niederlage der österreichischen Arbeiterbewegung in den Februarkämpfen, ging er von der Sozialdemokratie zur illegalen KPÖ über.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 arbeitete Baldrmann in der Floridsdorfer Lokomotivfabrik, was jedoch aufgrund seiner angegriffenen Gesundheit eine schwere Belastung war. Er wurde deshalb Vertreter für den „Deutschen Verlag“. Im Herbst 1940 wurde er vom Arbeitsamt als Werkzeugfräser in der Werkzeugmaschinenfabrik Blau & Co. in der Hellwagstraße in der Brigittenau dienstverpflichtet, die nach ihrer „Arisierung“ den Firmennamen „Frank & Co.“ trug. Im April 1941 heiratete er die 1904 geborene Miedernäherin Hermine Konschitzky, die er ein Jahr zuvor kennengelernt hatte. Mit dem im Juli 1941 geborenen Sohn Josef Richard übersiedelte die Familie Ende April 1941 von der Jägerstraße 120 in die Burghardtgasse 28 im 20. Bezirk.

Seit 1938 war Baldrmann neben Karl Wyt, einem in der Firma Fross-Bössing in der Brigittenau arbeitenden Dreher, der führender Bezirksfunktionär der KPÖ. Seine Aufgabe bestand darin, kommunistische Betriebszellen in der Brigittenau zu organisieren und die Verbindung zu ihnen aufrecht zu erhalten, etwa zu den Zellen in der Vereinigten Telephon- und Telegraphenfabrik (VTTW, vormals Czeija-Nissl) in der Dresdner Straße und in der Firma Kremenezky. Laut Anklageschrift des Oberreichsanwalts bestand seine Tätigkeit vor allem in der Sammlung und Weitergabe von Mitgliedsbeiträgen und in der Verbreitung kommunistischer Flugschriften. Am 29. Juli 1941, fünf Wochen nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion und wenige Tage nach der Geburt seines Sohnes, wurde Baldrmann an seinem Arbeitsplatz von zwei Gestapo-Männern festgenommen.

Zunächst im Wiener Landesgericht II am Hernalser Gürtel inhaftiert, wurde Baldrmann im Jänner 1942 ins Konzentrationslager Groß-Rosen in Schlesien (heute Polen) überstellt. Der Hintergrund dieser Maßnahme bestand darin, dass angesichts der großen Zahl an Verhaftungen in den Jahren 1941/42 der Haftraum in Wien zu knapp geworden war. Ab Anfang Juni 1942 befand sich Baldrmann im Untersuchungsgefängnis Alt-Moabit in Berlin. Zwei Männer jener Gruppe, die in der Brigittenau gemeinsam mit Baldrmann von der Gestapo verhaftet worden waren (Alfred Mach und Viktor Dank), verstarben in Konzentrationslagern, weshalb sie nicht mehr vor Gericht gestellt werden konnten.

Am 9. Oktober 1942 wurde Baldrmann gemeinsam mit sieben weiteren Angeklagten aus Wien vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt. Fünf Monate später, am 2. März 1943, wurde Baldrmann im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee, in dessen Todesblock er seit der Hauptverhandlung inhaftiert war, hingerichtet. Am selben Tag wurden auch sechs der sieben Mitangeklagten – die Brigittenauer Arbeiter Karl Wyt, Josef Graf, Arthur Jäger, Emil Leibetseder, Johann Schöner und Heinrich Belohlavek – enthauptet.

Josef Richard Baldrmann, der Sohn des hingerichteten Widerstandskämpfers, begann als 14-Jähriger in derselben Firma zu arbeiten, in der 1941 sein Vater verhaftet wurde: in der Wiener Werkzeug- und Werkzeugmaschinenfabrik in der Hellwagstraße. 1955 wird an diesem Betrieb eine Gedenktafel für Baldrmann enthüllt. Nach der Schließung der Fabrik im Jahr 1962 und ihrem Abbruch im Jahr 1971 wurde die Tafel auf das neu errichtete Wohnhaus in der Hellwagstraße 6 übertragen.

2013 wurde die in den Jahren 1960 bis 1962 erbaute städtische Wohnhausanlage in der Pasettistraße 9-21 in Wien-Brigittenau „Josef-Baldermann-Hof“ benannt. Zeitlebens setzte sich sein 2022 verstorbener Sohn Josef für die Erinnerung an seinen Vater ein. Eine von ihm angelegte Dokumentensammlung stellt die Grundlage für ein 2017 erschienenes, von der „profil“-Journalistin Marianne Enigl verfasstes Buch über den antifaschistischen Widerstandskämpfer dar.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

Berger-Volle Melanie (08.10.1921)

 

Melanie Berger wurde am 8. Oktober 1921 in Wien geboren und wuchs gemeinsam mit ihrer älteren Schwester Eva in einer jüdischen Familie in der Wohlmutstraße 14–16 (Stiege 10), einem in den Jahren 1927/28 erbauten Gemeindebau, im 2. Bezirk (Leopoldstadt) auf. Ihr 1890 in Bánffyhunyad (damals Ungarn, heute Huedin in Rumänien) geborener Vater Adolf Abraham Berger arbeitete als Handelsangestellter, die 1896 in Kismagyar in Ungarn geborene Mutter Eugenie (geborene Salomon) kümmerte sich um den Haushalt. Nach der Pflichtschule begann Melanie Berger eine Lehre als Schneiderin und wurde zur Miedermacherin ausgebildet. Als Kind war Berger Mitglied der Roten Falken. In den Jahren des Austrofaschismus wurde sie – als 15-Jährige – im Rahmen der illegalen Revolutionären Kommunisten Österreichs (RKÖ), einer links von Revolutionären Sozialisten und KPÖ stehenden Kleingruppe, aktiv. Zu den Gründern dieser Gruppe zählten u.a. Ernst Federn, Josef Hindels und Georg Scheuer.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 wurde der Familie die aus einem Zimmer, Küche und Kabinett bestehende Gemeindewohnung per 31. Juli 1938 gekündigt. Die Eltern verließen daraufhin Wien und lebten bis September 1942 in Budapest. Als Jüdin und Kommunistin bedroht, floh die damals 16-jährige Melanie im Mai 1938 nach Belgien, wo sie gemeinsam mit Georg Scheuer, ihrem damaligen Lebenspartner, in Antwerpen lebte. Als Grenzarbeiter mit Männerfrisur getarnt, überquerte sie in einer Arbeitskolonne die französische Grenze und ging im Frühjahr 1939 nach Paris. Nach Kriegsbeginn aus Paris ausgewiesen, nahm sie in Clermont-Ferrand bei einem Arzt eine Stelle als Dienstmädchen an und konnte sich so der Internierung als „feindliche Ausländerin“ entziehen. Auf diesem Weg gelang es ihr auch, die Verbindung zwischen den RKÖ-Stützpunkten in Antwerpen, Les Milles, London, Zürich und New York aufrechtzuerhalten.

Nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Frankreich flüchtete sie 1940 weiter in den (vorläufig noch) unbesetzten Süden des Landes. In Montauban traf sie auf eine Gruppe österreichischer politischer Flüchtlinge, darunter auch Georg Scheuer, mit denen sie gemeinsam Flugblätter herstellte, die über die Demarkationslinie nach Norden gebracht und unter Wehrmachtssoldaten verbreitet wurden.

Am 26. Jänner 1942 wurde Melanie Berger verhaftet und nach mehrtägigen Verhören in Montauban von der französischen Polizei in das Frauengefängnis St. Michel in Toulouse überstellt. Das dortige Sondergericht verurteilte sie am 18. Dezember 1942 wegen „kommunistischer und anarchistischer Aktivität“ zu 15 Jahren Zwangsarbeit. Nach einem Jahr Haft im Frauengefängnis Les Bau mettes in Marseille konnte sie ihrem Freund Georg Scheuer eine geheime Nachricht übermitteln, wie sie aus dem Gefängnis befreit werden könne. Wegen einer „akuten Leberentzündung“ kam Berger in das Spital „La Conception“, das eine eigene, streng bewachte Abteilung für Häftlinge hatte. Von dort wurde sie am 15. Oktober 1943 von einem vierköpfigen Kommando der RKÖ in einer spektakulären Aktion befreit. Ignaz Duhl, Gustav Gronich, Lotte Israel und Georg Scheuer waren als deutsche Beamte bzw. als Rot-Kreuz-Schwester verkleidet und gaben vor, Berger zu einem Verhör abholen zu wollen.

Melanie Berger nahm nach ihrer Befreiung mit der französischen Widerstandsbewegung Kontakt auf und setzte nun ihr Engagement in der Résistance mit falschen Papieren und unter wechselnden Namen fort. Als Kurierin unternahm sie mehrfach Fahrten zwischen Lyon nach Paris, um illegale Flugschriften, darunter Aufrufe zur Desertion aus der Wehrmacht, zu transportieren.

Melanie Berger kehrte nach der Befreiung nicht nach Österreich zurück, sondern blieb in Frankreich. Auch Bergers Eltern und ihre Schwester hatten den Krieg überlebt. Abraham und Eugenie Berger wurden von Oktober 1942 bis 1945 in verschiedenen ungarischen Sammellagern für jüdische Flüchtlinge festgehalten, der Schwester Eva gelang die Flucht nach England. Vier Geschwister des Ehepaares und zahlreiche weitere Verwandte wurden von den Nazis ermordet. Abraham und Eugenie Berger lebten nach 1945 in der Servitengasse im 9. Wiener Gemeindebezirk.

Am 15. Juli 1947 heiratete Melanie den Lehrer Roger Essel und erhielt die französische Staatsbürgerschaft. Berger arbeitete in wechselnden Berufen, u.a. in der Bekleidungsindustrie und als Schaustellerin. Sie ging mit ihrem Mann nach Madagaskar und kehrte nach der Trennung im Jahr 1957 nach Paris zurück. Am 14. Juni 1965 heiratete Berger den französischen Journalisten Lucien Volle, der ebenfalls in der Résistance gekämpft hatte. 1969 übersiedelte das Paar nach Drancy, wo Melanie Berger-Volle im Gemeindeamt arbeitete. Das Ehepaar Nerger-Volle engagierte sich in verschiedenen Organisationen ehemaliger WiderstandskämpferInnen wie der ANACR („Association nationale des anciens combattants de la Résistance“). Nach der Pensionierung übersiedelte sie 1982 nach Brives-Charensac im Département Haute-Loire in der Region Auvergne-Rhône-Alpes und widmeten sich vor allem der Erinnerungsarbeit. Seit dem Tod von Lucien Volle im Jahr 2012 lebt Berger-Volle in einer Seniorenresidenz in Saint-Étienne und ist weiterhin als Zeitzeugin tätig.

Für ihre Erinnerungsarbeit als Zeitzeugin wurde Melanie Berger-Volle am 13. Juli 2013 durch den französischen Staatspräsidenten François Hollande mit dem höchsten französischen Verdienstorden, dem Orden der Ehrenlegion (L’ordre national de la Légion d’honneur) ausgezeichnet. Am 19. Juni 2015 wurde ihr im Rahmen einer Festveranstaltung in der österreichischen Botschaft in Paris das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich überreicht.

2024 veröffentlichte der „Spiegel“-Journalist Nils Klawitter im Wiener Czernin Verlag eine Biografie über die Odyssee Melanie Bergers durch die Wirren des 20. Jahrhunderts. Am 22. Juni 2024 erregte Berger-Volle große mediale Aufmerksamkeit, als die 102-jährige ehemalige Résistance-Kämpferin anlässlich der Olympischen Spiele die olympische Fackel ein Stück ihres Weges von Saint-Étienne in Richtung Paris trug. Im Rahmen eines mehrtägigen Österreich-Besuches verlieh ihr der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig am 12. September 2024 im Roten Salon des Wiener Rathauses die Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

Braun Arnold (4.1.1904-2.5.1961)

 

Arnold Braun wurde am 4. Jänner 1904 in Wien geboren. Hier besuchte er vier Jahre ein Realgymnasium sowie zwei Jahre eine Handelsakademie und arbeitete später als Vertreter und Inkassant. 1925 heiratete er im Pazmanitentempel in Wien-Leopoldstadt die zweieinhalb Jahre ältere, aus Stanislau stammende, Modistin Adela Uhrmacher. Im Juni 1930 bezog das Ehepaar eine Gemeindewohnung im neu errichteten „Volkswohnhaus“ in der Wohlmuthstraße 4-6. Für die kleine 26m2 große Wohnung bestehend aus Kabinett und Vorraum bezahlte das Ehepaar 5,20 Schilling sowie 1,0 Schilling Wohnbausteuer.

Im Juni 1938 kündigte ihm sein Arbeitgeber, der Gemischtwarengroßhandel M. Dozsa, mit 31. Juli 1938 kündigte das Wiener Wohnungsamt Arnold Braun die Gemeindewohnung. Ab 1. August 1938 wohnte das Ehepaar in Untermiete in der Pillersdorfgasse 13/8 in Wien-Leopoldstadt und bemühte sich um eine Ausreise nach Australien oder in die USA, wo ein Cousin Adele Brauns sowie ein Cousin Arnold Brauns lebten. Letzterer ermöglichte schließlich auch ein Affidavit für das Ehepaar in die USA. Das Reisegeld übernahm die IKG Wien.

Im November 1938 reisten Arnold und Adela Braun über Southhampton im Vereinigten Königreich in die USA. Am 22. November erreichten sie auf der SS Westernland New York. Das Ehepaar ließ sich in St. Louis, Missouri gemeinsam mit der ebenso aus Wien geflüchteten Schwester von Adela Braun, Sophie Singer, nieder. Nach Kriegsende blieben Arnold und Adela Braun, die mittlerweile die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besaßen, in den USA. Arnold Braun starb am 2. Mai 1961 in St. Louis, seine Frau Adela Braun starb fünf Jahre später.

 

Verfasser: Wolfgang Schellenbacher

Brtna Alois (21.6.1915-12.1983), Leopold (31.3.1921-24.05.1944) und Rudolf (18.5.1913-08.1978)

 

Seit September 1933 wohnte die Familie Brtna – der 1886 im tschechischen Chmelná geborene Johann, seine 1892 in Sedlice geborene Ehefrau Aloisia (geb. Matejka) und die drei Söhne Alois, Leopold und Rudolf Brtna – in der Ernst-Ludwig-Gasse 8 (Stiege 2) in der städtischen Wohnhausanlage Rasenstadt in Wien-Favoriten. Zuvor hatten die Brtnas in der nahe gelegenen Neilreichgasse eine Wohnung in einem Zinshaus gemietet. Der älteste Sohn Rudolf Brtna wurde am 18. Mai 1913 geboren, es folgten am 21. Juni 1915 Alois und am 31. März 1921 Leopold Brtna.

Vater Johann Brtna war als Hilfsarbeiter beschäftigt und als Funktionär der Sozialdemokratischen Partei aktiv. Rudolf Brtna absolvierte eine Lehre zum Glasmaler, Alois Brtna zum Feinmechaniker und Leopold Brtna zum Tischler. Alle drei Brüder waren zunächst in der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) und nach den Februarkämpfen des Jahres 1934 und dem Verbot sozialdemokratischer Organisationen im illegalen Kommunistischen Jugendverband bzw. in der Kommunistischen Partei Österreichs aktiv. Leopold Brtna war auch im tschechischen Arbeiter-Turnverein organisiert, Rudolf Brtna gehörte dem Republikanischen Schutzbund an. Rudolf und Alois waren in den Jahren der austrofaschistischen Diktatur mehrmals inhaftiert, Alois und Leopold wurden von der NS-Justiz wegen antifaschistischen Widerstands zu einer mehrjährigen Haftstrafe bzw. zum Tode verurteilt. Leopold Brtna musste unter dem Fallbeil sein Leben lassen.

Als aktiver Februarkämpfer flüchtete der älteste der drei Brüder, der damals 21-jährige Rudolf Brtna, 1934 in die Tschechoslowakei, wo er in den Schutzbündlerlagern in Brünn (Brno), Wallern (Volary) und Znaim (Znojmo) untergebracht war. Ende des Jahres 1935 kehrte er nach Wien zurück, wo er sogleich für die illegale KPÖ aktiv wurde. Am 1. April 1936 wurde Rudolf Brtna verhaftet, weil er einen Koffer mit knapp 2.000 Exemplaren von kommunistischen Propagandaschriften beförderte, darunter etwa 400 Exemplare des Einheitsfrontabkommens zwischen KPÖ und Revolutionären Sozialisten. Er verbüßte bis Juli dieses Jahres eine mehrwöchige Haft im Polizeigefängnis in der Rossauer Lände bzw. im Wiener Landesgericht, kam dann aber aufgrund der allgemeinen Amnestie wieder frei. Das gegen ihn laufende Verfahren wegen Vorbereitung zum Hochverrat wurde per Erlass des Bundesministeriums für Justiz eingestellt. Im Jänner 1937 erneut verhaftet, wurde Rudolf Brtna zunächst mit vier Monaten Polizeihaft bestraft und dann von Anfang Juni bis Ende Dezember 1937 ins Anhaltelager Wöllersdorf eingeliefert. In Summe war Brtna 15 Monate in Haft.

Auch Alois Brtna wurde von Polizei und Justiz des austrofaschistischen Regimes verfolgt: Am 19. September 1935 wegen kommunistischer Betätigung verhaftet, wurde er zunächst in den Notarrest in der Hermanngasse im 7. Bezirk eingeliefert. Am 7. November dieses Jahres wurde er vom Landesgericht zu einem Jahr strengen Arrest – die außergerichtliche Höchststrafe – verurteilt und ins Bezirksgefängnis Margareten am Mittersteig eingeliefert. Ende Juni 1936 wurde er ebenso wie sein Bruder Rudolf aufgrund der allgemeinen Amnestie entlassen. Am 26. Jänner 1937 wurde Alois Brtna erneut verhaftet und nach Monaten der Polizei- und Untersuchungshaft am 21. Dezember dieses Jahres vom Wiener Landesgericht zu 16 Monaten schweren Kerker verurteilt. Am 17. Februar 1938, wenige Wochen vor dem „Anschluss“ Österreichs, kam er aufgrund der vom Bundespräsidenten verfügten Amnestie frei. Die Haft hatte er bis dahin erneut im Bezirksgefängnis Margareten verbüßt. Insgesamt war Brtna in den Jahren des Austrofaschismus 21 Monate in Haft.

Leopold Brtna, der jüngste der drei Brüder, war nach der Tischlerlehre ein Jahr lang in seinem Beruf tätig und arbeitete danach als Kraftfahrer. Als die KPÖ vor 1938 verstärkt darum bemüht war, legale Möglichkeiten einer politischen Betätigung zu erschließen, wurde der noch jugendliche Leopold Brtna im „Bergsportverein“ – einer halbfaschistischen Organisation, die 1934 die verbotenen „Naturfreunde“ ablöste – aktiv. Im Juni 1942 wurde er zur Technischen Nothilfe einberufen, einer technischen Hilfspolizei, die dem Reichssicherheitshauptamt unterstand. Dies hatte damit zu tun, dass er sich zum tschechischen Volkstum bekannt hatte und deshalb nach einem Monat Wehrdienst als wehrunwürdig entlassen wurde. 1941, nach seiner Heirat mit der 20-jährigen Anna Larva am 12. Juli, zog Leopold Brtna aus der elterlichen Wohnung aus und übersiedelte mit seiner Braut in die Gemeindewohnung seiner Schwiegermutter Magdalena Larva in der Herzgasse 76 in Favoriten. Das dortige im Jahr 1894 errichtete Gründerzeithaus wurde erst im Nachhinein – als „städtischer Altbau“ – zu einem Gemeindebau.

Leopold Brtna wurde am 3. Dezember 1942 von der Gestapo in seiner Wohnung verhaftet. Er wurde beschuldigt, seit 1940 am Aufbau der illegalen KPÖ, u.a. als Verbindungsmann, beteiligt gewesen zu sein. Darüber hinaus wurde ihm – wie in den meisten Anklagen gegen kommunistische WiderstandskämpferInnen – die Werbung von Mitgliedern, die Sammlung von Mitgliedsbeiträgen und Spendengeldern sowie die Verbreitung illegaler Druckschriften vorgeworfen. Nach der Verhaftung folgten für Leopold Brtna 16 Monate Einzelhaft, zunächst im Landesgericht Wien II am Hernalser Gürtel.

Nachdem am 30. November 1943 Anklage wegen Vorbereitung zum Hochverrat erhoben worden war, wurde Leopold Brtna am 15. März 1944 gemeinsam mit drei weiteren Angeklagten – den kommunistischen Arbeitern Johann Dragosits, Johann Sokopp und Rudolf Obermaier – vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde zwei Monate später, am 24. Mai 1944, im Wiener Landesgericht vollstreckt. Allein an diesem Tag wurden im Landesgericht insgesamt 25 Widerstandskämpfer hingerichtet. In einem aus der Haft geschmuggelten Brief an seine Familie brachte der 23-jährige Brtna seine Zuversicht über die weitere geschichtliche Entwicklung zum Ausdruck:

„Möget ihr vielleicht auch leisen Zweifel hegen, ich bin überzeugt, dass das Morgen das Morgen der Arbeiter ist.“
DÖW Historische Sammlungen Sig. 7

Der bis 1938 arbeitslos gewesene Alois Brtna, war in den Jahren der NS-Diktatur als Feinmechaniker bei der Firma Herzstark beschäftigt, die Büromaschinen herstellte. Am 5. September 1939 wurde er – als polizeibekannter Kommunist – von der Gestapo in Schutzhaft genommen, fünf Wochen später, am 13. Oktober, aber wieder entlassen. Am 17. November 1943, elf Monate nach der Verhaftung seines Bruders Leopold, wurde Alois Brtna wegen „staatsfeindlicher Betätigung“ erneut festgenommen. Er war in den Vormonaten in den Wiederaufbau der KPÖ durch jene AktivistInnen involviert gewesen, die – als französische FremdarbeiterInnen getarnt – nach Österreich zurückgekehrt waren. Die Verbindung zu Frieda („Mara“) Günzburg und Ludwig Beer hatte Brtna im März 1943 durch seinen Arbeitskollegen Hubert Gsur erhalten. In der Folge organisierte er Verbindungen der neu geschaffenen Wiener Leitung der KPÖ zu mehreren Wiener Großbetrieben und leitete Geldbeträge und Flugschriften weiter. Im Mai 1943, ein halbes Jahr vor seiner Verhaftung, hatte Alois Brtna seine 23-jährige Braut Leopoldine geheiratet.

Anfang Juni 1944 wurde Brtna vom Polizeigefängnis in der Rossauer Lände ins Wiener Landesgericht überstellt. Während die beiden Hauptangeklagten Alfred Polak und Hubert Gsur am 26. Oktober 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt wurden, erhielt Brtna – wegen Nichtanzeige eines hochverräterischen Unternehmens – eine Gefängnisstrafe von vier Jahren. Er wurde am 7. April 1945 – nach 73 Wochen Haft – aus dem Gefängnis im Landesgericht Wien I befreit.

Rudolf Brtna wiederum wurde im September 1940 zur Wehrmacht eingezogen. Er wurde im September 1942 und geriet zu Kriegsende in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er im Juli 1945 freikam und nach Wien zurückkehren konnte.

Alois und Rudolf Brtna waren bis zur Befreiung Österreichs bei ihren Eltern in der Rasenstadt wohnhaft, die im August 1945 nach dem hingerichteten Widerstandskämpfer Johann Mithlinger benannt wurde („Mithlingerhof“). Beide lebten auch in den folgenden Jahren in Favoriten: Alois Brtna in einem Mietshaus in der Alxingergasse 105, Rudolf Brtna am Antonsplatz. Alois Brtna war bis zu seinem Unfalltod im Dezember 1983 in der KPÖ aktiv, u.a. als Mitglied der Favoritner Bezirksleitung. Er arbeitete in der Firma Goerz in Favoriten, die optische Geräte herstellte. 1949 wurde er hier zum Betriebsratsobmann gewählt. 1952 wurde er Personalchef der Firma Austro-Fiat in Floridsdorf, die bis 1955 als USIA-Betrieb unter sowjetischer Verwaltung stand. Nachdem Brtna aus gesundheitlichen Gründen aus dem Betrieb ausscheiden musste, war er Mitarbeiter der KPÖ-nahen Gewerkschaftsfraktion „Gewerkschaftliche Einheit“ (ab 1974 „Gewerkschaftlicher Linksblock“), wo er als Sekretär der Metall- und Bergarbeiterfraktion fungierte.

Rudolf Brtna, der bis zu diesem Zeitpunkt als Anstreicher und Lackierer gearbeitet hatte, war nach 1945 – wie viele andere Antifaschisten und Kommunisten auch – im Polizeidienst tätig. 1946 versah er seinen Dienst im Rahmen der Bezirksgruppe Favoriten der Staatspolizei, ab 1950 war er Kriminalbeamter im Kommissariat Margareten. 1961 stieg er zum Kriminal-Rayonsinspektor auf. Er war verheiratet mit der 1919 in Bayern geborenen Frieda Pirkenbrunn. Rudolf Brtna starb im August 1978 in Wien.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

Czucker Hermann (21.2.1895-8.1975)

 

Hermann Czucker wurde am 21. Februar 1895 als Sohn von Moriz Czucker und Jetty, geb. Singer, in Wien geboren. Im April 1918 ließ sich Hermann Czucker rö­misch-katholisch taufen. Seine Gattin Malvine, geb. Chrupowicz, geb. am 7. Februar 1895, stammte aus Polen, das Ehepaar hatte acht Kinder, das jüngste, Henriette wurde im Jänner 1937 geboren. Das Ehepaar übersiedelte im Juni 1928 vom 21. Wiener Bezirk, Leopoldauer Platz 51/4 in den neu errichteten Gemeindebau Wien 16., Gomperzgasse 5. Die 49 m² große Wohnung bestand aus einem Zimmer, einem Kabinett, einer Küche und einem Vorraum. Insgesamt waren die Räumlich­kei­ten, für eine mehrköpfige Familie nicht besonders geräumig, dennoch stellte diese Wohnung eine Verbesserung zur vorherigen Unterkunft dar.

Der Sandleitenhof wurde in den Jahren 1925 bis 1928 im 16. Bezirk an den Hängen des Wienerwaldes erbaut. Um die Jahrhundertwende befand sich dort eine Klein­gar­ten­siedlung. Das Gelände ist nach den ehemaligen „Sandgruben“ im 16. Wiener Ge­mein­debezirk benannt. Mehrere namhafte Architekten schlossen sich zu einzelnen Teams zusammen und wurden mit der Planung und der Umsetzung der einzelnen Bau­teile betraut. Mit etwas mehr als 1.500 Wohnungen stellt der Sandleitenhof die größte Wohnanlage des Roten Wien dar. Auf einer Gesamtfläche von 68.581 m2 erstreckt sich die Anlage über mehrere Straßenzüge. Zentrum des Areals ist der Mat­teottiplatz, umgeben von der Sandleitengasse, der Steinmüllergasse, der Ro­sen­ackergasse, der Karl-Metschl-Gasse, der Baumeistergasse und dem Nietzscheplatz. Durchzogen werden die einzelnen Bauteile von der Rosa-Luxemburg-Gasse, der Lieb­knechtgasse und der Gomperzgasse. Grünflächen lockern die Plätze zwischen den einzelnen Höfen auf, eine Bibliothek und ein Kindergarten sind innerhalb der Wohnanlage angesiedelt. Einige öffentliche Bereiche wurden künstlerisch aus­ge­stal­tet. So befindet sich im Boden des Matteottiplatzes ein Mosaik mit dem Wiener Ge­mein­dewappen. Im Vergleich zu anderen Bauten handelt es sich beim Sandleitenhof um keine geschlossene, sondern um eine nach allen Seiten offene Wohnanlage oh­ne strenge Trennung zwischen den Innenhöfen und der Straße.

Hermann Czucker war ein gut beschäftigter Schaufensterdekorateur, Verkäufer und Werbefachmann, der auch Werbeplakate entwarf. Unter anderem war er für die Fir­ma Humanic tätig. Als Monatsverdienst gab er in seinem Antrag auf Entschädigung im Rahmen der Opfergesetzgebung ca. 450,- bis 500,- Schillinge (ca. 33 bis 36 Euro) an, mit dem er seine vielköpfige Familie gut erhalten konnte.

Mit dem „Anschluss“ im März 1938 änderte sich das Leben der Familie dramatisch. Im Rahmen der Kündigungsaktion jüdischer Mieter und Mieterinnen aus den Wiener Gemeindebauten wurde der Mietvertrag per 31. Juli 1938 gekündigt. Versuche, die Kündigung beim Bezirksgericht Hernals gerichtlich zu bekämpfen, scheiterten – wie in den meisten anderen Fällen auch – am 30. Juli 1938.

Der Beklagte ist schuldig, die Wohnung […] am 1. August 1938 geräumt zu übergeben. […] Die Kündigung war für rechtswirksam zu erklären, da die Parteien außer Streit stellten, dass das gegenständliche Haus im Jahre 1926/27 erbaut wurde (es unter­liegt daher nicht dem Mietengesetz) [sic!] sowie dass kein Miet­vertrag von bestimmter Dauer abgeschlossen wurde.

WWA, Kündigungsakt Hermann Czucker XVI C 125 / 38 K 89 / 38, Urteil des Bezirksgerichts Hernals, 12.7.1938

In der Exekutionsbewilligung vom 17. August 1938 hieß es, dass die Wohnung be­reits am 1. August mittags um 12 Uhr geräumt hätte sein müssen. Hermann Czucker ersuchte jedoch in einem Schreiben an „die löbl. [sic!] Wohnhäuserverwaltung um einen Räumungsaufschub“ mit folgenden Worten:

Derselbe ist am 21.2.1895 zu Wien geb., daselbst zuständig, Han­delsangestellter, von Beruf, verheiratet, röm.kath., Kriegs­invalid und Vater von 8 Kindern. [sic!] Da derselbe in Anbetracht der großen Familie und innerhalb der ihm gestellten kurzen Frist unmöglich eine neue Wohnung ausfindig machen kann, bittet er nochmals um Bewilligung des obgenannten Räu­mungs­aufschubes.

WWA, Kündigungsakt Hermann Czucker XVI C 125 / 38 K 89 / 38

Per 1. September 1938 kam es zur Löschung der Zinsvorschreibung „wegen Leer­stehung“. Die Neuvermietung der nun geräumten Wohnung erfolgte am 15. September 1938. Bereits im August war Hermann Czucker von seiner Firma frist­los gekündigt worden und die Familie daher mittellos.

Mit 2. September meldete sich Malvine Czucker an der Wohnadresse Wien 5., Blech­turmgasse 21 an. Sie hatte die Wohnung durch Vermittlung „wohlgesinnter Men­schen“ erhalten, wie Hermann Czucker im April 1962 in seinem Schä­digungs­be­richt schreibt.

Hermann Czucker wurde im Oktober 1938 frühmorgens von der Gestapo fest­ge­nom­men und „unter unmenschlichen Demütigungen und Schlägen“ in das ehemalige Ho­tel Métropole, das zur Gestapoleitstelle Wien, die größte Dienststelle der Gestapo im „Groß­deutschen Reich“ geworden war, eingeliefert. Ende Oktober aber glückte ihm im Rahmen der Überstellung in die Sammelstelle in der Castellezgasse die Flucht. Ab diesem Zeitpunkt war es für ihn äußerst problematisch, mit seiner Familie in Kon­takt zu treten. Um diese nicht zu gefährden, wählte er den Schritt in ein mehr oder weniger illegales Leben, auch wenn er durch seine arische Ehefrau und seine min­der­jährigen Kinder Schutz vor Verfolgung gehabt hätte. Zunächst war es im Haus in der Blechturmgasse der Nachbar Rudolf Schild, der „den unschuldigen Kindern den Vater“ erhalten wollte und die Gefahr auf sich nahm, dem als Juden verfolgten Her­mann Czucker zu helfen. Schild gewährte ihm bis etwa Dezember 1942 ver­schie­de­ne Unterschlupfmöglichkeiten, beschaffte Notwendiges zum Überleben und verhalf ihm so der Verfolgung zu entgehen. Es ergab sich dann die Gelegenheit, bei der Bau­firma Schmidt und Metzger, die für die Bahn im burgenländischen Parndorf Ar­beiten durchführte, Beschäftigung zu finden. Neben Hilfsarbeiten beim Bau war Hermann Czucker für die Verrechnung zuständig und für das Werkzeug verant­wort­lich. Schlafplatz fand er in einer Bauhütte, die außerhalb des Bahnhofes Parndorf ge­legen war.

Nach Kriegsende kehrte Hermann Czucker zu seiner Familie zurück. Er musste er­fah­ren, dass einer seiner Söhne im Kriegseinsatz gefallen war. Als rassisch Ver­folg­ter meldete sich Hermann Czucker im Rahmen der Opfergesetzgebung, sein An­su­chen wurde jedoch mehrfach abgewiesen. In seinem Schädigungsbericht vom 26. April 1962 heißt es:

Warum ich erst nach 17 Jahren meinen Antrag stelle? Ich be­zie­he heute eine Angestelltenrente. […] Meine Frau und ich sind alt und krank, daher habe ich mein Gelübde gebrochen, die 7 Jah­re Hitler zu vergessen.

WStLA, MA 208, A 36, MA 12/18515, Opferfürsorgeakt von Hermann Czucker

Trotz mehrfacher Antragstellung bis Mitte der 1960er Jahre und Beibringung von Zeu­genaussagen konnte er keinen positiven Bescheid erwirken. Sein Schicksal wäh­rend der NS-Zeit blieb unentschädigt.

Hermann Czucker verstarb im August 1975 und wurde im Grab, in dem bereits seine Gat­tin Malvine beerdigt worden war, auf dem Wiener Zentralfriedhof bestattet.

 

Verfasserin: Brigitte Ungar-Klein

 

Daz Wilhelm (7.9.1923), Jakob (12.11.1889-nicht überlebt), Chaja (3.2.1892-06.1942)

 

Wilhelm (Willi) Daz wurde am 7. September 1923 in Wien geboren. Sein Vater Jakob Abraham Daz stammte aus Dünow (heute Dynów, Polen) und arbeitete als Tapezierer in Wien. Seine Mutter Chaja (Klara) Sara Moszkowicz stammte aus Roßhaupt (heute Rozvadov, Tschechien). Jakob und Klara Daz heirateten im September 1922 in der Polnischen Schul in der Leopoldstadt. Die jungen Eheleute wohnten im 2. Bezirk in der Arnezhoferstraße 7, wo Wilhelm Daz zur Welt kam. In den 1920er Jahren bezog die Familie eine Gemeindewohnung bestehend aus Zimmer, Kabinett und Küche in der Lorystraße 40/2/2 im Karl-Höger-Hof in Simmering, wo Wilhelm Daz auch den Kindergarten besuchte. In der Hoffnung auf eine Ausreisemöglichkeit füllte Jakob Daz im Frühsommer 1938 für sich und seine Familie einen Auswanderungsfragebogen an die IKG Wien aus.

Mit 31. Juli 1938 kündigte das städtische Wohnungsamt der Familie Daz die Gemeindewohnung. Nach der Räumung der Wohnung wurde die Familie in eine Baracke in der Hasenleiten (Hasenleitengasse 6/8, Baracke 30/5) umgesiedelt.

Jakob Daz wurde am 27. Oktober 1939 nach Nisko deportiert. Dessen weiteres Schicksal ist unbekannt. 1957 ließ ihn sein Sohn für tot erklären.

Klara Daz wurde in eine Sammelwohnung in der Großen Schiffgasse 9/8 im 2. Bezirk umgesiedelt. Dieses Haus wurde für 34 Personen zur letzten Wohnadresse vor ihrer Deportation und Ermordung. Am 14. Juni 1942 wurde Klara Daz in das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Sie kam im Holocaust um.

Wilhelm Daz konnte im Oktober 1938 über Triest nach Palästina flüchten, wo er in der britischen Armee diente. Nach dem Krieg ließ er sich in Tel Aviv nieder.

 

Verfasser: Wolfgang Schellenbacher / Michael Achenbach

Duschner Fritz (26.6.1897-nicht überlebt), Susanne (27.6.1900-9.10.1942), Gertrud (18.9.1922-8.12.2005), Josef (16.1.1927-9.10.1942) 

 

Fritz Duschner, geboren am 26. Juni 1897 in Wien, Sohn von Josef Duschner (gest. 1926) und Katti, geborene Ehrenfeld (gest. 1924), heiratete 1922 in Wien Susanne Gottesfeld, geb. am 27. Juni 1900 in Brody (Galizien, heute Ukraine). Die Eheleute lebten mit den gemeinsamen Kindern Gertrud, geb. am 18. September 1922, und Josef, geb. am 16. Jänner 1927, in Simmering im „Alfons Petzold Hof“ in der Lorystraße 38, Stiege 2, Tür 8, wo sie ein Zahnatelier betrieben. Beide waren „befugte Zahntechniker“.

Fritz Duschner war Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und Obmann der Kammer sozialdemokratischer Zahntechniker. Er wurde Ende Mai 1938 verhaftet und in das KZ Dachau eingeliefert (Kategorie „Schutzhaft Jude"). Im September 1938 erfolgte seine Überstellung in das KZ Buchenwald. Während dieser Zeit wurde Susanne Duschner mit den beiden Kindern aus der Gemeindewohnung delogiert. In weiterer Folge musste die Familie in eine Sammelwohnung im 2. Bezirk, in der Hollandstraße 3, Tür 12 umziehen, wo die Mutter mit ihren beiden Kindern gemeinsam ein Zimmer bewohnte. Im September 1938 entzog die zuständige Sanitätsbehörde Susanne Duschner das Recht, als Zahntechnikerin zu praktizieren.

Im Februar 1939 wurde Fritz Duschner unter der Auflage aus dem Konzentrationslager entlassen, sich wöchentlich bei der Polizei zu melden und in absehbarer Zeit das Land zu verlassen. Der Familie gelang es zwar, Ausreisepapiere nach Shanghai zu beschaffen, eine Krankheit und Operation von Susanne Duschner vereitelte jedoch die Flucht. Mit dem Beginn des zweiten Weltkriegs im September 1939 war schließlich keine Ausreise mehr möglich. Im Oktober 1939, zu dieser Zeit wohnte Duschner im 4. Bezirk in der Weyringergasse 29, wurde er von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien darüber informiert, dass er zur „Umsiedlung" nach Nisko vorgesehen war.

Die so genannte Nisko-Aktion war ein maßgeblich von Adolf Eichmann konzipiertes, von den 1938 in Wien und 1939 in Prag eingerichteten Zentralstellen für jüdische Auswanderung, durchgeführtes Experiment Es war der erste Versuch der Zwangsumsiedlung von Juden in ein Territorium außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches. Am 10. Oktober 1939 wurde der Amtsleiter der IKG Wien Dr. Josef Löwenherz zur „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in die Prinz-Eugen-Straße beordert. Er erhielt den Auftrag, 1.000 bis 1.200 „auswanderungs- und arbeitsfähige Männer“ für den Aufbau eines Durchgangslagers für ein künftiges „Judenreservat“ im Südosten des Distrikts Lublin bereitzustellen. Dem Transport angehören sollten vor allem mittellose und aus armen Verhältnissen stammende „Handwerker aller Art, insbesondere Tischler, Zimmerleute und Techniker“ und zehn Ärzte mit ihrem medizinischen Equipment, sowie „zehn Juden, die über Organisationsfähigkeiten verfügen“. Die für die Transporte vorgesehenen Männer sollten Werkzeug zur Holzverarbeitung mitnehmen, außerdem warme Kleidung, Arbeitskleider, Spirituskocher und Verpflegung für drei bis vier Wochen. Das persönliche Reisegepäck durfte 50 Kilogramm nicht überschreiten.
Sammelpunkt war der Aspangbahnhof, wo Personenwaggons sowie Güterwaggons für das große Gepäck bereitstanden. Nach der Ankunft auf dem Bahnhof von Nisko mussten die Deportierten über eine Behelfsbrücke nach Zarzecze und andere Dörfer auf dem gegenüberliegenden San-Ufer marschieren. Von beiden Wiener Transporten wurden nur 198 Personen zum Bau eines Barackenlagers im Sumpfgebiet bei Nisko zurückbehalten. Der Großteil der Männer wurde allerdings durch Schreckschüsse verjagt. Viele Vertriebene, die ihr Gepäck zurücklassen mussten, oder von polnischen und ukrainischen Banden ausgeraubt wurden, irrten wochenlang im Gebiet zwischen den Flüssen San und Bug umher, einige Gruppen waren über Janów Lubelski nach Lublin unterwegs und versuchten, sich quer durch das Lubliner Gebiet bis nach Bełżec, nahe der Demarkationslinie zur Sowjetunion, durchzuschlagen. Einige fanden Aufnahme bei der jüdischen Bevölkerung in den Kleinstädten des Distrikts. Die meisten versuchten, sich über die Demarkationslinie in den sowjetisch besetzten Teil Ostpolens in Sicherheit zu bringen bzw. wurden von der SS über die Grenze getrieben. Dies traf auf rund 1.300 der aus Wien Deportierten zu. Sie reihten sich in die nach Hunderttausenden zählenden Flüchtlinge ein, die zwischen September 1939 und der Schließung der Grenze durch die sowjetischen Behörden Ende 1939 dem deutschen Besatzungsregime in Polen zu entkommen versuchten. Ihr erster Zufluchtsort war in der Regel die nunmehr sowjetische Stadt Lwow/Lemberg (heute Lwiw/Ukraine). Von dort aus konnten sie Telegramme nach Wien schicken, andere schrieben aus verschiedenen Orten im Distrikt Lublin verzweifelte Briefe in ihre Heimat.

Unter den Vertriebenen, die nach Lemberg kamen, befand sich auch Fritz Duschner. Unter der Führung von unter den Nisko Deportierten befindlichen Kriegsveteranen des Ersten Weltkrieges waren Marschgruppen gebildet worden, die sich bis zur russischen Grenze durchschlagen konnten. Nach zehntägigem, entbehrungsreichem Marsch erreichte Duschner das russisch besetzte Lemberg. Im März 1940 schrieb er von dort seiner Frau Susanne nach Wien und ersuchte sie, für ihn einen Reisepass und andere benötigte Dokumente zu beantragen. Die Familie beabsichtigte zu diesem Zeitpunkt die Flucht in die USA.

Im Frühjahr 1940 verlangten die sowjetischen Behörden von allen Flüchtlingen aus Polen, die keine Personalpapiere vorweisen konnten (was auf den Großteil der Nisko-Deportierten zutraf, denen die persönlichen Dokumente schon während des Transportes von Wien nach Nisko abgenommen worden waren), im Zusammenhang mit der administrativen Eingliederung der früheren polnischen Gebiete in die Sowjetrepubliken Weißrussland und Ukraine, die Annahme der sowjetischen Staatsbürgerschaft. Jene, die sich weigerten, wurden als „unerwünschte Ausländer“ behandelt und die meisten von ihnen ab Mai 1941 in Internierungslager verschickt.

Die Briefe an seine Frau machte Duschner in den Augen des sowjetischen Innenministeriums verdächtig; wie viele Flüchtlinge zu dieser Zeit wurde er als potenzieller Spion angesehen. Er geriet erneut in eine Verfolgungsmaschinerie und wurde ins Arbeitslager Unzhlag (bei Nizhny Novgorod) in Russland verschickt, wo er als Dentist im Lagerhospital arbeitete. Dort lernte er die Röntgenschwester Hilda Vitzthum kennen, die in ihren Erinnerungen die Begegnung mit ihm beschrieb:

„Schon in den ersten Tagen in diesem Spital war mir [...] ein Mann aufgefallen [...]. Als ich bald danach in das Zahnambulatorium zur Behandlung ging, traf ich dort diesen Mann. Er hieß Fritz Duschner und war ein Zahnarzt aus Wien, der von den Nazis mit einem Transport zur polnischen Grenze gebracht worden war. [...] Fritz war untröstlich, denn er hatte hier wirklich niemanden, und sprach überhaupt kein Wort russisch. [...] Als ich [später das Lager verlassen musste], [...] drückte mir [Fritz Duschner] zum Abschied ein kleines Paket in die Hände. Es war ein Stückchen Seife, das er sich von der Norm abgezwickt hatte und das mir während der Fahrt sehr von Nutzen war. Als ich [ihm] ein letztes Mal zuwinkte [...] sah ich [...] das traurige Gesicht von Fritz Duschner. Ich fühlte nur zu gut, dass es für ihn schlecht ausgehen würde. [...] [Er wurde] bald nach meiner Abreise an einen Lagerpunkt geschickt [...], der ausschließlich Landwirtschaft betrieb. Aber Dusch­ner war dieser Arbeit nicht gewachsen, und so wurde er bald todkrank in das Spital zurückgebracht, wo er auch starb.“
Hilda Vitzthum, Mit der Wurzel ausrotten: Erinnerungen einer ehemaligen Kommunistin, hrsg. v. Forschungsinstitut für sowjetische Gegenwart, München 1984, S. 151, 153f.

Susanne Duschner wurde mit ihrem Sohn Josef aus der Sammelwohnung in der Hollandstraße 3 zum Wiener Aspangbahnhof gebracht und von dort mit dem Transport Nr. 44, Zugnummer 230, der laut Fahrplan am 5. Oktober 1942 um 22.22 Uhr abging, nach Maly Trostinec deportiert. Mutter und Sohn wurden dort am 9. Oktober 1942 ermordet. Die Schwester von Fritz Duschner, Leopoldine verh. Porges, war hier bereits ein paar Wochen vorher, am 9. Juni 1942 ermordet worden.

Der Tochter Gertrud Duschner gelang es, im November 1939 mit dem so genannten Kladovo-Transport aus Wien nach Palästina zu fliehen. Sie nahm den Namen Tirzah an und lebte in einem Kibbuz, heiratete den aus Ungarn stammenden Gabriel Schutzengel (1925 – 2017). 1957 wanderte sie in die USA aus, studierte Psychologie und arbeitete 35 Jahre als Professorin am Bergen Community College in New Jersey. Sie starb am 8. Dezember 2005 in Bridgeport, Connecticut.

Im „Alfons Petzold Hof“ erinnert seit dem 22. September 1999 eine von der Volkshochschule und dem Kulturverein Simmerin gestiftete Gedenktafel an die Familie Duschner.

 

Verfasserin: Claudia Kuretsidis-Haider

Eibschütz Rosa (26.6.1898-nicht überlebt) 

 

Rosa (Reiütz, geb. Gelles, kam am 26. Juli 1898 in Sołotwina im zur k.u.k. Monarchie gehörenden Galizien (heute Solotwyn, Ukraine) als Tochter von Nuchim und Esther Gelles, geb. Weinstein, zur Welt. Seit September 1914 lebte sie in Wien im 3. Bezirk (Erdberg) und arbeitete als Stenotypistin. Bis 1932 wechselte Rosa Gelles in Wien häufig den Wohnort. Zeitweilig wohnte sie auch in Baden bei Wien, nach 1920 hielt sie sich länger in New York auf. In den Jahren 1928 bis 1932 wohnte sie in verschiedenen Wohnungen in der Josefstädter Straße, Laudongasse und Florianigasse im 8. Bezirk (Josefstadt) bzw. in der Tandelmarktgasse, Pazmanitengasse und zuletzt in der Rembrandtgasse im 2. Bezirk (Leopoldstadt).

Am 27. März 1932 heiratete Rosa Gelles den um elf Jahre älteren Hermann Eibschütz, der ebenso mosaischen Glaubens war, und zog zu ihm in dessen Gemeindewohnung in der Hütteldorfer Straße 150–158 (Stiege 6) im damaligen 13. Bezirk (heute liegt der Somogyi-Hof im 14. Penzing).

Hermann Eibschütz wurde am 6. Februar 1887 in Tereblestie in der damals unter österreichischer Verwaltung stehenden Bukowina (heute Terebletsche, Ukraine) geboren und arbeitete als Buchhalter bzw. Kaufmann. Er übersiedelte im Jänner 1930 – gemeinsam mit seiner 1931 verstorbenen Frau Susanne, geb. Zwecker – von der Floßgasse im 2. Bezirk in den Somogyi-Hof, der in den Jahren 1927 bis 1929 auf dem Gelände der aufgelassenen Maschinenfabrik „Lehmann & Leyrer“ in unmittelbarer Nähe des Hanusch-Krankenhauses erbaut worden war. Der Hof ist benannt nach dem ungarischen Schriftsteller Béla Somogyi, der im Februar 1920 von Angehörigen der ungarischen Faschisten in Budapest ermordet wurde.

Die Wohnung war 52 Quadratmeter groß und umfasste ein Zimmer, Küche, Kabinett, Vorraum und Loggia. Die Ehe zwischen Rosa und Hermann Eibschütz wurde aber bereits im Oktober 1934 wieder geschieden. Danach blieb Rosa Eibschütz allein in der Gemeindewohnung im Somogyi-Hof wohnhaft, während Hermann Eibschütz mit seinen beiden Kindern aus erster Ehe – der 1920 geborenen Rosa Martha und der 1928 geborenen Edith Esther – eine Wohnung in der Hütteldorfer Straße 211a bezog.

Anfang Juli 1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs im März, wurde Rosa Eibschütz die Gemeindewohnung aufgrund ihrer jüdischen Herkunft gekündigt und die Räumung bis zum 1. August aufgetragen. Eibschütz beeinspruchte die Kündigung mit dem Argument, dass sie seit mehreren Jahren in diesem Haus wohne. Sie habe die Wohnung von ihrem geschiedenen Mann „als Abfertigung gegen Verzicht auf Alimentation und gegen Verzicht auf Rückerstattung meines Heiratsgutes“ erhalten und sei „selbstverständlich davon ausgegangen […], dass die Gemeinde nicht kündigt, wenn eine Partei keinen besonderen Anlass gegeben hat“. Mit Hinweis darauf, dass sie bereits ihre Auswanderung in die Wege geleitet habe, beantragte sie zumindest eine Räumungsfrist von sechs Monaten. Die Einwendungen von Eibschütz waren jedoch nicht erfolgreich. Das Bezirksgericht erklärte die Aufkündigung am 22. Juli 1938 für wirksam.

Die frei gewordene Wohnung von Rosa Eibschütz wurde per 1. August 1938 dem Fußballer und Rapid-Stürmer Franz („Bimbo“) Binder zugewiesen, der bis zu diesem Zeitpunkt in St. Pölten wohnte. Binder wurde am 1. Dezember 1911 in der späteren niederösterreichischen Landeshauptstadt geboren und wuchs zusammen mit neun Geschwistern in den Eisenbahnerhäusern im St. Pöltner Umland auf. Bis 1936 lebte Binder in der elterlichen Wohnung, bis 1938 wohnte er mit seiner Frau Erna und seiner 1936 geborenen Tochter Elisabeth in der Unterwagramerstraße in St. Pölten. Binder kam 1930, knapp 19-jährig, zum SK Rapid, mit dem er in den Jahren bis 1949 sechs österreichische und einen großdeutschen Meistertitel eroberte. Sechs Mal wurde er österreichische Torschützenkönig, drei Mal Fußballspieler des Jahres (1946, 1948 und 1949). Binder war vor allem für seine Schusstechnik bekannt und erzielte in seiner aktiven Laufbahn bis 1949 421 Tore in 347 Pflicht- und Länderspielen.

Rosa Eibschütz wohnte nach ihrer Kündigung in der Josefinengasse, in der Rueppgasse, in der Oberen Donaustraße bzw. in der Franz-Hochedlinger-Gasse im 2. Bezirk, wohin Jüdinnen und Juden, die ihrer Wohnungen und Häuser beraubt worden waren, zwangsweise umquartiert wurden. Rosa Eibschütz gelang die im Herbst 1938 geplante Auswanderung nicht. Sie wurde am 5. Juni 1942 nach Izbica, einem südlich der Kreishauptstadt Krasnystaw im Distrikt Lublin gelegenen Landstädtchen deportiert. Es handelte sich dabei um den letzten von insgesamt vier Transporten in das dort eingerichtete Durchgangsghetto, wohin etwa 4.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus Wien deportiert wurden. Im selben Transportzug wie Eibschütz befand sich auch der 1880 in Brünn (Brno) geborene Buchhalter und Rapid-Funktionär Wilhelm Goldschmidt, der als Klubsekretär des Fußballvereins fungierte und als Namensgeber des SK Rapid gilt. Auch die 1883 im rumänischen Ploiești geborene Rachel Haimowitz, die Hauptmieterin des letzten Wohnorts von Rosa Eibschütz in der Fritz-Hochedlinger-Gasse 10, befand sich in diesem Transport. Insgesamt wurden in diesem Haus 57 Jüdinnen und Juden in Sammelwohnungen gezwungen und deportiert. Nur zwei von ihnen überlebten den Holocaust.

Die ursprüngliche Einwohnerschaft Izbicas von ca. 6.000 Personen bestand etwa zu 90 Prozent aus Juden und Jüdinnen. Im Gefolge der Deportationen stieg die Anzahl der jüdischen Bewohner*innen zeitweise auf bis zu 12.000 Menschen. Am 15. Oktober 1942 wurden 10.000 Juden und Jüdinnen auf dem Bahnhof von Izbica zusammengetrieben und 5.000 von ihnen abtransportiert. Bei dieser Selektion kam es zu einem Massaker, bei dem ca. 500 Menschen erschossen wurden. Niemand von den 4.000 nach Izbica deportierten österreichischen Juden und Jüdinnen überlebte. Wann und wo Rosa Eibschütz und Wilhelm Goldschmidt ermordet wurden, ist nicht bekannt.

Hermann Eibschütz, er wohnte zuletzt in der Haidgasse im 2. Bezirk, wurde am 10. September 1942 nach Theresienstadt und von dort am 9. Oktober 1944 ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und überlebte die NS-Zeit nicht.

Seine Tochter Rosa Martha war bis zum 11. Januar 1944 im Lager Westerbork inhaftiert. Danach wurde sie in das KZ Bergen-Belsen überstellt. Sie überlebte die KZ-Haft und emigrierte nach dem Krieg in die USA, wo sie am 18.2.2018 in Teaneck, New Jersey, verstarb.

Edith Esther Eibschütz wanderte ebenfalls in die USA aus, wo sie Philip Roy Silverstein heiratete und bis zu ihrem Tod am 5.7.2004 in Brooklyn, New York, lebte.

Franz Binder, der Nachmieter von Rosa Eibschütz in der Gemeindewohnung im Somogyi-Hof, hatte den Höhepunkt seiner sportlichen Karriere in der Zeit des Nationalsozialismus. Er absolvierte zwischen 1939 und 1941 neun Einsätze in der deutschen Nationalmannschaft und erzielte dabei zehn Tore. Im Endspiel um die deutsche Meisterschaft zwischen dem SK Rapid und Schalke 04, das am 22. Juni 1941 im Berliner Olympiastadion stattfand, konnte der Wiener Traditionsklub dank dreier Tore von Franz Binder einen 0:3-Rückstand aufholen und mit 4:3 den Titel des Großdeutschen Fußballmeisters erringen.

Franz Binder musste zwar zur Wehrmacht einrücken, wurde aber für Länderspiele freigestellt. Ende 1942 kam er zu einer Sanitätsausbildungseinheit, Anfang 1943 wurde er an die Ostfront verlegt, wo er an den Kesselschlachten bei Smolensk und Orel teilnahm. Gegen Kriegsende geriet er in alliierte Kriegsgefangenschaft, nachdem sich die Reste seiner Panzereinheit im bayerischen Bad Aibling den Amerikanern ergeben hatten. Binder konnte im September 1945 nach Wien zurückkehren. Nach 1945 war er u.a. Trainer des 1. FC Nürnberg, von PSV Eindhoven und von 1860 München. Als Rapid-Ikone wurde Franz „Bimbo“ Binder in der Zweiten Republik zum Bestandteil eines populären Sportgedächtnisses. Er blieb bis Dezember 1963 in der im August 1938 zugewiesenen Gemeindewohnung im Somogyi-Hof wohnhaft, dann wohnte er im Kinkplatz im 14. Bezirk. Binder starb am 24. April 1989 in Wien.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer / Claudia Kuretsidis-Haider

Feuchtbaum Anschel (14.4.1894-23.10.1965), Ryfka (17.12.1892-1942), Toska (8.4.1935-1942)

 

Anschel (Adolf) Feuchtbaum wurde am 14. April 1894 in der Westgalizischen Stadt Mościska (heute Mostyska, Ukraine) als Sohn eines Lehrers und Tagelöhners geboren. 1910 übersiedelte seine Familie nach Wien und ließ sich in Wien-Leopoldstadt nieder. Ab den frühen 1920er Jahren lebte Anschel Feuchtbaum in Simmering. Er arbeitete – wie auch sein Bruder Salomon – als selbstständiger Fotograf und betrieb in der Simmeringer Hauptstraße 68 ein Fotoatelier. Anschel Feuchtbaum war in mehreren Simmeringer Vereinen aktiv. So engagierte er sich als Förderer des „Ersten Simmeringer Sportklubs“ und als Abwehrreferent der Ortsgruppe Simmering des „Bundes jüdischer Frontsoldaten Österreichs“. 1931 heiratete er im Stadttempel in Wien die ebenso aus Mościska stammende Ryfka (Regine) Kleines. Ab 1932 lebte die Familie in einer kleinen Gemeindebauwohnung im Strindberghof. Am 8. April 1935 wurde die Tochter Toska geboren. Im Juli 1937 erhielt die Familie eine größere Gemeindebauwohnung im Friedrich-Engels-Hof in der Ehamgasse 8 bestehend aus Küche, Zimmer und Vorzimmer.

Im Zuge der „Anschluss“-Pogrome im März 1938 wurde Anschel Feuchtbaum Opfer sogenannter „Reibpartien“. Gemeinsam mit anderen Simmeringer Juden und Jüdinnen wurde er unter anderem gezwungen, anti-nazistischen Parolen von einem Holzzaun zu entfernen. Er wurde dabei fotografiert. Das Bild befindet sich in der Fotosammlung des DÖW zeigt.

Leopoldine Hauptmann schrieb in ihrem autobiografischen Manuskript über die „Reibepartien“ im 11. Bezirk:

„Ich kam gerade dazu, wie sie auf der [Simmeringer] Hauptstraße bei der Hauffgasse etliche jüdische Geschäftsleute, darunter den sehr geachteten und netten Fotografen Feuchtbaum, auf der Straße kniend mit einer Bürste das Pflaster reinigen ließen. Das geschah unter Gejohle und wüsten Drohungen wie: ‚Du Saujud, jetzt geht es dir an den Kragen!’“
Niemals vergessen! Novemberpogrom 1938 in Wien. Broschüre zum antifaschistischen Gedenkrundgang am 11.11.2015 Wien, 11. Bezirk, Simmering, S. 35.

Am 28. Mai 1938 wurde Anschel Feuchtbaum verhaftet und im „Notarrest“ in der Karajangasse festgehalten. Am 31. Mai wurde er ins Konzentrationslager Dachau deportiert und von dort am 23. September nach Buchenwald überstellt.

Bereits Anfang Juni 1938 ersuchte der Ortsgruppenleiter der Simmeringer NSDAP – noch vor den massenhaften Kündigungen jüdischer MieterInnen aus den Wiener Gemeindebauten – das Sekretariat des Vizebürgermeisters, die Gemeindewohnung der Familie Feuchtbaum sowie die Gemeindewohnung eines anderen Simmeringer Juden an „Volksgenossen“ zu übergeben:

„[...] Wir rechnen damit, dass das geschätzte Amt die Dringlichkeit unseres Ansuchens erkennt, und zu diesem Zwecke die vier Kündigungen durchführt [...] Es muss bemerkt werden, dass einer der beidenJuden, der Feuchtbaum, ohnehin schon seit 28. v. M. in Haft ist.“
Herbert Exenberger / Johann Koss / Brigitte Ungar-Klein, Kündigungsgrund Nichtarier. Die Vertreibung jüdischer Mieter aus den Wiener Gemeindebauten in den Jahren 1938-1939, Wien 1996, S. 93

Zwar hielt das Bezirksgericht Favoriten am 12. Juli 1938 fest, dass die Kündigung nicht rechtskräftig sei, da diese nicht zugestellt werden konnte. Wenige Wochen später kündigte das Wohnungsamt jedoch im Zuge der Massenkündigungen aus den Wiener Gemeindebauten die Gemeindewohnung von Anschel Feuchtbaum im Friedrich-Engels-Hof. Ryfka und Toska Feuchtbaum mussten die Wohnung bis zum 3. August 1938 verlassen und wohnten in Anschel Feuchtbaums Fotoatelier in der Simmeringer Hauptstraße 68. Während des Novemberpogroms wurde das Fotoatelier am 10. November 1938 ausgeraubt, wobei Simmeringer SA-Männer alle Wertgegenstände „beschlagnahmten“.

Am 9. Jänner 1939 wurde Anschel Feuchtbaum aus Buchenwald entlassen. Einen Tag nach seiner Rückkehr schoss der Fotograf ein Selbstporträt, das die Spuren der langen Haft im Konzentrationslager deutlich machen. Zurück in Wien versuchte er für sich und seine Familie die Ausreise nach Bolivien zu ermöglichen. Im Februar 1939 konnte er nach Frankreich ausreisen und versuchte die Familie nachzuholen. Im Juli 1939 suchte Ryfka Feuchtbaum vergeblich bei der Israelitischen Kultusgemeinde Wien um Unterstützung für die Ausreise nach Italien für sich und ihre Tochter an. Mutter und Tochter wurden in eine „Sammelwohnung“ in der Franz-Hochedlinger-Gasse 25 in Wien-Leopoldstadt umgesiedelt. Die Adresse wurde für 89 Personen zur letzten Wohnadresse vor der Deportation und Ermordung. Auch Ryfka und Toska Feuchtbaum wurden am 12. Mai 1942 von Wien nach Izbica deportiert. Beide kamen im Holocaust um.

Anschel Feuchtbaum überlebte die NS-Zeit im Exil. Er gehörte zu den wenigen Juden, die nach der Verfolgung und Flucht nach Simmering zurückkehrten. 1950 bezog er erneut eine Wohnung in einem Gemeindebau im Hedorfer-Hof in der Simmeringer Hauptstraße 76 (Enkplatz 1). 1955 erhielt er auch ein Gassenlokal im Alfred-Wunsch-Hof in der Gottschalkgasse 17-19, in dem er ein Fotoatelier einrichtete. Anschel Feuchtbaum starb am 23. Oktober 1965 in Wien und wurde am jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs bestattet.

Sein Bruder Salomon Feuchtbaum hingegen überlebte den Holocaust ebensowenig wie seine Schwägerin Ryfka und seine Nichte Toska. Er wurde am 23.11.1941 mit 999 anderen Jüdinnen und Juden (Männer, Frauen und Kinder) von Wien nach Kowno (Kaunas, Litauen) deportiert. Sofort nach der Ankunft wurden alle am 29. November im Fort IX, einem Teil der alten zaristischen Befestigungsanlagen von Kaunas, die mittlerweile zu Orten regelmäßiger Massaker geworden waren, von litauischen „Hilfswilligen“ unter dem Kommando von Angehörigen des Einsatzkommandos 3 erschossen.

2011 wurde eine bis dahin unbenannte Verkehrsfläche auf den ehemaligen Mautner-Markhof-Gründen nach Toska Feuchtbaum in „Toskaweg“ unbenannt. Zusätzlich erinnert eine Gedenktafel am Friedrich-Engels-Hof an Ryfka und Toska Feuchtbaum.

 

Verfasser: Wolfgang Schellenbacher / Claudia Kuretsidis-Haider

Fieber Aranka (10.4.1902-01.1995) 

 

Die am 10. April 1902 in Budapest geboren Aranka Fieber lebte gemeinsam mit ih­rem Gatten, Alois, der am 17. Juni 1897 in Wien geboren wurde, bis zu dessen Tod am Grässelplatz 5 im 11. Wiener Gemeindebezirk. Sie war im Haushalt tätig, das Paar hatte einen Sohn. Im Juni 1932 bezog sie eine Wohnung im 3. Bezirk, in der Cus­tozzagasse 14. Im März 1933 übersiedelte sie schließlich in die von der Ge­mein­de Wien errichtete Wohnhausanlage Weißgerberlände 30-36, die in den Jahren 1931/32 erbaut worden war.

Der Bereich, auf dem die Wohnhausanlage errichtet wurde, war seit dem 15. Jahrhundert als „Gänseweide“ bekannt. Ursprünglich am Hauptarm der Donau gelegen, wo nach der Regulierung und Ableitung der Donau seitdem der Donau­ka­nal fließt, war dieses Areal als Hinrichtungsstelle in Verwendung, wo Todesurteile durch Verbrennung vollstreckt wurden. Für die Geschichte der Jüdinnen und Juden Wiens hat dieser Platz eine besonders tragische Bedeutung. Herzog Albrecht V ver­trieb die jüdische Bevölkerung, raubte deren Vermögen und ließ jene Personen, die eine Taufe ablehnten an dieser Stelle hinrichten. Am 12. März 1421 verloren 92 Män­ner und 120 Frauen auf grausame Weise ihr Leben. Bis ins 18. Jahrhundert rei­chen die Aufzeichnungen über vollzogene Hinrichtungen. Ab Mitte des 19. Jahr­hunderts ging man daran, das Areal zu verbauen. Der Name Weißgerberlände stammt von der Berufsgruppe der Gerber und Lederer, die ihr Gewerbe in dieser Gegend ausübten.

Die Wohnhausanlage Weißgerberlände 30-36 wurde vom Architekten Friedrich Schloss­berg konzipiert und umfasst neun Stiegen sowie mehrere Straßenzüge. Die oberen Stockwerke haben Balkone, die Fenster im Erdgeschoß sowie ein mittig ge­legener Durchgang zum Innenhof sind markant gerahmt. Wie bei vielen anderen Wohn­hausanlagen der Gemeinde Wien wurden einige Geschäftslokale ebenerdig eingeplant, die mittlerweile aber anders genutzt werden. Heute befinden sich dort Lagerräume. Im Bereich Untere Weißgerberstraße ist das Lager des Kunsthauses Wien untergebracht. Die umgestaltete Fassade trägt die Handschrift von Friedens­reich Hundertwasser mit bunten Elementen.

Aranka Fiebers 43m² große Wohnung bestand aus einem Zimmer, einem Kabinett, einer Küche und einem Vorraum. Im Zuge der Kündigungsaktion gegen jüdische Mie­ter und Mieterinnen erhielt sie per 31. August 1938 die Kündigung und sollte am 1. September 1938 um 12.00 Uhr mittags die Wohnung geräumt übergeben.

Aran­ka Fieber wehrte sich gegen die Kündigung und schloss schließlich einen Ver­gleich, in dem sie sich verpflichtete, die Wohnung bis längstens 1. Dezember des Jah­res zu räumen. Sie erhielt auch einen Vormerkschein für eine freiwerdende Wohnung im 3. Bezirk, Adamsgasse 13.

Einige Hausparteien in der Gemeindehausanlage wetterten gegen das Zusammen­le­ben mit einer jüdischen Mieterin und schickten anonym Postkarten an das Woh­nungs­amt in der Bartensteingasse 7. Die Vertreibung von Aranka Fieber ging diesen offensichtlich nicht schnell genug. So ist auf einer Postkarte mit dem Datum 11. Sep­tem­ber 1938 folgendes zu lesen:

Bitte wie lange wird sich die Jüdin Aranka mit ihrem Sohn, der Halbjude ist, noch in der Wohnung und sie eine Jüdin und was für Jüdin. Der Mann war Arier ist aber schon seit 1 ½ Jahren tot. [] Sie lacht, dass man alle Juden schon herausgegeben hat, und sie halt das Wohnungsamt zu besten, und kann weiter in der Wohnung bleiben. Bitte der Sache nachzugehen.

WWA, Kündigungsakt Fieber Aranka, III X 4 / 38 – K 258 / 38

Eine weitere Postkarte trägt den Poststempel 10. Oktober 1938 und ist nicht minder gehässig:

Nur bei der Gemeinde Wien, gilt das Weihwasser, sonst nir­gends. Trotz dem Taufen ist man doch Jüdin. In dem Gemeinde Haus III.B. Weißgerberlände wohnt eine Witwe mit einem Sohn. Die Frau heißt Aranka den anderen Namen weiß ich nicht. Der Mann ist schon das zweite Jahr tot er war Arier. Die Wohnung hat man auf der Frau ihren Namen überschrieben, und sie gilt bei der Gemeinde als Arierin, aber in anderen Ämtern gilt eine solche Protizion [sic!] nicht. Wenn man also jemanden dort im Amt hat, dann geht auch dieser Schwindel.

WWA, Kündigungsakt Fieber Aranka, III X 4 / 38 – K 258 / 38

Mit 9. November 1938 erfolgte die Löschung der Zinsvorschreibung mit sofortiger Wir­kung wegen Leerstehung. Hausinspektor Bischof sollte die ordnungsgemäße und termingerechte Räumung überwachen. Die Neuvermietung der Wohnung erfolgte mit 1. Dezember 1938. Ab 2. November 1938 war Aranka Fieber im 2. Bezirk in der Herminengasse 10 gemeldet, wo sie bis Juni 1942 verblieb.

Politisch hatte sich Aranka Fieber in der Zeit zwischen 1934 und 1938 in der Va­ter­län­dischen Front engagiert, wie ihr Zeug*innen nach 1945 bestätigten. Ob ihre Ver­haf­tung und die Verbringung in das Internierungslager Kistarcsa im Kreis Gödöllő (Un­garn) damit in Zusammenhang zu sehen ist oder aufgrund ihrer jüdischen Her­kunft erfolgte geht aus den Unterlagen nicht hervor. Jedenfalls musste sie sich an die für Jüdinnen und Juden geltenden Bestimmungen halten, so unter anderem auch den Vornamen „Sara“ annehmen und ihr Ausweis wurde mit dem üblichen großen gelben „J“ gekennzeichnet.

Fieber war von August 1943 bis April 1944 im Lager Kistarcsa interniert, dann ge­lang ihr die Flucht und sie konnte untertauchen. Bis Kriegsende lebte sie als U-Boot, hatte somit keinen legalen Aufenthalt und keinerlei Bezugsmarken zur Bestreitung ihres Unterhalts zur Verfügung. Ihr Sohn Peter, der am 16. Juni 1940 geboren wur­de, konnte ebenfalls versteckt überleben.

Von ihrer Haft und dem Leben im Verborgenen gesundheitlich schwer beeinträchtigt wurde ihr Anfang der 1960er Jahre eine Entschädigung nach dem Opferfürsorge­ge­setz zuerkannt.

Aranka Fieber verstarb Anfang 1995 und wurde am 17. Jänner 1995 auf dem Stam­mers­dorfer Zentralfriedhof in Wien-Floridsdorf beerdigt.

 

Verfasserin: Brigitte Ungar-Klein

 

Fischer Max (15.10.1889), Adolphine (29.8.1894-8.4.1945), Manó (9.6.1927) 

 

Der am 15. Oktober 1889 in Wartberg geborene Max Fischer, lebte mit seiner Gattin, Adolphine, geborene Hamann, geboren am 29. August 1894 und seinem Sohn Ma­nó, geboren am 9. Juni 1927 seit 1930 in dem in mehrjähriger Bauzeit großzügig angelegten Gemeindebau, der sich über mehrere Straßenzüge entlang der Heiligenstädter Straße hinzieht. Die Anlage wurde auf nicht ganz einfach zu bebauendem Gelände – auf der Fläche der „Hagenwiese“ geplant. Da hier ursprünglich Seitenarme der Donau flossen mussten schwebende Säulen in die Erde gesetzt werden. Das Projekt war jedoch für die Sozialdemokratie im Wien der Zwischenkriegszeit maßgebend – es wirkte symbolhaft für die aufstrebende Arbeiterschaft. Zahlreiche Innenhöfe, die vielfältige künstlerische Gestaltung, Gemeinschaftsräume sowie Einrichtungen wie Mütterberatungsstelle, Zentralwäscherei, Bücherei sowie etliche Geschäfte sollten ein Gefühl der Zusammengehörigkeit aber auch der Sicherheit vermitteln.

Der Karl-Marx-Hof wurde – je nach politischer Gemengelage – mehrfach umbenannt: nach den Februarkämpfen des Jahres 1934 in Karl-Biedermann-Hof nach dem Kommandanten der Heimwehr, der als Bataillonskommandant führend an der Eroberung des Karl-Marx-Hofes beteiligt war und 11 Jahre später als Angehöriger des militärischen Widerstandes im April 1945 in Floridsdorf gehenkt wurde. 1935 wurde der Karl-Biedermann-Hof in „Heiligenstädter Hof“ umbenannt. Nach Kriegsende 1945 erfolgte schließlich die Rückbenennung in Karl-Marx-Hof.

Die 59m² große Wohnung der Familie Fischer bestand aus einem Vorraum, einem Zimmer, einem Kabinett und einer Küche und verfügte auch über einen Balkon, der zum Innenhof gerichtet war. Die Kündigung sollte für den 31. Juli 1938 wirksam und die Wohnung am 1. August per Exekution übergeben werden.

Max Fischer war Eigentümer einer Druckerei im 1. Bezirk, Dominikanerbastei 10. Der Versuch, den Betrieb an Familienmitglieder seiner nichtjüdischen Ehegattin zu überschreiben scheiterte. Die Lebens- und Einkommenssituation der Familie Fischer war äußerst schwierig, Bemühungen, das Land zu verlassen stießen auf beträchtliche Hürden. Wie in vergleichbaren Fällen fehlte es an den finanziellen Mitteln und an aufnahmewilligen Ländern. Schließlich erhielt Max Fischer eine Möglichkeit zur Flucht nach Shanghai, allerdings nur für ihn selbst. Ehefrau und Sohn sollten nachfolgen, wozu es aber nicht mehr kommen sollte. Am 4. Mai 1939 traf er in Hongkong ein, wenige Tage später, am 7. Mai, kam er in Shanghai an. Im Stadtbezirk Hongkou war ein ca. 2,5 km² großes, abgeschlossenes Areal als Ghetto eingerichtet, in dem etwa 20.000 jüdische Flüchtlinge desaströsen Bedingungen leben mussten.

Adolphine Fischer, die bei ihrer Eheschließung zum Judentum übergetreten war, und ihr Sohn Manó, der aufgrund der Rassengesetze als „Geltungsjude“ eingestuft wur­de, versuchten in Wien zu überleben.

Nach der Kündigung aus ihrer Gemeindewohnung hatte die Familie Unterkunft in einem Nebengebäude eines ursprünglich als Schweinestall genutzten Gebäudes gefunden, und zwar in der Pyrkergasse 9, unweit des ursprünglichen Wohnortes. Adolphine, die vor ihrer Heirat als Direktrice in einem Wiener Modesalon gearbeitet hatte, dann aber hauptsächlich im Haushalt beschäftigt gewesen war, musste nun sich und ihren Sohn versorgen. Behilflich waren dabei ihre „arischen“ Familienmitglieder, die die beiden mit Lebensmitteln unterstützten, bzw. die Beiden fallweise bei sich aufnahmen.

Auch wenn Deportationen von „Geltungsjuden“ und deren nichtjüdischen Angehörigen nicht vorrangig betrieben wurden bestand dennoch jederzeit die Gefahr einer Festnahme. So wurden eines Tages auch Adolphine und Manó Fischer aus ihrer Unterkunft abgeholt und in das Sammellager in der Kleinen Sperlgasse im 2. Bezirk gebracht. Jahrzehnte später erinnerte sich Manó Fischer noch genau an die damaligen Ereignisse.

„In den ehemaligen Klassenzimmern sind Matratzen gelegen, und dort haben halt die Leute solange campiert, bis sie weggeführt worden sind. […]. Ich weiß nicht mehr, wie lang ich in dem Lager war, einige Tage wahrscheinlich. Eines Nachts geht meine Mutter mit mir aufs WC, oder was halt dort als WC bezeichnet war. Und da war die Tür zum Hof offen. Die Mutter tritt ein paar Schritte in den Hof, und – ein Kind merkt sich solche Sachen – dort steht mein Radl. Das war ja mein Heiligtum, […]. Und wir sehen das, und das Gitter zur Straße war auch offen. Meine Mutter hat gesagt: ‚Gehen wir‘, das Radl hat sie mitgenommen und ist bei dem Gitter dort hinausgegangen, es war drei Uhr in der Früh. Wir sind zurückgegangen in die Wohnung, und ab da war ich aber eine Unperson.“

DÖW Interviewsammlung Nr. 641

Als „Unperson“, wie sich Manó selbst bezeichnete, konnte und durfte er sich nicht zu auffällig verhalten. Er wurde von „arischen“ Verwandten aufgenommen und wechsel­te mehrmals die Woche die Unterkunft. Adolphine Fischer bemühte sich, gefälschte Ausweise für ihren Sohn zu bekommen. Es gelang ihr schließlich, ein „neutrales“ Arbeitsbuch, das heißt eines ohne der Kennzeichnung „J“, von einem Mitarbeiter des Arbeitsamtes zu bekommen. Manó arbeitet bis Kriegsende in einer Weberei in Klosterneuburg. Der Weg zur Arbeit war nicht ohne Gefahr. Er fürchtete sich vor jeder Ausweiskontrolle. Denn als junger Erwachsener hätte er eigentlich bereits zur Wehrmacht eingezogen sein, oder zumindest in den Reihen der nationalsozialistischen Jugendgruppen Aufgaben übernehmen müssen.

Nur wenige Tage vor Kriegsende endete das Leben von Adolphine Fischer auf tragische Weise: sie kam im Zuge eines Bombenangriffs ums Leben. Der zu diesem Zeitpunkt gesundheitlich schon stark geschwächte Manó wurde von einer Tante aufgenommen und gepflegt.

Max Fischer kehrte 1947 nach Wien zurück und bemühte sich um die Rückstellung seines Betriebes. Dies war, wie viele vergleichbare Fälle zeigen ein äußerst schwieriges Unterfangen. Zunächst wurde Fischer als öffentlicher Verwalter eingesetzt ehe er schließlich wieder als Eigentümer seiner Druckerei in der Dominikanerbastei 10 amtlich bestätigt wurde. Er suchte mehrfach im Rahmen der Opfergesetzgebung um Entschädigungen an und hatte dabei anfangs nur teilweise Erfolg. 1954 wurde sein Antrag um Haftentschädigung abgelehnt mit der Begründung, dass die Anhaltung im Ghetto Shanghai nicht mit einer Haft innerhalb des Deutschen Reiches verglichen werden könne. Diese Rechtsansicht wurde erst 1963 revidiert und Fischer erhielt einen positiven Bescheid bezüglich seiner Internierung in Shanghai ausgestellt.

Manó Fischer fand nur unter großen Schwierigkeiten in ein „normales“ Leben zurück. Verschiedene Traumata und gesundheitliche Probleme begleiteten sein weiteres Leben. Beruflich folgte er den Wünschen seines Vaters, indem er eine Druckereilehre absolvierte und in den Betrieb einstieg, den er nach der Pensionierung seines Vaters noch mehrere Jahrzehnte weiterführte. Manó bemühte sich ebenfalls um Entschädigungen im Rahmen des Opferfürsorgegesetztes. Ihm wurde für die Unterbrechung der Schulausbildung sowie für das Tragen des „Judensterns“ die entsprechende Entschädigung gewährt. 2007 stellte er einen erneuten Antrag zur Gewährung von Leistungen nach dem Opferfürsorgegesetz, der auch positiv beschieden wurde.

 

Verfasserin: Brigitte Ungar-Klein

Fischer Rudolf (5.2.1905-28.1.1943), Maria (12.9.1903-30.3.1943), Erika (8.7.1929-1996)

 

Rudolf Fischer wurde am 5. Februar 1905 in Wien geboren. Seine Eltern Rudolf und Maria (geborene Masarik) sind früh verstorben, weshalb er bei seinen Großeltern in Ebergassing im Bezirk Bruck an der Leitha in Niederösterreich aufwuchs. Nach der Schule arbeitete Rudolf Fischer als Hilfsarbeiter. Im November 1927 übersiedelte er nach Wien und bezog eine Wohnung am Reumannplatz in Wien-Favoriten. 1928 heiratete er die am 12. September 1903 in Wien geborene Maria (Marie) Felix. Auch Maria hatte früh ihren Vater verloren und wuchs bei Pflegeeltern in der Nähe von Marburg an der Drau (Maribor) im heutigen Slowenien auf. 1923 kehrte sie im Alter von 20 Jahren nach Wien zurück. Bis zu ihrer Heirat arbeitete sie als Hausgehilfin, war danach aber nicht mehr berufstätig. Am 8. Juli 1929 wurde Tochter Erika geboren.

Im Dezember 1931 bezog das Ehepaar eine Wohnung im Gemeindebau in der Laxenburger Straße 98, Stiege 4, der 1930/31 im 10. Bezirk mit 125 Wohneinheiten erbaut worden war. In der NS-Zeit hieß die Anlage zeitweilig „Otto-Planetta-Hof“ nach dem 1934 hingerichteten illegalen Nationalsozialisten, der beim Juliputsch im Jahr 1934 die tödlichen Schüsse auf Bundeskanzler Engelbert Dollfuß abgegeben hatte.

Seit seiner Übersiedlung nach Wien im Jahr war Rudolf Fischer Mitglied der Sozialde­moktatischen Arbeiterpartei (SDAP), der er bis zu ihrem Verbot im Jahr 1934 angehörte. Auch Maria Fischer gehörte seit 1928 der SDAP an und war einige Jahre lang „Vertrauensmännin“. Seit 1936 war Rudolf Fischer in der illegalen KPÖ aktiv, deren Favoritner Bezirksgruppe er im Jahr 1937 neu organisierte. Maria Fischer betätigte sich in der „Sozialen Arbeitsgemeinschaft“, die vom austrofaschistischen Regime als „Auffangbecken“ für die illegale Arbeiterbewegung ins Leben gerufen worden war und u.a. Angehörigen der KPÖ als legale Plattform ihrer politischen Aktivitäten diente.

Rudolf Fischer war in den Jahren 1929 bis 1936 arbeitslos und war danach in einer Gießerei beschäftigt. Seit November 1938 arbeitete er – zunächst als Hilfsarbeiter und seit 1940 als Hilfsdreher – bei der Firma Wertheim in Favoriten, die auf die Herstellung feuerfester Kassen und Tresore spezialisiert war.

1939 nahmen Rudolf und Maria Fischer die illegale politische Arbeit wieder auf und betätigten sich an führender Stelle am Wiederaufbau der verbotenen KPÖ in Wien. Rudolf Fischer leitete unter dem Decknamen „Sigl“ eine KPÖ-Gruppe in Favoriten und verfasste 1939 zusammen mit Leopold Fritzsche eine kommunistische Flugschrift mit dem Titel „Einmarsch in Polen“ und einen Lehrbrief über den deutsch-sowje­tischen Nichtangriffspakt. 1940 war er in Bemühungen involviert, die verschiedenen kommunistischen Widerstandsgruppen durch eine neuzugründende Leitung zusammenzufassen.

Maria Fischer war 1939 Gebietsleiterin der Bezirke 3, 4, 5, 10, 11 und 12 (damaliges Gebiet II der KPÖ) und von Ende 1939 bis Herbst 1940 Bezirksleiterin in Favoriten. Sie folgte in dieser Funktion Emmerich Ascher, der im Pernerstorfer-Hof in der Troststraße 68–70 in Favoriten wohnte. In dieser Zeit gehörte Maria Fischer auch einer provisorischen Wiener Stadtleitung an. Das Ehepaar Fischer stand mit zahlreichen kommunistischen AktivistInnen wie etwa Leopold Weinfurter, Anna Muzik, Katharina (Käthe) Odwody, Franz Sebek, Matthias Pista, Rudolf Sturm, Karl Tomasek und Engelbert Magrutsch in Verbindung. Über Anton Kellner bestanden auch Kontakte zum Kommunistischen Jugendverband und über Otto Vostarek zur tschechischen Gruppe der KPÖ unter Alois Valach.

Im Juli/August 1940 wurden Rudolf und Maria Fischer durch Leopold Fritzsche bzw. Franz Sebek mit dem KPÖ-Spitzenfunktionär Erwin Puschmann bekannt gemacht, der aus dem Exil nach Österreich zurückgekehrt war, um die KPÖ in Wien zu reorganisieren. Puschmann beauftragte Rudolf Fischer, einen „Lit-Apparat“ zur Herstellung und Verbreitung illegaler Flugschriften aufzubauen. Als Leiter der „Sigl“-Gruppe sollte Fischer auch einer zu schaffenden Wiener Stadtleitung angehören. In der Woh­nung der Hausbesorgerin seines Gemeindebaus richtete Fischer eine „Briefanlaufstelle“ ein, die von Puschmann benutzt wurde. Laut Ermittlungen der Wiener Gestapo fand im November oder Dezember 1940 in der Wohnung des Ehepaares Fischer eine Besprechung führender KPÖ-Funktionäre statt, an der u.a. Erwin Puschmann, Rudolf Sturm, Leopold Fritzsche, Matthias Pista und Karl Hodac teilnahmen. Gegenstand dieser Besprechung war die Bildung einer neuen übergeordneten Leitung.

Am 29. April 1941 wurden Rudolf und Maria Fischer in ihrer Wohnung von der Gestapo festgenommen. Am selben Tag wurden auch die frühere Betriebsrätin in den Ankerbrotwerken Katharina (Käthe) Odwody und der Hilfsarbeiter Wilhelm Volak verhaftet, die mit dem Ehepaar Fischer eng zusammengearbeitet hatten. Rudolf Fischer wurde gemeinsam mit Gustav Parizek angeklagt, dem er im Winter 1939/40 die Leitung der von ihm aufgebauten Betriebszelle in der Firma Wertheim übergeben hatte. Am 2. November 1942 – mehr als eineinhalb Jahre nach seiner Verhaftung – wurde Rudolf Fischer wegen Vorbereitung zum kommunistischen Hochverrat vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Im Urteil ist zu lesen, dass Fischer „sich in hervorragender Weise für die illegale KPÖ betätigt“ habe.

„Er war Leiter einer größeren Gruppe, als der er sogar Anspruch auf die führende Stellung in der Organisation der illegalen KPÖ für das ganze Gebiet Wiens stellte. Er war nach seinen eigenen Angaben für alles verantwortlich, was in seinem Ge­biet, dem 10. Gemeindebezirk, geschah.“
VGH Berlin 5H 146/42 -- 7J 288/42, Urteil gegen Rudolf Fischer, 2.11.1942

Am 16. Jänner 1943 folgte das Todesurteil gegen Maria Fischer, die in einem eigenen Verfahren angeklagt worden war.

Angesichts seiner Verurteilung zum Tode schrieb Rudolf Fischer am 20. Dezember 1942 in einem geheimen Brief an seine Frau im Gefängnis:

„Wir dürfen unter dieser Last nicht zusammenbrechen. Durchhalten müssen wir, vielleicht gibt es doch noch ein gemeinsames Glück. Mein Herz ist so voll.“

Ein offizieller Briefverkehr war den beiden Ehepartnern im Gefängnis nicht erlaubt. An seine Tochter Erika schrieb der zum Tode Verurteilte:

„Tu immer das, was Du für richtig hältst, lass Dich nicht gegen Deine innere Überzeugung überreden, Dinge zu tun, die Du für unklug hältst. […] Der Sinn des Lebens ist eben: Leben. So gut wie möglich leben. Den weiteren Sinn musst Du selbst Deinem Leben geben. […] Der Mensch braucht etwas, das über den Rahmen seines ,Ichs‘ hinausgeht, über ihm steht. Das ,Wir‘ ist mehr als das ,Ich‘.“
Abgedruckt in: Zentrum für Politische Schönheit, An die Nachwelt. Letzte Nachrichten und Zeitzeugnisse von NS-Opfern gegen das Vergessen, 2. Auflage, Berlin 2020, S. 57f.

Rudolf Fischer wurde am 28. Jänner 1943 im Wiener Landesgericht hingerichtet. Das Urteil an Maria Fischer wurde zwei Monate später, am 30. März, ebenfalls im Wiener Landesgericht vollstreckt.

1946 lobte das Bundesministerium für Unterricht einen Literaturwettbewerb mit dem Titel „Die Jugend schreibt“ aus. Erika Fischer, die Tochter von Maria und Rudolf Fischer, nahm 17-jährig daran teil und erhielt einen Preis für ihren Aufsatz, der 1948 mit den anderen prämierten Beiträgen in der Anthologie „Ringende Jugend“ publiziert wurde. Erika Fischer, die nach der Hinrichtung ihrer Eltern bei ihrer Tante Anna Dub, einer Schwester von Maria Fischer, aufwuchs und 1949 Penko Penkov heiratete, schrieb in ihrem Aufsatz:

„Die letzte Tür auf einem langen Gange im Wiener Landesgericht führt zum Großen Schwurgerichtssaale. Der Gang ist mit hellen Fliesen gepflastert, auf denen die Schritte hallen; auf der einen Seite stehen Bänke, und das Licht flutet aus breiten, hohen Fenstern herein. / Dumpf summte mir das Stimmengewirr der wartenden Menschen in den Ohren, und immer wieder hämmerte mit gleichbleibender Wucht der Gedanke, dass heute meine Mutter ihre Verhandlung habe, in meinem Gehirn. […] Die Uhr rückte auf neun. Bei den Wachleuten und Gerichtsdienern machte sich eine gewisse Geschäftigkeit bemerkbar. Es waren in mehreren Sälen zugleich Verhandlungen, lauter ,schwere Fälle‘ – lauter Politische. Plötzlich ging eine Tür auf und meine Mutter trat, begleitet von zwei ,Posten‘, heraus. ,Mutz!‘, rief ich laut, dann stürzte ich auf sie zu. Abwehrend streckte der Wachmann die Hände vor, aber ohne zu überlegen, schlüpfte ich unter seinen Armen durch und war bei meiner Mutter.“
Abgedruckt in: Lisl Rizy / Willi Weinert, „Mein Kopf wird euch auch nicht retten“. Korrespondenzen österreichischer WiderstandskämpferInnen aus der Haft. Band 1, Wien 2016, S. 297.

1949 wurde die städtische Wohnhausanlage in der Laxenburger Straße 98, in der das Ehepaar wohnhaft war, nach Maria und Rudolf Fischer genannt („Maria-und-Rudolf-Fischer-Hof“). Im Stiegenhaus des Gemeindebaus erinnert eine Gedenktafel an die beiden.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer / Claudia Kuretsidis-Haider

Fisch Mieczyslav Artur (23.6.1892-nicht überlebt), Fisch Eleonore (11.12.1893-1942 ), Fisch Georg Heinrich (28.4.1928-9.12.2018), Fisch Vera Maria (27.2.1930-30.10.2015) 

 

Mieczyslav Artur Fisch wurde am 23. Juni 1892 in Lemberg (heute Lwiw, Ukraine) als Sohn von Wolf und Jetti Ida Fisch geboren. Er studierte Medizin und diente im Ersten Weltkrieg zunächst als Sanitätsoffizier an der russischen Front, ab 1915 war er an der italienischen Front. Für seinen Einsatz während der Isonzoschlachten erhielt er die Militär-Verdienstmedaille (Signum Laudis).

Nach dem Krieg heiratete er 1919 in Wien-Landstraße die um eineinhalb Jahre jüngere Eleonore Beigel, die ebenso aus Lemberg stammte und von Beruf Beamtin war. Im Juli 1924 promovierte er zum Doktor der gesamten Heilkunde, arbeitete anschließend als Arzt und lebte mit seiner Familie in Wien-Währing. 1928 kam Sohn Georg Heinrich zur Welt, 1930 wurde Tochter Vera Maria geboren.

Im August 1932 zog die Familie in eine Gemeindewohnung in der neu errichteten Wohnhausanlage der Stadt Wien in der Breitenseer Straße 110-112 in Wien-Penzing. Die Wohnung bestand aus einem Zimmer, zwei Kabinetten, einem Vorzimmer und einer Küche. Mit 31. Juli 1938 kündigte das städtische Wohnungsamt Mieczyslav Artur Fisch die Gemeindewohnung. Die Familie wurde in eine Wohnung in der Großen Sperlgasse 7/31 in Wien-Leopoldstadt zwangsumgesiedelt.

Im Juni 1939 gelang es den Kindern Georg und Vera mit einem Kindertransport nach Großbritannien fliehen, wo sie den Holocaust überlebten. Vera heiratete 1953 Bruce James Jack, übte einen Pflegeberuf aus und lebte in Chorleywood, Hertfordshire wo sie 2015 verstarb. Georg (nun George Henry Fish) heiratete 1952 Sadie Harrison und lebte bis zu seinem Tod 2018 in Nottingham.

Mieczyslav Artur Fisch wurde am 20. Oktober 1939 mit dem ersten Nisko-Transport nach Polen deportiert und kam nicht mehr nach Wien zurück.

Seine Frau Eleonore war für den dritten Nisko-Transport eingeteilt und wurde, nachdem Adolf Eichmann keine Genehmigung mehr für den Transport erhielt, von Ende Oktober 1939 bis Februar 1940 im Sammellager in der Gänsbachergasse interniert. Nach der endgültigen Absage des dritten Nisko-Transports wurde sie in eine Sammelwohnung in der Novaragasse 40/18 in Wien-Leopoldstadt zwangsumgesiedelt. Die Adresse wurde für 220 Personen zur letzten Wohnadresse vor der Deportation und Ermordung. Auch Eleonore Fischer wurde am 26. Februar 1941 vom Wiener Aspangbahnhof nach Opole, eine Kleinstadt südlich von Lublin, deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Im Frühjahr 1942 begann die Liquidation des Ghettos von Opole. Am 31. März 1942 ging ein Transport in das Vernichtungslager Belzec ab, und im Mai und Oktober 1942 folgten Deportationen in das Vernichtungslager Sobibor. Eleonore Fischer hat den Holocaust ebensowenig überlebt wie ihr Mann Mieczyslav Artur Fisch.

 

Verfasser: Wolfgang Schellenbacher / Claudia Kuretsidis-Haider

 

Flaschner Fri(e)da (27.8.1900-1941), Otto (6.9.1898-nicht überlebt) 

 

Fri(e)da Flaschner kam am 27. August 1900 in Göpfritz an der Wild im Waldviertel als Tochter von Wilhelm Schnirmacher und seiner Frau Julie, geb. Kreisky, zur Welt. Sie arbeitete als Modistin in Wien und lebte wie mehrere ihrer Verwandten – unter ihnen ihr Cousin, der später Bundeskanzler Bruno Kreisky – in Wien-Margareten. 1924 heiratete sie den um zwei Jahre älteren Handelsangestellten Otto Flaschner im Jubiläumstempel in Margareten. Im Dezember 1927 erhielt das Ehepaar eine Ein-Zimmer-Gemeindebauwohnung im soeben errichteten Herweghhof am Margaretengürtel 82-88.

Unmittelbar nach dem „Anschluss“ im März 1938 begann das Ehepaar vergeblich nach Möglichkeiten zu suchen, das Land zu verlassen. Anfang Juli 1938 kündigte das städtische Wohnungsamt das Mietverhältnis mit Otto Flaschner zum 31. Juli 1938. Das Ehepaar verlor seine Wohnung und kam in einer anderen Wohnung in Wien-Margareten unter, ehe Otto und Frieda Flaschner in die Leopoldstadt zwangsumgesiedelt wurden.

Am 27. Oktober 1939 wurde Otto Flaschner mit dem zweiten Nisko-Transport von Wien nach Polen deportiert. Von dort wurde er über die deutsch-sowjetische Demarkationslinie getrieben. Wie bei den vielen der nach Nisko deportierten Personen verliert sich danach seine Spur. Otto Flaschner überlebte das Kriegsende nicht. Frieda Flaschner war vor ihrer Deportation in eine Sammelwohnung in der Aloisgasse 1/2/18 in der Leopoldstadt zwangsumgesiedelt worden. Die Hausadresse wurde für 47 Personen zur letzten Wohnadresse vor der Deportation und Ermordung. Frieda Flaschner wurde am 23. Oktober 1941 von Wien ins Ghetto Litzmannstadt deportiert, wo sie zuletzt in der Sulzfelderstraße 61/15 einquartiert war. Sie hat den Holocaust nicht überlebt.

 

Verfasser: Wolfgang Schellenbacher / Claudia Kuretsidis-Haider

Förstl Lea (14.6.1895-nicht überlebt) 

 

Lea Förstl, geb. Rappaport, wurde am 14. Juni 1895 in der galizischen Stadt Skole (heute Ukraine) geboren. Sie stammte aus einer jüdischen Familie, die 1916 nach Wien zog, und arbeitete als Hausgehilfin, ehe sie am 16. April 1931 den Kellner Johann Förstl (1856-1936) heiratete. Da Johann Förstl nicht mosaischen Glaubens war gingen sie eine Zivilehe ein. Die Eheleute bezogen eine Wohnung in der Hormayrgasse 3/8 im 17. Bezirk.

Am 10. September 1933 übernahm Lea Förstl die im Gemeindebau in der Wohlmutstraße 14-16, Stiege II, Nr. 5 im 2. Bezirk gelegene Konditorei von Else Brodmann. Diese musste das 22m² große Geschäftslokal, das sie seit April 1929 geführt hatte, wegen Krankheit, schlechtem Umsatz und fehlenden finanziellen Mitteln aufgeben.

Am 24. Jänner 1936 starb Johann Förstl. Dadurch fiel nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 für Lea Förstl der Schutz der „Mischehe“ weg und sie wurde aufgrund der Nürnberger Gesetze als Jüdin verfolgt. Da Lea Förstl 1938 weder eine Vermögensanmeldung ausgefüllt hat noch eine „Abwicklung“ der Konditorei eruiert werden konnte, kann davon ausgegangen werden, dass sie ihr Geschäft selbst „liquidiert“ hat. Die „NS-Betreuungs- und Wiedergutmachungsstelle des Gaues“ übergab die Konditorei Barbara Fiedler, die am 1. Juli 1938 den Mietvertrag unterschrieb. Fiedler war seit 1. September 1932 Mitglied der NSDAP und seit 1938 Mitglied der NS-Frauenschaft. Im November 1939 heiratete sie ihren zweiten Ehemann Friedrich Oldorff, der seit 1. Dezember 1930 Mitglied der NDSAP war, und mit ihr seit 1934 in Deutschland lebte.

Aufgrund der Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens vom 18. November 1938 wurde Lea Förstls gesamtes Vermögen zu Gunsten des Deutschen Reiches im April 1943 eingezogen.

Am 23. Oktober 1941 wurde sie von der „Sammelwohnung“ in der Nickelgasse 1/3a im 2. Bezirk in das Ghetto Litzmannstadt deportiert und im Holocaust ermordet.

 

Verfasserin: Jutta Fuchshuber

Friemel Klemens (21.12.1881-21.1.1961)

Friemel Rudolf (11.5.1907-30.12.1944)

 

Klemens Friemel war nach der Befreiung Wiens im April 1945 der erste Bezirksvorsteher von Wien-Favoriten. Sein Sohn Rudolf kämpfte als Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg und wurde Ende Dezember 1944, wenige Wochen vor der Befreiung des Lagers, im KZ Auschwitz ermordet.

Klemens Friemel wurde am 21. Dezember 1881 in Prag als Sohn eines akademischen Malers und einer Müllerstochter geboren. Beruflich war Friemel bis in die 1930er Jahre als Bäckergehilfe bzw. als selbstständiger Bäcker tätig. Bis 1945 arbeitete er als Portier der Firma Brown-Boveri in der Gudrunstraße in Favoriten. Politisch aktiv war Friemel bereits seit 1896, sowohl in der Gewerkschaft der Lebensmittelarbeiter als auch in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, der er bis 1934, bis zu ihrem Verbot nach den Februarkämpfen, angehörte. Friemel war in erster Ehe mit der am 20. Dezember 1882 in Wien geborenen Stefanie Spitzer verheiratet, die als Dienstmädchen arbeitete und 1936 an einer schweren Krankheit starb. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor: Rudolf, Stefanie und Klemens jun.

In den Jahren der austrofaschistischen Diktatur wurde Friemel mehrmals wegen politischer Betätigung für die Revolutionären Sozialisten verhaftet.

Friemels Sohn, der Automechaniker Rudolf Friemel, war ebenso für die illegalen Revolutionären Sozialisten aktiv. Geboren am 11. Mai 1907 in Wien, war dieser 1934 als aktiver Februarkämpfer in die Tschechoslowakei geflohen. Er kehrte Ende Juli 1934 illegal nach Wien zurück und wurde wenige Tage später verhaftet. Auch Klemens Friemel, seine Tochter Stefanie, verh. Korvas, sowie Karoline Mayer, die Lebensgefährtin von Rudolf, wurden von 1. Dezember 1934 bis 12. Februar 1935 in Haft genommen. Das Verfahren wurde zwar eingestellt, Klemens Friemel musste dennoch unmittelbar im Anschluss daran bis 21. Mai 1935 weitere 90 Tage polizeilichen Arrest verbüßen. Rudolf Friemel wiederum wurde am 8. Oktober 1935 zu mehreren Jahren schweren Kerkers verurteilt und in die Strafanstalt Stein an der Donau bzw. nach seiner Begnadigung ins Anhaltelager Wöllersdorf eingeliefert. Wegen sozialdemokratischer Betätigung wurde auch Klemens Friemel 1936 drei Monate in Wöllersdorf festgehalten.

Klemens Friemel wohnte bis 1927 mit seiner Familie in der Laaer-Berg-Straße 16–20 bzw. in der Quellenstraße 99 in Wien-Favoriten. Danach lebte er bis 1945 in Wien-Favoriten in der Ernst-Ludwig-Gasse 10, Stiege 4, eine Gasse der als „Rasenstadt“ bezeichneten Städtischen Wohnhausanlage. Rudolf Friemel heiratete am 12. September 1930 Pauline Fucka und bezog mit ihr eine Wohnung in der Siedlung Am Laaer Berg in der Schautagasse 36. Nach 1934 wohnte auch er in der „Rasenstadt“ in der Ernst-Ludwig-Gasse 8, Stiege 1 – vis-à-vis der Wohnung seines Vaters. Unweit davon, in der Ernst-Ludwig-Gasse 2, lebte der kommunistische Widerstandskämpfer Johann Mithlinger, der wie Klemens Friemel in den Jahren 1936 bis 1938 Mitglied der Bezirksleitung der „Sozialen Arbeitsgemeinschaft“ (SAG) war, die vom austrofaschistischen Regime als „Auffangbecken“ für die illegale Arbeiterbewegung ins Leben gerufen worden war und Aktivisten von RS und KPÖ als legale politische Plattform diente. Friemel war als Schriftführer und Gruppenführer der SAG Favoriten aktiv.

Klemens Friemel wandte sich in diesen Jahren der KPÖ zu. Am 9. Dezember 1937 wurde er erneut verhaftet, weil er mit dem kommunistischen Kreisleiter Josef Händler zusammengetroffen war und am 16. November 1937 der Kreisleitung der KPÖ einen Bericht über die Bezirkskonferenz der SAG gegeben hatte. Mit Bescheid des Wiener Polizeipräsidenten vom 13. Dezember 1937 wurde Friemel deshalb „zwecks Hintanhaltung von Störungen der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit“ zu drei Monaten Anhaltelager verurteilt. Am 17. Februar 1938, vor dem bevorstehenden Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Österreich, wurde er aufgrund der allgemeinen Amnestie entlassen. In der NS-Zeit stand Klemens Friemel mit den später hingerichteten kommunistischen Widerstandskämpfern Johann Mithlinger und Leopold Weinfurter in Verbindung.

Wie Klemens Friemel näherte sich auch sein Sohn Rudolf, der von 1937 bis 1939 in Spanien in den Reihen der Internationalen Brigaden den Kampf gegen den Faschismus fortsetzte, in den Folgejahren der KPÖ an: In den französischen Internierungslagern Saint-Cyprien und Gurs war er noch Sprecher der österreichischen Revolutionären Sozialisten, in Auschwitz, wohin Friemel im Jänner 1942 deportiert worden war, wurde er zum Kommunisten. Seiner im Konzentrationslager stattfindenden Hochzeit wohnte auch sein Vater Klemens bei, der zuvor mit dem Standesamt in Auschwitz korrespondiert hatte, um vom Oberlandesgerichtspräsidenten in Kattowitz die Bewilligung für die Trauung mit der Spanierin Margarita Ferrer Rey zu erreichen, die Friemel in Spanien kennengelernt hatte (die Trennung von seiner Frau erfolgte 1941) und die seit 1943 in Wien wohnte. Mit Genehmigung des Reichssicherheitshauptamtes fungierte Klemens Friemel bei der am 18. März 1944 stattfindenden Hochzeit als Trauzeuge.

Am 30. Dezember 1944 wurde Rudolf Friemel, wenige Wochen vor der Evakuierung und Befreiung des Lagers, wegen Organisierung der Flucht polnischer und österreichischer Häftlinge gemeinsam mit den österreichischen Kommunisten Ernst Burger und Ludwig Vesely in Auschwitz gehenkt.

Auch der am 5. Juli 1919 in Wien geborene Feinmechanikergehilfe Ludwig Vesely war in einem Gemeindebau aufwachsen: im Wildganshof in der Grasbergergasse 4 (Stiege 18) im 3. Bezirk (Erdberg). Vesely war am 15. November 1938 verhaftet und am 28. August 1941 wegen Vorbereitung zum kommunistischen Hochverrat vom Oberlandesgericht Wien zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Er wurde nach Verbüßung seiner Haftzeit nicht entlassen, sondern im Juni 1942 von der Gestapo ins KZ Auschwitz eingewiesen, wo er ebenso wie Friemel am illegalen Häftlingswiderstand beteiligt war.

Von April bis Juli 1945 amtierte Klemens Friemel als erster Bezirksvorsteher von Favoriten nach der Befreiung Wiens vom Nationalsozialismus. Er wurde bereits am 9. April 1945, noch während der Kampfhandlungen, von der sowjetischen Besatzungsmacht zum „Bezirksbürgermeister“ ernannt und nahm im teilweise zerstörten Bezirksamt sogleich die Arbeit auf. Erste Maßnahmen Friemels waren die Sicherstellung der Lebensmittelversorgung, die Übernahme und Zuweisung von Wohnungen, Geschäftslokalen und Magazinen geflüchteter Nationalsozialisten an Ausgebombte, Heimkehrer und zurückgekehrte Flüchtlinge, die Überprüfung der Gewerbeberechtigungen sowie die Registrierung der Nationalsozialisten. Am 24. Juli 1945 wurde Friemel durch ein weiteres KPÖ-Mitglied, Karl Kempf, als Bezirksvorsteher von Favoriten abgelöst.

Klemens Friemel ließ sich am 16. April 1945 von seiner Einraumwohnung in der Ernst-Ludwig-Gasse 10 in die größere Wohnung eines ehemaligen NSDAP-Mitglieds im Zürcher-Hof in der Laxenburger Straße 49–57 (Stiege 3) einweisen. Bis 1950 arbeitete er als Verwalter eines Kindererholungsheims der Stadt Wien in Feichtenbach in der niederösterreichischen Gemeinde Pernitz, danach war er weiter Angestellter der Gemeinde Wien. Zu diesem Zeitpunkt war er schon mit seiner zweiten, aus Polen stammenden Frau Marianne verheiratet. Aufgrund langjähriger Arbeitslosigkeit bezog Klemens Friemel bis zu seinem Tode nur eine kleine Rente. Politisch war er nach 1945 als Bezirksobmann des KPÖ-nahen Zentralverbands der Sozialrentner tätig. Friemel starb am 21. Jänner 1961 im 80. Lebensjahr. „Er hat bis zur letzten Minute seines Lebens der Sache der Arbeiterklasse gedient“, war im Nachruf der Volksstimme, des Zentralorgans der KPÖ, über den verdienten Arbeiterfunktionär zu lesen.

In der Stiege 1 der Ernst-Ludwig-Gasse 8 im Mithlingerhof erinnert seit Dezember 1949 eine vom Wiener KZ-Verband gestiftete Gedenktafel an Rudolf Friemel. Zum selben Zeitpunkt wurde am Wildganshof eine Gedenktafel an Ludwig Vesely angebracht. Am 3. Dezember 2004 beschloss der Wiener Gemeinderatsausschuss für Kultur und Wissenschaft, im Stadterweiterungsgebiet „Monte Laa“ in Favoriten eine öffentliche Verkehrsfläche nach Friemel zu benennen. Nach Fertigstellung und Eröffnung der neuen Volksschule wurden dort 2009 die entsprechenden Straßenschilder angebracht.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

Gall Matthias (27.6.1893-2.8.1944)

 

Matthias Gall wurde am 27. Juli 1893 in Unterstinkenbrunn im Bezirk Mistelbach in Niederösterreich geboren. Er wuchs als viertes von sechs Kindern in einer Kleinhäuslerfamilie auf. Sein Vater Georg arbeitete als Straßenwärter, seine Mutter Marie, geb. Schmidt, kümmerte sich um den Haushalt. Matthias Gall absolvierte eine Zimmererlehre in der nahe gelegenen Gemeinde Stronsdorf und arbeitete bis Kriegsbeginn bei verschiedenen Meistern. Im August 1914 wurde er zur k.u.k. Armee eingezogen und zum Infanteristen ausgebildet. Er kam an die russische Front, wo er im November dieses Jahres durch einen Durchschuss der Hüfte verwundet wurde. Nach einem Spitalsaufenthalt kam er von Jänner bis August 1915 erneut an die russische und danach als Gefreiter an die italienische Front, wo er im Mai 1916 durch eine Schussfraktur am Oberarm verwundet wurde. Nach seiner Genesung arbeitete er bis Kriegsende bei der Militärbauleitung in Feldbach in der Steiermark. Zwei seiner Brüder fielen als Soldat im Ersten Weltkrieg.

Im Jänner 1920 legte Matthias Gall die Prüfung zum Zimmermeister ab, machte sich jedoch nicht selbstständig, sondern arbeitete in weiterer Folge bei Wiener Firmen als Zimmermannsgeselle. Im Jänner 1925 wurde er von der Gemeinde Wien als Pflasterungsaufseher eingestellt. Zunächst in drei verschiedenen Wohnungen in der Liechtensteinstraße im 9. Wiener Gemeindebezirk (Alsergrund) wohnhaft, bezog Gall im April 1927 eine Gemeindewohnung im Thuryhof in der Marktgasse 3-7, Stiege 5, der 1925/26 erbaut worden war. Der Name leitet sich von der ehemaligen Ziegelei des Hofbediensteten Johann Thury ab, die abgerissen wurde, um dort eine neue städtische Wohnhausanlage zu errichten. Galls Wohnung, der ledig und kinderlos blieb, bestand aus einem Zimmer.

Matthias Gall war seit 1920 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und seit 1923 der Freien Gewerkschaft (1923 bis 1925 bei der Bauarbeitergewerkschaft und ab 1925 beim Verband der städtischen Angestellten der Gemeinde Wien). In den Jahren 1932 bis 1934 war Gall für die SDAP Bezirksrat im 9. Bezirk. Mit dem Verbot der Partei nach den Februarkämpfen des Jahres 1934 und der Ausschaltung der Demokratie verlor er diese Funktion. In späteren Verhören bei der Wiener Gestapo gab er an, sich in den Jahren 1934 bis 1938 nicht politisch betätigt zu haben. Im Jänner 1941 wurde Gall zum städtischen Werkmeister in der Abteilung für Straßenbau befördert.

Am 10. April 1941 wurde Matthias Gall von der Gestapo festgenommen. Ihm wurde zur Last gelegt, sich von Herbst 1938 bis Dezember 1939 gemeinsam mit den Gemeindebediensteten Fritz Hanacik und Anton Kanov für die illegale KPÖ betätigt zu haben. Gall bestritt die Vorwürfe und wurde am 23. April 1942 vom Oberlandesgericht Wien freigesprochen. Er wurde jedoch nicht freigelassen, sondern nach seinem Freispruch der Wiener Gestapo rücküberstellt, festgenommen und im Wiener Landesgericht in Untersuchungshaft genommen. Drei Monate später wurde Gall vom Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof erneut angeklagt. Die Anklage wurde nunmehr dahingehend ausgeweitet, dass er von März 1940 bis zu seiner Verhaftung im Frühjahr 1941 als Bezirkskassier der KPÖ Innere Stadt tätig gewesen sein soll. Laut Anklageschrift habe er Beiträge an den übergeordneten Kreisleiter Karl Hodac und an Karl Wyt abgeführt. Von Hodac erhielt Gall auch kommunistische Flugschriften. Ebenso habe er mit Johann Sebesta und Edmund Dobesberger, den Nachfolgern von Hodac, in Verbindung gestanden und an sie Spendenbeiträge zur Unterstützung von Angehörigen politischer Gefangener abgeführt.

Matthias Gall wurde am 8. Dezember 1942 vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Seine Stellung als Beamter wurde bei der Strafzumessung als „erschwerend“ gewertet, als „mildernd“ galt der „verhältnismäßig geringe Umfang“ seiner illegalen Betätigung. Gall wurde danach ins Zuchthaus Straubing in Ostbayern eingeliefert, wo er am 2. August 1944 an Tuberkulose verstarb.

Im Februar 1949 wurde auf Beschluss des Gemeinderatsausschusses für Kultur der 1924/25 in der Heiligenstädter Straße 4 im Alsergrund erbaute Gemeindebau nach Matthias Gall benannt (Gallhof). Im selben Monat wurde dort eine Gedenktafel mit seinem Namen angebracht.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

Götzel Leopold (18.5.1898-1942), Helene (21.9.1875-überlebt)

 

Leopold Götzel wurde am 18. Mai 1898 als zweites von sechs Kindern des aus Wien stammenden Schlossergehilfen Emanuel Götzel und der aus Nikolsburg stammenden Näherin Helene Götzel, geb. Holländer in Wien geboren. Nach seinem Dienst in der österreichisch-ungarischen Armee arbeitete Leopold Götzel als Hilfsarbeiter in Wien. Anfang der 1930er Jahre bezog er eine Garçonnière in dem 1930/1931 errichteten Gemeindebau in der Engerthstraße 230 in Wien-Leopoldstadt. Seine Mutter, die seit 1920 verwitwet war, bewohnte ebenfalls im selben Haus eine kleine Gemeindebauwohnung.

Mit 31. Juli 1938 kündigte das städtische Wohnungsamt Leopold und Helene Götzel die Gemeindewohnungen. In einem Schreiben an das Wohnungsamt versuchte He­le­ne Götzel die Kündigung zu beeinspruchen und erklärte ihre Situation:

Ich bin nicht in der Lage, im Falle der Aufrechterhaltung der Kündigung, mir eine andere Wohnung zu beschaffen. Ich bin vollständig mittellos, 62 Jahre alt und kann infolge Krankheit (schwerer Rheumatismus und Magenblutungen auf Grund von Geschwüren) nichts verdienen. Ich lebe von der Invalidenrente in der Höhe von 28 RM.
Wiener Wohnen Archiv, Kündigungsakt Götzel 2S 34/38

Nach der Räumung der Wohnung wurden Leopold und Helene Götzel in die Leopoldstadt umgesiedelt. Leopold Götzel gelang die Flucht aus Österreich nach Frankreich, wo er als Schuster tätig war und seine weitere Ausreise zu organisieren versuchte. 1942 wurde er im Sammellager Drancy inhaftiert und von dort am 4. September 1942 nach Auschwitz deportiert. Von den 1013 Männern, Frauen und Kindern, die aus Drancy abfuhren, wurden nur 54 Personen als Häftlinge aufgenommen, alle anderen wurden sofort in den Gaskammern ermordet. Leopold Götzel kam im Holocaust um.

Leopold Götzels Mutter, Helene Götzel, wurde in eine Sammelwohnung in der Rembrandtstraße 32 in Wien-Leopoldstadt eingewiesen. Die Adresse wurde für 80 Personen zur letzten Wohnadresse vor der Deportation und Ermordung. Auch Helene Götzel wurde am 1. Oktober 1942 von Wien nach Theresienstadt deportiert. Sie erlebte die Befreiung im Ghetto und kehrte nach dem Krieg nach Wien zurück.

Leopold Götzels Schwester Katharina Götzel wurde am 12. März 1941 von Wien nach Lagow/Opatow deportiert. Ihr gelang die Flucht aus dem Ghetto. Sie überlebte den Holocaust im Exil in Shanghai. Nach dem Krieg kehrte sie nach Wien zurück, wo sie 1959 starb.

Ihre Tochter Rosa, verh. Botwin, gelang die Flucht nach Belgien, wo sie gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Kind ab Dezember 1943 als U-Boot lebte. Sie überlebten die Befreiung.

 

Verfasser Wolfgang Schellenbacher

Guttmann Hugo (9.11.1893-1942), Hedwig (5.8.1892-1942) 

 

Hugo Guttmann wurde am 9. November 1893 in Wien als Sohn von Betreibern eines Branntweingeschäftes geboren. Er machte eine Ausbildung als Lederarbeiter, war unter anderem als Handelsangestellter tätig und spezialisierte sich schließlich auf das Zuschneiden von Schuhoberteilen. 1924 heiratete er im Leopoldstädter Tempel die 1892 in Prag geborene Hedwig Zeckendorf. Das Ehepaar wohnte in einer Gemeindewohnung im Heinehof in Wien-Margareten. Hedwig Guttmann Frau betrieb dort auch ein Modistengeschäft in einem Gassenlokal. Da das Geschäft keinen Gewinn abwarf, suchte sie mit ihrer Schwester mehrere Jahre um ein Geschäftslokal in einem anderen Gemeindebau an. 1931 erhielt sie ein 21m2 großes Modistengeschäft im neu errichteten Zürcher Hof in der Laxenburger Straße. Hugo und Hedwig Guttmann erhielten in der 1931 fertiggestellten Wohnhausanlage zugleich eine neue 46m2 große Gemeindewohnung bestehend aus einem Zimmer, einem Kabinett, einer Küche und einem Vorraum.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland versuchte das Ehepaar Guttmann aus Wien zu fliehen. In seinem Auswanderungsfragebogen, den Hugo Guttmann im Mai 1938 bei der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien ausfüllte, schrieb es, dass er „egal wohin“ fliehen würde, um seine beruflichen „Kenntnisse zu verwerten, um mit meiner Frau existieren zu können.“ Im November 1938 stellte Hugo Guttmann einen Antrag auf finanzielle Unterstützung bei der IKG, um die Emigration für sich und seine Ehefrau nach Shanghai zu ermöglichen.

Mit 31. Juli 1938 kündigte das Wiener Wohnungsamt die Gemeindewohnung des Ehepaars. Hugo und Hedwig Guttmann kamen in Wien-Währing unter, bevor sie am 30. Dezember 1938 nach Budweis flüchteten. Am 1. September 1939 zogen sie von dort nach Prag um, wo sie in der Benediktská 9 in Prag-Altstadt lebten. Im April 1940 bemühte sich das Ehepaar in Prag erneut vergeblich ihre Auswanderung nach Shang­hai zu organisieren. Am 10. August 1942 wurden Hugo und Hedwig Guttmann von Prag ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Von dort wurden sie am 26. Oktober 1942 nach Auschwitz überstellt. Hugo und Hedwig Guttmann kamen im Holocaust um.

 

Verfasser: Wolfgang Schellenbacher

Heller Fritz (9.6.1893-24.12.1966), Jaroslava (11.12.1898-überlebt) 

 

Fritz Heller wurde am 9. Juni 1893 in Wien-Floridsdorf als Sohn des Trödlers und Schusters Jonas Heller und seiner Ehefrau Leopoldine Heller geboren. Nach dem Besuch der Volks- und Bürgerschule besuchte er zwei Jahre die Handelsschule und absolvierte anschließend die Ausbildung zu einem Handlungsgehilfen in einem Ledergeschäft. Bereits als Teenager sammelte Fritz Heller erste Schauspielerfahrung, die ihn schließlich zum Schauspieler und Kabarettisten werden ließen. Erste Engagements führten ihn nach Süddeutschland, später in die österreichische Provinz und schließlich nach Wien, wo er unter anderem in den Kammerspielen, dem Raimundtheater und dem Theater an der Wien Beschäftigung fand. Ab 1922 trat er regelmäßig in humoristischen Stücken und Doppelconférencen in der Revuebühne Femina auf. 1929 erhielt er eine erste kleine Filmrolle im Stummfilm „Franz Lehár“ von Hans Otto Löwenstein.

Ende Mai 1928 heiratete er die um fünf Jahre jüngere Jaroslava Breimann, geb. Kreuz aus Prag-Zlíchov. Im Dezember 1931 zog das Ehepaar in eine Wohnung im neu errichteten Gemeindebau in der Oberen Augartenstraße 12-14 in Wien-Leopoldstadt. Das Wohnhaus wurde in den Jahren 1931-1932 nach den Plänen von Karl Schmalhofer, der auch einer der beiden Architekten des Amalienbads war, errichtet. Ihre Wohnung bestand aus einem Zimmer, einem Kabinett, einem Vorzimmer und einer Küche.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland bekam Fritz Heller keine Engagements mehr und war arbeitslos. Mit 31. Juli 1938 kündigte das städtische Wohnungsamt Fritz Heller die Gemeindewohnung und er musste mit seiner Ehefrau zu seinem jüngeren Bruder Hans nach Floridsdorf ziehen. Im Zuge des Novemberpogroms wurde er gemeinsam mit seinem Bruder in Floridsdorf verhaftet, im Polizeigefangenenhaus Rossauer Lände inhaftiert und am 15. November 1938 ins Konzentrationslager Dachau eingewiesen. Unter der Auflage, das Reichsgebiet zu verlassen, kamen beide im März 1939 frei. Fritz und Hans Heller emigrierten im April 1939 mit ihren Ehefrauen über Triest nach Shanghai. Dort war Fritz Heller erneut als Schauspieler sowie als Gelegenheitsarbeiter tätig. Sein Vater erkrankte und verstarb im Dezember 1939 in Wien. Von Shanghai aus bemühte er sich Heller vergeblich, seine Mutter mit Hilfe der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) nachzuholen. Sie wurde in eine „Sammelwohnung“ in die Herminengasse 6 umgesiedelt. Das Haus wurde für 142 Personen zur letzten Wohnadresse vor der Deportation und Ermordung. Fritz Hellers Mutter wurde am 28. Juli 1942 von Wien nach Theresienstadt deportiert. Am 21. September 1942 wurde sie von dort nach Treblinka überstellt, wo sie unmittelbar nach der Ankunft ermordet wurde.

Im Jänner 1947 wurde Fritz Heller mit seiner Frau mit einem UNRRA-Transport nach Europa repatriiert. Im Februar kehrte er nach Wien zurück, wo er wieder als Theaterschauspieler arbeitete. Fritz und Jaroslava Heller bezogen erneut eine Wohnung in jenem Gemeindebau, aus dem sie 1938 gekündigt wurden. In den ersten Nachkriegsjahren erhielt er nur kurzfristige Engagements. 1949 erwog Fritz Heller eine Emigration in die USA oder nach Australien. Beim der International Refugee Organization gab er im Bezug auf eine mögliche Emigration an:

„Ich kann mich hier nicht einleben, da ich sehr traurige Erinnerungen an meine Mutter habe, die im KZ-Lager vergast worden ist, wie auch fast die gesamte Verwandtschaft.“

Sein Bruder Hans emigrierte mit seiner Frau 1949 in die USA. Fritz Heller blieb in Wien und war neben seinen Theaterengagements vermehrt als Kabarettist tätig. Gemeinsam mit Kollegen wie Karl Farkas und Hugo Wiener wurde er Mitglied des Kabarett Simpl. In den 1950er und 1960er Jahren spielte er in einer Reihe von Filmen meist kleinere Nebenrollen – u.a. in „Der brave Soldat Schwejk“ (1960) oder „Im weißen Rößl“ (1960). Er starb am 24. Dezember 1966 im Altersheim der IKG Wien in der Seegasse 9 im 9. Bezirk. Fritz Heller wurde am Jüdischen Friedhof in Floridsdorf begraben.

 

Verfasser: Wolfgang Schellenbacher

Kohn Ignaz (28.5.1883-21.7.1969)

 

Ignaz Kohn wurde am 28. Mai 1883 in Wien geboren. Nach der Lehre im Handels­ge­werbe und vier Jahren Militärdienst trat er im Oktober 1921 in der Firma Gaskoks als Arbeiter ein, später war er als Angestellter tätig und bis zu seiner Entlassung aus ras­sischen Gründen Ende Juli 1938 als Expeditleiter beschäftigt. Innerhalb der Firma ver­suchte er als Betriebsratsobmann Verbesserungen für die Kollegenschaft zu er­reichen. Mit seinem Einkommen von öS 400,– konnte er mit seiner Frau Aurelia und Toch­ter Jeanette, die am 3. April 1919 geboren worden war, gut auskommen. Bis zum „Anschluss“ Österreichs wohnte die Familie im 2. Bezirk, in der Wohlmutstraße in einer Wohnhausanlage der Gemeinde Wien. Politisch engagierte sich Ignaz Kohn in der Sozialdemokratischen Partei und nach dem Verbot der Partei in den Jahren 1934 bis 1938 illegal bei den Revolutionären Sozialisten.

Der zwischen1927 und 1928 errichtete Gemeindebau, Wohlmutstraße 14-16, mit 105 Wohnungen wurde nach den Plänen der Architekten Hans Reiser und Gustav Schlä­frig gestaltet. Die um zwei große Innenhöfe gruppierten Stiegen schließen an die Wohl­mutstraße durch einen Durchgang mit zwei auffallenden Rundbögen an. Zur Er­laf­straße wird die Straßenbreite durch skulpturale Rundbögen überbrückt. Im Innen­hof der Wohnhausanlage schmückt ein Steinbrunnen mit einer steinernen Kugel das Areal. Etwas mehr als 100 Wohnungen wurden geplant, ursprünglich gab es außer­dem eine Badeanlage und fünf Geschäftslokale. Im Zuge der Kündigungsaktion ge­gen jüdische Mieter und Mieterinnen wurde 24 Familien die Wohnung gekündigt, eben­so Geschäfte, die jüdische Betreiber hatten, erhielten neue Besitzer. Der heute unter Denkmalschutz stehende Gemeindebau wurde ab den 1980er Jahren reno­viert.

Die im Juli 1938 erfolgte Kündigung, vor allem aber die zwangsweise Delogierung wollte Ignaz Kohn verhindern. Im Juni 1961 verfasste Ignaz Kohn ein Schreiben an die Magistratsabteilung 12 – Opferfürsorge Referat in dem er seine Verfolgung durch die Nationalsozialisten schilderte und mit welchen Mitteln er versuchte dagegen aufzutreten:

Da ich die Wohnung meiner arischen Gattin und Tochter im Gemeindehaus erhalten wollte, verließ ich dieselbe im August 1938 […]. Trotzdem wurde meine Frau u. Tochter am 25. November 1938 delogiert, dadurch obdachlos, zu dieser Zeit war ich in Dachau.

Ignaz Kohn war nach seinem Auszug aus der ehelichen Wohnung im zweiten Bezirk, in der Hollandstraße 8/23 gemeldet.

Im November 1938 wurde Ignaz Kohn verhaftet und nach Dachau überstellt, wo er meh­rere Monate, und zwar bis zum Februar 1939 verblieb. „Da ich zu einer Gerichts­ver­handlung nach Wien gebracht wurde, gelang es mir zu entwischen“, schrieb er in einem handschriftlichen Schädigungsbericht.

Immer wieder dürfte er sich in Wien illegal aufgehalten haben, obwohl er offiziell an unterschiedlichen Adressen im zweiten Bezirk gemeldet war. Auch verschaffte er sich falsche Dokumente, um die Behörden in die Irre zu führen, wie Hersch Tischler, der die Situation von Ignaz Kohn aus der gemeinsamen Zeit in einer Wohngemein­schaft kannte, als Zeuge bestätigte. Mehrere Tätigkeiten als Hilfsarbeiter mit nur äußerst geringer Entlohnung wie zum Beispiel in einem Kartoffelkeller setzten seiner Gesundheit zu. Obwohl in einer sogenannten Mischehe lebend, war er schon auf­grund seiner politischen Einstellung gegenüber dem NS-Staat gefährdet und ver­suchte sich eben irgendwie durch die schwere Zeit zu bringen. Durch die körperliche Belastung aufgrund der erzwungenen schweren Hilfsarbeiten, trug er ein Herzleiden davon, wie der Amtsarzt anlässlich einer Untersuchung am 30. Dezember 1947 be­scheinigte.

Bereits mit Kriegsende wurde Ignaz Kohn wieder in der Firma Gaskoks aufgenom­men, zum Expeditleiter bestellt und zum Exekutivobmann des Betriebsrates gewählt. In weiterer Folge wurde er von den Angestellten im Kohlengroßhandel zum Fach­grup­penobmann für ganz Österreich gewählt. Beide Funktionen übte er bis zum Pensionsantritt im Jahr 1950 aus.

Im Rahmen der Opfergesetzgebung suchte Ignaz Kohn um Entschädigung an, die ihm auch zum Teil bewilligt wurde. So erhielt er Haftentschädigung für die nach­ge­wiesene Zeit im KZ Dachau, und es wurde ihm die Amtsbescheinigung ausgestellt. Nach weiteren Novellen zum Opferfürsorgegesetz wurden ihm sowohl für das Tragen des Sterns, wie auch für einen entsprechenden Einkommensverlust Entschä­di­gun­gen zuerkannt. Ein Ansuchen wegen Leben im Verborgenen wurde von Ignaz Kohn nicht gestellt. Ignaz Kohn starb am 21. Juli 1969 in Wien.

 

Verfasserin: Brigitte Ungar-Klein

Landes Sigmund (10.10.1881-überlebt), Johanna (1884-überlebt), Elisabeth (1920-überlebt), Viktor (1913-überlebt)

 

Am 1. Juli 1938 erhielt der ehemalige Handelsangestellte Sigmund Landes von der Stadt Wien die Aufkündigung seiner Wohnung im Professor-Jodl-Hof am Döblinger Gürtel 21 – 23, Stiege 7, Tür 20 zugestellt. Die kleine Wohnung bestand aus Zimmer und Küche und beherbergte außer ihm noch seine Frau Johanna und die beiden volljährigen Kinder Viktor und Elisabeth. Gleichzeitig mit dem Kündigungsschreiben ging ein „Beschluss des Gerichtes“ ein, in dem Sigmund Landes aufgefordert wurde, „dieser Aufkündigung bei Exekution rechtzeitig Folge zu leisten, oder gegen die Aufkündigung seine Einwendungen einzubringen.“ Genau das, nämlich seine Einwendungen, brachte Landes bereits am nächsten Tag in einem Schreiben an die Magistratsabteilung 21 in Person von Magistratsrat Dr. Josef Jaksch ein.

Landes wurde am 10. Oktober 1881 in Großjedlersdorf bei Wien in der Colonie Nr. 163 geboren. Die aufstrebende Industriegemeinde hatte damals bereits über 6.000 Einwohner. Wichtige Arbeitgeber vor Ort waren die LOFAG Lokomotivfabrik, ein Gaswerk der Imperial-Continental-Gas-Association und die Erste Österreichische Jute-Spinnerei und Weberei. Sein Vater Jakob Landes war als Anstreicher und Schildermaler bei einem weiteren wichtigen Arbeitgeber der Region, der Kaiser Ferdinands-Nordbahn angestellt. Für das Bahnpersonal wurden in Großjedlersdorf entlang der Bahnstrecke Wohnhäuser errichtet und diese Siedlungen als „Colonie“ bezeichnet. Sigmund stammte aus einem jüdischen Elternhaus. Seine Mutter Maria war eine geborene Silberstein, die Familie des Vaters stammte aus Lemberg (heute Lwiw in der Ukraine). Seine Eltern starben früh, so dass er schon mit 14 Jahren selber für seinen Lebensunterhalt sorgen musste. Spätestens seit 1906 war er als „Geschäftsdiener“ in einer Gummifabrik tätig und lebte seitdem in Wien. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg lernte er die um zweieinhalb Jahre jüngere Johanna Anreiter kennen, die als Bedienerin in Wien arbeitete. Um sie heiraten zu können, ließ sich Sigmund am 25. Oktober 1913 in Heiligenstadt taufen. Schon einen Tag später fand die Trauung zwischen Sigmund und Johanna, ebenfalls in Heiligenstadt, statt. Trauzeugen waren Johannas Vater Josef Anreiter, ein pensionierter Gendarmeriepostenkommandant aus Oepping, der mittlerweile in Linz wohnte und ihr Bruder Josef, der in Wien seit einigen Jahren Veterinärmedizin studierte und in der Kettenbrückengasse lebte. Johannas Bruder Josef ist auch als Pate von Sigmund bei dessen Taufe eingetragen. Zu diesem Zeitpunkt dürften die beiden Jungvermählten schon zusammengewohnt haben, da für beide als Wohnadresse die Heiligenstädter Straße 115 eingetragen wurde. Sohn Viktor wurde bereits 1913 geboren, man kann also von einer etwas überstürzten Hochzeit ausgehen.

1916, während des Weltkrieges, erhielt Sigmund die Einberufung zum Kriegsdienst, und zwar zum Infanterie Regiment Nr. 30, welches in Lemberg stationiert war. Der Grund hierfür war seine Heimatzugehörigkeit nach Lemberg, die nicht nur für seinen Vater, sondern auch für ihn galt. Das Regiment wurde am italienischen Kriegsschauplatz eingesetzt. Vermutlich aufgrund der desaströsen Unterbringungssituation der Soldaten im Gebirgskrieg zog er sich ein Nierenleiden zu und wurde im Feber 1918 in ein Spital verlegt, dass er erst wieder zur Jahreswende 1918/19 verlassen konnte. Bis zum Jänner 1922 bezog er Invalidenrente. Im September desselben Jahres trat Sigmund Landes aus der römisch-katholischen Kirche wieder aus.

Einige Zeit nach Viktor kam Tochter Elisabeth zur Welt. Die Familie bemühte sich um eine andere Unterkunft und erhielt eine Erstmieter-Wohnung im 1925/26 erbauten Professor-Jodl-Hof am Döblinger Gürtel. Im April 1933 wurde Sigmund Landes arbeitslos, da die Gummifabrik unter Auftragsmangel litt. Bis 1938 gelang es ihm nicht, eine neue Stelle zu finden. Unter den Nationalsozialisten galt seine Ehe als „privilegierte Mischehe“, somit war Sigmund durch seine „arische“ Frau in gewisser Weise geschützt.

Dies galt jedoch nicht für die Wohnung im Professor-Jodl-Hof, die auf den Namen von Sigmund eingetragen war. Er erhielt die Kündigung mit der Aufforderung, die Wohnung bis zum 12. November 1938 zu verlassen. Aufgrund seines Einspruches kam es am 27. Juli 1938 zu einer mündlichen Verhandlung am Bezirksgericht Döbling. Sigmund versuchte die Zurückziehung der Kündigung zu erwirken, verwies auf seine Verdienste als Weltkriegsteilnehmer und bat, „eine 4-köpfige Arbeiterfamilie, von der 3 Familienmitglieder deutsche Reichsbürger sind und deren Ernährer seit 5 Jahren arbeitslos ist, nicht auf die Straße zu setzen.“ Das Gericht erklärte die Kündigung jedoch mit dem Standardargument für wirksam, dass die 1925/26 erbaute Wohnung nicht unter das Mieterschutzgesetz falle und damit das Mietverhältnis jederzeit gekündigt werden könne. Die mit zwei Reichsmark bezifferten Kosten des Verfahrens hatte Sigmund Landes als erfolgloser Kläger zu zahlen. Im September 1938 kam es noch zu einer Richtigstellung des Urteils durch das Bezirksgericht, da im Urteilspruch fälschlicherweise als Räumungstermin der 1. August angegeben wurde. Dies wurde auf den 12. November 1938 berichtigt.

Tatsächlich war die Wohnung am 24. November 1938 gänzlich geräumt. Der Hausinspektor meldete „keine Beanständigung“ und dass die Wohnung ab 1. Dezember bereits weitervermietet sei.

Als Jude war es Sigmund Landes nicht möglich, ein neues Mietverhältnis zu finden. Sein damals 25-jähriger Sohn Viktor mietete daher in der Sechsschimmelgasse 20 im 9. Bezirk eine Wohnung, in die seine Eltern und seine Schwester als Untermieter einzogen. Die Familie überlebte die NS-Zeit.

 

Verfasser: Michael Achenbach

Lang Rosa (5.8.1877-28.3.1953), Eduard (1912-überlebt), Anna (1910-überlebt) 

 

Das Ehepaar Rosa und Oskar Lang bewohnte mit ihren vier Kindern eine Hausbe­sor­gerwohnung im 2. Wiener Gemeindebezirk, und zwar in der Kleinen Stadtgutgasse 5. Wilhelm, der Älteste, wurde 1903 geboren, Albert 1908, Tochter Anna 1910 und schließlich Eduard 1912. Die Räumlichkeiten wurden der sechsköpfigen Familie zu eng, sodass eine größere Bleibe gesucht wurde, die schließlich in dem Mitte der 1920er Jahre errichteten Gemeindebau in der Vorgartenstraße 140–142 (Stiege 9) gefunden wurde. Die 46,61 m2  große Wohnung bestand aus Zimmer, Kabinett und Küche.

Der Gemeindebau war auf einem ursprünglichen Augebiet entstanden, das im Zuge der Donauregulierung trockengelegt werden konnte. Das Konzept für die 1873 statt­findende Weltausstellung sah eine Verbauung der gesamten Umgebung vor, die sich jedoch über mehrere Jahrzehnte hinzog. Die kommunale Wohnhausanlage, in die Fa­milie Lang übersiedelte, umschloss verbliebene Baulücken von Lassallestraße, Vorgartenstraße, Ofnergasse und Radingerstraße und wurde zwischen 1925 bis 1926 unter der Planung von Hubert Gessner, der auch bei anderen Gemeindebauten als Architekt, teilweise mit seinem Bruder Franz Gessner, verantwortlich war, errich­tet.

Oskar Lang verstarb im Jänner 1933, die inzwischen erwachsenen Kinder der Fa­milie übersiedelten in andere Wohnungen. Eduard, der jüngste Sohn war zum Zeit­punkt der Kündigung an der Adresse der Mutter gemeldet, ebenso die Tochter Anna, die nach ihrer Scheidung – als Anna Lelaut – wieder hierher gezogen war.

Die Kündigung durch den Wiener Magistrat, Magistratsabteilung 21/I erfolgte am 1. Juli 1938. Die Wohnung sollte am 1. August 1938 12.00 Uhr mittags bei Exekution der Stadt Wien geräumt übergeben werden. Rosa Lang war zum Zeitpunkt der Kün­di­gung als „unbekannt verreist“ vermerkt, weshalb am 11. Juli 1938 ein Abwesen­heits­kurator am Bezirksgericht Leopoldstadt beantragt wurde, dem die Kündigung zugestellt werden sollte, die als am 14. Juli 1938 als zugestellt protokolliert wurde. Gegen diese Kündigung erhob Rosa Lang durch ihren amtlichen Vertreter, RA. Dr. Ludwig Aufricht, Einwendungen, die folgend begründet wurden:

Ich hatte, bevor ich die gegenständliche Wohnung bezog, in der Kleinen Stadtgutgasse Nr. 5 eine Hausbesorgerwohnung, welche unter Mieterschutz stand. Diese Wohnung gab ich und mein da­mals noch lebender Mann nur deshalb auf, weil wir mehrere Kin­der hatten und diese Wohnung uns zu klein wurde. Der Verwalter des gegenständlichen Hauses – ich glaube er hieß Metz – ver­si­cherte uns damals auf meine ausdrückliche Frage, dass auch die­se Wohnung im Hause Vorgartenstraße 140-142, eine Mie­ter­schutzwohnung sei, welche uns nur bei Vorliegen eines der ge­setzlichen Kündigungsgründe gekündigt werden kann. Hätte ich diese Zusage nicht erhalten, so hätte ich diese Wohnung nie­mals gemietet.
Einwendung gegen die Kündigung an das Bezirksgericht Leopoldstadt, 20.7.1938, Wiener Wohnen Archiv, Kündigungsakt Rosa Lang II D 11/39 – K 660/38

Als Beweis für diese Angaben führte Rosa Lang den damals für sie zuständigen Gemeindebeamten Hausverwalter Metz sowie ihre Kinder Eduard und Anna, vh. Lelaut, die gemeinsam mit ihr in der gekündigten Wohnung lebten, an.

Wie in den meisten anderen Verfahren, die vor den Bezirksgerichten abgehandelt wurden, wurde auch in diesem Fall die Aufkündigung für rechtswirksam erklärt und die gekündigte Wohnung sollte „sofort“ zu übergeben sein, abgesehen davon wurde auch ein Kostenersatz bestimmt, der binnen 14 Tagen zu bezahlen wäre. Als Ent­scheidungsgründe für das Urteil vom 20. August 1938 wurde neben der Tatsache, dass es sich durch die im Jahre 1924 erteilte Baubewilligung für das gegenständliche Objekt um ein mieterschutzfreies handelte, weiters argumentiert:

Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, wäre der Kündigungsgrund gem. § 19 Abs. 1 M.G. gegeben, weil die Beklagte Jüdin ist und weil es sich um Vermögen der Stadt Wien handelt und der Stadt Wien nicht zugemutet werden kann, Personen, die selbst Juden sind oder mit Juden verheiratet sind, Wohnungen in Häusern zur Verfügung zu stellen, die im öffentlichen Eigentum stehen, so­lange nicht alle arischen Volksgenossen Wohnungen haben.

Bezirksgericht Leopoldstadt, Gerichtsentscheid, 20.8.1938, Wiener Wohnen Archiv, Kündigungsakt Rosa Lang II D 11/39 – K 660/38

Rosa Lang räumte ihre Wohnung bereits vor dem endgültigen Urteil, da die Wohnung per 1. August 1938 als zur Wiedervermietung frei gemeldet wurde und zog in die Her­minengasse 21/7. Um der Deportation in ein Konzentrationslager zu entgehen, tauchte sie gemeinsam mit ihrer Tochter Anna, die zu dem Zeitpunkt bereits von ihrem ersten Mann Karl Lelaut geschieden war, im Mai 1942 unter und lebte ab diesem Zeitpunkt bis Kriegsende als sogenanntes U-Boot. Karl Kares, der damalige Lebensgefährte von Anna wohnte zur Untermiete in einem kleinen Kabinett in der Castellezgasse 13. In diesem Kabinett befand sich lediglich ein Bett, Anna beschreibt in ihrem Antrag auf Entschädigung 1963 die Situation als „primitiv und menschen­un­würdig“. Ebenso wird angeführt, dass sie nicht auf die Straße oder bei Luftangriffen in einen Luftschutzkeller gehen konnten. Eduard Lang überstand die Zeit der natio­nal­so­zialistischen Verfolgung ebenfalls als U-Boot. Seine Lebensgefährtin und spätere Ehefrau, Margarete Prchal, versteckte ihn, die gemeinsame Tochter, Eva, kam im November 1944 zur Welt. Um die Familie nicht zu gefährden, gab Margarete einen anderen Mann als Vater ihres Kindes an. Auch wenn die Lebensumstände äußerst beengt waren, konnten sich zeitweise auch Eduards Mutter, Rosa Lang und Schwes­ter Anna in der kleinen Unterkunft von Margaret Prchal verbergen. Das Risiko von einem Versteck in ein anderes zu wechseln, mussten Personen, die im Verborgenen zu überleben versuchten, mitunter eingehen.

Das Schicksal der zwei älteren Söhne von Rosa Lang verlief nicht minder drama­tisch: Wilhelm Lang hatte sich zur Fremdenlegion gemeldet, nach der Abrüstung stand er auf Seiten der britischen Armee. Albert Lang, der mit einer „Arierin“ ver­heiratet war, die sich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme allerdings von ihm scheiden ließ, unternahm mit seinem Kind einen Selbstmordversuch, bei dem das Kind verstarb, Albert überlebte. Ihm wurde wegen Mordes der Prozess gemacht, in dem er zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, die er bis zu seiner be­dingten Entlassung im April 1940 in Stein an der Donau verbüßen musste. Von De­zember 1941 bis März 1945 wurde Albert Lang in mehreren Konzentrationslagern angehalten.

Nach Kriegsende meldete sich Rosa Lang beim Verband der wegen ihrer Ab­stam­mung Verfolgten, und in einer eidesstattlichen Erklärung vom 16. September 1946 führte sie den Verlust ihrer Wohnung samt Möbeln, Kleider, Geld, Wäsche „zwangs­weise durch Rassenverfolgung“ an und vermerkte, dass sie als U-Boot gelebt hätte. Im Rahmen der bald nach Kriegsende beschlossenen Opfergesetzgebung wurden Verfolgung und materielle Verluste von Jüdinnen und Juden nicht oder nur in einem äußerst eingeschränkten Rahmen entschädigt. Rosa Lang und ihre Tochter Anna konnten weder einen 50%igen Einkommensverlust, noch eine mehr als 50%ige ge­sundheitliche Beeinträchtigung nachweisen. Erste Versuche als Opfer anerkannt zu werden, schlugen fehl.

Anna Kares – ihre Mutter Rosa Lang stellte keinen eigenen Antrag – reagierte auf den negativen Bescheid der Behörde:

„Da ich samt meiner 72 jährigen Mutter rassisch verfolgt war und beide 3 Jahre U-Boot waren, so glaube ich, dass ich ein Recht auf einen Opferausweis hätte. Da Nazi-Hinterbliebene be­fürsorgt werden, wo bleibt denn da die Wiedergutmachung für uns Juden? Sollte ich abermals abgewiesen werden, so werde ich Beweise sammeln und in den Zeitungen veröffentlichen.

Wiener Wohnen Archiv, Kündigungsakt Rosa Lang II D 11/39 – K 660/38

Das Überleben im Verborgenen wurde erst nach der 12. Novelle zum Opferfür­sor­ge­gesetz 1961 entschädigt, sofern dieses unter „menschenunwürdigen Bedingungen“ abgelaufen war. Erst in nachfolgenden Novellen wurde dieser Passus, der von Be­hör­denseite äußerst eng interpretiert worden war, gestrichen.

Die letzten Lebensjahre verbrachte Rosa Lang bei ihrer Tochter Anna, die ihren Ret­ter, Karl Kares am 21. Mai 1947 geheiratet hatte. Gemeinsam übersiedelten sie in eine Wohnung in Wien 2., Kleine Pfarrgasse 28. Rosa Lang verstarb am 28. März 1953 ohne jemals eine Entschädigung für ihre Verluste erhalten zu haben.

 

Verfasserin: Brigitte Ungar-Klein

Mager Franz (2.6.1895-26.2.1942) 

 

Franz Mager wurde am 2. Juni 1895 in Wien geboren und wuchs bei seiner alleinerziehenden Mutter Anna auf. Er diente als Kanonier im Ersten Weltkrieg und arbeitete bis 1921 als Werkführer bei der Firma Krupp in Berndorf (Bezirk Baden in Niederösterreich). 1926 wurde er als Hilfsarbeiter am Straßenbahnhof Linke Wienzeile beschäftigt und wechselte 1927 als Tischler in die Hauptwerkstätte der Städtischen Verkehrsbetriebe in der Siebeneichengasse im 15. Bezirk, wo in den 1930er Jahren etwa 1.200 Menschen arbeiteten.

Mager war von 1913 bis 1934 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und seit 1923 des Republikanischen Schutzbunds. Am 12. August 1931 heiratete Franz Mager die 1907 geborene Schneiderin Karoline Wrasda, die als sozialdemokratische Bildungsfunktionärin aktiv war. Mit ihr gemeinsam bezog er eine Wohnung im 1931/32 errichteten Gemeindebau in der Meiselstraße 15–17 (Stiege 4) im 15. Wiener Gemeindebezirk (seit 1950 Johann-Hartmann-Hof, benannt nach dem 1948 verstorbenen SPÖ-Gemeinderat und Obmann der Eisenbahnergewerkschaft).

1934 trat Franz Mager nach den Februarkämpfen zur KPÖ über. Im Dezember dieses Jahres wurde er kurzzeitig verhaftet und aus politischen Gründen von den Verkehrsbetrieben entlassen. In den Jahren der austrofaschistischen Diktatur gehörte Mager zu den wichtigsten KPÖ-Funktionären im Bereich der illegalen Gewerkschaftsarbeit. Er war Mitglied der Zentralkommission für den Wiederaufbau der Freien Gewerkschaften und Leiter der illegalen Gewerkschaft der Transport- und Verkehrsarbeiter. Im Frühjahr 1935 war er Mitglied einer Delegation von Gewerkschaftsfunktionären in die Sowjetunion. Am 31. März 1937 wegen Verbreitung und Mitwirkung an der Herstellung der Zeitschrift „Der freie Transport- und Verkehrsarbeiter“ verhaftet, wurde Mager zu 18 Monaten Arrest und sechs Monaten schweren Kerkers verurteilt. Er kam im Februar 1938 im Zuge der allgemeinen Amnestie frei.

Im Oktober 1938 begann Mager wieder als Tischler in der Hauptwerkstätte der Städtischen Straßenbahnen zu arbeiten. Von Juli 1939 bis Mai 1940 wurde er zur Fliegernachschubabteilung der Wehrmacht eingezogen. Danach wurde er von der Wiener Straßenbahn „uk“ – also unabkömmlich – gestellt. 1940/41 war Mager führend in die von Erwin Puschmann betriebene Reorganisierung der KPÖ eingebunden. Er hatte Verbindung u.a. zu den KPÖ-Funktionären Matthias Pista, Engelbert Magrutsch und Johann Hornschall, die er aus der illegalen Arbeit in den Jahren davor kannte. Als ihn Puschmann im November 1940 in eine von ihm neu geschaffene Leitungsstruktur einbinden wollte, lehnte dies Mager ab. Er sagte aber zu, den Wiener KPÖ-Funktionär Karl Hodac mit Verbindungsmännern kommunistischer Zellen bei den Städtischen Straßenbahnen bekannt zu machen.

Franz Mager wurde am 17. März 1941 von der Gestapo verhaftet. Nach Wochen in Gestapo-Haft wurde er im Mai 1941 ins Gefangenenhaus des Wiener Landesgerichts eingeliefert. Wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilte ihn der Volksgerichtshof am 23. November 1942 zum Tode. Im Urteil ist zu lesen:

Der Angeklagte ist ein gefährlicher und verbissener Kommunist, der trotz seiner beiden Vorstrafen zu einer weiteren Betätigung einsatzbereit gewesen ist und sich auch zum Einsatz hergegeben hat. Er hat als Verbindungsmann zu Spitzenfunktionären und durch Schaffung weiterer Verbindungen eine Arbeit geleistet, ohne die eine illegale Tätigkeit nicht durchführbar ist. Er wusste überdies, dass seine Arbeit dem Ausbau der illegalen Organisation in dem Betriebe der Wiener Straßenbahn dienen sollte, somit in einem Betriebe, dessen reibungsloses Arbeiten im besonderen Interesse des Staates liegt und von der Zuverlässigkeit seiner Gefolgschaft abhängig ist. Er hat sich als unversöhnlicher Gegner des Reiches erwiesen, dem er in der schwersten Zeit in den Rücken gefallen ist. Er muss deshalb ausgemerzt werden.
Urteil des Volksgerichtshofs gegen Franz Mager, 23.11.1942, DÖW Historische Sammlungen Sig. 19.793/108

Am selben Tag wurden auch Matthias Pista und Engelbert Magrutsch zum Tode verurteilt.

Am 17. Jänner 1943 formulierte Franz Mager in der Todeszelle im Wiener Landesgericht einen Abschiedsbrief an seine Frau Karoline. Das Papier überdauerte die NS-Zeit eingenäht in die Matratze der Todeszelle:

Mit furchtbarer Schnelligkeit verrinnt die kurze Zeit, die mir als sogenannte Gnadenfrist noch bis zur Vollstreckung des Todesurteils gegeben ist. […] Ich bin ein Opfer der schrecklichen Zeit, wie so viele, viele Tausende vor und nach mir. Ich muss sterben, weil mir Solidarität in Fleisch und Blut übergegangen ist, weil mir die Rücksicht auf meine Mitmenschen, meine Berufskollegen höher stand als meine eigene Rettung. Ich bin aus einer Zeit gekommen, in der die Solidarität etwas gegolten hat, Ehrensache jedes anständigen Arbeiters war und als die erste und wichtigste Voraussetzung des gemeinsamen Kampfes und Sieges für eine bessere, glückliche Weltordnung war.

Franz Mager wurde am 26. Februar 1943 im Alter von 47 Jahren im Wiener Landesgericht hingerichtet.

Karoline Mager blieb auch nach 1945 in der Gemeindewohnung in der Meiselstraße 15–17 wohnhaft. Politisch war sie u.a. als KPÖ-Frauenleiterin des 15. Bezirks aktiv. Im November 1947 wurde am damaligen Gelände der Hauptwerkstätte der Wiener Verkehrsbetriebe ein Mahnmal mit den Namen der hingerichteten Widerstandskämpfer Franz Mager und Josef Lengauer enthüllt. Es befindet sich seit das 1974 beim Haupttor der Zentralwerkstätte der Wiener Linien in der Simmeringer Hauptstraße 252 (Wien 11.) verlegt wurde. Auch auf einer Gedenktafel beim Betriebsbahnhof Erdberg der Name von Franz Mager enthalten.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

Maier Ruth (10.11.1920-1.12.1942), Judith (1922-überlebt), Irma (1885-überlebt) 

 

Ruth Maier wurde am 10. November 1920 in Wien geboren. Die ersten Jahre ihrer Kindheit verbrachten sie und ihre jüngere Schwester Judith in Wien-Döbling, in der Dachgeschosswohnung eines Mehrfamilienhauses in der Peter-Jordan-Straße. Ab 1930 errichtete die Gemeinde Wien in der Nähe – entlang der Gersthofer Straße in Währing – eine große Wohnhausanlage, in der die Familie eine geräumige Wohnung im 3. Stock bezog (Stiege 1, Tür 14, Eingang Hockegasse 2). Im Stock darüber hatte der Vater, der Postgewerkschafter Ludwig Maier, sein Büro. Ruth saß in der Studierstube des Vaters, mit dem sie ein inniges Verhältnis verband, gerne auf einer Leiter und las. Sie war gerade 13 Jahre alt, als ihr Vater an einer bakteriellen Hautentzündung starb. Mutter Irma und Großmutter Anna versuchten, den beiden Mädchen weiterhin eine unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen.

1927 waren Ruths Eltern aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten. Gemäß den vom NS-Regime am 20. Mai 1938 auch im annektierten Österreich in Kraft gesetzten „Nürnberger Gesetzen“ galten Irma Maier und ihre Töchter trotzdem als jüdisch. Zu den öffentlichen Übergriffen kamen behördliche Schikanen und der Entzug staatsbürgerlicher Rechte. Ruths Tagebuch dokumentiert, wie sie – obwohl in einer vollkommen assimilierten und nicht-religiösen Familie aufgewachsen – angesichts des Judenhasses ihrer Umgebung, der Misshandlungen und Verfolgung nach und nach ein jüdisches „Wir-Gefühl“ entwickelt und sich schließlich für die Zugehörigkeit zu einer Art Schicksalsgemeinschaft entscheidet. Vor allem die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November, in der auch in Wien jüdische Geschäfte und Gebäude geplündert und gebrandschatzt, Tausende Juden und Jüdinnen misshandelt, inhaftiert und ins KZ Dachau verschickt wurden, verdeutlichte den Verfolgten die Dramatik der Situation.

Im Juni 1938 veranlasste die Wiener NSDAP die Kündigung von 2.000 Mietverhältnissen durch das städtische Wohnungsamt – alle zum 31. Juli 1938. Unter den Gekündigten war auch die Witwe des Postoberinspektors Dr. Ludwig Maier. Nach dem Tod ihres Mannes hatte Irma ihre Mutter Anna Grossmann zu sich genommen. Sie bekämpfte vergeblich die Kündigung. Ein Bekannter ihres Mannes, der Kaufmann Hugo Singer, nahm die vier zur Untermiete in seine Wohnung in der Oberen Donaustraße 43 auf.

Die Familie betrieb ihre Ausreise. Als Erste konnte Irma Maier ihre jüngere Tochter in Sicherheit bringen – Judith konnte am 10. Dezember 1938 mit dem ersten der so genannten Kindertransporte nach England flüchten. Dort heiratete sie später den Chemiker Hans Suschitzky, den sie schon als Kind gekannt hatte.

Ruth war zu alt für einen Kindertransport. Ihre Mutter konnte sie nach Norwegen schicken, wo sie die Möglichkeit zum Schulabschluss erhielt. Am 29. April 1939, drei nervenaufreibende Monate nach der Abreise Ruths nach Norwegen, folgten Mutter und Großmutter Judith nach England.

Ruth Maiers Schwester Judith verdankte ihre Rettung einem Programm der britischen Regierung, das unter der Bezeichnung „Kindertransporte“ in die Geschichte eingegangen ist. Am 25. November 1938 forderte die britische Regierung über Rundfunk Privatpersonen auf, gefährdete jüdische Kinder bei sich aufzunehmen. Gleichzeitig erlaubte sie 10.000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus Deutschland, Österreich und Tschechien bis zum Alter von 17 Jahren die Einreise nach Großbritannien. Wenige Tage später, am 10. Dezember, verließ der erste Kindertransport Wien. An Bord des Zuges war auch Judith Maier.

Nach der Abreise Ruths nach Norwegen am 30. Jänner 1939 war die Familie auf drei Länder aufgeteilt. In ihrem Briefwechsel überlegten die beiden Mädchen, wie sie ihrer Mutter und ihrer Großmutter helfen könnten, den nationalsozialistischen Machtbereich zu verlassen. Nachdem Irma Maier für sich und ihre Mutter Einreisepapiere nach Großbritannien erhalten hatte, schienen alle gerettet zu sein – bis zum Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Norwegen.

Am 30. Jänner 1939 nahm eine Familie aus Lillestrøm (östlich von Oslo) Ruth Maier bei sich auf: der Telegrafenangestellte Arne Strøm, ein Bekannter von Ruths Vater, hatte den norwegischen Behörden gegenüber für sie gebürgt, dass sie dem Staat finanziell nicht zur Last fallen würde. Im August 1939 wurde Ruth Maier in Oslo an der Frogner-Schule in die Abschlussklasse des altsprachlichen Zweigs aufgenommen, wo sie schließlich maturierte.

Alle paar Tage schrieb sie an ihre Schwester Judith („Dittl“, „Dita“) oder an ihre Mutter und Großmutter nach England, beschrieb ihr Leben in Norwegen, die Probleme als Flüchtling und als junge Frau. Vergeblich bemühte sie sich um eine Einreisemöglichkeit in die USA.

Im Spätherbst 1940 lernte sie Gunvor Hofmo kennen, mit der sie bis zu ihrer Deportation eine innige Freundschaft, ja Liebesbeziehung verband. Die norwegische Dichterin bewahrte Ruths Tagebücher auf. Sie sollte Ruths gewaltsamen Tod nie verwinden.

Mit dem deutschen Überfall auf Norwegen am 10. April 1940 geriet Ruth wieder in den nationalsozialistischen Herrschaftsbereich. Die deutsche Okkupationsmacht und die Kollaboration der norwegischen Nationalsozialisten unter Vidkun Quislings Führung wurde zur lebensgefährlichen Bedrohung für die jüdische Bevölkerung.

Zu den ersten Maßnahmen Quislings als Ministerpräsident der 1942 gebildeten Kollaborationsregierung gehörte die Erfassung der in Norwegen lebenden Juden und Jüdinnen. Anfang Oktober 1942 begannen die Verhaftungen, zunächst von männlichen Juden.

Im Herbst 1942 übersiedelte Ruth Maier von Lillestrøm nach Oslo, in ein Wohnheim am Dalsbergstien. Über die letzten Stunden vor ihrer Deportation schreibt der Herausgeber ihrer Tagebücher, der norwegische Dichter Jan Erik Vold:

„Die Razzia, bei der sie verhaftet wurde, fand am 26. November statt. 300 Mann, zusammengesetzt aus Polizei, Quislings Hird-Abteilung [die norwegische SA] und Gestapo, nahmen an der Aktion teil. Für den Transport der Verhafteten wurden beschlagnahmte Taxis verwendet.“

Nunna Moum wohnte damals im selben Pensionat wie Ruth. Sie erzählt, dass die Verhaftung ruhig vor sich ging. Zwei norwegische Polizisten führten die Österreicherin die Treppe hinunter auf die Straße zu einem wartenden Auto. Sie sollte sich auf den Rücksitz setzen, wo bereits zwei in Tränen aufgelöste Mädchen saßen. Die Mädchen im Pensionat weckten sich gegenseitig und beobachteten die Szene. Jemand sagte: ‚Wir können auf deine Goldarmbanduhr aufpassen, bis du zurückkommst.‘ Ruth antwortete: ‚Ich werde nie zurückkommen.‘“

Ruth Maiers engste Freundin, die Lyrikerin Gunvor Hofmo (1921–1995), rettete die Tagebücher für die Nachwelt. In ihrem Nachlass entdeckte sie der norwegische Dichter und Musiker Jan Erik Vold. Er nahm Kontakt mit Ruths Schwester Judith Suschitzky auf, die ihm die Briefe an die Familie übergab. 2007 publizierte Jan Erik Vold Ruth Maiers Tagebücher und Briefe. Seither wurde das Schicksal des Mädchens aus Wien, das gehofft hatte, in Norwegen Zuflucht vor Verfolgung zu finden, aber von Polizisten der Quisling-Regierung ihren Mördern ausgeliefert wurde, zum Symbol der Kollaboration von Teilen der norwegischen Bevölkerung mit den deutschen Besatzern. Als der damalige Ministerpräsident Jens Stoltenberg am Holocaust-Gedenktag 2012 sich zur Verantwortung des norwegischen Staates für die Verbrechen an den Juden und Jüdinnen bekannte, nannte er Ruth Maier als typisches Beispiel. Im November 2020, zum 100. Geburtstag, benannte die Stadt Oslo einen Platz nach Ruth Maier.

Briefe und Tagebücher der „norwegischen Anne Frank“ befinden sich heute im Besitz des Zentrums für Holocaust- und Minderheitenstudien (HL-senteret) in Oslo. 2014 wurden sie in das norwegische „Dokumentenarchiv“ aufgenommen und damit zum Bestandteil des UNESCO-Dokumentenerbes „Memory of the world“.

2017/18 erstellte Winfried R. Garscha für das DÖW (gemeinsam mit dem norwegischen Zentrum für Holocaust- und Minderheitenstudien und Christine Schindler) die Wanderausstellung „Das kurze Leben der Ruth Maier (1920–1942): Wien – Oslo – Auschwitz“. Die Ausstellung wurde in jeweiligen Adaptionen mittlerweile in Österreich, Norwegen, bei den Vereinten Nationen in New York, in Washington sowie in Brünn gezeigt.

In einer Kooperation mit den Wiener Volkshochschulen wurde die Ausstellung für Menschen mit Migrationshintergrund und mit wenig formaler Schulbildung adaptiert, d. h. in Einfache Sprache übersetzt. Die Ausstellung wird in dieser Version seit 2022 in ganz Österreich gezeigt, sie ist gratis zu entlehnen. In Gmunden fand im Frühjahr 2023 die Weltpremiere des Musicals „Briefe von Ruth“ in Kooperation mit der New York Opera Society statt. Die HOSI Wien hat im Herbst 2023 ihre Bibliothek nach Ruth Maier benannt. Im Rahmen der ORF-Reihe „Menschen und Mächte“ gestaltete Robert Gokl die Doku „Ruth Maier – die Anne Frank von Österreich“.

2021 benannte der 2. Wiener Gemeindebezirk einen Park am Donaukanal nach Ruth Maier, 2022 brachte der 18. Bezirk eine Erinnerungstafel am Rudolf-Sigmund-Hof an. Die Stadt Wien übernahm die Pflege des Familiengrabes auf dem Döblinger Friedhof. Anlässlich des Frauentags am 8. März 2022 enthüllte die Stadt Wien eine Tafel für Ruth Maier im Arkadenhof des Rathauses und nahm sie in die Pionierinnengalerie auf.

 

Verfasser: Winfried R. Garscha

Meisel Jakob (2.4.1876-verschollen), Josef (13.8. 1909-11.2.1993), Paul (18.4.1911-22.1.1943) 

 

Die Familie Meisel wohnte seit Februar 1931 im Goethehof (Stiege 29) im Bezirksteil Kaisermühlen. Der in den Jahren 1928 bis 1930 erbaute Gemeindebau in der Schütt­austraße 1–39 lag damals im 2. Wiener Gemeindebezirk (Leopoldstadt), heute gehört Kaisermühlen zum 22. Bezirk (Donaustadt). Ursprünglich umfasste er 727 Wohnungen, heute sind es 677.

Jakob Meisel wurde am 2. April 1876 in Waag-Neustadt (Nové Mesto nad Váhom) in der Westslowakei, wo er bis 1889 zur Schule ging. 1893, nachdem er eine Tischlerlehre und die Gewerbeschule absolviert hatte, ging er nach Wien, wo er zunächst als Tischlergehilfe – zeitweise auch in Budapest – und seit 1903 als selbstständiger Tischler arbeitete. Seine Werkstatt befand sich in der Vereinsgasse im 2. Bezirk. Meistens arbeitete er alleine, mit Lehrlingen oder einem Arbeiter.

Jakob Meisels Eltern – der Hilfsarbeiter Moritz und dessen Frau Netti (geborene Markosi) – waren jüdischer Herkunft und lebten bis zu ihrem Tod in den Jahren 1905 bzw. 1925 in Waag-Neustadt. Auch Jakob Meisel war zunächst mosaischen Glaubens, den er aber nicht aktiv praktizierte. Er heiratete die im niederösterreichischen Scheibbs geborene Friederike (Frieda) Brod, die in Wien als Weißnäherin arbeitete und drei Söhne zur Welt brachte: am 21. August 1904 Alexander, am 13. August 1909 Paul und am 18. April 1911 Josef Meisel. Alexander und Paul wurden in Wien geboren, Josef in Waag-Neustadt, wo die Mutter bei Verwandten zur Entbindung war.

Jakob Meisel wurde im September 1914 zur k.u.k. Armee eingezogen und an die russische Front verlegt. Von Februar 1915 bis Juni 1918 befand er sich in russischer Kriegsgefangenschaft. Danach kehrte er nach Wien zurück. Nach dem frühen Tod von Frieda Meisel im Frühjahr 1925 heiratete Jakob Meisel die 1895 geborene Johanna Stern, die im Februar 1928 Sohn Karl zur Welt brachte. Die Familie wohnte zunächst in der Leystraße 75 im Arbeiterbezirk Brigittenau (20. Bezirk), einem Zinshaus mit etwa 50 Parteien im Bezirksteil Zwischenbrücken. Die Wohnung bestand nur aus einem Zimmer und der Küche. Nach vier Jahren Wartezeit konnte Jakob Meisel 1931 mit seiner zweiten Frau und seinen Söhnen die Gemeindewohnung im Goethehof beziehen. Die Gemeindewohnung bestand aus zwei Zimmern mit eigenem WC. Ein eigenes Bad war damals noch nicht üblich, weshalb die Meisels ins „Tröpferlbad“ gehen mussten.

Jakob Meisel und zwei seiner Söhne – Paul und Josef – waren stets in der organisierten Arbeiterbewegung aktiv. Vater Jakob gehörte ab 1900 der Sozialdemokratischen Partei an, bevor er 1929 – wohl unter dem politischen Einfluss seiner Söhne – zur KPÖ überwechselte. Josef Meisel erlernte von 1925 bis 1928 in der Werkstatt seines Vaters das Tischlerhandwerk. Von April bis November 1929 war er auf der Baustelle der Ill-Werke in Vorarlberg beschäftigt, bis er wegen Mitgliedschaft in einem Streikkomitee entlassen wurde. Danach ging er acht Monate auf Wanderschaft in Deutschland. Nach Wien zurückgekehrt, war er 1931 kurzzeitig in einem Gersthofer Gemeindebau als Bauarbeiter beschäftigt. Danach war er zumeist arbeitslos und nur noch sporadisch in einem Beschäftigungsverhältnis. Auch Paul Meisel erlernte nach der Volks- und Bürgerschule das Tischlerhandwerk. Er lernte jedoch nicht bei seinem Vater, sondern bei einem Tischlermeister in der Künstlergasse in Rudolfheim-Fünfhaus. Nach Abschluss der Lehre wurde er wegen Arbeitsmangels entlassen. Es folgten zwei Jahre Arbeitslosigkeit, bis er 1929 als Hilfsarbeiter in der Schokoladenfabrik Josef Brod in der Marchfeldstraße in Wien-Brigittenau zu arbeiten beginnen konnte. 1931 wurde er wieder arbeitslos.

Paul und Josef Meisel waren zunächst Mitglied der Kinderfreunde, im Arbeiter Turnverein und in der Sozialistischen Arbeiterjugend, schlossen sich aber 1925 dem Kommunistischen Jugendverband (KJV) an. Paul Meisel wurde 1927, Josef Meisel 1928 vom KJV in die KPÖ überstellt. Josef Meisel war bereits Obmann der SAJ in Zwischenbrücken, 1929 wurde er – trotz seines jungen Alters von 18 Jahren – in diesem Bezirksteil KPÖ-Obmann und gehörte auch der Bezirksleitung der Partei an. Er war verantwortlich für die Herausgabe von Häuserblock- und Betriebszeitungen der KPÖ, u.a. für „Die rote Glühlampe“ in der Brigittenauer Glühlampenfabrik Kremenezky oder den „Roten Kakaoblock“ im Gemeindebau in der Engerthstraße 99–109 (seit 1949 Janecek-Hof), der wegen seiner braunen Farbe im Volksmund „Kakaohof“ genannt wurde. Ende 1932 wurde Josef Meisel Obmann der KPÖ in Kaisermühlen, wo er seit 1931 wohnte. Nach dem Verbot der Partei im Mai 1933 war er für die KPÖ-Organisationen in Kaisermühlen, Kagran und Stadlau (22. Bezirk) zuständig.

Sein Bruder Paul wohnte seit 1932 im „Kakaohof“ (Stiege 29) in der Engerthstraße in der Gemeindewohnung seiner 1902 in Klosterneuburg geborenen Lebensgefährtin Karoline Mayer (geborene Böhm). Er leitete dort eine KPÖ-Zelle und war verantwortlich für die Herausgabe der Häuserblockzeitung „Die rote Engerthstraße“. Am 13. Mai 1934 kam ihr gemeinsamer Sohn Rudolf (Böhm) zur Welt.

Sowohl Paul als auch Josef Meisel gerieten aufgrund ihrer politischen Aktivitäten ins Visier von Polizei und Justiz. Paul Meisel erhielt von 1926 bis zum Verbot der KPÖ im Mai 1933 Dutzende Polizeistrafen wegen unerlaubten Plakatierens, die höchste davon in der Länge von acht Tagen. 1926 und 1929 wurde er aufgrund von Auseinandersetzungen mit der Polizei mit mehreren Wochen Arrest bestraft. Josef Meisel wiederum wurde im März 1933 wegen Übertretung des Pressegesetzes verhaftet und vier Wochen lang in das Landesgericht eingeliefert. Anlass dafür war ein KPÖ-Flugblatt über das Verbot des Schutzbunds. Sowohl Jakob Meisel als auch seine Söhne Paul und Josef waren im Goethehof aktiv an den Februarkämpfen des Jahres 1934 beteiligt. Jakob Meisel errichtete gemeinsam mit anderen Schutzbündlern eine Barrikade bei der Stiege 29, wo sich seine Wohnung befand. Es kam dort auch zu einem Schusswechsel.

Nach den Februarkämpfen hielt sich Josef Meisel einige Tage in Wien versteckt und floh darauf nach Brünn in die Tschechoslowakei. Ein paar Tage später kam auch sein Vater Jakob über Znaim nach Brünn. Beide wurden im Schutzbundlager am Sportplatz von Brünn untergebracht. Jakob Meisel gelangte Ende April mit dem ersten Schutzbundtransport in die Sowjetunion, Josef Meisel mit dem zweiten Transport Anfang Juni 1934. Jakob Meisel arbeitete in Charkow in der landwirtschaftlichen Maschinenfabrik „Hammer und Sichel“ als Werkzeugtischler. Im August 1934 ließ er seine Frau und seinen jüngsten Sohn Karl nach Charkow nachkommen. Auch Jakob Meisels Sohn Paul kam im August dieses Jahres gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin nach Charkow, wo er als Dreher im selben Betrieb wie sein Vater zu arbeiten begann. Seine Partnerin entschloss sich jedoch bereits im März 1935, mit ihren Kindern nach Österreich zurückzukehren.

Paul Meisel wurde am 21. September 1937 unter der Anschuldigung, einer „konterrevolutionären faschistischen Spionage- und Diversantenorganisation“ anzugehören, vom NKWD verhaftet. Am 14. Dezember 1937 wurde seine Ausweisung beschlossen und er im Mai 1938 an die polnische Grenze gestellt. Nach seiner Ankunft in Wien am 20. Mai 1938 wurde Paul Meisel von der Gestapo einvernommen und im September dieses Jahres in das Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert. Im März 1942 kam Meisel in KZ Natzweiler und im Oktober 1942 ins KZ Auschwitz, wo er am 22. Jänner 1943 ermordet wurde. Im Jänner 1989 wurde Paul Meisel von den sowjetischen Behörden offiziell rehabilitiert.

Jakob Meisel fuhr im Oktober 1937 mit Hilfe der österreichischen Gesandtschaft in Moskau nach Österreich zurück und wurde gleich bei seiner Ankunft in Wien am 1. November – aufgrund seiner Teilnahme an den Februarkämpfen – in Untersuchungshaft genommen. Nach sieben Wochen im Polizeigefangenenhaus auf der Rossauer Lände und im Wiener Landesgericht wurde Meisel freigelassen. Er bezog mit seiner Frau eine Wohnung in der Volkertstraße im 2. Bezirk. Nach dem „Anschluss“ Österreichs wurde Meisel im Juni 1938 von der Gestapo einvernommen. Er musste sich dazu verpflichten, innerhalb von vier Wochen das Reichsgebiet zu verlassen. Im Juli 1938 wurde Meisel an die Grenze gestellt und gelangte über Pressburg (Bratislava) nach Polen. Er dürfte zu Beginn des Zweiten Weltkriegs auf sowjetisches Territorium geflohen sein. In Lemberg (L’vov) verhaftet, wurde Jakob Meisel nach Archangelsk verbannt, wo er, kurz nach seiner Ankunft am 14. Oktober 1940, flüchtete. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.

Alexander Meisel, der älteste Sohn aus der ersten Ehe von Jakob Meisel, arbeitete nach der Handelsschule als Büroangestellter und entwickelte sich zu einem der bekanntesten Sportjournalisten Österreichs. Er schrieb für das „Wiener Tagblatt“ und den „Telegrafen“ und veröffentlichte Publikationen u.a. über den Eiskunstlauf-Olympiasieger Karl Schäfer und über „60 Jahre Sportplatz Engelmann“. Aufgrund seiner Einkünfte als Sportjournalist war es Meisel möglich, seinen Vater finanziell zu unterstützen. Verheiratet war Alexander Meisel mit der Schauspielerin und Eiskunstläuferin Olly Holzmann, die 1938 für ihn intervenierte, als er im Mai dieses Jahres mit einem der ersten Transporte ins Konzentrationslager Dachau eingeliefert wurde. Er kam nach wenigen Wochen wieder frei und wurde an die Grenze zur Tschechoslowakei gestellt. Nunmehr in Prag wohnhaft, wurde Meisel am 31. Oktober 1939 von der Gestapo erkennungsdienstlich erfasst und neuerlich ins KZ eingewiesen. Er starb am 24. Februar 1942 im KZ Sachsenhausen.

Josef Meisel wiederum wurde nach seiner Ankunft in Moskau an die Internationale Lenin-Schule delegiert, die er bis August 1936 besuchte. Danach wurde er von der KPÖ nach Österreich zurückgeschickt, um hier illegale Arbeit im Widerstand gegen die austrofaschistische Diktatur zu leisten. Konkret war Meisel als Leiter der Wiener Organisation der „Roten Hilfe“ aktiv. Im Oktober 1936 verhaftet, erhielt Meisel eine Polizeistrafe in der Dauer von sechs Monaten – und damit die Höchststrafe ohne richterliche Einvernahme, und wurde vom Wiener Landesgericht angeklagt. Zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, wurde Meisel im Oktober 1937 ins Anhaltelager Wöllersdorf eingeliefert, um dort die Polizeistrafe abzusitzen. Nach der allgemeinen Amnestie im Februar 1938 kam er frei, wohnte zunächst zur Untermiete in der Rueppgasse im 2. Bezirk und tauchte nach dem „Anschluss“ Österreichs unter.

Im Mai 1938 ging der als Kommunist und Jude bedrohte Meisel über die Schweiz und Frankreich nach Spanien, um hier am Kampf der Internationalen Brigaden gegen die faschistischen Generäle teilzunehmen. Er war zunächst Angehöriger des Bataillons „12. Februar“ der 11. Internationalen Brigade und dann Kaderkommissar des „Edgar-André-Bataillons“ derselben Brigade. Nach der Niederlage der Spanischen Republik überschritt Meisel mit anderen österreichischen Spanienfreiwilligen die Grenze nach Frankreich und gelangte über Perpignan illegal nach Paris. Dort wurde von der KPÖ entschieden, dass er nach Belgien emigrieren solle. In Antwerpen war er für die Exilarbeit der KPÖ zuständig, bis er nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht im Mai 1940 von der belgischen Polizei verhaftet und nach Südfrankreich ins Lager Saint-Cyprien transportiert wurde.

Gemeinsam mit leitenden Funktionären der KPÖ wie etwa Alfred Klahr, Othmar Strobel und Hans Zipper flüchtete Meisel Ende Juni 1940 aus dem Lager. Über Toulouse und Marseille gelangte Meisel zu einer Gruppe österreichischer Emigranten, die als Holzfäller in den Pyrenäen in der unbesetzten Zone Frankreichs arbeiteten. Im Mai 1942 wechselte Meisel in die besetzte Zone, um dort systematisch die Widerstandsarbeit zu organisieren. Er war bis Februar 1943 für den Kreis um Bordeaux in Südwestfrankreich zuständig und lebte während dieser Zeit im Untergrund. Ein Schwerpunkt der illegalen Arbeit war die Agitation unter deutschen Soldaten.

Im Februar 1943, nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad, kehrten mehrere österreichische KommunistInnen aus dem französischen Exil nach Österreich zurück, um hier – getarnt als französische „FremdarbeiterInnen“ – den antifaschistischen Widerstand zu organisieren. Meisel bot sich mit gefälschten französischen Identitätskarten den deutschen Militärbehörden als Dolmetscher an. In Wien wurde Meisel der Großtischlerei Kocich im 12. Bezirk als Tischler und Maschinenarbeiter zugeteilt. Erste Verbindungen zu kommunistischen Widerstandskreisen entwickelte er zu Franz Maresch und Franz Pleschkou in der Floridsdorfer Lokomotivfabrik, die er aus seiner früheren KPÖ-Arbeit im 20. Bezirk kannte. Gemeinsam mit Gottfried Kubasta, Ludwig Beer, Anna Peczenik, Mara Ginsburg u.a. gab die Gruppe Flugblätter heraus und nahm Verbindungen auf bis nach Linz in die Hermann-Göring-Werke und nach Donawitz zur Alpine-Montan. Meisel wurde am 17. Mai 1943 von der Gestapo verhaftet. Nach fünf Wochen in Gestapo-Haft am Morzinplatz kam er ins Polizeigefängnis Rossauer Lände, bis er im Februar 1944 mit einem Sondertransport ins Konzentrationslager Auschwitz verlegt wurde.

In Auschwitz existierte zu diesem Zeitpunkt bereits eine illegale Organisation des Häftlingswiderstands, in der Österreicher wie Ernst Burger, Heinrich Dürmayer, Rudolf Friemel, Alfred Klahr, Hermann Langbein u.a. eine wichtige Rolle spielten. Am 22. Juli 1944 organisierte die internationale Lagerorganisation die Flucht von Meisel und des Spanienkämpfers Szymon Zejdof-Wojnarek. Zuvor war er als Kistentischler dem so genannten Schädlingsbekämpfungstrupp zugeteilt worden, einem Außenkommando, wo bessere Bedingungen für eine Flucht herrschten. Meisel wurde von einer Partisanengruppe nach Krakau gebracht, danach war er bis Jänner 1945 in einem Dorf in Nähe von Niepołomice östlich von Krakau bei polnischen Bauern untergebracht. Meisel war damit der einzige Nichtpole, der die Flucht aus Auschwitz überlebte.

Im Jänner 1945 gelang es ihm, Kontakt mit der sowjetischen Befreierarmee aufzunehmen, die seine Abreise nach Moskau zur Exilleitung der KPÖ ermöglichen. Auf diesem Wege erhielt die KPÖ-Führung wichtige Informationen über den Widerstand im Lande und im Konzentrationslager Auschwitz. Bis zu seiner Rückkehr nach Österreich arbeitete Meisel als Lehrer in der Antifaschule Krasnogorsk, wo österreichische Kriegsgefangene unterrichtet wurden. Im September 1945 kehrte Meisel nach Wien zurück und wurde als Landessekretär der KPÖ Niederösterreich aktiv – eine Funktion, die er bis Juli 1966 innehatte. In diesem Jahr wurde er zum Administrator der Pressearbeit der Partei bestellt. Bis 1969 gehörte er dem Zentralkomitee und damit dem höchsten Führungsgremium der KPÖ an. Wohnhaft war Meisel seit Anfang des Jahres 1946 in der Böcklinstraße im 2. Wiener Gemeindebezirk.

Als es in der KPÖ infolge des Einmarsches der Warschauer Vertragsstaaten in Prag im August 1968 zu internen Auseinandersetzungen kam, gehörte Meisel dem reformorientierten Parteiflügel an. Im Mai 1970 schied er einvernehmlich aus der Parteiarbeit aus. Im Oktober 1971 wurde Meisel aus der KPÖ, der er mehr als 45 Jahre angehört hatte, ausgeschlossen. Er war in weiterer Folge im Umfeld dissidenter KommunistInnen rund um die Zeitschrift „Wiener Tagebuch“ aktiv. Im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes war Meisel ehrenamtlicher Mitarbeiter. 1985 und 1986 erschienen zwei Erinnerungsbücher von ihm, die auf Interviews zurückgehen, die Franz West und Peter Lachnit mit ihm führten. Als Zeitzeuge war er ein Gesprächspartner in Schulen und bei politischen Veranstaltungen. Josef Meisel starb am 11. Februar 1993 in Wien.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

Merkel Georg (5.6.1881-24.11.1976) 

 

Georg Merkel wurde am 5. Juni 1881 in Lemberg (Galizien; polnisch Lwów, heute Lwiw, Ukraine) geboren. Durch die Unterstützung eines Freundes konnte der aus ärmlichen Familienverhältnissen stammende Merkel ein Kunststudium an der Kunstakademie in Krakau beginnen. Bereits nach dem ersten Studienjahr erhielt er die höchste Auszeichnung der Akademie, die „Silberne Medaille“. Dank eines Rothschildstipendiums setzte er 1906 in Paris sein Studium fort, kehrte jedoch nach mehrmonatigem Aufenthalt wieder zurück. 1907 trat er dem „Hagenbund“ in Wien bei.

1908 heiratete Merkel seine Schülerin Libussa Rosenblum, später Louise Merkel-Romée (1888–1977), deren Bruder Leon Rosenblum Landschaftsmaler war. Georg Merkel zog mit seiner Frau 1908 erneut nach Paris wo er bis 1914 blieb und studierte dort vor allem die französische Klassik und Cézanne. 1911 kam Sohn Karl zur Welt. Merkel war als Maler erfolgreich. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges kehrte er nach Wien zurück, meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst und rückte 1915 beim k. u. k. Infanterie-Regiment Nr. 4, den Hoch- und Deutschmeistern, ein. Nach einer chronischen Stirnhöhlenentzündung musste Merkel dreimal operiert werden was ihn für immer fast erblinden ließ und ihn schließlich dienstuntauglich machte. Nun wurde er zum Kriegs-Pressedienst versetzt. 1918 blieb Merkel in Wien, konnte aber totz guter Kritiken in den Zeitungen und einer Monografie von Hans Tietze und Ernst Buschbeck über seine Werke (1924) nur wenige Werke verkaufen.

Bereits kurz nach dem „Anschluss“ wurde er in einem Artikel über „entartete Kunst“ im „Völkischen Beobachters“ diffamiert. Dieser Artikel wurde unter anderem mit einem Bild von Merkel illustriert.

Mit 4. Juli 1938 wurden Georg Merkel von der Stadt Wien vertreten durch Dr. Hansjörg Thoenig seine Wohnungen bestehend aus zwei Zimmern, 2 Küchen, Vorraum, zwei Ateliers und Nebenräumen im seit 1928 bestehenden Gemeindebau Wien 13, Penzingerstraße 150-166 Stiege 21 Wohnung 8 und 9 mit Datum 1. August 1938 gekündigt. Schlussendlich dürfte sich die Übergabe der Räume bis 1. September verzögert haben, da aus seinem Meldezettel hervorgeht, dass er sich mit 27. August 1938 nach Paris abgemeldet hatte.

Merkel versuchte erst bei einer Ausstellung in Mährisch-Ostrau seine Bilder zu verkaufen. Von Mährisch-Ostrau aus reiste er nach Paris, wo er im August 1938 eintraf; seine Frau und sein Sohn folgten drei Monate später.

In Paris stellte Merkel seine Bilder in der renommierten Galerie Zak aus, wobei u.a. der französische Staat ein Bild für das Museum Jeu de Paume erwarb. Bei Kriegsbeginn 1939 wurden Georg Merkel und sein Sohn Karl als „feindliche Ausländer“ interniert. Beide konnte das Lager jedoch bald verlassen. Im Mai 1940 wurde Georg Merkel im Mai in den Lagern Montrouge im Süden von Paris, danach im Spital des Forts de Bicêtre nahe Paris interniert. Kurz vor der Kapitulation Frankreichs wurde Georg Merkel in das Lager Le Vernet im Süden Frankreichs überstellt. Dort lernte er den Wiener Lehrer Bruno Furch sowie den steirischen Bauern Franz Kummer kennen, die zu überleben halfen. Dass er Ende September 1940 nach drei Monaten das Lager wieder verlassen durfte, führte Merkel auf eine Initiative von Hermann Broch zurück. Merkel sollte sich in Montauban den Behörden zur Verfügung halten.

Im Oktober 1940 reiste seine Frau illegal aus Paris nach Montauban. Sohn Karl, der sich nach seiner Freilassung als „Prestataire“ meldete, als Freiwilliger zum Dienst ohne Waffe in der französischen Armee, stieß nach dem Ende seines Einsatzes ebenfalls zu den Eltern in Montauban. Finanzielle Unterstützung erhielt die Familie von den Quäkern. Um die Wohnung und das Atelier in Paris aufzulösen musste Louise Merkel-Romée illegal nach Paris reisen wo soe verhaftet wurde und eine dreimonatige Strafe im Militärgefängnis Cherche-Midi zu verbüßen hatte. Während Louises Haft erhielten Vater und Sohn Merkel einen Ausweisungsbescheid aus der Stadt Montauban, der jedoch wieder zurückgezogen wurde.

Durch Louises Haft scheiterte 1941ein Ausreiseversuch. Auch eine zweite Möglichkeit, Frankreich offiziell zu verlassen und in die Schweiz auszuwandern im Herbst 1942 kam zu spät, da Frankreich die Ausreise nicht mehr genehmigte. Das Ehepaar Merkel fand Unterschlupf in einem Privatkrankenhaus, das von der Gestapo durchsucht wirde und nicht mehr als Zuflucht dienen konnte.

Das Ehepaar Merkel verließ Montauban und versteckte sich vom November 1942 bis August 1944, der Befreiung Frankreichs durch die Alliierten, in einem abgelegenen Bauernhaus in Fontneuve nahe Montauban.

Nach der Befreiung arbeitete Merkel in Paris und Cagnes. 1948 erhielt Merkel die französische Staatsbürgerschaft. 1951 wurde ihm eine Atelierwohnung in Paris Plessis Robinson im fünften Stock ohne Lift angeboten, in der das Ehepaar Merkel 20 Jahre blieb. Erst nach einer schweren Erkrankung von Louise zogen sie 1972 nach Wien, wo sie eine Gemeindewohnung im 10. Bezirk erhielten. Für ihre finanzielle Unterstützung sorgten auf Initiative des Schriftstellers Friedrich Torberg der damalige Unterrichtsminister Leopold Gratz, Bundeskanzler Bruno Kreisky und Vize-Bürgermeisterin Gertrude Fröhlich-Sandner.

Der Künstler wurde in seiner Heimat mehrfach geehrt. Vor seiner Emigration bekam er den Julius-Reich-Künstlerpreis (1930) sowie den Österreichischen Staatspreis (1936). Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt Merkel 1961 den Berufstitel „Professor“, den Preis der Stadt Wien und wurde Ehrenmitglied des Wiener Künstlerhauses sowie der Wiener Secession, der er seit 1945 angehörte. 1971 wurde ihm das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse verliehen. Mit 93 Jahren wurde er zum „Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres“ ernannt.

Georg Merkel verstarb am 24. November 1976 in Wien und wurde in einem Ehrengrab der Stadt Wien bestattet. In Wien wurde im 22. Bezirk am 31. Jänner 1985 eine Gasse nach ihm benannt.

 

Verfasserin: Ursula Schwarz

Mezei Margarethe (2.11.1899-11.1.1993), Maurus (20.11.1886-1944), Kurt (13.5.1924-12.4.1945), Ilse (13.5.1924-12.3.1945) 

 

Maurus (Moritz) Mezei wurde am 20. November 1886 in Stinkenbrunn (Burgenland) geboren. Er war seit dem 29. Juli 1923 mit Margarethe Neufeld, die am 2. November 1899 in Wien geboren wurde, verheiratet. Das Ehepaar Mezei hatte zwei Kinder, die Zwillinge Ilse und Kurt, die am 13. Mai 1924 geboren wurden. Sie besuchten die Volks­schule und das jüdische Gymnasium in Wien. Maurus Mezeis politische Einstellung war sozialdemokratisch. Er war langjähriger Mitarbeiter im Vorwärts-Verlag, der unter anderem die Arbeiter-Zeitung, das Kleine Blatt und die Zeitschrift „Der Kuckuck“ herausgab. Auch in den Jahren 1934 bis 1938 hatte er die Verbindung mit den illegal arbeitenden Parteifreunden aufrechterhalten. Margarethe Mezei war vor ihrer Heirat Leiterin der Speditionsabteilung einer Chemiefirma. In den 1930er Jahren schrieb sie Artikel in der Arbeiterzeitung und gemeinsam mit ihrem Mann.

Familie Mezei bezog am 1. März 1929 eine Wohnung mit Zimmer, Küche, 2 Kabinette (Größe 75 m2) auf Stiege 38 im 2. Stock Tür 4 des neuerrichteten Gemeindebaus in der Heiligenstädterstraße, dem Karl-Marx-Hof. Davor hatten sie im zweiten Bezirk, Förstergasse 10 gewohnt. Am 30. Juni 1938 wurde beim Bezirksgericht Döbling die Aufkündigung der Wohnung von Moritz Mezei im 19. Bezirk Heiligenstädterhof Stiege 38, Tür 4 beantragt. Die Wohnung sollte am 1. August 1938 um 12 Uhr mittags bei sonstiger Exekution der Stadt Wien geräumt übergeben werden.

Moritz Mezei legte daraufhin am 8. Juli 1938 Einspruch gegen die Kündigung ein und bat um eine Fristverlängerung um einen Monat, da er bald auswandern würde. Außerdem wies er auf seine Verdienste als Offizier an der russischen Front im Ersten Weltkrieg hin. Auch seine Frau Margarethe habe im Krieg als freiwillige Krankenschwester im Reservespital im Trencsin-Teplitz gewirkt. Da dem Einspruch nicht stattgegeben wurde, wurde die Wohnung laut handschriftlichem Vermerk des Hausinspektors Josef Zohles am 5. August 1938 „ohne Beanstandungen“ übergeben. Die ganze Familie zog im August 1938 in den Zweiten Bezirk, Förstergasse 10 zu Johan­na Neufeld, der Mutter Margarethe Mezeis. 1942 mussten Margarethe, Ilse und Kurt Mezei in eine Sammelwohnung im 2. Bezirk, Förstergasse 5 umziehen, wo auch der Bruder Margarethe Mezeis, Leopold Neufeld und seine Frau Emma wohnten.

Moritz und Margarethe Mezei versuchten, gemeinsam mit ihren Kindern in die USA auszuwandern, sie standen jedoch nur auf der Warteliste.

Maurus Mezei floh daraufhin im Oktober 1938 nach Ungarn, wurde im Dezember 1938 oder Jänner 1939 in Budapest verhaftet und nach Bruck an der Leitha abgeschoben. Dort war er im Polizeigefängnis zur Verfügung der Gestapo inhaftiert, wur­de mehrfach verhört und erneut nach Budapest abgeschoben, wo er wieder inhaftiert war. Im Mai 1939 gelang ihm die Flucht nach Italien. 1940 wurde er im Lager Urbi­sag­lia interniert und am 5. April 1944 schließlich aus dem Lager Fossoli nach Au­schwitz deportiert, wo er ermordet wurde. Dr. Paul Pollak, der mit ihm in Italien interniert und am Transport nach Auschwitz war beschreibt die Situation folgendermaßen:

Ich war mit Herrn Mezei aus Wien seit Juli 1940 immer zusammen. Zunächst im geschlossenen Konzentrationslager Urbisaglia (Privinz Macerata) in Italien. Von dieser wurden wir im März 1944 durch die SS über das Lager Fossoli mit einem Sammeltransport in das Konzentrationslager Auschwitz verschafft.  Herr Maurus Mezei war mein bester Freund […] das wichtigste war, dass bis Ende März 1943 unsere beiden Familien in Wien sehr intim miteinander verkehrten, und dass nachher, nachdem meine Familie deportiert wurde, ich von der Familie Mezei über diese Nachrichten bekam. […] Auch in Auschwitz kamen wir täglich zusammen. Ende September 1944 wurde Herr Mezei mit vielen anderen Häftlingen einer so genannten Selektion unterzogen, und als minder arbeitsfähig „auf Transport gesendet“ […] De facto wurde seit 1. Oktober 1944 keiner der Ausgesuchten mehr lebend gesehen.
Bericht von Hofrat Dr. Paul Pollak, 17.7.1952, DÖW Historische Sammlungen Sig. 21.304

Maurus Mezei wurde durch Entscheidung des Landesgerichts Wien vom 19. August 1953 für tot erklärt.

Die gemeinsamen Kinder blieben bei der Mutter in Wien. Margarethe Mezei arbeitete ab 15. Juli 1939 als Schreibkraft in der Finanzabteilung beim Ältestenrat der Juden in Wien.  Ilse Mezei besuchte das Chajesrealgmnasium des Vereins „Jüdisches Realgymnasium“ in Wien und hatte im Schuljahr 1937/38 ein ausgezeichnetes Zeugnis. Nach dem „Anschluss“ besuchten Ilse und Kurt Mezei weiter das Chajesgymnasium, mussten dieses jedoch 1939, als das Gymnasium geschlossen wurde, verlassen und hatten daher keinen Schulabschluss. Die Zwillinge versuchten nun sich in Umschulungskursen weiterzubilden und begannen bei der Kultusgemeinde zu arbeiten. Ilse arbeitete als Telefonistin beim Ältestenrat der Jüdischen Gemeinde.

Kurt machte eine Umschulung zum Elektrotechniker und wurde Mitarbeiter des Technischen Amts der Israelitischen Kultusgemeinde. Durch diese Arbeitsstellen waren sowohl die Mutter als auch die Kinder vorerst geschützt. 1941 wurden alle Umschulungskurse eingestellt.

Ilse Mezei starb am 12. März 1945 bei einem Fliegerangriff im oberen Keller der Kultusgemeinde in der Seitenstettengasse 4, in den sie sich gemeinsam mit ihrer Mutter geflüchtet hatte.

Margarethe Mezei überlebte schwer verletzt und befand sich bis Kriegsende im jüdischen Spital in der Malzgasse. Das Begräbnis von Ilse Mezei fand am 23. März 1945 am 4. Tor des Zentralfriedhofes statt.

Kurt Mezei arbeitete weiterhin für den Ältestenrat. Er hatte sich kurz vor Kriegsende 1945 mit anderen Jüdinnen und Juden in einem Keller in der Förstergasse 7 (Wien-Leopoldstadt) versteckt und wurde am 12. April 1945 in der Förstergasse  gemeinsam mit acht weiteren untergetauchten Personen von SS-Angehörigen erschossen.

Margarethe Mezei überlebte den Krieg. Sie starb am 11. Jänner 1993 in Wien und wurde am Zentralfriedhof beerdigt.

Ihre Mutter Johanna Neufeld, geb. Steiner, geb. am 2. Februar 1869 in Trencin-Teplitz (Tschechische Republik) lebte ebenfalls in der Förstergasse 5. Sie wurde am 9. Oktober 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort befreit. Johanna Neufeld starb am 2. April 1953 in Wien und wurde am Zentralfriedhof, Tor 4 beerdigt. Margarethe Mezei und ihre Mutter hatten nach dem Krieg einen gemeinsamen Haushalt geführt.

 

Verfasserin: Ursula Schwarz

Mithlinger Johann (31.7.1898-7.6.1944), Johann jun. (22.2.1925-2002) 

 

Am 4. August 1945, wenige Wochen nach der Befreiung Wiens durch die Rote Armee, wurde die Städtischen Wohnhausanlage Neilreichgasse 100 in Wien-Favoriten, die so genannte „Rasenstadt“, nach Johann Mithlinger benannt. Die „Rasenstadt“ war damit die erste Wiener Wohnanlage, die an einen hingerichteten antifaschistischen Widerstandskämpfer erinnerte. An der Benennungsfeier nahmen etwa 1.500 Personen teil, darunter Bürgermeister Theodor Körner (SPÖ) und der Favoritner Bezirksvorsteher (damals „Bezirksbürgermeister“) Karl Kempf (KPÖ) teil. Als Redner trat bei der Veranstaltung auch sein Sohn, Johann Mithlinger jun., auf, der ebenso wie sein Vater im antifaschistischen Widerstand aktiv und inhaftiert gewesen war. Die Benennung des Gemeindebaus wurde am 15. Februar 1949 vom Gemeinderatsausschuss für Kultur bestätigt („Johann-Mithlinger-Siedlung“ bzw. „Mithlingerhof“). Neben einer Gedenktafel für Johann Mithlinger wurde eine zweite Tafel angebracht, auf der die Namen von zwölf weiteren Männern zu lesen sind, die in der „Rasenstadt“ wohnhaft waren und im Kampf gegen den Faschismus ihr Leben lassen mussten.

Johann Mithlinger wurde am 31. Juli 1898 als ältestes von vier Kindern in Wien geboren. Sein 1878 geborener Vater Vinzenz stammte aus dem tschechischen Pardubitz (Pardubice), seine Mutter Maria (geb. Preinreich) wurde im gleichen Jahr in Wien geboren. Mithlinger absolvierte eine kaufmännische Lehre und arbeitete danach als Praktikant in einer Eisen- und Metallwarenfirma. Im Mai 1916 rückte er zur k.u.k. Armee ein und war an den Kämpfen am Isonzo beteiligt. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Mithlinger in die Volkswehr bzw. das 1920 neu geschaffene Bundesheer übernommen, aus dem er 1929 – im Alter von 31 Jahren – als Stabsfeldwebel ausschied. 1919 wurde er Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, der er bis zu ihrem Verbot im Jahr 1934 angehörte. Am 20. August 1920 heiratete er die 1898 in Semich (Zeměchy) an der Laun (Louny) in Böhmen geborene Maria Wurscher. Wenige Monate danach – am 22. Oktober 1920 – kam Tochter Maria zur Welt, am 22. Februar 1925 folgte ihr Sohn Johann.

Nachdem er aus dem Heeresdienst ausgeschieden war, arbeitete Mithlinger bei der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien. Bis Dezember 1930 war die Familie am Wielandplatz bzw. am heute nicht mehr existierenden (weil 1960 verbauten) Nothnagelplatz (heute Gußriegelstraße) in Wien-Favoriten, danach zogen die Mithlingers in die neu gebaute Wohnhausanlage „Rasenstadt“ auf dem Hügelrücken des Wienerbergs. Die Wohnung in der Neilreichgasse 100 bzw. Ernst-Ludwig-Straße 2 (Stiege 3) bestand aus zwei Zimmern, einem Kabinett und den Nebenräumen. Seit 1929 war Mithlinger Kommandant eines Schutzbundregiments in Wien-Favoriten. Wegen Teilnahme an den Februarkämpfen des Jahres 1934 wurde er drei Wochen lang in Polizeiarrest genommen. Von der Zentralsparkasse entlassen, folgten Jahre der Arbeitslosigkeit bis 1938.

1936 wurde Mithlinger in der illegalen KPÖ aktiv, wurde jedoch im selben Jahr zur Tarnung auch Mitglied der „Vaterländischen Front“. Er gehörte der Bezirksleitung der „Sozialen Arbeitsgemeinschaft“ (SAG) an, die vom austrofaschistischen Regime als „Auffangbecken“ für die illegale Arbeiterbewegung ins Leben gerufen worden war und u.a. Angehörigen der KPÖ als legale Plattform ihrer politischen Aktivitäten diente. 1937 wurde Mithlinger mit drei Monaten Anhaltelager bestraft. Er kam am 22. Dezember dieses Jahres aus der Haft frei.

Am 16. März 1938, wenige Tage nach dem „Anschluss“ Österreichs, wurde Mithlinger als polizeibekannter Kommunist drei Monate in Schutzhaft genommen. In den Jahren 1939 und 1940 war er Abteilungsleiter beim Arbeitsamt. Seine Frau Maria leitete bis 1939 eine Kantine. Als im Februar 1941 vom Personalamt der Wiener Gemeindeverwaltung die Wiedereinstellung Mithlingers als Kanzleiangestellter geprüft wurde, charakterisierte ihn die Kreisleitung der NSDAP als „gehässigen Gegner der NSDAP“ und als „politisch unverlässlich“, weshalb seine Einstellung abgelehnt wurde. Seit Juli 1941 war Mithlinger als Inkassant beim Zeitungsvertriebsunternehmen Morawa beschäftigt. Im Mitte Jänner 1942 rückte er als Stabsfeldwebel zur Wehrmacht ein.

Johann Mithlinger wurde am 16. Dezember 1942 im Zuge einer groß angelegten Aktion der Gestapo gegen die KPÖ festgenommen. Ihm wurde vorgeworfen seit Herbst 1940 am Wiederaufbau der illegalen KPÖ in leitender Stellung beteiligt gewesen zu sein, wobei er vor allem mit Karl Baubelik und Emil Vorreiter, der ebenso wie Mithlinger in der „Rasenstadt“ wohnte, eng zusammenarbeitete. Nach 1945 wurde Mithlinger von der KPÖ als Mitglied ihrer Inlandsleitung im Jahr 1942 ausgewiesen. Er war u.a. auch für die Herausgabe eines Flugblatts verantwortlich, das 1942 mit „Zentralkomitee der freien österreichischen Frontsoldaten“ gezeichnet war. Mithlinger wurde am 29. September 1943 vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat und wegen Feindbegünstigung zum Tode verurteilt und am 7. Juni 1944 im Wiener Landesgericht hingerichtet.

Ebenso in Fänge der Gestapo und der NS-Justiz geriet Johann Mithlingers gleichnamiger Sohn, der am 14. Juli 1941 als 16-Jähriger wegen kommunistischer Betätigung festgenommen wurde und bis November 1942 inhaftiert blieb. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme arbeitete Johann Mithlinger jun. als Büropraktikant. Er war bei einem Treffen der KPÖ-Funktionäre Rudolf Fischer, Alois Hudec und Walter Suess anwesend gewesen, wohin er im Auftrag von Leopold Weinfurter, der die KPÖ-Zelle bei Brown-Boveri in Favoriten leitete, gegangen war. Inhalt dieser Besprechung war die Herstellung von Flugblättern. Nach fast einem Jahr Haft im Gefangenhaus Margareten am Mittersteig wurde Mithlinger im Juni 1942 wegen Vorbereitung zum kommunistischen Hochverrat angeklagt und ins Wiener Landesgericht überstellt. Am 8. Oktober 1942 wurde er vom Oberlandesgericht Wien jedoch nicht wegen Hochverrats, sondern wegen „Nichtanzeige eines hochverräterischen Unternehmens“ verurteilt, weshalb er mit einem Jahr Gefängnis davonkam. Die Haft war zu diesem Zeitpunkt bereits verbüßt. Nach einem weiteren Monat Polizeihaft im Gefangenhaus Margareten kam er am 10. November 1942 frei.

Im April 1945 ergriff der erst 20-jährige Johann Mithlinger die Initiative zur Gründung einer „politischen Polizei“ in Favoriten, in der er bis Mai mitwirkte. Er wurde als Beamter in die Wiener Polizeidirektion aufgenommen und wechselte 1947 zur Wiener Sicherheitswache. Bis 1948 blieb er in der elterlichen Wohnung in der „Ra­senstadt“ wohnhaft, dann übersiedelte er in die Thomas-Münzer-Gasse in Favoriten.

Johann Mithlinger jun. fand in den folgenden Jahrzehnten als Sportfunktionär breite Anerkennung. Er war zunächst Schriftführer des 1949 gegründeten Allgemeinen Landessportverbandes Niederösterreich (ALSN), des niederösterreichischen Landesverbands des Allgemeinen Sportverbandes Österreichs (ASVÖ), ab 1957 Vizepräsident und ab 1975 Präsident (und 1991 Ehrenpräsident) des Verbands. Zugleich war er Vizepräsident des Bundesverbands, Präsident des Niederösterreichischen Gewichtheberverbands und des Wiener Amateurboxverbands sowie Mitbegründer des Niederösterreichischen Federballverbands (später Badminton-Verband). Damit war Mithlinger einer der hochrangigsten Sportfunktionäre aus den Reihen der KPÖ. Er war Mitglied des Österreichischen Bundessportrats und des Sporttoto-Beirats. Nach seinem Tod im Jahr 2002 wurde die ALSN-Sportschule in Prein an der Rax in „Johann-Mithlinger-Sportschule“ umbenannt. Seine Schwester Maria Mithlinger wohnte bis zu ihrem Tod im Jahr 2010 in der Wohnung der Eltern im Mithlingerhof.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

 

Rosenberg Franziska (18.5.1877-24.7.1938), Julie (1900-24.7.1938) 

 

Franziska Rosenberg wurde am 18. Mai 1877 als erste von zwei Töchtern des ungarisches Kaufmannes Samuel Karpati (Karpathy) und seiner Frau Eugenie (Jenny) in Zagreb geboren. Die Familie übersiedelte nach Wien, wo sie sich in der Leopoldstadt niederließ. Hier heiratete Franziska Karpati am 20. Mai 1897 im Leopoldstädter Tempel den um sechs Jahre älteren Handelsreisenden Eduard Rosenberg. 1898 wurde ihr Sohn Albert geboren, 1900 folgte die Geburt der Tochter Julie. 1907 ließ sich das Ehepaar scheiden. Franziska Rosenberg übersiedelte mit ihrer Tochter Julie zu ihrer seit einem Jahr verwitweten Mutter Eugenie Karpati, später zogen Franziska und Julie Rosenberg in eine Wohnung in Wien-Alsergrund. Im April 1927 erhielt Franziska Rosenberg eine Gemeindebauwohnung in der Marktgasse 5–7, Stiege 1, Tür 3 im Thuryhof in Wien-Alsergrund. Die Wohnung bestand aus einer Wohnküche und einem weiteren Zimmer und war knapp 46m2 groß.

Am 1. Juli 1938 kündigte das Wiener Wohnungsamt die Gemeindebauwohnung von Franziska Rosenberg mit 1. August 1938. Franziska Rosenberg erhob eine Einwendung gegen die Kündigung, da sie sich „infolge meiner schweren Krankheit“ nicht imstande sah, „zu übersiedeln oder eine Wohnung zu suchen“. Für den Fall einer Ablehnung bat sie zumindest um Aufschub der Frist um drei Monate, was das Bezirksgericht Josefstadt am 12. Juli jedoch ebenfalls ablehnte.

Wie etwa 1100 weitere Wiener Jüdinnen und Juden, die angesichts der Verfolgung durch das NS-Regime zwischen 1938 und 1945 Suizid verübten, nahmen sich Franziska Rosenberg und ihre Tochter Julie am 24. Juli 1938 das Leben. Sie starben durch eine selbst zugefügte Leuchtgasvergiftung.

 

Verfasser: Wolfgang Schellenbacher

Schleifer Alice (1.6.1922-19.4.2000)

 

Alice Schleifer wurde am 1. Juni 1922 in Wien geboren. Ihr Vater Eduard Schleifer stammte aus einer kinderreichen jüdischen Familie aus Steyr und war Dreher und Werkzeugschlosser. Ihre Mutter, Anna Schleifer, geb. Kohn stammte aus einer religiösen jüdischen Familie aus Niederösterreich. Alice Schleifer war Einzelkind und beschrieb ihr Elternhaus als „sehr lieb“ und „harmonisch“, in der sie als „wohlgehütetes ‚Baby‘ erwachsen“ wurde. Ihre ersten Lebensjahre wuchs sie in der Alser Straße in Wien-Alsergrund auf, 1925 bezog die Familie eine Gemeindebauwohnung im soeben errichteten Winarskyhof in der Stromstraße 36-38/11/10 in Wien-Brigittenau. Die Wohnung bestand aus einem Zimmer, einem Kabinett, einer Küche und einem Vorraum. Ihr Vater arbeitete als Schlosser und Motorführer bei den Wiener städtischen Straßenbahnen, engagierte sich für die Sozialdemokratische Partei und war Mitglied des Republikanischen Schutzbundes. Alice Schleifer wuchs demensprechend in einem sozialdemokratischen Arbeitermilieu auf: Sie war Mitglied bei den Kinderfreunden, später beim Arbeiter-Turnverein, wurde nicht religiös erzogen und besuchte keinen Religionsunterricht. Nach der Volksschule absolvierte sie die Hauptschule in der Stromstraße und besuchte zusätzlich eine Montessori-Nachmittagsschule.

Als 11-Jährige erlebte Alice Schleifer die Februarkämpfe 1934 im Winarskyhof. Vor dem Gemeindebau waren bereits Kanonen aufgestellt, zu einem Beschuss des Hofes kam es jedoch nicht. Der Zusammenhalt der Mieter*innen in ihrem Gemeindebau sowie die Zerstörungen anderer Gemeindebauten in Wien durch den Beschuss der Regierungstruppen hinterließen einen tiefen Eindruck bei Alice Schleifer. Bekannte ihrer Eltern, eine fünfköpfige Familie aus dem Paul-Speiser-Hof in Floridsdorf, deren Wohnung im Zuge der Februarkämpfe 1934 durch Mienenwerfer völlig zerstört wurde, kamen vorübergehend in der Wohnung der Familie Schleifer unter.

In der Zeit des „Austrofaschismus“ erlebte Alice Schleifer die Veränderung des sozialen Zusammenhalts im Gemeindebau:

Man ist misstrauisch geworden. Den Eindruck habe ich eigentlich schon gehabt – so jung ich auch war. Es war nicht mehr dieselbe Offenheit wie sie bis zum Jahr 1934 war.
DÖW-Interviewsammlung Nr. 326, Interview mit Alice Rusz, 1986

Die einzige christlich-soziale Mieterin auf ihrer Gemeindebaustiege, eine ältere Dame, begann der Polizei Zusammenkünfte von Sozialdemokrat*innen zu melden. Auch ihr Vater, der sich nach dem Februar 1934 für die Verbreitung der illegalen Zeitschrift „Das Kleine Frauenblatt“ engagierte, wurde durch eine Denunziation dieser Nachbarin ebenfalls bei der Polizei vorgeladen, jedoch nicht inhaftiert.

1936 führte bei Alice Schleifer eine schwere Verkühlung zu einem Lungenleiden. Sie wurde in die Heilstätte Strengberg bei Puchberg am Schneeberg geschickt. Im März 1938 wurde ihr Vater, der nun als „Jude“ galt, fristlos entlassen und war arbeitslos. Im Zuge der Massenkündigungen „nichtarischer“ Mieterinnen durch die Wiener Stadtverwaltung Ende Juni 1938 wurde auch Eduard Schleifer und seiner Familie die Wohnung mit Ende Juli 1938 gekündigt. Einsprüche von Eduard Schleifer gegen die Kündigung führten zu einem gerichtlichen Vergleich, der die Räumungsfrist bis November 1938 verlängerte.

Im Zuge des Novemberpogroms 1938 wurde Alice Schleifers Vater in seiner Wohnung durch den NS-Ortsgruppenleiter festgenommen und im „Notarrest“ in der Karajangasse für drei Tage inhaftiert. Anschließend wurde er ins Polizeigefangenenhaus an der Rossauer Lände überstellt. Während seiner etwa 4-wöchigen Haft bewilligte das Amtsgericht Leopoldstadt am 22. November endgültig die zwangsweise Räumung der Wohnung. Alice Schleifer und ihre Mutter mussten die Wohnung endgültig verlassen. Alice Schleifer beschrieb diesen Auszug aus der Familienwohnung und die Haltung zweier Nachbar*innen auf ihrer Stiege, die sich nun zum Nationalsozialismus bekannten – unter ihnen auch die vormals Christlich-Soziale Nachbarin:

Wie sehr sie sich gefreut haben darüber, dass wir ausziehen mussten. [...] voller Überzeugung haben sie sich gefreut darüber. Wir waren 14 Parteien im Haus (in der Stiege) und das waren eigentlich die zwei, die sehr dafür waren, dass wir ausziehen mussten. Die anderen 12 waren sicher dagegen. [...] Und die anderen zwei haben sich richtig in Pose gestellt und haben eben gesagt, ‚es ist höchste Zeit, dass dieses jüdische Gesindel auszieht.‘ Das sind die Worte, die ich heute noch im Ohr habe.
DÖW-Interviewsammlung Nr. 326, Interview mit Alice Rusz, 1986

Alice Schleifer und ihre Mutter waren bei der Suche nach einer neuen Wohnung gezwungen, Hausbesitzer zu finden, die noch Juden aufnahmen. Sie konzentrieren sich dabei auf die Leopoldstadt, die bereits vor 1938 mit mehr als einem Drittel der BewohnerInnen einen hohen jüdischen Bevölkerungsanteil aufwies. Wie erniedrigend diese Suche war, beschrieb Alice Schleifer Jahre später in einem Erinnerungsbericht:

Wenn ich mich an die demütigenden Wege zurück erinnere, dieses von Haus zu Haus gehen, ‚nehmen sie Juden als Mieter in ihr Haus auf‘, dann darf ich wohl sagen, mir ist, als würde mir heute noch ein Stück aus meiner Seele gerissen werden.
DÖW 50104/767, Lebenslauf von Alice Rusz

Alice Schleifer und ihre Mutter fanden schließlich Anfang Dezember 1938 eine Gemeinschaftswohnung in der Taborstraße 7, die sie mit acht Personen aus ihrem Bekanntenkreis teilten. Auch Eduard Schleifer wohnte dort nach seiner Haftentlassung.

Nachdem Alice Schleifers Ausbildung durch ihre Lungenkrankheit unterbrochen wurde und sie aufgrund des „Anschlusses“ keine Ausbildung mehr machen durfte, nahm sie an Umschulungskursen der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien für „Maniküre und Friseur“ teil. Die Familie bemühte sich vergeblich darum, ihre Ausreise nach England, den USA oder nach Palästina zu organisieren und suchte bei der IKG Wien um Unterstützung für die Fahrtkosten an.

Während eines illegalen Aufenthaltes bei Verwandten in Steyr Anfang 1941 erhielt sie die Nachricht, dass sie und ihre Eltern sich im Sammellager in der Castellezgasse zur Deportation einfinden mussten. Am 19. Februar 1941 wurden Alice, Anna und Eduard Schleifer von Wien nach Kielce deportiert. Im selben Transport befand sich der 39-jährige Verkäufer Otto Rusz mit seiner Mutter.

Alice Schleifer lernte ihn auf dem Transport kennen, im Ghetto entstand daraus eine Beziehung. In Kielce war Otto Rusz war bei der Ghettowache beschäftigt. Im Zuge der Räumung des Ghettos im August 1942, bei der mehr als 20.000 Juden und Jüdinnen nach Treblinka deportiert und ermordet wurden, waren Ehepaare von „Ordnungsdienstleuten“ vom Transport ausgenommen. Um Alice Schleifer zu schützen, heirateten Otto Rusz und Alice Schleifer daher in einer Sammelhochzeit in Kielce. Während Alice Schleifer, ihr Mann und ihr Vater im Ghetto zurückbleiben konnten, wurde ihre Mutter nach Treblinka deportiert und dort ermordet.

Alice Schleifer, Eduard Schleifer und Otto Rusz leisteten in Kielce-Ludwigshütte Zwangs­arbeit. Anfang August 1944 wurden alle drei nach Auschwitz deportiert, wo Alice Schelifers Vater ermordet wurde. Alice Schleifer wurde von Auschwitz nach Ravensbrück und schließlich ins Außenlager Malchow überstellt, wo sie die Befreiung erlebte. Nach Kriegsende kehrte sie nach Wien zurück.

Otto Rusz wurde von Auschwitz nach Bergen-Belsen überstellt und von dort im März 1945 nach Dachau transportiert, wo er befreit wurde. Nach seiner Rückkehr nach Österreich im Herbst 1945 ließen sich Alice und Otto Rusz wieder in Wien nieder und gründeten eine Familie. In späteren Jahren engagierte sich Alice Rusz in der Lagergemeinschaft Ravensbrück. Sie starb am 19. April 2000 im Alter von knapp 78 Jahren in Wien.

 

Verfasser: Wolfgang Schellenbacher

 

Schmidt Ludwig (27.11.1913-14.1.1943) 

 

Ludwig Schmidt wurde am 27. November 1913 in Wien geboren. Sein 1890 geborener Vater Josef kam mit einem schweren Niederleiden aus dem Ersten Weltkrieg zurück und arbeitete als Straßenbahnschaffner. Seine 1887 geborene Mutter Rosa (geborene Kovar) kümmerte sich um den Haushalt. Schmidt wuchs in der Selzergasse 40 im damaligen 14. Bezirk (Rudolfsheim) auf (heute 15. Bezirk, Rudolfsheim-Fünfhaus). Im September 1924 bezogen Schmidts Eltern eine Gemeindewohnung im eben fertiggestellten Franz-Kurz-Hof in der Spallartgasse 26–28 (Stiege 1) in Breitensee im damaligen 13. Bezirk (heute liegt der Gemeindebau im 14. Bezirk). Die Wohnhausanlage mit 80 Einheiten gehört damit zu den frühen Gemeindebauten des Roten Wien, die im ersten Jahr des Wohnbauprogramms errichtet wurden.

Nach der Pflichtschule begann Ludwig Schmidt eine Lehre als Kontorist und arbeitete bis 1933 als kaufmännischer Angestellter. Danach war er arbeitslos. Sein Vater Josef Schmidt gehörte der Sozialdemokratischen Partei an, und auch Ludwig wurde in der Sozialistischen Arbeiterjugend und der Gewerkschaftsjugend aktiv. Er wollte sich in den Februartagen des Jahres 1934 aktiv an den Kämpfen beteiligen, wurde aber von den Schutzbündlern nach Hause geschickt. Nach der Februarniederlage schloss sich Schmidt dem illegalen Kommunistischen Jugendverband (KJV) an, gehörte zunächst dessen Bezirksleitung in Hietzing an und wurde in den folgenden Jahren zu einem der führenden Funktionäre des Verbands.

Ende November 1934 wurde Ludwig Schmidt verhaftet und vom Bezirkspolizeikommissariat Hietzing mit sechs Wochen Polizeiarrest bestraft. Mit Bescheid des Polizeipräsidenten der Stadt Wien vom 21. Dezember 1934 wurde Schmidt „zwecks Hintanhaltung von Störungen der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit zum Aufenthalt in einem Anhaltelager auf die Dauer von 3 Monaten, gerechnet ab 9.12.1934, verhalten“. Am 18. März 1935 wurde er aus dem Anhaltelager Wöllersdorf entlassen. In seiner Abwesenheit war Schmidt im Februar 1935 auf der Reichskonferenz des KJV in dessen Zentralkomitee gewählt worden.

Im August 1935 wurde Ludwig Schmidt nach Moskau an die Internationale Lenin-Schule entsandt, wo er bis Februar 1937 unter dem Decknamen „Willi Ziegler“ studierte. In Moskau nahm er im September bzw. Oktober 1935 als Delegierter des KJV am 6. Kongress der Kommunistischen Jugendinternationale teil. Im März 1937 wurde er auf der im Prager Exil stattfindenden Reichskonferenz erneut ins Zentralkomitee des KJV gewählt. In diesem Monat kehrte Schmidt zur politischen Arbeit nach Wien zurück und wohnte wieder bei seinen Eltern in der Gemeindewohnung in der Spallartgasse. Er fungierte als Kreisleiter im kommunistischen Widerstand, wurde jedoch im Juli 1937 verhaftet und mit drei Monaten Polizeiarrest bestraft. Das Strafverfahren gegen ihn wurde im Dezember 1937 eingestellt. Ab diesem Zeitpunkt hielt sich Schmidt bis März 1938 in Prag bei der KPÖ-Führung auf, wo er für Jugendfragen zuständig war.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 war Ludwig Schmidt mehrmals zwischen Wien und Prag bzw. Wien und Paris unterwegs, wo sich seit Oktober 1938 die Exilführung der KPÖ aufhielt. Nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in Österreich im April 1939 kehrte reiste er im August 1939 – kurz vor Kriegsbeginn – erneut im Auftrag der Parteiführung von Paris nach Wien, um hier eine zentrale Leitung der KPÖ aufzubauen. Mit einem niederländischen Pass auf den Namen „Harald Don“ ausgestattet wohnte Schmidt illegal (also unangemeldet) beim Heizer Alois Stuppäck in der Mandlgasse 25–27 im 12. Bezirk (Meidling). Unter Schmidts Leitung wurden Kontakte zu illegalen Parteiorganisationen in den Bundesländern geknüpft und die so genannte „Provinzkommission“ der KPÖ wiederaufgebaut. Darüber hinaus schuf er einen technischen Apparat zur Herstellung und Verbreitung kommunistischer Flugschriften, die er teilweise selbst verfasste.

Nach wochenlangen Observationen durch die Gestapo wurde Ludwig Schmidt am 9. Dezember 1939 in Meidling auf offener Straße festgenommen. Auch sein Quartiergeber Alois Stuppäck und dessen Lebensgefährtin Aloisia Glinz wurden am selben Tag festgenommen. Deren Hund wurde dem Tierschutzhaus übergeben. Bei der Hausdurchsuchung wurden mehrere Manuskripte für kommunistische Flugschriften gefunden. Insgesamt wurden bei dieser gegen die KPÖ gerichteten Aktion der Gestapo mehr als 200 AktivistInnen der Partei verhaftet und letztlich 166 wegen Vorbereitung zum Hochverrat angezeigt, darunter etwa Josef Wipplinger, Josef Hager, Karl Lang, Theodor Heinisch, Wilhelm Wehofer, Alois Treiber und Eduard Jaroslavsky, mit denen Schmidt in Kontakt gestanden war.

Ludwig Schmidt blieb bis 25. Juni 1940 in Gestapohaft und wurde danach dem Wiener Landesgericht überstellt. Am 19. Februar 1942 – mehr als zwei Jahre nach seiner Verhaftung – wurde Schmidt vom Volksgerichtshof zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt und ins Zuchthaus Garsten eingeliefert. Dem Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof beeinspruchte dieses Urteil, da die lebenslange Haft „im Strafmaß der Sachlage nicht gerecht“ werde, und verlangte eine neue Verhandlung. Die neuerliche Verhandlung fand am 4. November 1943 in Berlin statt, wo sich Schmidt bereits seit einem Jahr in Haft befunden hatte. Der Volksgerichtshof verurteilte Schmidt nunmehr zum Tode: „Der Angeklagte hat in Kriegsgefahr und im Kriege den Feind des Reiches dadurch begünstigt, daß er im Auftrag einer ausländischen Spitzenorganisation als Emigrant getarnt nach Deutschland kam und hier in wichtiger Funktionärstellung organisatorisch kommunistischen Hochverrat in Wien vorbereitet. […] Ein solcher Verbrecher ist ehrlos, weil er Verräter am eigenen Volke ist“, hieß es in der Urteilsbegründung.

Eine Woche nach seiner Verurteilung schrieb Schmidt an seine Mutter:

Ich glaube, es ist nicht das erstemal und bestimmt nicht das letztemal, dass im Garten der kleinen Leute, der Arbeiter- und Angestelltenfamilien der Sturm ein Pflänzchen knickt und es vernichtet. Dafür kann das Pflänzchen nicht und auch nicht der Gärtner. Solange es Stürme gibt, wird dieses Gesetz gelten.

Josef und Rosa Schmidt richteten sowohl an Reichsleiter Baldur von Schirach als auch an Adolf Hitler ein Gnadengesuch für ihren Sohn. „Ludwig Schmidt verdient keine Gnade“, lautete Anfang Jänner 1943 die Stellungnahme des Hauptamts für Gnadensachen. Zuvor hatte die zuständige Kreisleitung der NSDAP bekannt gegeben, dass sich Schmidts Vater Josef als Betriebsluftschutzwart der städtischen Straßenbahnen nicht an NS-Sammlungen beteilige. Am 12. Jänner 1943 schrieb Ludwig Schmidt an seine Mutter:

Ich benütze nach wie vor jede freie Minute zum Lesen. Gewiss kann man nur in einer solchen Situation den Kampf der Menschheit in seiner ganzen Tragweite erkennen.

Zwei Tage später, am 14. Jänner 1943, wurde Schmidt in Berlin-Plötzensee im Alter von 29 Jahren hingerichtet.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

Skritek Otto (16.12.1909-21.9.1989) 

 

Otto Skritek wurde am 16. Dezember 1909 in Znaim (Znojmo, heute Tschechische Republik) geboren. Sein 1885 im südmährischen Moskowitz geborener Vater Franz Skritek arbeitete als Korbflechter und war als Funktionär der Gewerkschaft der Holzarbeiter aktiv. Seine 1884 in Dietersdorf geborene Mutter Therese (geborene Heinzelmeier) stammte aus einer Kleinhäuslerfamilie. Otto Skritek hatte zwei Geschwister und wuchs bis zum sechsten Lebensjahr bei seinen Großeltern in Dietersdorf im Bezirk Hollabrunn in Niederösterreich auf. Die Volksschule besuchte er in Wien. Nach dem Krieg übersiedelte die Familie jedoch nach Dietersdorf, weil hier die Lebensmittelversorgung besser war. Es folgten häufige Wohnungswechsel, u.a. auf einen zu einem Schloss gehörenden Meierhof in Sonnberg, wo die Mutter am Feld und der Vater als Korbflechter arbeitete. In diesem Schloss befindet sich heute die Justizanstalt Sonnberg. Die Bürgerschule besuchte Otto Skritek in Hollabrunn.

1923 begann Skritek eine Lehre als Spediteur bei der Firma Meißner & Co. auf der Rossauer Lände im 9. Bezirk. Nach der Lehre blieb er noch fünf Jahre in dieser Speditionsfirma, einem mittleren Betrieb mit etwa 40 Angestellten, bis er 1931 – in den Jahren der Weltwirtschaftskrise – aufgrund seiner politischen Aktivitäten gekündigt wurde. Skritek war zu dieser Zeit Bezirksobmann der Gewerkschaftsjugend des Zentralvereins der kaufmännischen Angestellten in Ottakring. Nach seiner Kündigung arbeitete er bis 1934 als Gewerkschaftsangestellter in der Jugendabteilung des Zentralvereins, deren Vorsitzender Manfred Ackermann war. In dieser Funktion organisierte Skritek zahlreiche Schulversammlungen.

Bis zu seiner Verhaftung im Jahr 1939 wohnte Skritek in einem gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern – zunächst in der Habichergasse in Ottakring in einem alten Zinshaus und ab Oktober 1930 im Pirquethof (Stiege 4). Dieser ebenso im 16. Bezirk in der Herbststraße 101 (bzw. Gablenzgasse 106–110) gelegene Gemeindebau war 1929/30 errichtet worden und wurde nach dem Wiener Kinderarzt Clemens von Pirquet benannt.

Während der Februarkämpfe des Jahres 1934 wurden zwar vom Schutzbund im Pirquethof Gewehre verteilt, diese wurden aber wieder eingezogen und es kam in diesem Gemeindebau zu keinen Kampfhandlungen. Skritek traf in den Kampftagen mit Manfred Ackermann zusammen, um Flugblätter zur Unterstützung des Schutzbunds herzustellen. Von 3. bis 24. April dieses Jahres wurde Skritek in Polizeihaft genommen. Nach seiner Freilassung war er am Aufbau der illegalen „Freien Angestelltengewerkschaft Österreichs“ (FRAGÖ) beteiligt und dort bis 1938 für die Handelsangestellten zuständig. Einige Zeit organisierte er den Transport der illegal erscheinen „Arbeiter-Zeitung“ aus der Tschechoslowakei nach Wien. Er war Kreisleiter der „Revolutionären Sozialisten“ für jenen Kreis, der die Wiener Bezirke 15 bis 19 umfasste und auch Mitglied der Wiener Leitung der Partei.

Seinen Lebensunterhalt bestritt Skritek in den Jahren 1934 bis 1938 als Vertreter für Textilien, medizinische Bücher sowie für gefüllte Paprika und Gurken. Am 7. März 1938 nahm Skritek an der Vertrauensmännerkonferenz der Arbeiterbewegung im Floridsdorfer Arbeiterheim teil, bei der es darum ging, die Arbeiterschaft gegen die drohende Annexion Österreichs durch Hitlerdeutschland zu mobilisieren. Nach dem „Anschluss“ Österreichs wurde er vom Arbeitsamt der Glühlampenfabrik Kremenezky im 20. Bezirk (Brigittenau) zugeteilt, wo er in der Speditionsabteilung zu arbeiten kann.

Obwohl sich Skritek 1938/39 aus der politischen Arbeit zurückzog, weil er als polizeibekannt war, wurde er am 22. August 1939 – kurz vor Kriegsbeginn – im Rahmen einer großen Verhaftungsaktion der Gestapo, die sich gegen 121 amtsbekannte FunktionärInnen und AktivistInnen der Revolutionären Sozialisten und der KPÖ richtete, festgenommen. Skritek befand sich bis April 1940 in Polizeihaft im Polizeigefangenenhaus auf der Rossauer Lände und wurde zum Verhör zur Gestapo am Morzinplatz gebracht. Am 10. April 1940 wurde er als Schutzhäftling ins Konzentrationslager Dachau überstellt. Skritek wurde in Dachau zunächst dem Kommando Garagenbau und dann dem Kommando „Moor-Express“ zugeteilt. Dabei handelte es sich um einen Plateauwagen mit Gummirädern, der von zehn bis zwölf Häftlingen gezogen wurde, mit dem Transporte im Lagerbereich erledigt wurden. Danach war Skritek Revierschreiber im Krankenbau. Im Lager arbeitete er u.a. mit den sozialdemokratischen Häftlingen Alexander Eifler und Hermann Lackner zusammen. In Summe war Otto Skritek 273 Wochen in Haft.

Anfang September 1944 meldete sich Otto Skritek gemeinsam mit den seinen sozialdemokratischen Parteifreunden Emmerich Wenger und Franz Pfannenstiel zur Wehrmacht, um der KZ-Haft zu entkommen. Im November 1944 wurden Skritek, Wenger und Pfannenstiel zwangsweise zur SS-Sondereinheit Dirlewanger eingezogen. Sie gelangten über Krakau in die Slowakei, wo sie bei der Partisanenbekämpfung eingesetzt wurden. Mitte Dezember 1944 gelang es ihnen zu desertieren und zur Roten Armee überzulaufen. Über Rumänien gelangten die drei ins Donezgebiet, wo sie sich bis April 1945 als sowjetische Kriegsgefangene im Tagbau zu arbeiten hatten. Durch die langen Jahre in der Haft geschwächt, starb Franz Pfannenstiel in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Nach ihm wurde 1949 die städtische Wohnhausanlage in der Kreuzgasse 87–89 im 18. Bezirk (Währing), wo Pfannenstiel auch wohnte, benannt (Pfannenstielhof).

Otto Skritek konnte im September 1945 ins befreite Wien zurückkehren. Am 25. Jänner 1947 heiratete er die 1917 geborene Margarethe Eisenmagen, mit der er eine Wohnung in der Haidgasse im 2. Bezirk in einem späthistorischen Großmiethaus bezog. Im September 1952 wurde deren Sohn Paul geboren. Beruflich war Otto Skritek seit 1945 als Sekretär der Sektion Handel der Gewerkschaft der Privatangestellten tätig. Von 1949 bis 1975 war er in unterschiedlichen Funktionen durchgängig Parlamentsabgeordneter für die SPÖ: von Dezember 1949 bis März 1950 und von März 1953 bis Juni 1965 als Mitglied des Bundesrats sowie von März 1950 bis März 1953 und dann wieder von Juni 1965 bis November 1975 als Abgeordneter zum Nationalrat. Von Juli bis Dezember 1959 und von Jänner bis Juni 1964 war Skritek Präsident des Bundesrats.

Neben seinen Funktionen in der Gewerkschaftsbewegung und als Parlamentarier war Skritek Vizepräsident der Wiener Arbeiterkammer und Vorstandsmitglied der Wiener Gebietskrankenkasse. Er gehörte auch dem Vorstand des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes an. Skritek erhielt zahlreiche Auszeichnungen, etwa das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich und für Verdienste um das Land Wien.

Otto Skritek starb am 21. September 1998 in Wien. Er wurde im Urnenhain der Feuerhalle Simmering in derselben Grabstelle bestattet wie der am 4. August 1938 verstorbene sozialdemokratische Gewerkschaftsfunktionär Karl Pick, der vor 1934 als Obmann des „Zentralvereins der kaufmännischen Angestellten Österreichs“ fungierte. Die dortige Ehrentafel wurde von der Gewerkschaft der Privatangestellten gestiftet. Das Grab zählt zu den ehrenhalber in Obhut genommenen Grabstellen der Stadt Wien.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

 

Sokoll Bruno (24.5.1898-26.11.1989) 

 

Bruno Sokoll wurde am 24. Mai 1898 in Neutitschein (Nový Jičín) in Mährisch-Schlesien geboren und wuchs mit vier Geschwistern in einfachen Verhältnissen in einer sozialdemokratisch geprägten Familie auf. Sein 1872 im schlesischen Wag­stadt (Bílovec) geborener Vater Bruno war Bäcker in einer Dampfmühle im nahe gelegenen Deutsch Jaßnik (Jeseník nad Odrou), seine ebenso 1872 in Neu-Titschein geborene Mutter Adelheid (geborene Feikus) Arbeiterin in einer Tabakfabrik im Heimatort der Familie. In den Jahren 1912 bis 1915 absolvierte Bruno Sokoll eine Lehre als Eisendreher in einer landwirtschaftlichen Maschinenfabrik in Zauchtel (Suchdol nad Odrou). Von September 1915 bis Mai 1916 arbeitete er als Dreher in Neutitscheiner Fabrik landwirtschaftlicher Maschinen.

Von Mai 1916 bis Jänner 1919 leistete Sokoll seinen Wehrdienst. Einberufen zum Infanterieregiment Nr. 1 in Troppau (Opava) und kurz darauf nach Krakau verlegt, kämpfte er im Ersten Weltkrieg an der rumänischen Front, dann in Russland und nahm 1918 an der Piave-Offensive der k.u.k. Armee teil. Auch sein Vater war Soldat im Ersten Weltkrieg und fiel am 3. Juli 1915 als Angehöriger des k.k. Landwehr Infanterieregiment Nr. 32. Gegen Kriegsende erlitt Sokoll bei einem Fliegerangriff eine Gasvergiftung, worauf er in Trient, Bozen, Innsbruck und Prag in Spitalsbehandlung war. Ende November 1918 begann er wieder in seiner Lehrfirma Friedrich Schneider in Zauchtel zu arbeiten. Format wurde er im Anfang Jänner 1919 in der Kaserne Strebersdorf aus dem Heeresverband entlassen.

Nach der Inkorporation des Sudetenlandes in das tschechoslowakische Staatsgebiet ging Sokoll im Mai 1919 nach Wien und optierte für die österreichische Staatsbürgerschaft, um nicht zur tschechoslowakischen Armee eingezogen zu werden. Sokoll begann bei Waagner-Biró in Wien-Stadlau als Dreher zu arbeiten und wurde noch im selben Jahr in der Stadlauer Arbeiterrat gewählt. 1920 wurde Sokoll Obmann der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) in Floridsdorf und wurde als solcher in den Bezirksvorstand der Sozialdemokratischen Partei (SDAP) kooptiert. In den folgenden Jahren wirkte er auch als Bildungsfunktionär der SDAP. Dem Republikanischen Schutzbund gehörte Sokoll seit seiner Gründung im Jahr 1923 an. Beim Metallarbeiterstreik des Jahres 1924 wurde Sokoll als Jugendvertrauensmann seines Betriebs fristlos entlassen. Nach Monaten der Arbeitslosigkeit und einem kurzen Zwischenspiel bei Austro-Fiat begann er im Juni 1925 bei den Wiener Verkehrsbetrieben als Straßenbahnschaffner zu arbeiten.

Zunächst in der Leopoldauer Straße in Wien-Floridsdorf wohnhaft, bezog Bruno Sokoll im Mai 1926 eine Wohnung im Schlingerhof (Stiege 2) in der Brünner Straße 34–38, der in diesem Jahr – nach Baubeginn im Jahr 1924 – fertiggestellt wurde. Sokoll war Teilnehmer der Demonstration am 15. Juli 1927 in Wien, bei dem es nach dem Brand des Justizpalasts zu einem Polizeimassaker kam. An den Februarkämpfen des Jahres 1934 war er im Straßenbahnhof Floridsdorf und im Schlingerhof beteiligt. Der Gemeindebau, in dem Sokoll wohnhaft war, war in den Februartagen hart umkämpft und wurde stark beschädigt. Am 15. Februar verhaftet, wurde Sokoll tags darauf vom als Standgericht tagenden Landesgericht für Strafsachen Wien II wegen Aufruhrs zum Tode verurteilt, danach aber mit Entschließung des Bundespräsidenten zu 15 Jahren schweren Kerkers begnadigt. Von den Städtischen Straßenbahnen wurde Sokoll fristlos entlassen. Am 21. Dezember 1935 wurde er vom Bundespräsidenten – unter Festsetzung einer Probezeit von fünf Jahren – bedingt amnestiert. Zwei Tage später wurde er nach zwanzig Monaten Haft aus der Strafanstalt Stein an der Donau entlassen. Da er seine Gemeindewohnung im Schlingerhof verloren hatte, nahm Sokoll seinen Wohnsitz in der Wohnhausanlage der Stadt Wien in der Mitterhofergasse 1–15 (Stiege 7) in Floridsdorf, wo er bis zuletzt wohnhaft blieb.

Politisch war Bruno Sokoll in den Jahren der austrofaschistischen Diktatur im Rahmen der illegalen Revolutionären Sozialisten aktiv. Er stand mit führenden Funktionären der illegalen Arbeiterbewegung wie Otto Bauer, Julius Deutsch, Karl Heinz, Robert Danneberg und Karl Honay in Verbindung sowie mit Otto Tropper und Laurenz Genner, die 1938 zur KPÖ übergingen. Am 22. September 1937 war Sokoll Teilnehmer einer Konferenz im Wiener Rathaus, bei der über die Umsetzung des Wiener Amnestiegesetzes zwecks Wiedereinstellung entlassener Beamter beraten wurde. Im Rahmen der „Sozialen Arbeitsgemeinschaft“ (SAG) war Sokoll eine Ansprechperson für die austrofaschistischen Machthaber zwecks Wiederannäherung an die illegale Arbeiterbewegung. So stand Sokoll u.a. mit Guido Zernatto, dem Generalsekretär der Vaterländischen Front, dessen Stellvertreter Engelbert Dworschak und den Wiener Vizebürgermeistern Ernst Karl Winter und Hans Waldsam in Verbindung.

Am 1. April 1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, wurde der seit 1934 arbeitslose Sokoll wieder von den Städtischen Straßenbahnen in Floridsdorf eingestellt. Er leistete Widerstandsarbeit in illegalen Zellen der Straßenbahner in Floridsdorf und stand in Verbindung zu Widerstandsgruppen des später hingerichteten Sozialisten Otto Haas und des kommunistischen Automechanikers Anton Neuhauser. Von August 1939 bis Mai 1940 war er zum Kriegsdienst einberufen und hatte Wachdienste bei der Floridsdorfer Brücke zu leisten. Wegen Wehrunfähigkeit entlassen, wurde Sokoll im August 1940 mit einer Gruppe Wiener Straßenbahner und Arbeitern aus dem Gaswerk nach Kiel dienstverpflichtet. Obwohl er seit 20 Jahren nicht mehr als Metallarbeiter beschäftigt war, arbeitete er bis September 1941 als Hilfsarbeiter und Fräser in der Werft „Deutsche Werke Kiel“ und danach bis Jänner 1942 bei der Firma Hagenuk (Hanseatische Apparatebau-Gesellschaft).

Am 16. April 1945, wenige Tage der Befreiung Wiens durch die Rote Armee, wurde Sokoll Mitglied der KPÖ, deren Floridsdorfer Bezirksleitung er angehörte. In den folgenden Monaten und Jahren erwarb sich Sokoll große Verdienste beim Wiederaufbau in Floridsdorf. Noch während der Kämpfe entwickelte er ein Zehnpunkteprogramm für den Wiederaufbau des Bezirks. Als Leiter des von ihm aufgebauten Bezirksernährungsamtes war er im Jahr der Befreiung für die Lebensmittelversorgung des Bezirks zuständig, bis er im September 1945 von Stadtrat Franz Fritsch als Abteilungsleiter ins Ernährungsamt des Rathauses berufen wurde. Als Vertreter des Stadtrats bei den alliierten Militärkommandos war er bis 1948 für die Sicherstellung der Lebensmittelversorgung mitverantwortlich. Nach der Auflösung des Ernährungsamtes wechselte Sokoll in die Verwaltung des Bauamts bzw. in das Rechnungsamt des Wasserwerks. Im August 1950 heiratete er Leopoldine Apel (geborene Bartak), die eine sechsjährige Tochter in die Ehe mitbrachte. 1959 wurde Sokoll als Gemeindebediensteter pensioniert.

1963 gehörte Bruno Sokoll zu den Gründungsmitgliedern des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW). Bereits bei den Vorarbeiten zur Etablierung des Archivs hatte er als ehrenamtlicher Mitarbeiter eine prägende Rolle gespielt. Gemeinsam mit Herbert Steiner, Selma Steinmetz und Friedrich Vogl bildete Sokoll das „Kernteam“ der ersten Jahre. Er war beteiligt am Aufbau der Sammlungen, deren erster Sichtung an der Erstellung eines Katalogs. Darüber hinaus war er als „Museumsleiter“ zuständig für die Ausstellungsführungen. Die Flugschriftensammlung des DÖW geht auf seine Initiative zurück.

Bruno Sokoll war seit 1945 Mitglied des Vorstands der Volkshochschule Floridsdorf und Bezirksobmann des dortigen KZ-Verbands. In den 1960er Jahren war Sokoll Mitglied der Historischen Kommission beim Zentralkomitee der KPÖ. In späteren Jahren gehörte er dem Bundespräsidium und dem Wiener Landespräsidium des Verbands österreichischer Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus (KZ-Verband) sowie dem Kuratorium des DÖW an. Sokoll wurde für seine Verdienste vielfach ausgezeichnet: Er war Träger des Silbernen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich, des Ehrenzeichens für Verdienste um die Befreiung Österreichs und des Goldenen Verdienstzeichens des Landes Wien. Bruno Sokoll starb am 26. November 1989 in Wien.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

Spitz Stefanie (22.9.1894-18.9.1942) 

 

Stefanie Spitz wurde am 22. September 1894 als Tochter des Handlungsgehilfen Hermann Spitz (1864–1932) und Jeanette Spitz, geb. Hauser (1861–1936) in Wien geboren und blieb bis zu ihrer Deportation 1942 unverheiratet. Seit 1929 betrieb sie im Gemeindebau in der Wohlmutstraße 14–16, Stiege II, Nr. 1 einen Handel mit Wäsche- und Wirkwaren und wohnte in der Stuwerstraße 20. Nach dem „Anschluss“ Österreichs wurde Spitz als Jüdin verfolgt. Ihr Geschäft in der Wohlmutstraße wurde 1939 „liquidiert“. Im März 1939 stand das Geschäftslokal leer. Die am 31. Jänner 1884 in Wien geborene Kassiererin Marie St. wohnte im Gemeindebau Goethehof im 2. Bezirk in der Engerthstraße 230/IXX/11 und war 1938 arbeitslos. Mit dem Geschäft der ehemaligen Inhaberin Stefanie Spitz wollte sie sich eine neue Existenzgrundlage schaffen, was auch von der Ortsgruppenleitung „Prater“ befürwortet wurde. Aus Sicht des „Abwicklers“ kam nur Marie St. für die Übernahme des noch vorhandenen Warenlagers und Inventars in Frage. Die Bezirksvertretung erhob im Mai 1939 keine Einwände gegen die Übernahme. Mit 1. Juli 1939 erhielt Marie St. den Mietvertrag für das Geschäftslokal und handelte mit Wäsche- und Wirkwaren.

Wie auch viele anderen jüdisch verfolgten Personen musste Stefanie Spitz von ihrer Wohnung in eine „Sammelwohnung“ im 2. Bezirk in der Pillersdorfgasse 10/3 ziehen. Von dort wurde sie am 14. September 1942 in das Vernichtungslager Maly Trostinec deportiert und vier Tage nach ihrer Ankunft am 18. September 1942 ermordet.

 

Verfasserin: Jutta Fuchshuber

Steiner Hermine (4.3.1908-1943), Karl (1906-1942 ), Peter (15.6.1938-überlebt) 

 

Hermine Steiner wurde am 4. März 1908 als jüngstes von fünf Kindern des Kaufmanns David Kolbuszower aus Brody in Galizien und seiner Frau Chaje in Wien geboren. Auf Grund der katastrophalen Ernährungssituation in Wien nach dem Ersten Weltkrieg wurde sie 1920 im Zuge der Kinderverschickungen wie ca. 65.000 Kinder aus Österreich zu Pflegeeltern in den Niederlanden geschickt.

Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre arbeitete Hermine Kolbuszower als Modistin in Wien. 1936 Jahre heiratete sie im Leopoldstädter Tempel den zwei Jahre älteren Wiener Juwelier und Uhrmacher Karl Steiner. Hermine Steiner erhielt in dieser Zeit eine Wohnung der Gemeinde Wien in der Engerthstraße 230, in der sie mit ihrem Ehemann und ihrem Bruder Ernst lebte. Die Wohnung bestand aus einem Zimmer, zwei Kabinetten, einem Vorzimmer und einer Küche. Ihr Ehemann Karl Steiner führte im gleichen Gemeindebau ein Uhren- und Juwelengeschäft.

In der Hoffnung, das Land verlassen zu können, füllte das Ehepaar im Mai 1938 einen Auswanderungsfragebogen bei der IKG Wien aus. Demnach hofften sie nach Australien, Belgien oder in die Niederlande emigrieren zu können. Hermine Steiners Schwester, Frieda Rosenblüth, lebte in Antwerpen, ihre früheren Pflegeeltern aus dem Jahr 1920 lebten in Amsterdam. Am 15. Juni 1938 wurde ihr Sohn Peter geboren. Mit 31. Juli 1938 kündigte das städtische Wohnungsamt Hermine Steiner die Gemeindewohnung. Gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren drei Geschwistern – Ernst Kolbuszower, Gisela Silberstein und Elsa Blass – gelang ihr die Ausreise nach Antwerpen zu ihrer Schwester Friederike Rosenblüth. Von dort versuchten sie ihre weitere Flucht zu organisieren. Hermine Steiners Ehemann Karl wurde am 7. September 1942 von Drancy nach Auschwitz deportiert. Er wurde im Holocaust ermordet. Zwischen 1942 und 1943 wurden alle vier Geschwister nach Auschwitz deportiert. Am 19. April 1943 wurde auch Hermine Steiner von Mechelen nach Auschwitz deportiert. Drei belgische Widerstandskämpfer stoppten ihren Deportationszug und befreiten mehrere Gefangene. Insgesamten konnten mehr als 200 Personen flüchten. Hermine Steiner blieb im Zugwaggon zurück. 879 der 1400 Häftlinge, die in Auschwitz ankamen, wurden sofort in den Gaskammern ermordet. Ein großer Teil der ins Konzentrationslager deportierten starb später an den Haftbedingungen. Neben ihrem Ehemann und allen vier Geschwistern wurde auch Hermine Steiner im Holocaust ermordet. Ihr Sohn Peter überlebte den Holocaust.

 

Verfasser: Wolfgang Schellenbacher

Strecha Georg (19.8.1911-21.11.1944), Valentin (1.8.1916-14.3.2003) 

 

Die Familie Strecha bezog im Sommer 1930 eine Gemeindewohnung im neu errichteten Goethehof in der Schüttaustraße 1–39 (Stiege 35) im Bezirksteil Kaisermühlen, der damals zum 2. Wiener Gemeindebezirk gehörte. Heute liegt der Goethehof im 22. Bezirk. Vor ihrer Übersiedlung in den Goethehof hatten Leopold und Aloisia (Luise) Strecha mit ihren fünf Kindern in einer Einzimmerwohnung in der Schönngasse im 2. Bezirk mit WC und Wasser am Gang gelebt.

Leopold Strechas Vater war ein Tischlermeister mit eigener Werkstatt in der Leopoldstadt. Selbst war er als Hafen- und Transportarbeiter tätig. Seine Frau Luise war Näherin in Heimarbeit und arbeitete nebenbei als Geschirrabwäscherin und Köchin in einem Gasthaus. Der älteste Sohn der Familie, der am 25. Oktober 1907 geborene Leopold, absolvierte eine Lehre als Maschinenschlosser und wohnte seit 1931 bei der Großmutter. Die verbliebenen fünf Familienangehörigen teilten sich danach die Gemeindewohnung, die aus einem Zimmer, Vorzimmer, Küche und zwei Kabinetten bestand.

Leopold Strecha sen. war Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und des Republikanischen Schutzbunds. Seine vier Söhne Leopold, Karl, Georg und Valentin und auch seine Tochter Erna waren zunächst Mitglied in den sozialdemokratischen Kinder- und Jugendorganisationen (Rote Falken, Kinderfreunde und Sozialistische Arbeiterjugend), traten aber alle fünf zum Kommunistischen Jugendverband bzw. zur KPÖ über. Leopold und Erna Strecha gehörten schon vor 1934 kommunistischen Organisationen an, Georg, Karl und Valentin wurden nach den Februarkämpfen des Jahres 1934 zu Kommunisten. Bis dahin waren sie Mitglied jener SAJ-Gruppe im 2. Bezirk, der auch der im Juli 1934 hingerichtete Schutzbündler Josef Gerl angehörte. Leopold Strecha war nicht nur im KJV, sondern auch in der Agitprop-Gruppe „Alarm“, die mit einem eigenen Mandolinenorchester arbeitete, als Spielgruppenleiter aktiv.

Karl Strecha wurde am 5. Juli 1910 geboren und absolvierte eine Lehre als Sattler und Taschner. Danach arbeitete er drei Jahre lang in der Simmeringer Maschinen- und Waggonfabrik. Wegen Arbeitsmangels entlassen, folgten Jahre der Arbeitslosigkeit bzw. der Gelegenheitsarbeiten. Der am 19. August 1911 geborene Georg Strecha erlernte nach der Volks- und Bürgerschule das Bäckerhandwerk. Bis 1930 arbeitete er als Zuckerbäcker, danach war er bis 1938 fast durchgängig arbeitslos und hielt sich ebenso mit Gelegenheitsarbeiten als Maler, Elektriker, Hilfsschlosser und im Schankgewerbe über Wasser. Valentin Strecha wurde am 1. August 1916 geboren und absolvierte eine kaufmännische Lehre bei der Firma Adolph & L. Zerner im 1. Wiener Gemeindebezirk. Aufgrund der Februarereignisse des Jahres 1934 konnte er die Lehre nicht beenden nicht beenden. Valentin Strecha war Bildungsfunktionär der SAJ Kaisermühlen und im Goethehof für die Wehrsportgruppe, also die Wehrorganisation der SAJ, verantwortlich.

Leopold, Georg, Karl und Valentin Strecha waren während der Februarkämpfe des Jahres 1934 aktiv an der Verteidigung des Goethehofs beteiligt. Der Goethehof war eines der Zentren des Aufstands in Wien, hatte der Schutzbund hier doch nahezu 200 Angehörige. Die Jugendlichen des Gemeindebaus wurden eingeteilt, einen Teil der Vorderfront des Gemeindebaus gegen Bundesheer und Heimwehr zu verteidigen. In der Nacht zum 13. Februar zogen 50 bis 70 Kämpfer unter Führung des stellvertretenden Kommandanten Alois Erjautz über das Eis der Alten Donau in Richtung Kagraner Brücke, wo es zu Barrikadenkämpfen kam. Tags darauf kehrten sie in den Goethehof zurück, um dort die Stellung muss zum Abend des 14. Februar zu halten.

Leopold Strecha wurde von 16. bis 21. Februar 1934 wegen kommunistischer Betätigung im Kommissariat Leopoldstadt in Haft genommen und gegen Gelöbnis enthaftet. Valentin Strecha wurde am 18. Februar verhaftet und zunächst ins Wiener Landesgericht II am Hernalser Gürtel und dann ins Gefängnis des Jugendgerichts in der Rüdengasse in Erdberg überstellt. Am 6. März 1934 wurde Strecha entlassen, am 9. April 1934 wurde das Strafverfahren gegen ihn eingestellt. Um sich weiterer Verfolgung zu entziehen, flüchtete Strecha wenige Tage später in die Tschechoslowakei nach Brünn (Brno), wo er im dortigen Schutzbündlerlager auf mehr als 30 Männer aus dem Goethehof traf. Am 23. April 1934 gelangte Valentin Strecha mit dem ersten Schutzbundtransport in die Sowjetunion.

Valentin Strecha begann in Moskau zunächst als Schlosser in der Autofabrik „Stalin“ zu arbeiten. Von September 1935 bis März 1937 wurde er unter dem Decknamen „Hans Nagl“ zum Studium an die Internationale Lenin-Schule delegiert. Nach drei Jahren im Exil kehrte er 1937 zur politischen Arbeit nach Österreich zurück. Er hielt sich zunächst einige Wochen illegal in Floridsdorf auf, „legalisierte“ sich dann aber, indem er wieder bei seinen Eltern im Goethehof einzog. Er wurde als Jugendverantwortlicher der KPÖ im damaligen Kreis IV (2., 20., 21. und 22. Bezirk) aktiv und begann als Hilfsarbeiter bei der Firma Neufeld im 1. Bezirk zu arbeiten, wo zu diesem Zeitpunkt auch sein Bruder Georg beschäftigt war.

Im Herbst 1937 wurde Valentin Strecha zum Bundesheer eingezogen und nach Tirol geschickt. Er nahm sofort die politische Arbeit unter den Soldaten auf und verbreitete die KPÖ-Zeitung „Roter Soldat“. Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 wurde Strecha von der Gestapo Innsbruck einvernommen und kam im April in Kasernenarrest. Als seine Einheit nach Bonn verlegt wurde, wurde er in eine Soldatenhaftanstalt eingeliefert. Im März 1939 kam er ins Gefängnis des Innsbrucker Landesgerichts, das Verfahren gegen ihn wurde aber eingestellt. Darauf wurde er zu seiner zu diesem Zeitpunkt in Linz stationierten Einheit zurückbeordert, wo er in der Waffenwerkstätte zu arbeiten begann. Ende 1940 wurde Strecha als Schreiber in der Aufnahme- und Entlassungsstelle der Luftwaffe nach Wien versetzt, wo er die politische Arbeit wieder aufnahm. Er trat in Verbindung zur ihn aus der früheren illegalen Arbeit bekannten Franziska Fibi, der Schwester von Jaro Brezik, der zu dieser Zeit wegen kommunistischer Betätigung in Haft war. Fibi vermittelte Strecha ein Treffen mit Erwin Puschmann, der als führender Auslandsfunktionär der KPÖ nach Österreich zurückgekehrt war, um hier den kommunistischen Widerstand zu reorganisieren. In der Wohnung seiner Schwester Erna im Goethehof organisierte Strecha ein Treffen zwischen Puschmann und Leopold Steurer, der damals gemeinsam mit Friedl Hartmann den KJV leitete.

Georg Strecha wiederum begann im Oktober 1938 im Lagerhaus der Stadt Wien zu arbeiten, wo er gemeinsam mit dem dortigen Zellenleiter Otto Tropper illegale politische Arbeit leistete. Er war zuständig für den Vertrieb der illegal verbreiteten Zeitung „Rote Front“ und an Sabotageakten an Eisenbahnwaggons und Lokomotiven beteiligt. Da Georg Strecha infolge einer Sportverletzung frontuntauglich war, musste er nicht zur Wehrmacht einrücken. Von Dezember 1942 bis September 1943 wurde er einer Ersatzeinheit zugeteilt, wegen einer Kopfverletzung jedoch entlassen. Danach arbeitete er bis Jänner 1944 als Hilfsschlosser in den Lohnerwerken in Floridsdorf.

Leopold Strecha flüchtete 1938 über die Niederlande nach Großbritannien, wo er in der Kriegsindustrie zu arbeitete. Karl Strecha musste 1940 zur Wehrmacht einrücken und war danach als Sportlehrer für Heilgymnastik bei Verwundeten im Lazarett tätig. Valentin Strecha wurde im Spätherbst des Jahres 1941 an die Ostfront verlegt. Während seiner Fronturlaube in Wien schrieb er Beiträge für die illegale „Rote Front“, deren Vertrieb sein Bruder Georg organisierte. Valentin Strecha wurde schließlich zu einem Transportkommando nach Dnjepropetrowsk und Rostow versetzt, das die Aufgabe hatte, Materialtransporte in verschiedene Länder zu begleiten. Auf diesem Weg gelangte er mit einem Eisenbahntransport nach Rumänien, wo es ihm im September 1944 gelang, überzulaufen. Zuvor war er Zeuge des antifaschistischen Aufstands am 23. August geworden. Strecha schloss sich der bewaffneten Widerstandsorganisation Lupta Patriotică an, für deren Nachrichtendienst er arbeitete. Bis April 1945 war er Mitarbeiter des sowjetischen Teils der Alliierten Kontrollkommission in Rumänien.

Georg Strecha wurde am 2. Februar 1944 von der Gestapo verhaftet und ins Wiener Landesgericht eingeliefert. Seine Verlobte Albine Heindl schickte ihm ein von einem Fotoatelier angefertigtes Portraitfoto ins Gefängnis. Strecha wurde vorgeworfen, die Flucht des kommunistischen Häftlings Jaro Brezik aus dem Zuchthaus in Stein an der Donau organisiert zu haben. Jaroslav Brezik wurde am 30. September 1913 in Wien geboren und befand sich bereits seit Juli 1938 in Haft. 1939 wurde er vom Volksgerichtshof zu fünf Jahren Haft verurteilt. Am 19. September 1942 gelang ihm die Flucht aus seiner zum Zuchthaus Stein gehörenden Arbeitsstelle in Hadersdorf, wobei ihm von Hans Szende – auf Verlangen Georg Strechas – ein Fahrrad zur Verfügung gestellt wurde. Szende wurde am 25. Jänner 1926 in Wien geboren, war also zu diesem Zeitpunkt erst 16 Jahre alt. Er wohnte bei seinen Eltern im Gemeindebau in der Wohlmutstraße 14–16 (Stiege 2) im 2. Bezirk und arbeitete als Mechanikerlehrling. Bei der Flucht behilflich war auch der am 30. September 1907 in Wien Reichspostkraftfahrer Johann Obst, der seit 1942 ebenso wie Strecha im Goethehof wohnte (Stiege 2). Das Fahrrad wiederum wurde vom Fahrradhändler Anton Pfann zur Verfügung gestellt, der schließlich gemeinsam mit Strecha, Obst und Szende angeklagt wurde.

Bereits vor Brezik war im Juli 1942 auch dem kommunistischen Funktionär Friedrich (Fritz) Schwager die Flucht aus der Untersuchungshaft in Wels in Oberösterreich gelungen. Er wandte sich in Wien an Georg Strecha, der ihn mit Geld und Lebensmittelkarten unterstützte, wurde aber im November 1942 erneut verhaftet. Wenige Tage später wurde auch Brezik wieder festgenommen. Georg Strecha wurde am 21. September 1944 vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung zum Tode verurteilt und zwei Monate später, am 21. November, im Wiener Landesgericht hingerichtet. Johann Obst wurde zu fünf Monaten Zuchthaus verurteilt, Anton Pfann zu einem Jahr Gefängnis und Hans Szende zu zehn Monaten Jugendgefängnis.

Nach dem Todesurteil gegen Georg Strecha wurde sein Bruder Karl zu einer Strafkompanie eingezogen, es gelang ihm jedoch mit Hilfe jugoslawischer Partisanen die Flucht, sodass er zwei Wochen vor der Befreiung wieder in Wien war, wo er sich versteckt hielt. Leopold Strecha meldete sich im Exil freiwillig zur britischen Armee, wurde aber abgelehnt, weil er einem Betrieb der Kriegsindustrie arbeitete.

Am 6. Jänner 1946 wurde in der Vorgartenstraße 190 im 2. Bezirk eine von der KPÖ gestiftete Gedenktafel für fünf im Kampf gegen den Faschismus gefallene bzw. von den Nazis ermordete Antifaschisten enthüllt, darunter auch Georg Strecha. Die dortige KPÖ-Sektion 17 des 2. Bezirks wurde nach Georg Strecha benannt. Strechas Name befindet sich auch auf der 1988 von der KPÖ Donaustadt gestifteten Gedenktafel für die ermordeten Kommunisten des 22. Bezirks in der Wurmbrandgasse 17. Nach Auflassung seines Grabes im Jahr 1976 wurden die sterblichen Überreste Strechas in der Gruppe 40 am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.

Valentin Strecha kehrte im April 1945 mit einer sowjetischen Militärmaschine von Rumänien ins befreite Wien zurück. Er trat im Mai 1945 in den Polizeidienst ein und fungierte bis Oktober dieses Jahres als stellvertretender Leiter der Staatspolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Wien. Strechas Aufgabenbereich war die Ausforschung von NS-Kriegsverbrechern und Konfidenten der Gestapo. In diesem Jahr heiratete er Milada Riesner, die auch im Goethehof aufgewachsen und im Widerstand aktiv gewesen war. Das Ehepaar lebte zunächst in der Wohnung von Miladas Eltern. 1946 bezogen sie ein kleines Siedlungshaus im Brunnenhof im 22. Bezirk.

Die Wohnung der Eltern wurde gegen Kriegsende ausgebombt. Während die Mutter Luise eine Wohnung in der Porzellangasse im 9. Bezirk bezog, reparierte Vater Leopold provisorisch ein Zimmer mit Küche im Goethehof, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1958 wohnhaft blieb. 1947 ließ sich das Ehepaar scheiden. Luise Strecha starb im Jahr 1959. Leopold Strecha jun. zog nach seiner Rückkehr nach Wien im Jahr 1946 zunächst bei seiner Mutter in der Porzellangasse ein, wohnte danach aber in einer eigenen Wohnung ebenso im Goethehof (Stiege 24).

Parallel zu seiner Arbeit als Polizeibeamter holte Valentin Strecha die Matura nach und begann ein Jus-Studium an der Universität Wien. 1947 wurde er ins Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt versetzt und nach dem Oktoberstreik des Jahres 1950 ins Kommissariat Floridsdorf. 1970 folgte die Versetzung in den dauerhaften Ruhestand. In der Donaustadt war Strecha Mitglied der KPÖ-Bezirksleitung und von November 1964 bis November 1973 – also zwei Legislaturperioden – auch Bezirksrat. Auch seine Brüder Leopold und Karl sowie seine Schwester Erna (verheiratete Kwecha) waren nach 1945 weiter in der KPÖ aktiv. In den Jahren 1969 bis 1976 gehörte Valentin Strecha der Stadtleitung der KPÖ Wien an. Nach der Pensionierung als Polizeibeamter war er bis 1976 als Sekretär der Gesellschaft Österreich – DDR tätig. 1988 erschien im Globus-Verlag der KPÖ seine Autobiografie mit dem Titel „Widerstand für Österreich“ als erster Band einer Reihe, die sich auf die Lebenserinnerungen „mittlerer“ Parteifunktionäre spezialisierte. Valentin Strecha starb am 14. März 2003 in Wien.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

 

Tonka Oswalda (2.5.1923-überlebt)

Sokopp Otto (2.12.1899-überlebt) 

 

Oswalda („Ossy“) Tonka (geborene Sokopp) war eine von wenigen österreichischen Frauen, die im Verband der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee am Partisanenkampf in Slowenien teilnahm. Sie wurde am 2. Mai 1923 in eine Favoritner Arbeiterfamilie geboren, die seit Generationen politisch aktiv war. Ihr Großvater Jakob Sokopp, geboren 1855 in Südmähren, kam 1871 als 16-Jähriger nach Wien und wurde hier in Arbeiterbildungsvereinen politisiert. Im April 1874 nahm er am Gründungsparteitag der österreichischen Sozialdemokratie in Neudörfl teil und war mit dem späteren Wiener Bürgermeister Jakob Reumann befreundet. Er organisierte Streiks und war u.a. Gründer der gewerkschaftlichen Fachgruppe der Metalldrucker.

Jakob und Marianne Sokopp (geborene Dollinger) hatten 13 Kinder, fünf von ihnen starben in jungen Jahren. Bis 1919 besaß Jakob Sokopp in der Buchengasse 100 in Wien-Favoriten eine eigene Werkstatt, wo vier seiner Söhne zu Metalldruckern ausgebildet wurden, darunter auch Ossys Vater, der 1888 geborene Jakob Sokopp jun. 1908 bezog die achtköpfige Familie – zwei der Kinder waren schon verheiratet – in diesem Gründerzeithaus auch eine Wohnung. Auch Jakob Sokopp jun. war ein engagierter Gewerkschafter und Sozialdemokrat. Er kam aus dem Ersten Weltkrieg als Invalide zurück und war arbeitsunfähig. Im Februar 1923, wenige Monate vor der Geburt des gemeinsamen Kindes, heiratete er Steffi Beran, die als Hausgehilfin bei einem Seidenfabrikanten arbeitete. Unter der Devise „Licht, Luft und Sonne“ gründete Jakob Sokopp jun. im Auftrag der Stadt Wien die Kleingartenanlage „Am Brunnweg“, die 1929 eröffnet wurde.

Oswalda Tonka lebte von 1926 bis 1936 zehn Jahre lang mit ihrer Familie im neu errichteten Gemeindebau in der Troststraße 64–66 (Stiege 5) in Favoriten. Die Wohnung bestand aus einem Zimmer und einer Wohnküche. Die Volks- und Hauptschule besuchte Ossy jeweils in der Herzgasse unweit der Wohnung. 1929 starb der Vater – im 41. Lebensjahr – an den Folgen seines im Weltkrieg erlittenen Lungendurchschusses. Nach dessen Tod arbeitete die Mutter als Hilfsarbeiterin in der „Imperial Feigenkaffee-Fabrik“. Ossy und ihre 1926 geborene Schwester Edeltraud wurden zu dieser Zeit von den beiden nach wie vor in der Buchengasse wohnenden Tanten Hilda und Hedwig Sokopp beaufsichtigt. Die Tanten hatten zuvor als Hutstaffiererinnen gearbeitet, verloren aber in den Jahren der Weltwirtschaftskrise ihre Arbeit. In späteren Jahren arbeiteten beide als Straßenbahnschaffnerinnen. Im September 1936 starb auch die Mutter von Ossy Tonka.

Als Ossy mit 13 Jahren Vollwaise wurde, kamen sie und ihre jüngere Schwester in ein Waisenhaus. Unterricht nahmen die Schwestern in der evangelischen Karlsschule am Karlsplatz im 4. Bezirk. Nach der Hauptschule erhielt Ossy einen Freiplatz in der „Kaufmännischen Wirtschaftsschule des Wiener Frauen-Erwerb-Vereins“, einer privaten Handelsschule auf dem Wiedner Gürtel. Im März 1938, in den Tagen des „Anschlusses“ Österreichs, wurden die Waisenkinder zum Empfang der deutschen Truppen auf die Ringstraße beordert. Nachdem die beiden Mädchen im April 1938 aus dem Waisenhaus geflüchtet waren, gelang es Hilda und Hedwig Sokopp, das Sorgerecht für die damals 15 bzw. zwölf Jahre alten Mädchen zu erhalten. Ossy und Trude wohnten fortan bei ihren Tanten in einer Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung in der Buchengasse.

Eine politische Vorbildwirkung auf Ossy Tonka übte ihr Cousin Bertl aus, der in Wien studierte, 1932 der KPÖ beitrat und 1934 in jungen Jahren an Tuberkulose verstarb. Ihre Tanten Hilda und Hedwig Sokopp verließen ebenso wie deren Bruder Otto nach 1934 die Sozialdemokratische Partei und schlossen sich der KPÖ an. Otto Sokopp war im E-Werk an den Februarkämpfen des Jahres 1934 als Schutzbündler beteiligt gewesen und wurde nach den Kämpfen entlassen.

Die Wohnung von Hilde und Hedwig Sokopp wurde in den Jahren der austrofaschistischen Diktatur zu einem illegalen Treffpunkt. „In dieser Zeit begannen meine Lehrjahre“, berichtet Ossy Tonka: „Denn der politische Unterricht, den mir die Tanten erteilten, war interessanter, lehrreicher und verständlicher als sämtliche Unterrichtsstunden in der Schule.“ 1939 wurde Ossy im Alter von 16 Jahren im illegalen Kommunistischen Jugendverband aktiv. In diesem Jahr begann sie im Postfuhramt im 3. Bezirk in der Lohnverrechnung zu arbeiten.

Einige der Verwandten von Ossy Tonka wurden wegen ihrer Tätigkeit im kommunistischen Widerstand von den Nazis verfolgt. Johann Sokopp, der Cousin von Ossy Tonkas Vater, wurde am 10. Juli 1942 von der Gestapo verhaftet. Geboren am 6. Mai 1913, und damit zehn Jahre älter als Ossy Tonka, wuchs auch Johann Sokopp in einer kinderreichen Familie auf. Sein Vater August arbeitete als Eisenbahner, die Mutter Maria (geborene Wolf) starb früh. Johann Sokopp war zunächst als Hilfsarbeiter beschäftigt und trat 1934 als Berufssoldat in das österreichische Bundesheer ein. Er wohnte in der Grillgasse 35 (Hans-Fuhry-Hof) in Wien-Simmering und war mit Hildegard Suchy verheiratet. 1939 konnte sich Sokopp zwar dem Militärdienst in der Deutschen Wehrmacht entziehen, wurde aber als Zollbeamter nach Polen versetzt. Sokopp war schon in den 1920er Jahren im Kommunistischen Jugendverband aktiv und wurde nach dem Verbot der KPÖ im Mai 1933 kurzzeitig inhaftiert. In der NS-Zeit setzte er seine illegale politische Arbeit auch während seiner Urlaubsaufenthalte in Wien fort. Er fertigte Matrizen für illegale Flugschriften an und sammelte Geld zur Unterstützung der Angehörigen von Inhaftierten. Sokopp wurde bei einem Treffen mit den KPÖ-Führungsmitgliedern Anton Gajda und Adolf Neustadtl festgenommen. Am 15. März 1944 wurde Sokopp gemeinsam mit Leopold Brtna, Johann Dragosits und Rudolf Obermaier vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 24. Mai 1944 im Wiener Landesgericht hingerichtet.

Ein halbes Jahr nach Johann Sokopp, am 16. Dezember 1942, wurde auch Ossy Tonkas Onkel Otto Sokopp, der Bruder ihres Vaters, von der Gestapo verhaftet. Otto Sokopp wurde am 2. Dezember 1899 in Wien geboren und wohnte ebenso in einem Gemeindebau, nämlich im 1931/32 erbauten Anton-Hölzl-Hof in der Laxenburger Straße 94 (Stiege 7). Er war ebenso wie sein Bruder Jakob in der Werkstatt des Vaters zum Metalldrucker ausgebildet worden, arbeitete danach aber als Saisonarbeiter, Gärtner und zuletzt als Fachinspektor kriegswirtschaftlicher Ämter. Grund seiner Festnahme war die Tatsache, dass er in seiner Arbeitsstelle eine größere Anzahl an Reichskleiderkarten entwendete und diese an den KPÖ-Funktionär Emil Vorreiter übergab. Er war auch mit dem führenden KPÖ-Funktionär Johann Mithlinger, der unweit von Sokopp im Gemeindebau Rasenstadt wohnte, in Verbindung gestanden. Mithlinger wurde am selben Tag wie Sokopp verhaftet.

Nach fast eineinhalb Jahren Haft im Polizeigefangenenhaus Rossauer Lände und im Gerichtsgefängnis Margareten wurde Otto Sokopp im April 1944 vom Oberlandesgericht Wien wegen Missbrauchs der Amtsgewalt und Vorbereitung zum kommunistischen Hochverrat zu viereinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt und ins Zuchthaus Stein an der Donau eingeliefert. Er überlebte dort das von NS-Einheiten verübte Massaker im April 1945, wurde danach jedoch nicht freigelassen, sondern ins Gefängnis München-Stadelheim verlegt. Erst im Juni konnte er nach Wien zurückkehren. In Summe war Otto Sokopp 122 Wochen in Haft. Nach der Befreiung arbeitete er als Angestellter der Stadt Wien im Fürsorgeamt von Favoriten. Er starb 1982 in Wien.

Ossy Tonka wurde von Oktober 1941 bis April 1942 zum Reichsarbeitsdienst (RAD) in Thüringen dienstverpflichtet, wo sie auf einem Bauernhof arbeiten musste. Nach ihrer Rückkehr nach Wien belegte sie einen Abendkurs in der Maturaschule, wo sie den Slowenen Rudi Karlin kennenlernte, der im Floridsdorfer Eisenbahnausbesserungswerk beschäftigt und in der jugoslawischen Widerstandsbewegung aktiv war. Die beiden wurden ein Paar. Ossy wurde in den Vereinigten Wiener Metallwerken, einem kriegswichtigen Betrieb, dienstverpflichtet, wo sie im Planungsbüro zu arbeiten begann. Sie schloss sich dort einer überparteilichen Widerstandsgruppe an, die auch Sabotageakte durchführte. Als sie wegen Sabotageverdachts als Luftnachrichtenhelferin nach Kiel einberufen werden sollte, floh sie nach Krajn, wo sie durch die Schwester ihres Verlobten Anschluss an die slowenische Partisanenbewegung fand. Von Oktober 1944 bis Kriegsende beteiligte sich Tonka mit dem illegalen Namen „Marjana“ am Partisanenkampf in den slowenischen Bergen. Zunächst gelangte sie zum Stab der 31. Division der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee nach Cerkno, wo sie Hilfsdienste verrichtete. Sie wurde von deutschen Einheiten gefangen genommen, aber durch slowenische Partisanen wieder befreit. Im Dezember 1944 marschierte sie mit 30 Mann von Tribuscha nach Črnomelj, südlich von Ljubljana, im Gebiet der Bela krajina, wo sich der Sitz der zivilen Partisanenverwaltung befand. Hier begann sie im Jänner 1945 eine Ausbildung zur Radiotelegrafistin.

Nach der Befreiung musste Tonka einige Monate auf ihre Repatriierung waren und kam erst im Dezember 1945 mit einem sowjetischen Militärtransport nach Wien zurück. Bereits in Jugoslawien hatte sie erfahren, dass ihr Verlobter Rudi Karlin im April im Partisanenkampf gefallen war. Tonka war über ein Jahr lang auf der Suche nach einem Arbeitsplatz, bis sie im März 1947 in der Rechtsanwaltskanzlei von Rudolf Skrein auf der Freyung in der Innenstadt zu arbeiten begann. Parallel dazu war sie ehrenamtliche Mitarbeiterin der „Gesellschaft zur Pflege der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion“ – der späteren Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft – aktiv. Im Oktober 1947 ging sie gemeinsam mit ihrer Schwester nach Cambridge in Großbritannien, wo sie fünf Semester am Technical College studierte. Daneben arbeitete sie als Privatsekretärin des Musikwissenschafters Otto Erich Deutsch, der heute vor allem als Verfasser des vollständigen Werkverzeichnisses von Franz Schubert (Deutsch-Verzeichnis) bekannt ist. Im August 1949 kehrte sie nach Wien zurück. Hier heiratete sie den 1923 geborenen Mechaniker Adolf („Dolfi“) Tonka, der in den Studios der Wien-Film am Rosenhügel beschäftigt war. 1952 und 1955 kamen ihre Töchter Gitta und Ruth zur Welt, die sich – wie ihre Mutter und die beiden Großtanten – in der Friedensbewegung engagierten.

Politisch war Tonka nach 1945 wieder in der KPÖ aktiv, deren Favoritner Bezirksleitung sie auch zeitweilig angehörte. Ihr wichtigstes Politikfeld war die Kulturpolitik. Im Verein der „Theaterfreunde“, der Publikumsorganisation des „Neuen Theaters in der Scala“ im 4. Bezirk, war sie im Vorstand engagiert. Die „Theaterfreunde“ boten verbilligte Eintrittskarten und Abonnements für das 1948 von der KPÖ gegründete Theater an, das 1956 geschlossen werden musste. In Gasthäusern und Betrieben hielt Tonka Einführungsvorträge über die Autoren und deren Stücke. Ziel ihrer volksbildnerischen Arbeit war es, das Interesse der ArbeiterInnen an kulturellen Fragen zu wecken und ihnen einen niedrigschwelligen Zugang zum Theater zu bieten. In späteren Jahren setzte sie ihre kulturpolitische Arbeit im Kommunistischen Kulturkreis (KKK) fort, der 1972 u.a. auf ihre Initiative ins Leben gerufen wurde. Der KKK war bis in die frühen 1990er Jahre im KPÖ-Lokal in der Gußhausstraße im 4. Bezirk mit Veranstaltungen aktiv.

Für ihre Teilnahme am Kampf der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee wurde Tonka 1986 ein jugoslawischer Orden – der Orden für Verdienste für das Volk mit dem silbernen Stern – verliehen. Die Auszeichnung wurde ihr in der jugoslawischen Botschaft in Wien überreicht. Ossy Tonka starb am 26. November 1999 im 77. Lebensjahr in Wien.

In ihrem 2016 veröffentlichten Erinnerungsbuch „Buchengasse 100“ schildert Tonka die Geschichte von drei Generationen der Favoritner Arbeiterfamilie Sokopp. Das Buch wurde aus dem Nachlass von ihrer Tochter Gitta veröffentlicht und gibt einen wertvollen Einblick in die konkreten Lebensbedingungen der Arbeiterschaft im ausgehenden 19. sowie im 20. Jahrhundert. Am 25. August 2022 wurde am Gemeindebau Troststraße 64–66 in Favoriten eine Gedenktafel für Oswalda Tonka enthüllt. Vizebürgermeisterin Kathrin Gaál (SPÖ) würdigte in ihrer Ansprache Tonkas aufrechte Haltung im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

 

Ungar Leo (28.7.1899-1972 ), Anneliese (1932-überlebt), Gerd Heinz (1930-überlebt), Stefanie (9.12.1897-1976) 

 

Die Familie, in die Leo am 28. Juli 1899 hineingeboren wurde, kann als gutbürgerlich bezeichnet werden. Die Eltern stammten aus den Kronländern der Habsburger Monarchie und hatten sich in Wien mit einem Handel mit Südfrüchten und Obst im 2. Bezirk etabliert. Leo wuchs mit drei Geschwistern – eine Schwester und zwei Brüdern auf. Während der älteste Sohn sich als Geschäftsmann versuchte, ein weiterer Sohn als Juwelier tätig wurde, begann Leo nach dem Abschluss der Schule und dem 1. Weltkrieg mit dem Studium der Medizin.  Die Familie lebte nach jüdischer Tradition, hielt die Feiertage und gehörte dem Synagogenverein „Beth-Israel“ in der Leopoldsgasse 29 im 2. Bezirk an.

Im 1. Weltkrieg diente Leo Ungar im Deutschmeisterregiment an der Front, als fertiger Mediziner war er als Arzt der Freiwilligen Rettungsgesellschaft tätig und arbeitete „freiwillig und ohne jede Entschädigung auch als Evidenzoffizier des Sanitätsdienstes im Heer.“ Am 2. August 1925 heiratete Leo Ungar die am 9. Dezember 1897 in Budapest geborene Stefanie Reif in Baden bei Wien.

Nach mehrmaligen Übersiedlungen – zuerst war das Paar in Wien 17., Nesselgasse 8, dann von April 1927 bis Anfang Oktober 1929 in Wien 17., Rosenackerstraße 9 gemeldet – zogen die Eheleute am 1. Oktober 1929 in den zwischen 1928 und 1929 errichteten Gemeindebau in der Wattgasse 88. Der Gemeindebau mit einem Straßenhof ist eben zur Nesselgasse hin offen, wo sich auch die Eingänge zu den einzelnen Stiegen befinden. Die beiden Architekten Karl und Wilhelm Schön zeichneten für die Planung verantwortlich, sie ahmten oftmals den Stil der Wiener Secession nach. Stilmäßig enthält der Bau damit sowohl an den Jugendstil erinnernde Elemente, als auch etliche expressionistische dominante Dacherker, die auf den einzelnen Trakten zu sehen sind, ebenso auf den zur Nesselgasse gelegenen ausladenden Hof, der an einen Ehrenhof erinnert.

Wohnung und Ordinationsräumlichkeiten befanden sich auf Stiege 4, Tür Nummer 5–6 und umfassten insgesamt vier Zimmer, zwei Kabinette, drei Vorzimmer, eine Küche sowie einen Balkon. Als praktischer Arzt, der aber auch in Frauenheilkunde und als Kinderarzt ausgebildet war, hatte er einen entsprechenden Patientenstand, behandelte aber auch Personen, die „infolge ihrer Mittellosigkeit nicht in der Lage waren, einen Arzt zu bezahlen, unentgeltlich und selbstlos.“

Sohn Gert Heinz kam 1930 und Tochter Anneliese 1932 zur Welt. Die Freizeit verbrachte die Familie in einem kleinen Gartenhäuschen unweit der Wohnung. Politisch war Dr. Ungar erst in der Sozialdemokratischen Partei, ab 1934 in der Vaterländischen Front engagiert.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1938 änderte sich die Lebenssituation der Familie Ungar dramatisch. Nicht nur die Tatsache, dass sich Dr. Ungar politisch engagiert hatte, sollte sich negativ auswirken. Das Gesundheitswesen sollte nach nationalsozialistischen Prinzipien und Ideen umgebaut werden, jüdische Mediziner und Medizinerinnen waren dabei nicht vorgesehen. Waren bereits längere Zeit vor 1938 antisemitische Anfeindungen gegenüber der jüdischen Ärzteschaft deutlich erkennbar, zeichnete sich nun die möglichst rasche Entfernung dieser Personengruppe ab. So wurde auch noch vor der offiziellen Aberkennung der Approbation eine großangelegte Aktion gestartet, die es auf die in kommunalen Wohnhausanlagen untergebrachten Praxen abgesehen hatte. Es wurde eine Liste von mehr als 100 infrage kommenden Mietern erstellt, die so schnell wie nur möglich, längstens jedoch bis zum 30. Juni 1938 gekündigt werden sollten.

Dies traf auch Dr. Leo Ungar. Die Kündigung erfolgte für den 30. Juni 1938, die Wohnung samt Praxis sollte am 1. Juli 1938 bei Exekution geräumt der Stadt Wien übergeben werden. Zu dem Zeitpunkt der Kündigung war Dr. Ungar bereits seit einem Monat in Haft.

Dr. Leo Ungar war am 29. Mai 1938 verhaftet worden, war zunächst in die Karajangasse verbracht und von dort schließlich nach Dachau und einige Zeit später nach Buchenwald überstellt worden.

Laut der Inhaftierungsbescheinigung war auf der Häftlingspersonalkarte vermerkt: „Schutzhaft angeordnet am 29.5.38 durch: Gestapo Wien. Grund: Aktion. Bisherige Parteizugehörigkeit: S.P. 1928–1933, V.F. 1934–1938. Vorstrafen: 1 Autounfall. […]“

Jahre später – im Zuge eines Entschädigungsverfahren – schilderte Dr. Ungar die erlittenen Torturen:

Die Fahrt nach Dachau kann nicht mit Worten beschrieben werden. Einige Personen wurden während der Fahrt aus dem Fenster geworfen, andere wurden geschlagen und zu Tode gefoltert. […] Die Qualen, die wir an Körper und Geist erleiden mussten können ebenso wenig beschrieben werden. Um ein Beispiel zu geben: Einmal mussten wir Baumwurzeln ausgraben. Ein SS-Mann stand nahe bei mir und beorderte mich tiefer in den Wald, wo wir allein waren. Er zog seine Waffe und befahl mir mich umzudrehen, er würde mich in den Rücken schießen, um den Eindruck zu erwecken, ich hätte entfliehen wollen. Mehrmals aber drehte ich mich so, dass er immer in Frontansicht zu mir war. Glücklicherweise kam ein Vorarbeiter, der mich bereits gesucht hatte. Das rettete mein Leben. Derselbe SS-Mann befahl mir dann, 100 Kniebeugen zu machen, was ich aber nicht schaffte. […] Im September 1938 wurde ich in das KZ-Buchenwald überstellt. Beim Verlassen der Lastwagen mussten wir durch eine Zweierreihe von SS-Männern gehen, die uns mit den Gewehrkolben und Eisenketten schlugen, wodurch ich Verletzungen im Gesicht, auf meinem Kopf, den Schultern erlitt und einige Zähne verlor.

ÖStA, M27A/26, AHF, Kt. 668, Akt 26850. Eidesstattliche Erklärung vom 23.5.1957 in englischer Sprache, übersetzt von Brigitte Ungar-Klein.

Durch die Verhaftung ihres Gatten war Stefanie Ungar auf sich gestellt. Zahlreiche behördliche Erfordernisse mussten erledigt werden, wie zum Beispiel die gesetzlich vorgeschriebene Vermögensanmeldung, das Vorantreiben der Auswanderungspläne, die Verschiffung bzw. die Einlagerung von Einrichtungsgegenständen. Die Sorge um die beiden Kinder, für die es schließlich die Möglichkeit gab, mit einem der angebotenen Kindertransporte nach Holland zu gelangen, war natürlich eine zusätzliche psychische Belastung. Stefanie gelang es aus dem KZ eine Vollmacht ihres Gatten für diese Erledigungen zu bekommen und beauftrage einen Anwalt mit etlichen der gesetzlich vorgeschriebenen Wege. Stefanie, Steffi, wie sie im Kreis der Familie genannt wurde, war eine äußerst resolute Frau, die in dieser herausfordernden und Nerven aufreibenden Zeit die nötige Härte und Bestimmtheit aufbrachte, die schlussendlich zum Erfolg, das heißt zur Entlassung ihres Mannes und zur geglückten Ausreise führte. Neben den behördlichen Steinen, die es zu überwinden gab, gestaltete sich das beengte Leben in den eingemieteten Wohnungen schwierig. Teilweise konnte Steffi mit den Kindern beim Bruder ihres Mannes unterkommen, dann zog sie in die Wasserburgergasse 5 im 9. Bezirk zu Bekannten. Kurz vor der geplanten Abreise der Kinder erkrankte Anneliese an Lungenentzündung und konnte nicht zum festgesetzten Termin an der geplanten Fahrt teilnehmen. So fuhr zunächst Gert nach Rotterdam, erst nachdem das Mädchen wieder gesund geworden war, konnte auch Anneliese die Ausreise nach Holland antreten. Sie erinnerte sich viele Jahre später:

I remember my mother putting me on the train with a lady I had not met before. I was happy and thought it was a great adventure. I now realize that my poor mother must have suffered.
Privatarchiv Brigitte Ungar-Klein, Brief von Ann Chivers (Anneliese Ungar) vom 12.5.1992 an Brigitte Ungar-Klein.

Die Entlassung aus dem KZ Buchenwald erfolgte am 1. Februar 1939, Stefanie und Leo Ungar versuchten so rasch es nur ging, Wien zu verlassen. Der Flug, den sie gebucht hatten, um zu ihren Kindern nach Holland zu kommen, sollte wegen Schlechtwetter nach Berlin umgeleitet werden, letztlich klarte das Wetter aber auf und sie kamen nach Holland, von wo aus sie wenig später nach England weiterfuhren. Die Einreise ist im Reisepass von Leo Ungar mit 18. April 1939 dokumentiert.

Wie viele andere Immigrant*innen musste auch Dr. Leo Ungar seine medizinische Ausbildung behördlich anerkennen lassen, sich zusätzlich aber auch etlichen Prüfungen stellen, bis er schließlich wieder als selbstständiger Arzt tätig werden durfte. Die in der Haft erlittenen Verletzungen waren leider dermaßen gravierend, dass er bei der Ausübung seines Berufes bleibende Einschränkungen hatte.

Die Familie fand eine neue Heimat in Wales. Im Dezember 1947 erhielt Dr. Leo Ungar die britische Staatsbürgerschaft. Einige Male besuchten er und seine Familie Wien, der Kontakt zur Familie seines Neffen, René, der in den 1950er Jahren nach Wien zurückgekehrt und wieder ansässig geworden war, blieb erhalten. Eine Rückübersiedlung nach Wien stand jedoch nicht zur Debatte.

Im Zuge der Opfergesetzgebung suchte er um Haftentschädigung, aber auch um Entschädigung wegen gesundheitlicher Folgeschäden an, die er durch seinen Aufenthalt und die Gewaltanwendungen im Konzentrationslager erlitten hatte, an, die nach längeren Verfahren positiv beschieden wurden.

Dr. Leo Ungar verstarb 1972, seine Gattin Stefanie vier Jahre später, 1976.

Nach Änderungen der Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes wurde Ann Chivers die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Nach einer weiteren Novelle 2022, in der nun auch Nachkommen in direkter absteigender Linie miteingeschlossen wurden, erhielten die Enkelkinder und Urenkel von Dr. Leo und Steffi Ungar die österreichische Staatsbürgerschaft.

 

Verfasserin: Brigitte Ungar-Klein

 

Urach Alois (27.12.1905-2.3.2001) 

 

Alois Urach wurde am 27. Dezember 1905 in Wien geboren und wuchs in einer Arbeiterfamilie in der Feldkellergasse in Speising im 13. Wiener Gemeindebezirk (Hietzing) auf. Sein Vater Alois Urach sen. wurde 1876 in Schönweg (Gemeinde St. Andrä) in Kärnten als eines von zehn Kindern einer Arbeiterfamilie geboren und arbeitete zunächst als Landarbeiter und Bergarbeiter. In Wien fand er Arbeit bei den Verkehrsbetrieben als Straßenbahner. Seine Frau Veronika (geborene Krendl) wurde 1882 in Graz geboren und wuchs mit ihrer alleinerziehenden Mutter und drei Geschwistern auf. „Unsere Eltern sind ganz einfache Leute, ohne Schulbildung“, beschrieb er in einem Erinnerungsbericht an seine Schwester Hedwig („Hedy“), die 1943 hingerichtet wurde, die familiären Verhältnisse: „Aber sie haben ein Leben von Geradlinigkeit und Ehrlichkeit uns vorgelebt.“ 1927 bezog die Familie Urach eine Wohnung in den nahe der Feldkellergasse gelegenen „Straßenbahner-Häusern“ in der Hetzendorfer Straße 184–186.

Nach acht Jahren Pflichtschule absolvierte Alois Urach in den Jahren 1919 bis 1922 eine Lehre als Maschinenschlosser. 1923 trat er als Telefonmechaniker in den Staatsdienst ein. Er arbeitete als Telefonist im Fernsprechamt in der Neutorgasse in der Wiener Innenstadt, wurde aber schon 1930 aus gesundheitlichen Gründen – mit der geringstmöglichen Pension – in den Ruhestand versetzt. Bis Juni 1930 bis Juni 1932 befand er sich – mit Unterbrechungen – wegen eines Niederleidens und wegen Tuberkulose in der Sonnenheilstätte auf der Stolzalpe in der Steiermark. Urach gehörte bereits seit der Lehrzeit – seit April 1920 – dem Kommunistischen Jugendverband (KJV) an und war Bezirksobmann des Verbands in Hietzing. 1930 wurde er von der KJV-Arbeit zur KPÖ über. Seine Schwester Hedy war seit 1927 im KJV aktiv. Unter dem Einfluss seiner Kinder trat auch Alois Urach sen. 1927 der KPÖ bei.

Am 4. September 1929 heiratete Alois Urach die am 7. Juni 1907 in Warschau geborene Chana Rubinstein. Diese lebte seit 1915 in Wien und war seit 1922 ebenso wie Urach im KJV und seit 1927 in der KPÖ aktiv. Im August 1930 wurde Tochter Margit geboren. Im Dezember 1932 bezog das Ehepaar eine Wohnung im neu errichteten Gemeindebau in der Breitenseer Straße 106–108 (Stiege 9) im damaligen Bezirk Hietzing (heute gehört der Gemeindebau zum Bezirk Penzing). Die Wohnung bestand aus einem Zimmer, Küche und Vorzimmer. Während der Februarkämpfe fanden in dieser Wohnhausanlage heftige Kämpfe statt. Der Gemeindebau wurde von Bundesheer und Heimwehr besetzt und die Mehrzahl der männlichen Bewohner verhaftet. Auch in den Jahren der austrofaschistischen Diktatur setzte Urach seine politische Arbeit fort. Er nahm teil an Aktionen gegen die Zinserhöhungen in den Gemeindebauten (Mietzinsstreik), an der Organisierung des getarnten politischen Stützpunktes im Schachverein „Ameisbach“, an Sammlungen für die ins Ausland geflohenen Schutzbündler und an der Herstellung illegaler Flugschriften. In seiner Gemeindewohnungen fanden auch Sitzungen des Zentralkomitees des illegalen KJV statt, dem seine Schwester Hedy angehörte.

Im April 1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs, wurden sowohl Alois Urach als auch sein Vater und seine Schwester von der Gestapo in Schutzhaft genommen, weil sie im Vorfeld der Volksabstimmung offen mit der KPÖ-Parole „Für ein freies Österreich“ aufgetreten waren. Er befand sich von 8. bis 30. April 1938 in Polizeihaft auf der Rossauer Lände bzw. im Wiener Landesgericht. Sein Vater Alois blieb bis Mai, seine Schwester Hedy bis August in Haft. Im September 1938 wurde er wieder als Elektromechaniker bei der Firma Schrack-Ericsson in der Pottendorfer Straße in Wien-Meidling in Dienst gestellt.

Bereits nach seiner Verhaftung im April 1938 fragte die zuständige Magistratsabteilung 21 Anfang Mai 1938 beim Bezirkspolizeikommissariat Schmelz an, aus welchen Gründen Urach verhaftet worden sei „wegen allfälliger Kündigung des Genannten“. Anfang Dezember 1938 wurde Urach die Wohnung schließlich tatsächlich gekündigt, allerdings nicht aus politischen Gründen, sondern aufgrund der Tatsache, dass seine Frau Chana jüdischer Herkunft war. Wie auf zahlreichen weiteren ähnlichen Kündigungsgesuchen befindet sich auch im Antrag der zuständigen Magistratsabteilung 21 an das Hietzinger Amtsgericht die handschriftliche Bemerkung „Jude“.

Im Februar 1939 brachte Alois Urach seine jüdische Frau und seine Tochter nach Belgien, um sie vor weiterer Verfolgung durch die nationalsozialistischen Machthaber zu schützen. Auch Hedy Urach reiste im Mai 1939 nach Belgien ab, wo sie ihre politische Arbeit im Rahmen der dortigen Exilorganisationen fortsetzte. Chana Urach ging von Belgien aus ins Exil nach Großbritannien. Auch die Tatsache, dass sich Urachs Frau nun nicht mehr im Reichsgebiet wohnhaft war und Urach selbst nichtjüdischer Herkunft war, konnte die Kündigung Urachs aus seiner Gemeindewohnung nicht mehr abwenden. Ebensowenig konnten die Vorlage eines „Ariernachweises“ und der Hinweis auf die angeschlagene Gesundheit von Urach die zwangsweise Räumung der Wohnung aufhalten. Zuletzt wurde Urach seitens eines Beamten des Wohnungsamtes empfohlen, um einen Wohnungstausch anzusuchen. Dieser wurde jedoch nicht bewilligt, obwohl Urach einen Tauschpartner gefunden hatte und auch die NSDAP-Parteistellen keinen Einwand erhoben hatten. Nachdem Alois Urach die Gemeindewohnung verloren und am 12. April 1939 geräumt hatte, wurde er von seinen Eltern in der Hetzendorfer Straße aufgenommen.

Am 2. September 1939, einen Tag nach Kriegsbeginn, wurde Alois Urach präventiv von der Gestapo festgenommen. Er war bis 21. Oktober 1939 im Landesgericht inhaftiert, wobei er sich die letzten knapp vier Wochen aufgrund eines Sturzes im Gefangenenhausspital befand und danach wieder drei Monate zur Heilbehandlung auf der Stolzalpe war. „Nach Mitteilung der Ortsgruppe Speising ist Genannter ein eingefleischter Kommunist und scheint daher äußerste Vorsicht geboten“, charakterisierte die NSDAP-Ortsgruppe Speising Urach im Jänner 1940. Im Oktober 1941 wurde Urach von der NSDAP erneut auf seine politische Zuverlässigkeit hin überprüft, wobei der Speisinger Ortsgruppe mitgeteilt wurde, dass er „seit jeher gegnerisch und kommunistisch“ eingestellt gewesen sei. Von November 1940 bis April 1941 arbeitete Urach ein halbes Jahr lang halbtags als Prüfmechaniker bei der Firma Vogtmann & Wabak in der Flachgasse im 15. Bezirk.

Im Juni 1940 kehrte Urachs Schwester Hedwig aus dem belgischen Exil nach Österreich zurück und wurde an führender Stelle im kommunistischen Widerstand aktiv. Im Kontakt mit ihr nahm auch Alois Urach die illegale politische Arbeit wieder auf. Hedy Urach wurde am 17. Juni 1941 von der Gestapo verhaftet und am 16. Dezember 1942 gemeinsam mit vier Mitangeklagten wegen kommunistischen Hochverrats zum Tode verurteilt. Sie wurde am 17. Mai 1943 im Wiener Landesgericht hingerichtet. Alois Urach und seine Eltern lebten bis zur Befreiung Österreichs im April 1945 mehrheitlich in Hadersdorf am Kamp (Bezirk Krems), um dort die Walzmühle eines Verwandten zu führen, der zum Kriegsdienst einrücken musste. Zu Kriegsende war Alois Urach jun. bei der Übergabe der Gemeinde Mönichkirchen im Bezirk Neunkirchen an die sowjetische Befreierarmee beteiligt.

Nach der Befreiung Wiens durch die Rote Armee im April 1945 fungierte Alois Urach ein Jahr lang als Bezirksobmann der KPÖ in Hietzing und gehörte auch der provisorischen Stadtleitung der Partei an. Seit 1948 war er Obmann der nach Hedy Urach benannten KPÖ-Sektion Feldkellergasse im Bezirksteil Speising. 1949 kandidierte Alois Urach für die KPÖ zu den Gemeinderatswahlen in Wien. Da seine Pension zu niedrig war, um die Lebenskosten zu bestreiten, arbeitete er nach 1945 wieder als Telefonist. Seit 1949 war er in dieser Funktion im Erdölgebiet Aderklaa beschäftigt, das von der Sowjetischen Mineralverwaltung neu erschlossen wurde und nach Abschluss des Staatsvertrags im Jahr 1955 zur ÖMV gehörte. Urach wurde in diesem im Marchfeld gelegenen Erdölförderbetrieb auch zum Angestelltenbetriebsrat und Betriebsratsobmann gewählt.

Alois Urachs Frau Chana kehrte 1946 aus dem englischen Exil nach Österreich zurück. Das Ehepaar bezog eine Wohnung in der Speisinger Straße in Hietzing. Seit 1961 wohnte Alois Urach erneut in einem Gemeindebau, nämlich im Harry-S.-Truman-Hof in der Rudolf-Zeller-Gasse (Stiege 14) in Atzgersdorf (Bezirk Liesing), der in den Jahren 1956 bis 1963 im mehreren Bauetappen errichtet wurde. Dorthin übersiedelte er gemeinsam mit der 1920 geborenen Paula Gangelberger, mit der er seit 1954 am Sankt-Nikolaus-Platz in Wien-Erdberg zusammenlebte und die er am 31. Oktober 1956 geheiratet hatte. Die Ehe mit Chana Urach war wenige Wochen vor der Heirat mit Paula Gangelberger geschieden worden.

Nach 1945 widmete sich Alois Urach als physikalischer Autodidakt der Frage, wie aus Luftwärme Energie gewonnen werden könne, wobei er an entsprechende Forschungen des 1944 verstorbenen österreichischen Ingenieurs Rudolf Doczekal anknüpfte, dessen wissenschaftlichen Nachlass Urach verwaltete. 1948 veröffentlichte er eine Broschüre mit dem Titel „Energie aus Luftwärme“, 1955 folgte die von ihm verfasste Broschüre „Perpetuum mobile 2. Art“. Da dies jedoch gegen einen Hauptsatz der Thermodynamik verstoßen würde, scheiterte Urach jedoch als Erfinder eines Luftwärmemotors. Er konnte auch – trotz jahrzehntelanger Bemühungen der von Urach in den 1950er Jahren gegründeten „Österreichischen Gesellschaft zur Förderung von Umweltschutz und Energieforschung“ – Forschungseinrichtungen und Industrie nicht für die Arbeiten Doczekals begeistern.

Im November 1978 beendete Urach – nach 58 Jahren – seine Mitgliedschaft in der KPÖ. Ausschlaggebend dafür war die Haltung der KPÖ zur Volksabstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf, bei der die Partei ein „kritisches Ja“ empfahl. Urach hingegen war 1960 ein Mitbegründer des „Weltbundes zur Rettung des Lebens“, die sich gegen die Nutzung der Atomenergie einsetzte. 1970 gehörte Urach zu den Organisatoren der ersten Protestkundgebung gegen das geplante Atomkraftwerk in Zwentendorf. Alois Urach starb am 2. März 2001.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

Weiss Fanny (1919-überlebt), Hilda (1918), Josef (1910-überlebt), Julie (14.12.1879-11.12.1943), Margit (1916-nicht überlebt), Rosa (1914-1992), Siegfried (2.8.1914-1997)

 

Siegfried Weiss, geb. am 2. August 1914 in Wien, Sohn des Richard, geb. am 12. Februar 1882 in Wien, und der Julie Weiss, geb. Klein, geb. am 14. Dezember 1879 in Alt-Thura (heute Stará Turá, Slowakei), wuchs mit seinen Geschwistern (einem Bruder und vier Schwestern) in bitterarmen Verhältnissen auf. Sein kranker Vater konnte die Familie nicht ernähren und musste die Kinder im Volksheim im Czartoryski-Schlössel im 18. Bezirk unterbringen. Dann kam Siegfried Weiss in die städtische Kinderherberge „Am Tivoli“ im 12. Bezirk. Erst ab 1927 konnte Siegfried bei seinen Eltern im Robert Blum-Hof (20. Bezirk, Engerthstraße 112), einem 1923/24 errichteten Gemeindebau, leben. Sein Vater starb am 28. Juli 1930 im Alter von nur 48 Jahren im Wiener AKH und wurde auf dem Jüdischen Friedhof am Wiener Zentralfriedhof bestattet.

Ende der 1920er Jahre begann sich Siegfried Weiss politisch zu engagieren: zunächst bei der Sozialistischen Arbeiterjugend und nach dem Februar 1934 im Rahmen der illegalen Kommunistischen Partei. Er verteilte Flugzettel, klebte Plakate und nahm an verbotenen Versammlungen teil. Als gelernter Autosattler war er lange Zeit arbeitslos und schlug sich mit diversen Tätigkeiten als Hilfsarbeiter durch.

Anfang 1938 arbeitete Weiss in einer Schlosserei und wurde kurz nach dem „Anschluss“ im März 1938 als Jude entlassen. Er beteiligte sich am Brigittaplatz im 20. Bezirk an einer Demonstration gegen den Einmarsch der Nationalsozialisten, wurde festgenommen und zwei Wochen lang in Polizeihaft angehalten, ohne dass seine jüdische Herkunft bekannt wurde. Im Mai ging er mit einem Genossen über die grüne Grenze in die Tschechoslowakei, wurde von tschechoslowakischen Soldaten angehalten, nach Brünn gebracht und dort von einer Flüchtlingsorganisation betreut. Als sich die Gerüchte verdichteten, dass die Deutsche Wehrmacht bald in der Tschechoslowakei einmarschieren würde, versuchte Siegfried Weiss vergeblich ein Visum für Kanada zu bekommen. Schließlich kehrte er zu seiner Mutter und den Geschwistern nach Wien zurück. Am 1. August 1938 wurde die Familie aus der Gemeindewohnung, bestehend aus einem Zimmer, einem Kabinett und einer Küche, delogiert und kam – ohne Anmeldung – in einer Wohnung in der Dietrichsteingasse 5 im 9. Bezirk unter. Einige seiner Verwandten, so auch seine beiden Schwestern Hilda und Rosa, geb. am 24. März 1914, konnten nach Großbritannien flüchten. Nachdem sein Bruder Josef, geb. am 4. November 1910, ein gelernter Schlosser, der im Mai 1939 Angela Schornstein, geb. am 12. Dezember 1900, geheiratet hatte, und seine Schwester Margit, geb. 2.2.1916, ins Deutsche Reich zur Zwangsarbeit verschickt worden waren, lebte Siegfried Weiss mit seiner Mutter und seiner Schwester Fanny, geb. am 25. Februar 1919, allein in der Wohnung in der Dietrichsteingasse. Anfang 1939 musste er in Baden-Württemberg ein halbes Jahr im Straßenbau Zwangsarbeit leisten. Seine in England lebenden Schwestern versuchten Einreisevisa für ihn und seine Mutter zu besorgen. Er konnte deshalb nach Wien zurückkehren, um die Ausreise zu organisieren. Doch als Großbritannien nach Beginn des Zweiten Weltkrieges die diplomatischen Beziehungen zum Deutschen Reich abbrach, war dies nicht mehr möglich.

Im Oktober 1939 erhielt Weiss die Aufforderung, sich für den ersten Transport nach Nisko zu melden. Dort angekommen wurde er über die Demarkationslinie in die Sowjetunion vertrieben. Sein erster Aufenthaltsort war Lemberg, wo man ihn und andere Flüchtlinge in leerstehende Wohnungen einquartierte. Er unterschrieb einen Arbeitsvertrag für ein Kohlenbergwerk im Donbass. Nach dem Auslaufen des Vertrages übersiedelte Siegfried Weiss mit sechs Genossen, die er aus der KPÖ kannte, nach Woroschilowgrad (heute Luhansk, Ukraine). Dort beschloss die kleine Gruppe – in der Hoffnung Arbeit und finanzielle Unterstützung zu bekommen – zur Komintern (Kommunistische Internationale) nach Moskau zu fahren, wo sie Kontakt zum hochrangigen Funktionär der KPÖ, Friedl Fürnberg, aufnahm, der sich dort mit anderen Mitgliedern des Zentralkomitees im Exil befand. Die Parteiführung schickte die Gruppe allerdings mit einem Bahnticket wieder zurück nach Woroschilowgrad. Weiss ging erneut in den Donbass und arbeitete dort von Dezember 1940 bis Juni 1941 in der Schachtgrube „Stalin“ als Schlosser. Nach Ende des Arbeitsvertrages erhielt er in Woroschilowgrad Arbeit in der größten Lokomotivfabrik der Sowjetunion, die – nach dem Überfall Deutschlands – auf Rüstungsbetrieb umstellte. Nach dem raschen Vordringen der Deutschen Wehrmacht wurde der Betrieb im Oktober 1941 in die Stadt Omsk in Sibirien evakuiert. Omsk war allerdings militärisches Sperrgebiet, sodass Weiss als Ausländer keine Arbeitserlaubnis erhielt. Er arbeitete in der Folge 500 km entfernt als Holzfäller, später in einer Rüstungsfabrik in Alma Ata in Kasachstan. Dort hielten sich viele Ausländer auf, darunter zahlreiche Österreicher, die im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatten. Am 9. Februar 1942 wurde Weiss verhaftet. In mehreren Verhören, in denen er Misshandlungen ausgesetzt war, wurde er der „Spionage“ und „antisowjetischer Propaganda“ bezichtigt und in weiterer Folge in mehreren Arbeitslagern interniert, wo er schwer erkrankte und an Unterernährung litt. Erst im August 1950 erfolgte seine Freilassung aus dem Straflager. Er unterlag allerdings strengen Auflagen, durfte sich nicht frei bewegen und musste jede Arbeit annehmen, die ihm zugeteilt wurde. So arbeitete er beispielsweise in einer Goldmine und schließlich als Schlosser in einem Bergwerk in der Kolyma-Region. 1952 lernte er seine Frau Augusta (Gutja) Stepanova kennen, eine Sowjetbürgerin aus der Stadt Kamyschlow im Ural. 1954 wurde ihre Tochter Rosa geboren und 1955 übersiedelte die Familie in die Geburtsstadt von Gutja Weiss, wo Siegfried bis zu seiner Pensionierung 1975 in einem Ziegelwerk arbeitete. 1963 wurde er rehabilitiert und ihm gerichtlich bestätigt, dass die seinerzeitigen Anschuldigungen zu Unrecht erfolgt waren. Eine Entschädigung für die jahrelange Zwangsarbeit erhielt er allerdings nicht.

Seine Mutter Julie Weiss sowie seine Geschwister Josef und Fanny wurden am 24. September 1942 mit dem Transport IV/11 von Wien nach Theresienstadt deportiert. Julie Weiss ist dort am 11. Dezember 1943 umgekommen.

Fanny Weiss, später verheiratete Langsam, wurde am 4. Oktober 1944 nach Auschwitz überstellt. Von dort kam sie über das KZ Flossenbürg in das KZ Mauthausen, wo sie am 5. Mai 1945 befreit wurde. Josef Weiss wurde am 29. September 1944 nach Auschwitz überstellt, hat die NS-Zeit überlebt und ist nach 1945 in die USA gegangen. Margit Weiss wurde am 1. Oktober 1942 von Wien nach Theresienstadt deportiert und am 4. Oktober 1944 nach Auschwitz überstellt. Sie hat den Holocaust nicht überlebt. Rosa Weiss, später verheiratete Stevens, gründete in Großbritannien eine Familie und ist im Oktober 1992 im Alter von 79 Jahren in London gestorben.

1959 gelang es den Holocaust Überlebenden der Familie Weiss, die in Wien lebten, mit Hilfe des Roten Kreuzes Kontakt zu Siegfried Weiss aufzunehmen. Mehrere Ansuchen in den 1960er Jahren um eine Besuchsgenehmigung nach Österreich wurden jedoch abgelehnt. Schließlich wandte sich seine Cousine Stella Heitler, die KPÖ-Mitglied war, an den damaligen Pateivorsitzenden Franz Muhri, der bei einem Besuch in Moskau das Ersuchen um Ausreisegenehmigung zwecks Besuch der Verwandten in Wien übermittelte. Ende 1967 erhielt Siegfried Weiss die Erlaubnis, nach Wien zu fahren, wo er nach 30 Jahren seine Verwandten wiedersah.

Nach dem Tod seiner Frau Gutja 1973 heiratete Siegfried Weiss 1975 nochmals. 1990 ging er mit seiner Tochter Rosa Stepanova, einer Architektin, nach Wien, wo er 1997 verstarb.

 

Verfasserin: Claudia Kuretsidis-Haider

Winterberg Max (21.5.1903-4.12.1990), Walter (25.1.1924-17.12.2022) 

 

Walter Winterberg wurde am 25. Jänner 1924 geboren und wuchs in einer sozialdemokratisch orientierten ArbeiterInnenfamilie in Wien-Brigittenau auf. Die Eltern seiner 1899 in Wien geborenen Mutter Maria (geb. Deyerl) waren aus Böhmen nach Wien gekommen, sein Vater Max kam am 21. Mai 1903 in Pressburg (heute Bratislava, Slowakei) zur Welt. Dessen jüdische Eltern Isidor und Sarolta (geb. Elias) besaßen seit 1916 in Wien das Heimatrecht, das nach zehn Jahren Aufenthalt gewährt wurde. Gemeinsam mit fünf weiteren Geschwistern wuchs Max Winterberg in der Leystraße 75 auf. Max Winterberg und Maria Deyerl heirateten am 16. Februar 1925, also etwas mehr als ein Jahr nach Walter Winterbergs Geburt.

In der Familiengeschichte von Walter Winterberg spiegelt sich sowohl die Geschichte der österreichischen ArbeiterInnenbewegung als auch die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in den Jahren nach 1938. Seine Mutter Maria war Hilfsarbeiterin, sein Vater Max war gelernter Kontorist (also kaufmännischer Angestellter) und nach dem Ersten Weltkrieg arbeitslos. Seit 1920 gehörte er der Sozialdemokratischen Partei (SDAP) und seit 1927 dem Republikanischen Schutzbund an. 1926 wurde er Betriebsrat der Niederösterreichischen Molkerei, im selben Jahr aber entlassen. 1929 fand er eine Anstellung bei den Städtischen Verkehrsbetrieben, zunächst beim Gleisbau, danach (ab 1934) als Straßenbahnschaffner. Winterberg blieb auch nach dem Verbot der SDAP im Februar 1934 politisch aktiv und leistete illegale Arbeit für die „Revolutionären Sozialisten“.

Die Familie Winterberg lebte im Gemeindebau in der Engerthstraße 99–109, der aufgrund seiner zunächst braunen Farbe im Volksmund „Kakaohof“ genannt wurde. 1933 übersiedelte die Familie in einen ebenso in der Brigittenau gelegenen Gemeinde am Friedrich-Engels-Platz, den 1930/31 erbauten „Engelsplatzhof“, wo sie im Hof 1 (Leystraße 23) eine Wohnung bezogen. Walter Winterberg besuchte den im nahe gelegenen Winarsky-Hof befindlichen Kindergarten und danach die Volksschule in der Vorgartenstraße bzw. die Hauptschule am Allerheiligenplatz. Sportbegeistert gehörte er der Fußballjugendmannschaft der „Reichsbahn 5“ und dem Wiener Arbeiter Turnverein (WAT) an. Er war Mitglied der Kinderfreunde und mit zehn Jahren der „Roten Falken“ und damit politisch und kulturell fest ins sozialdemokratische Milieu integriert.

1938 wurde Max Winterberg als „Nichtarier“ von den Wiener Verkehrsbetrieben gekündigt. Daran konnte aufgrund der „Nürnberger Rassegesetze“ auch seine 1934 erfolgte evangelische Taufe nichts ändern. Walter Winterberg erfuhr erst 1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, von der jüdischen Herkunft seines bis 1934 konfessionslosen Vaters und vom mosaischen Glauben seiner Großeltern. Die Tatsache, dass Max Winterberg von den NS-Machthabern als Jude angesehen wurde, war auch dafür verantwortlich, dass der Familie am 1. August 1938 durch die Stadt Wien die Gemeindewohnung gekündigt wurde. „Obwohl gegen uns keine Beschwerde vorliegt und wir Christen sind, behandelt man mich so. Ich bitte das löbl. Magistrat mir zu gestatten, die Wohnung auf meinen Namen umzuschreiben und weiterhin als Wienerin in der Wohnung bleiben zu können“, richtete Maria Winterberg am 17. September 1939 ein entsprechendes Gesuch an die Magistratsabteilung 21 der Stadt Wien, dem aber nicht stattgegeben wurde. Während die bisherige Wohnung aus einem Zimmer, Küche, Kabinett, einem Vorzimmer und einem kleinen Balkon bestand, wurde der Familie Winterberg stattdessen ein einzelner Raum im selben Gemeindebau (die neue Adresse lautete Kapaunplatz 1) zugeteilt, den sie am 8. Oktober 1938 bezogen.

Nachdem die „Revolutionären Sozialisten“ nach 1938 die illegale Arbeit weitgehend eingestellt hatten, zahlte Max Winterberg Beiträge für die „Rote Hilfe“ und arbeitete in der vom Kommunisten Franz Malik geleiteten Zelle am Engelsplatz mit. (Der 1908 geborene Werkzeugdreher Franz Malik wurde am 8. März 1944 vom nationalsozialistischen Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 10. Jänner 1945 hingerichtet.) Max Winterberg wurde am 1. Dezember 1939 aufgrund einer Denunziation von der Gestapo verhaftet. Bis August 1940 wurde er im Polizeigefängnis Rossauer Lände festgehalten und darauf ins Sammellager für Juden in der Gänsbachergasse bzw. ins „Umschulungslager“ in Windhag (Gemeinde Waidhofen an der Ybbs) überstellt, wo er bis zum 13. November 1940 festgehalten wurde. Vor der Deportation in die in Osteuropa gelegenen Vernichtungslager bewahrte ihn die Ehe mit seiner nichtjüdischen Frau, die sich – zunächst ebenso konfessionslos – evangelisch 1934 taufen ließ. Max Winterberg wurde nun „dienstverpflichtet“ und bis 1943 zur Zwangsarbeit ins „Altreich“ verschickt. Auch Maria Winterberg wurde 1941 ins Siemens-Kabelwerk Leopoldau kriegsdienstverpflichtet.

In der Gemeindewohnung im Hof 1 hatte auch Rudolf Winterberg, der 1909 geborene Bruder von Max Winterberg, Platz gefunden. Rudolf Winterberg war gelernter Goldschmied, fand aber nur saisonweise Arbeit. Auch er war nach 1934 in der illegalen ArbeiterInnenbewegung aktiv. Nachdem der im Oktober 1938 zugewiesene Raum am Kapaunplatz nunmehr zu klein geworden war, wohnte Rudolf Winterberg in Untermiete in einem Zinshaus in der Taborstraße 9 im 2. Bezirk. Er wurde am 2. Juni 1942 gemeinsam mit 998 weiteren österreichischen Jüdinnen und Juden nach Maly Trostinec deportiert und dort unmittelbar nach der Ankunft ermordet.

Zwei weiteren Geschwistern gelang die Flucht ins Ausland, die anderen beiden überlebten als „U-Boote“ die NS-Zeit. Hanni Winterberg konnte 1938 nach Großbritannien emigrieren. Der 1901 geborene Versicherungsangestellte Karl Winterberg wurde am 9. November 1938 im Zuge des Novemberpogroms verhaftet und wenige Tage später ins Konzentrationslager Dachau eingewiesen. Am 28. März 1939 entlassen, gelang es ihm, für sich und seine Frau Maria Visa nach Shanghai zu erhalten. Von dort konnten die beiden in die USA emigrieren.

Wilhelm und Hermine gelang es, sich bis Kriegsende in Wien versteckt zu halten und so der Deportation und Ermordung zu entgehen. Der 1907 geborene Wilhelm Winterberg absolvierte eine Tischlerlehre und war bis 1938 bei der Textilwarenfirma von Harry Weiss in der Klosterneuburgerstraße im 20. Bezirk beschäftigt, der sein Geschäft in diesem Jahr aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgung aufgeben musste. Bereits seit dem November 1938 hielt sich Wilhelm Winterberg bei seiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau, der Gemeindeangestellten Elisabeth Jagsch, in der Engerthstraße 106 versteckt. Die beiden heirateten im Dezember 1945. Die 1911 geborene Hermine Winterberg wiederum war zunächst Verkäuferin im Geschäft ihrer Eltern, die mit „Strick- und Wirkwaren“ handelten. Das in der äußeren Mariahilfer Straße im 15. Bezirk gelegene Geschäft wurde Anfang 1939 „arisiert“. Danach arbeitete Hermine Winterberg als Friseurin. Im September 1940 tauchte sie unter und lebte bis zur Befreiung Wiens versteckt in wechselnden Quartieren, u.a. bei ihrem späteren Ehemann, dem Kaufmann Hans Burian, den sie im Oktober 1946 heiratete.

Auch Walter Winterberg hatte unter den antijüdischen Verfolgungsmaßnahmen der NS-Machthaber zu leiden. Er absolvierte die Mittelschule in der Franklin-Schule im 21. Bezirk, wo er 1942 maturierte. Als „rassisch“ Wehrunwürdiger wurde er im Jänner 1943 zur Technischen Nothilfe, einer technischen Hilfspolizei, die dem Reichssicherheitshauptamt unterstand, zwangsverpflichtet. Zunächst wurde er in eine Kaserne der Technischen Nothilfe in der Lerchenfelderstraße eingezogen und dann nach einer vierwöchigen Ausbildung zum Starkstrommonteur auf verschiedene Baustellen in Niederösterreich geschickt, wo er u.a. in Speisendorf bei Raabs an der Thaya und in Neuhaus an der Triesting Stromleitungen verlegen und Strommasten bauen musste.

Ende 1943 fasste Winterberg den Entschluss, ins Ausland zu flüchten, um den bewaffneten Kampf gegen Hitlerdeutschland aufnehmen zu können. Sein Plan, über die Schweiz nach Frankreich zu gelangen und sich dort dem Partisanenkampf anzuschließen, zerschlug sich jedoch bereits in Vorarlberg, wo er im Nachtzug von der Grenzpolizei festgenommen wurde. Nach vier Wochen Haft in Feldkirch wurde er Anfang Jänner 1944 ins Polizeigefangenenhaus Innsbruck und von dort ins Lager Reichenau bei Innsbruck verlegt. Das Lager Reichenau war 1941 für italienische Zivilarbeiter errichtet worden und wurde später Arbeitserziehungslager und Durchgangslager für jüdische Gefangene auf dem Weg in die Vernichtungslager genutzt. In den letzten beiden Kriegsjahren nutzte es die Gestapo auch das Lager für politische Häftlinge. Walter Winterberg musste in der Wäscherei des Lagers arbeiten, bis er Anfang Mai 1944 ins Konzentrationslager Buchenwald eingewiesen wurde. Als politischer Häftling schloss er sich dort der illegalen kommunistischen Lagerorganisation an. Am 11. April 1945 erlebte Winterberg in Buchenwald die Befreiung.

Nach Wien zurückgekehrt, arbeitete Walter Winterberg seit Dezember 1945 für die Wiener Polizeidirektion, wo sich zahlreiche AntifaschistInnen am demokratischen Wiederaufbau beteiligten. Er war zunächst in der Abteilung I (Staatspolizeiliche Abteilung) beschäftigt, wo er u.a. die an den Polizeipräsidenten und an das Innenministerium gerichteten Wochenberichte verfasste. Danach wurde er in das (damals zu Wien gehörende) Kommissariat Klosterneuburg versetzt. Nach 1955 war er als Kriminalbeamter in Wien-Favoriten im Einsatz. Auch sein Onkel Wilhelm Winterberg arbeitete nach 1945 als Verwaltungsbeamter des Kommissariats Brigittenau für die Wiener Polizei.

Unmittelbar nach der Befreiung Wiens im April 1945 konnten Max und Maria Winterberg in ihre alte Wohnung im Hof 1 des Engelsplatzhofes zurückkehren, wo auch Walter Winterberg die ersten Jahre nach Kriegsende wohnte. Während Walter Winterberg in der KPÖ – vor allem im Rahmen ihrer Parteiorganisation Polizei – aktiv wurde, gehörte sein Vater nach 1945 der SPÖ an. Max Winterberg starb am 4. Dezember 1990. Seine Frau Maria war mehr als zweieinhalb Jahre zuvor, am 12. Februar 1988, gestorben. Sie wohnten bis zu ihrem Tod in der Gemeindewohnung im Engelsplatzhof.

Walter Winterberg studierte berufsbegleitend an der Universität Wien Jus und Dolmetsch (Englisch und Russisch). Am 9. Juli 1955 heiratete er die 1928 geborene Bundesangestellte Margarethe Regelsberger. Nach seiner Pensionierung war Winterberg als Zeitzeuge über die NS-Zeit in Wiener Schulen engagiert. Er verfasste mehrere im Selbstverlag veröffentlichte Bücher, die sich mit dem Zeitgeschehen auseinandersetzten. Für seine Familie hinterließ er ein umfangreiches Erinnerungsmanuskript an die Jahre seiner Kindheit und Jugend, das 2021 in Auszügen im Jahrbuch des DÖW veröffentlicht wurde. Walter Winterberg starb am 17. März 2022 in Wien.

 

Verfasser: Manfred Mugrauer

Zeiner Josef (18.9.1887-10.5.1944) 

 

Josef Zeiner wurde am 18. September 1887 in Zaußenberg (Gemeinde Königsbrunn am Wagram) im Bezirk Tulln in Niederösterreich als Sohn von Josef und Barbara Zeiner (geborene Stadler) geboren. Nach der Pflichtschule arbeitete Zeiner als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter, Kutscher und Geschäftsdiener. 1912 heiratete er Karoline Epstein, die am 12. Dezember 1884 in Großwetzdorf (Gemeinde Heldenberg) im Bezirk Hollabrunn geboren worden war. In den Jahren des Ersten Weltkriegs diente Josef Zeiner beim Kaiserschützenregiment Nr. 1 in Galizien und Italien. Nach Kriegsende wohne er in der Hannovergasse im 20. Wiener Gemeindebezirk (Brigittenau) und arbeitete als Skontist (also Bürodiener einer Bank) bzw. Kraftwagenlenker.

1923 wurde Josef Zeiner Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, der er bis 1927 ebenso wie dem Republikanischen Schutzbund angehörte. Im Jänner 1927 bezog er mit seiner Frau eine Gemeindewohnung im Beerhof in der Engerthstraße 83–97 (Stiege 13) in der Brigittenau, die aus einem Zimmer, Küche, einem kleinen Vorraum und einem Kabinett bestand. Der Beerhof wurde 1925/26 als Bau mit mehreren Innenhöfen errichtet und 1949 nach dem Wiener Gemeinderat Rudolf Beer benannt, der als Bezirksobmann der SDAP Brigittenau fungierte.

Seit 1931 arbeitete Zeiner in den Lederwerken Gerhardus in der Hellwagstraße in der Brigittenau, wo er eine kommunistische Betriebszelle organisierte. Im Sommer 1939 reaktivierte er diese Zelle, u.a. indem er sechs tschechische Lederarbeiter anwarb. Bis Herbst 1942 hob Zeiner in seinem Betrieb Mitgliedsbeiträge für die illegale KPÖ ein.

Josef Zeiner wurde am 11. Jänner 1943 von der Gestapo verhaftet. Danach geriet auch seine Frau Karoline aufgrund ihrer jüdischen Herkunft in das Blickfeld der NSDAP und der Behörden. Karoline Zeiner war zwar katholisch getauft, galt aber infolge der Nürnberger Rassegesetze als „Volljüdin“. Zeiners Tochter Anna lebte zu diesem Zeitpunkt in einem eigenen Haushalt, die zweite Tochter Hildegard jedoch mit ihrem unehelich geborenen elfjährigen Sohn Helmut gemeinsam mit den Eltern in der Gemeindewohnung. Hildegard Zeiner war zu dieser Zeit als Hilfsarbeiterin in einer als Rüstungsbetrieb eingestuften Schuhfabrik in der Hellwagstraße im 20. Bezirk beschäftigt. Wenige Wochen nach seiner Verhaftung teilte die Kreisleitung der NSDAP dem Wohnungsamt der Stadt Wien mit, dass der als Kommunist bekannte Zeiner „mit seiner volljüdischen Frau und seiner halbjüdischen Tochter, die wieder mit einem Volljuden ein Kind hat“, im Gemeindebau in der Engerthstraße wohne. „Ich ersuche daher, die Familie aus dem Gemeindebau zu entfernen, da die Arier mit Recht erklären, mit einem derartigen Gesindel nicht unter einem Dach wohnen zu wollen“, forderte Oberbereichsleiter Grießler die Behörde auf. Die Hauptabteilung Wohnungs- und Siedlungswesen der Stadt Wien wandte sich in mehreren Schreiben an die Wiener Gestapo bzw. an den Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof in Berlin zwecks „Einbringung der gerichtlichen Wohnungskündigung“ nach erfolgter Verurteilung.

Josef Zeiner befand sich bis April 1943 im Polizeigefangenenhaus auf der Rossauer Lände und wurde dann ins Bezirksgefängnis Margareten am Mittersteig verlegt. Am 16. November 1943 wurde gegen Zeiner und zwei weitere Arbeiter aus der Brigittenau – Bernhard Kratochvil und Michael Kesselbauer – Anklage erhoben. Ihnen wurde vorgeworfen, als kommunistische Betriebsfunktionäre den Hochverrat vorbereitet zu haben. Das Verfahren wurde schließlich mit den ebenso am 16. November angeklagten Brigittenauer Arbeitern Johann Pegrisch und Franz Malik zusammengelegt. Am 8. März 1944 verhängte der Volksgerichtshof sowohl über Zeiner als auch über Malik, Kratochvil und Pegrisch die Todesstrafe. Kesselbauer wurde zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Zeiner wurde am 10. Mai 1944 – im Alter von 56 Jahren – im Wiener Landesgericht hingerichtet.

Auch Zeiners Mitangeklagter Bernhard Kratochvil lebte in einem Gemeindebau, nämlich im Janecek-Hof in der Donaueschingenstraße 30 bzw. Engerthstraße 99–109 (Stiege 5), der mit dem benachbarten Beerhof eine infrastrukturelle Einheit bildete. Der Janecek-Hof wurde 1925/26 zeitgleich mit dem Beerhof errichtet und 1949 nach Johann Janecek, dem Bezirksvorsteher der Brigittenau in den Jahren 1918 bis 1927, benannt. Im Volksmund wurde der Gemeindebau aufgrund seiner braunen Farbe lange „Kakaohof“ genannt.

Kratochvil wurde am 29. Dezember 1896 in Wien geboren und wohnte seit Juni 1926 mit seiner Frau Maira (geb. Zacpal) im „Kakaohof“. Er diente von 1915 bis 1918 als Soldat im Ersten Weltkrieg und arbeitete bis 1923 als Kürschnergehilfe in seinem Lehrberuf. Seit 1923 betrieb er als selbstständiger Kürschnermeister ein kleines Ladengeschäft. Kratochvil wurde am 1. Dezember 1942 verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, vom KPÖ-Funktionär Karl Wyt mit der Funktion eines Verbindungsmannes zu den Leitern der kommunistischen Betriebszellen in der Brigittenau beauftragt worden zu sein. Zugleich soll er schon 1939 eine Verteilungsstelle für kommunistische Flugschriften eingerichtet haben. Kratochvil wurde am 10. Mai 1944, am selben Tag wie Zeiner, im Wiener Landesgericht hingerichtet.

Zwei Wochen nach dem Todesurteil gegen Josef Zeiner wandte sich die NSDAP-Kreisleitung II erneut an die Gemeindeverwaltung, um eine Kündigung von Karoline Zeiner aus der Gemeindewohnung zu erreichen. In die Wohnung sollte stattdessen ein kriegsversehrter Parteigenosse einziehen. Am 8. April 1944, einen Monat vor seiner Hinrichtung, wurde Josef Zeiner die Wohnung in der Tat per 30. April gekündigt. Am 19. Mai, neun Tage nach seiner Hinrichtung, genehmigte das Amtsgericht Wien die zwangsweise Räumung der Wohnung, wogegen Hildegard Zeiner, seine Tochter, Berufung anmeldete. Das Berufungsgericht genehmigte zwar die Ende Oktober 1944 anberaumte Zwangsräumung, schob diese aber im Jänner 1945 bis Ende Juni 1945 auf, da das Haus bombenbeschädigt war. Eine Exekution des Urteils wurde bis zur Wiederherstellung des beschädigten Urteils untersagt. Bedingt durch die Kriegsereignisse, also durch die Befreiung Wiens im April 1945, konnte Karoline Zeiner die Gemeindewohnung im Beerhof behalten.

 

Verfasser; Manfred Mugrauer