Stadtführungen gegen das Vergessen!
Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Wiener Gemeindebauten
Mit dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland im Jahr 1938 wurden alle jüdischen Mieter*innen aus den Wiener Gemeindebauten delogiert.
Nicht jede*r packte mit der Räumungsaufforderung die Koffer, viele versuchten, mit Einsprüchen ihre oft langjährig bewohnten Gemeindewohnungen zu behalten. Doch die Versuche scheiterten, denn es gab seitens der nationalsozialistischen Stadtverwaltung einen unwiderruflichen Kündigungsgrund: „Nicht-Arier“.
Wiener Jüdinnen und Juden, die bis 1938 in den Gemeindebauten lebten, mussten neue Unterkünfte finden und wurden oftmals in menschenunwürdige Quartiere gesteckt. Nur wenigen gelang die Flucht ins sichere Ausland. Es sind daher zahlreiche Opfer des Holocausts aus den Wiener Gemeindebauten zu beklagen.
2025 jährt sich zum 80. Mal die Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus. Aus diesem Anlass finden Themenspaziergänge durch ausgewählte Gemeindebauten statt, die von den jüdischen Opfern erzählen, aber auch vom Widerstand, von der kommunalen Baupolitik der Nazis und vom Umgang mit jüdischem Eigentum vor und nach 1945.
Kommen Sie mit und nehmen Sie an den informativen, kostenfreien Spaziergängen teil! Näheres zu den Routen durch die Innere Stadt, die Leopoldstadt, Margareten, die Josefstadt und Neubau, Favoriten, Simmering, Ottakring, Döbling, die Brigittenau und die Donaustadt sowie zur Anmeldung finden Sie unten.

Kommen Sie mit! - Die Rundgänge
Wiener Wohnen bietet zehn Touren an, auf denen Sie den Spuren der jüdischen Gemeindebaubewohner*innen in der Zeit der NS-Diktatur folgen können. Die Journalistin und Buchautorin Evelyn Steinthaler führt Sie zu ausgewählten Wohnhausanlagen in verschiedenen Bezirken. Erkunden Sie mit ihr ein bedrückendes Kapitel der Wiener Vergangenheit: Wer waren die Menschen, die ab 1938 hier innerhalb kürzester Zeit auf die Straße gesetzt wurden? Welches Schicksal mussten sie erleiden, wohin wurden sie gebracht, wurden sie verschleppt, deportiert, ermordet? Weiters beschäftigen sich die Spaziergänge aber auch mit ausgewählten Gemeindebauten, die an Widerstandskämpfer*innen erinnern.
Die Dauer der einzelnen Rundgänge ist auf etwa 1,5 Stunden anberaumt. Sie sind auch für Teilnehmer*innen mit eingeschränkter Mobilität barrierefrei. Treffpunkt ist jeweils 10 Minuten vor Beginn beim ersten Gemeindebau.
Anmeldung
Wo? Wiener Wohnen Service-Nummer 05 75 75 75
Wann? Spätestens eine Woche vor dem Termin, an dem Sie teilnehmen wollen.
Wie viele? Maximal 20 Personen pro Spaziergang.
Bitte melden Sie auch etwaige Begleiter*innen an.
Die Führungen finden bei jedem Wetter statt. Sollte eine abgesagt werden, verständigen wir Sie per SMS.
Hinweis: Die Anmeldung & die Teilnahme an den Spaziergängen sind kostenlos. Im Rahmen der Spaziergänge können Filmaufnahmen und Fotos gemacht werden.
Mehr zum Thema "Datenschutz" zu den Stadtführungen finden Sie hier, mit Klick auf diesen Link!


1. Bezirk
Der Spaziergang durch den 1. Bezirk beginnt mit einem Gemeindebau, der während des Zweiten Weltkrieges fertiggestellt wurde. Er erzählt von jüdischen Wiener*innen, die delogiert wurden, und berichtet von der Wiener Widerstandskämpferin Irene Harand, der in der Zweiten Republik ein Gemeindebau gewidmet wurde.
TERMINE
• Do., 24. April 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 17. Mai 2025, 14 Uhr
• Mo., 2. Juni, 2025, 10 Uhr
• Fr., 29. August 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 20. September 2025, 10 Uhr
TREFFPUNKT
Wohnhausanlage Wollzeile 27,
auf dem Platz vor dem Hauseingang, neben der Aula der Wissenschaften
DIE STATIONEN
1 Wohnhausanlage Wollzeile 27
2 Wollzeile 12
3 Irene-Harand-Hof, Judengasse 4
4 Judengasse 11
5 Marc-Aurel-Straße
6 Franz-Josefs-Kai 45
Gemeindebau, Wollzeile 27
Noch im Austrofaschismus wurde an dieser Stelle aus Gründen der Arbeitsbeschaffung ein Assanierungsbau bewilligt. Bei Assanierungsbauten beteiligte sich die Stadt mit Geldern aus dem Assanierungsfonds an Umbauten und Neubauten ohne die gesamten Kosten zu tragen. Hier stand auch eine verbesserte verkehrstechnischen Nutzung der Wollzeile in Frage, da zu jener Zeit die Stadtentwicklung vor allem den Individualverkehr förderte. Wir müssen davon ausgehen, dass dieses Gebäude in den Jahren 1938-1942 überwiegend von Zwangsarbeitern errichtet wurde, da sich bereits ab 1940 über 17.000 Kriegsgefangene in Wien und Niederdonau – wie Niederösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus genannt wurde – im sogenannten „Arbeitseinsatz“ befanden und arbeitsfähige Männer an der Front waren, emigriert waren oder in Lager verschleppt worden waren.
1942, im Jahr als dieses Gebäude fertiggestellt wurde, waren mehr als 5.806 Fach- und 7.468 Hilfsarbeiter in der Baubranche in Wien und „Niederdonau“ zwangsverpflichtet. Dabei handelte es sich vor allem um Tschechen, Italiener und Kroaten, deren Arbeitskraft unter menschenunwürdigen Umständen ausgenützt wurde. Teilweise wurden sie zwangsrekrutiert aber auch mit falschen Versprechungen ins nationalsozialistische Deutschland gelockt. Das Haus verfügt über zwei Kellergeschoße, wobei im ersten Keller drei großzügig angelegte Luftschutzräume eingeplant worden waren. Der Bau entspricht der in den Jahren des nationalsozialistischen Terrors gebräuchlichen moderaten Moderne. Auffällig sind die im Vorbau über den Erker gezogenen Fenster.
Der beauftragte Architekt war Hans Schimitzek, der aus einer bekannten Architektenfamilie stammte, sein Vater war der Wiener Stadtbaumeister Wilhelm Simitzek. Auch seine Brüder Franz und Wilhelm jun. waren Architekten, die gemeinsam mit Hans Schimitzek im Büro des Vaters tätig waren.
Wollzeile 12
Das Gebäude an dieser Adresse ist ein Bau aus der Nachkriegszeit. Am 5. November 1944 erlitt das zuvor hier bestehende Haus einen schweren Bombenschaden, wodurch es auf einer Länge von drei Fensterachsen einstürzte. Im April 1945 richtete ein Artillerietreffer weiteren Schaden an. An dieser Stelle stand ursprünglich der Mädelspergerhof, der den Namen des kaiserlichen Dieners Elias Mädelsperger trug, in dessen Besitz sich das hier vormals bestehende Haus ab 1637 befand. Die älteste urkundliche Erwähnung eines Hauses auf diesem Grundstück stammt übrigens aus dem Jahr 1440. Ab 1929 kaufte die Firma "Berndorfer Metallwarenfabrik Arthur Krupp AG" einzelne Besitzanteile, bis 1933 das ganze Haus in deren Eigentum übergegangen war. Noch im selben Jahr wurde das Gebäude an die "Innerstädtische Realitäten Aktiengesellschaft" in Vaduz verkauft.
In diesem Haus kam Julie Eisenthal in der Wohnung Nr. 17 unter, nachdem sie aus ihrer Wohnung im Gemeindebau Hagenmüllergasse 32 im 3. Bezirk delogiert wurde. Eisenthals Gemeindewohnung wurde nicht schon im Sommer 1938 geräumt, es dauerte bis in den November, bis die Wohnung für nichtjüdische Nachmieter zu beziehen war. Die 68jährige Julie Eisenthal hatte sich gegen die Kündigung gewehrt und war vor Gericht gegangen. 1870 war sie als Julie Nagel in Lobskirchen, dem heutigen Horní Cerekev in Tschechien zur Welt gekommen. Ihr 11 Jahre älterer Ehemann Eugen war bereits 1921 verstorben. Die beiden hatten eine gemeinsame Tochter, Elisabeth, die 1905 zur Welt kam. Julie hatte zwei Geschwister, Hermine und Robert Siegfried. Der 1875 geborene Bruder war schon in Wien zur Welt gekommen und machte als Lehrer, Schriftsteller und Übersetzer Karriere. 1907 gab er den Deutschen Literaturatlas heraus. Robert Siegfried Nagel starb im Januar 1945 in Wien. Seine Schwester Hermine wurde erst nach Theresienstadt verschleppt und von dort weiter nach Treblinka, wo sie ermordet wurde. Julie musste gemeinsam mit ihrer Tochter Elisabeth am 19. Oktober 1941 auf Transport ins Ghetto Lodz, wo die beiden Frauen mit etwa 998 weiteren jüdischen Wiener:innen verschleppt wurden. Danach verliert sich die Spur von Mutter und Tochter, wir wissen nicht, ob sie bereits im Ghetto Lodz selbst oder in einem der Vernichtungslager im Osten ermordet wurden.
Irene Harand Hof, Judengasse 4
Wo sich heute der Irene Harand Hof befindet, standen ursprünglich zwei Gebäude. Die frühesten Erwähnungen selbiger gehen ins 14. bzw. 15. Jahrhundert zurück. Der Irene-Harand-Hof wurde 1951/1952 nach Plänen von Fritz Waage erbaut und 1990 nach Irene Harand benannt, die 1930 gemeinsam mit dem jüdischen Anwalt Moriz Zalmann die Österreichische Volkspartei, die sich für "Kleinrentner und Arme" einsetzte, gründete und im Gegensatz zu den anderen Parteien aktiv gegen Rassismus auftrat. Harands Katholizismus spielte nicht nur im Widerstand gegen die Nationalsozialisten eine Rolle, sondern bringt sie auch mit der „Vaterländischen Front“ in Verbindung. Harand gab unter anderem die antinationalsozialistische Wochenzeitschrift „Gerechtigkeit" heraus. Drei Jahre nach dem Erscheinen ihres Buches „Sein Kampf. Antwort an Hitler" gingen die Nationalsozialisten aktiv gegen sie vor: Man setzte ein Kopfgeld auf Harand aus, ihre Bücher wurden öffentlich in Salzburg verbrannt. Sie flüchtete in die USA, wo sie das „Austrian Forum" ins Leben rief. 1969 wurde Irene Harand vom Holocaust-Museum Yad Vashem in Jerusalem als "Gerechte der Völker" ausgezeichnet. Harand starb am 2. Februar 1975 in New York. Ihre Asche wurde in einem Ehrengrab der Gemeinde Wien beim Krematorium des Zentralfriedhofes beigesetzt.
Fritz Waage, der Architekt des Irene-Harand-Hofes, schrieb sich gemeinsam mit seinem Kollegen Eugen Kastner mit Industriearchitektur - etwa dem Umspannwerk in Favoriten - in die österreichische Architekturgeschichte ein. Fritz Waage war bereits 1932 illegal der NSDAP beigetreten. Kastner wurde - anders als Waage - 1939 in die Wehrmacht eingezogen und starb unter ungeklärten Umständen kurz vor Kriegsende. Waage hatte wegen seiner Parteimitgliedschaft nach 1945 für mehrere Jahre Berufsverbot. Ende der 1940er Jahre setzte Waage seine Karriere gemeinsam mit dem Architekten Wolfgang Kroupa fort. Ab 1950 gehörte Waage der Gesellschaft bildender Künstler Wiens, dem Künstlerhaus, an und beteiligte sich auch an der Errichtung von Gemeindebauten der Stadt, wie etwa den für uns interessanten Irene-Harand-Hof. Waage starb 1968 in Wien.
Judengasse 11
1438 wurde hier erstmals ein Haus samt Pferdestall urkundlich erwähnt. 1637 kam das Gebäude in den Besitz der verwitweten Kaiserin Eleonore von Gonzaga. Für das späte 17. Jahrhundert ist der Hausname „Zur schwarzen Bürste“ belegt, den jedoch auch das gegenüberliegende Haus führte. Im Jahr 1786 wurde das heutige Gebäude errichtet.
Ab 1929 befand sich in diesem Haus der jüdische Bethausverein Kehilat Jakob, der hier auch ein Bethaus und eine Talmud-Thora-Schule betrieb. 1938 wurde der Verein von den Nationalsozialisten aufgelöst und nach 1945 nicht wieder errichtet. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Gebäude von einer Granate getroffen. Dieses Haus mit seiner typisch spätbarocken Fassade befindet sich an der höchsten Stelle des alten Wien. Es ist auch die letzte in Wien bekannte Adresse von Jolan Dermer-Libesny nach ihrer Delogierung aus der Wohnhausanlage Sandleiten im 16. Bezirk.
Jolan Dermer-Libesny kam am 16. Januar 1891 als Jolan Pressburger in Budapest zur Welt. Sie war zwei Mal verheiratet, ihr zweiter Ehemann Emil Libesny, ein gebürtiger Wiener (geb. 8. März 1885), starb am 28. Oktober 1940 in Wien. Jolan und Emil hatten keine gemeinsamen Kinder, aber Jolan hatte zwei Kinder, Malvine und Wilhelm, aus vorangegangenen Beziehungen. Von ihrem Sohn Wilhelm Pressburger, wissen wir, dass er 1938 einen Ausreiseantrag stellte, auf dem er schrieb, dass Mutter und Stiefvater nachkommen sollten. Wilhelm hat, auch wenn er nicht wie gewollt ausreisen konnte, überlebt. Er wurde 1938 verhaftet und nach Ungarn deportiert, von dort gelangte er über die Tschechoslowakei mit Umwegen nach Jugoslawien und von Lublijana nach Italien. Letztlich gelangte er nach Kriegsende in die USA. Jolan Dermer-Libesny wurde am 27. April 1942 in die polnische Stadt Włodawa deportiert, unweit der belarussischen und ukrainischen Grenze. Der Transport Nr. 27 verließ den Aspangbahnhof in Wien am 27. April 1942 kurz nach 19.00 Uhr und kam am 30. April um 6:00 Uhr in Włodawa an. Dieser Transport, dessen ursprüngliches Ziel Izbica gewesen war, bestand aus 1.000 Jüdinnen und Juden, darunter 367 Personen, die älter als 61 Jahre waren. Der Transport erreichte den Bahnhof von Włodawa, der sechs Kilometer von der Stadt und sieben Kilometer vom Vernichtungslager Sobibor entfernt lag, nach einer 52-stündigen Fahrt. Unter den Augen der Polizei mussten die jüdischen Deportierten vom Bahnhof in die Stadt gehen. Anschließend wurden sie in Lager und Ghettos in der Umgebung transportiert. Zwischen Juni und Oktober 1942 wurden sie in den Vernichtungslagern Sobibor und Belzec ermordet.
Marc Aurel-Straße/Jugendalijah
Sämtliche jüdische Organisationen Österreichs wurden nach dem „Anschluss“ aufgelöst und nur einige wenige blieben erhalten, wie die IKG oder die Jugendbünde, die nun unter dem Dach einer neu geschaffenen Jugendalijah zusammengefasst wurden. Diese unterstand Adolf Eichmann, dessen Ziel es war, die gezwungene Auswanderung und Vertreibung der Juden zu forcieren. Die Jugendalijah befand sich hier, ebenso wie das Palästina-Amt, das von der Jewish Agency for Palestine 1908 gegründet wurde. Ziel der verschiedenen „Auswandererorganisationen“ war die Errichtung eines jüdischen Staates Israel auf dem historisch-biblischen Gebiet. Viele Vertreter des jüdischen Lebens flohen aus Österreich. Einer jedoch blieb: Aron Menczer übernahm die Leitung der Jugendalijah-Schule im Alter von nur 21 Jahren und avancierte damit zur wichtigsten Bezugsperson jüdischer Jugendlicher in Wien in der Zeit zwischen dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bis zu seiner Ermordung 1943 in Aschwitz-Birkenau.
Franz Josefs-Kai 45
Wir schließen den Spaziergang nicht an dieser Adresse ab, weil in diesem Haus der jüdische Religionsphilosoph und Schriftsteller Martin Buber am 8. Februar 1878 zur Welt gekommen war, sondern weil in diesem Haus die Familie Buchwald, die 1938 aus ihrer Wohnung im Gemeindebau Hernalser Gürtel 26 delogiert worden war, ihre letzte Wiener Bleibe hatte. Moses Buchwald, der Vater, war am 21. März 1883 im polnischen Zborow zur Welt gekommen und lebte seit 1904 in Wien. Seine Ehefrau Golde Buchwald, geborene Lerchenfeld, stammte aus dem polnischen Dorf Miedzygorze an der tschechischen Grenze, wo sie am 15. Februar 1897 zur Welt gekommen war. 1920 hatten die beiden geheiratet. Im gleichen Jahr kam ihre Tochter Pauline am 29. Dezember 1920 zur Welt. Es folgten fünf Jahre später die Zwillingsgeschwister Herta und Alfred, am 5. September 1925. Am 18. Mai 1938 stellte Moses für seine Frau Golde und die Kinder Herta und Alfred einen Fragenbogen der Fürsorge Zentrale der Israelitischen Kultusgemeinde Wien – Auswanderungsabteilung. Von Tochter Pauline ist in diesem Antrag nichts zu lesen, da sie nach Großbritannien flüchten konnte. Als Kontakte gab Moses Buchwald Verwandte seiner Ehefrau in New York an. Am 22. März 1941 wurde von der Wiener Polizei eine Gruppe von 26 jungen jüdischen Burschen im Wienerwald aufgegriffen. Sie erklärten, dass sie einen verabredeten Spaziergang unternahmen. Die Buben gehörten zur Jugendalijah Aron Menczers in der Marc-Aurel-Straße. Einer der Buben war Alfred Buchwald. Den nach Wien zurückgeschickten 14 bis 18jährigen wurde ein Brief mitgegeben, den Aron Menczer auf die Gestapo, am unweiten Morzinplatz, bringen musste.
Am 23. November 1941 mussten die Buchwalds vom Wiener Aspangbahnhof mit 996 weiteren jüdischen Wiener:innen auf „Transport in den Osten“, wie die Deportationen von den Nationalsozialisten genannt wurden. Doch der Transport wurde nach Kaunas umgeleitet. Alle Deportierten wurden durch die Einsatzgruppe A unter Beteiligung einheimischer Kräfte gleich nach ihrer Ankunft in einem Teil der alten zaristischen Befestigungsanlagen von Kaunas, die mittlerweile zu Orten regelmäßiger Massaker geworden waren, erschossen. Niemand unter den 1.000 Deportierten aus Wien überlebte. So auch nicht Moses, Golda, Herta und Alfred Buchwald.


2. Bezirk
Der Spaziergang in der Leopoldstadt schildert Delogierungen jüdischer Wiener*innen aus Gemeindebauten, berichtet vom Widerstand des Robert Uhlir und der Emigration Stella Klein-Löws. Auf diesem Spaziergang werden wir uns insbesondere mit den Deportationen der Bewohner*innen der Wiener Gemeindebauten beschäftigen.
TERMINE
• Mo., 28. April 2025, 17.30 Uhr
• Mo., 19. Mai 2025, 17.30 Uhr
• Mi., 25. Juni 2025, 17.30 Uhr
• Mi., 8. Oktober 2025, 17 Uhr
• Mo., 10. November 2025, 17 Uhr
TREFFPUNKT
Wohnhausanlage Obere Augartenstraße 12a, vor dem Grünstreifen
DIE STATIONEN
1 Wohnhausanlage Obere Augartenstraße 12 – 14 2 Stella-Klein-Löw-Hof, Taborstraße 61
3 Wohnhausanlage Nordbahnstraße 24
4 Heizmann-Hof, Vorgartenstraße 140 – 142
Wenn noch Zeit bleibt:
Robert-Uhlir-Hof, Engerthstraße
Wohnanlage Obere Augartenstraße 12-14
1930 bis 1931 wurde diese Wohnhausanlage errichtet. Der verantwortliche Karl Schmalhofer (1871-1960) errichtete als Architekt des Wiener Stadtbauamtes zahlreiche Wohnhausanlagen für die Gemeinde Wien, wie etwa auch die Rasenstadt in Favoriten, die auch als Johann Mithlinger-Siedlung Teil unseres Rundgangs im 10. Bezirk ist. Schmalhofers bedeutendstes Werk ist aber das gemeinsam mit Otto Nadel erbaute Amalienbad.
Fritz Heller wurde am 9. Juni 1893 in Wien-Floridsdorf geboren. Schon als Jugendlicher sammelte er Schauspielerfahrung, die ihn für Theater und Kabarett begeisterten. Ab 1922 trat er regelmäßig in der Revuebühne Femina in der Johannesgasse 1 in der Inneren Stadt auf. 1929 erhielt er eine erste kleine Filmrolle im Stummfilm „Franz Lehár“ von Hans Otto Löwenstein. 1928 heiratete er die um fünf Jahre jüngere Jaroslava Breimann, geb. Kreuz. Im Dezember 1931 zogen die Hellers in eine Wohnung im neu errichteten Gemeindebau in der Oberen Augartenstraße 12-14. Die Wohnung bestand aus einem Zimmer, einem Kabinett, einem Vorzimmer und einer Küche.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland bekam Fritz Heller keine Engagements mehr. Mit 31. Juli 1938 kündigte das städtische Wohnungsamt Fritz Heller die Gemeindewohnung und er musste mit seiner Ehefrau zu seinem jüngeren Bruder Hans nach Floridsdorf ziehen. Im Zuge des Novemberpogroms wurde Fritz Heller gemeinsam mit seinem Bruder verhaftet, im Polizeigefangenenhaus Rossauer Lände inhaftiert und am 15. November 1938 ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. Unter der Auflage, das Reichsgebiet zu verlassen, kamen die beiden Brüder im März 1939 frei. Sie emigrierten im April 1939 mit ihren Ehefrauen über Triest nach Shanghai. Dort war Fritz Heller erneut als Schauspieler sowie als Gelegenheitsarbeiter tätig. Hellers Vater erkrankte und verstarb im Dezember 1939 in Wien. Von Shanghai aus bemühte er sich vergeblich, seine Mutter nachzuholen. Sie wurde in eine „Sammelwohnung“ in die Herminengasse 6 in der Leopoldstadt umgesiedelt und am 28. Juli 1942 von Wien nach Theresienstadt deportiert, von wo sie am 21. September 1942 nach Treblinka überstellt wurde. Unmittelbar nach der Ankunft wurde sie dort ermordet.
Im Jänner 1947 kamen Fritz und Jaroslava Heller nach Europa zurück. Die beiden bezogen erneut eine Wohnung in der Oberen Augartenstraße 12-14. 1949 erwog er eine Emigration in die USA oder nach Australien, blieb aber in Wien und war neben seinen Theaterengagements vermehrt als Kabarettist tätig. Gemeinsam mit Karl Farkas und Hugo Wiener wurde er Mitglied des berühmten Kabarett Simpl in der Wiener Wollzeile. In den 1950er und 1960er Jahren spielte er in Filmen meist kleinere Nebenrollen – u.a. in „Der brave Soldat Schwejk“ (1960) oder „Im weißen Rößl“ (1960).
Er starb am 24. Dezember 1966 im jüdischen Altersheim in der Seegasse 9.
Gekürzte Version der Biografie von Fritz und Jaroslava Heller von Wolfgang Schellenbacher/DÖW
Stella-Klein-Löw-Hof, Taborstraße 61
Der Gemeindebau liegt in der ältesten Straße der Leopoldstadt, die zu den Donaubrücken und ihren Befestigungen, dem Tabor, führte. Das Grundstück, auf dem die Wohnanlage steht, wurde 1941 enteignet und 1947 restituiert. Später wechselte es durch Verkauf den Besitzer und ging 1976 an die Stadt Wien.
Dieser Gemeindebau ist nach Stella Klein-Löw benannt, an die hier eine Gedenktafel erinnert. Sie kam als Stella Herzig am 28. Jänner 1904 im galizischen Przemysl zur Welt, das heute zur Ukraine gehört. Sie wuchs in einer großbürgerlichen jüdischen Familie auf, studierte an der Universität Wien Germanistik, klassische Philologie und Psychologie und promovierte 1928. Als Studentin verkehrte sie in den Kreisen um Egon Friedell, Karl Kraus und Alfred Polgar. Sie wurde Mitglied der sozialdemokratischen Arbeiterjugend und später der sozialdemokratischen Studentenbewegung. In den 1920er Jahren gehörte Anna Freud zu ihren Freundinnen, auf deren Anraten sie eine Analyseausbildung begann, die sie jedoch 1932 abbrach. Sie war danach als Mittelschulprofessorin tätig. 1933 suizidierte sich ihr erster Ehemann, der Arzt Hans Klein. 1938 wurde Stella Klein-Löws zweiter Ehemann, der Physiker Moses Löw, ins KZ Dachau verschleppt. Im gleichen Jahr wurde ihre Wohnung im Gemeindebau in der Budinskygasse 10 gekündigt. Gemeinsam mit ihrem Mann, der aus Dachau entlassen wurde, gelang ihr 1939 die Flucht nach Großbritannien, wo sie zunächst als Putzfrau und Kindermädchen arbeitete.
Ab 1941 konnte Stella Klein-Löw als Lehrerin und Psychologin an einer Londoner Anstalt für schwer erziehbare Knaben arbeiteten. 1946 kehrte sie mit ihrem Ehemann nach Wien zurück. Bald arbeitete sie wieder als Lehrerin. 1970 wurde sie Direktorin des Realgymnasiums für Mädchen in Floridsdorf. Stella Klein-Löw war aktiv in der Bezirksorganisation Leopoldstadt der SPÖ, sowie als Chefredakteurin der Zeitschrift "Sozialistische Erziehung" und wirkte als Vortragende an Wiener Volkshochschulen. Von 1959 bis 1970 war sie Abgeordnete zum Nationalrat und engagierte sich in der Bildungspolitik.
Klein-Löw wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit der Otto-Glöckel-Medaille und der Viktor-Adler-Plakette. Sie starb am 7. Juni 1986 in Wien und wurde auf dem Friedhof der Feuerhalle Simmering neben ihren beiden Ehemännern Hans Klein und Moses Löw in einem Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt.
Nordbahnstraße 24
Die Wohnhausanlage liegt in unmittelbarer Nähe zum Praterstern, der bereits 1564 durch die Anlegung der Achsen Praterstraße und Hauptallee konzipiert wurde. Noch um 1830 floss an der Stelle, wo heute das Wohnhaus steht, ein Seitenarm der Donau. Ein wichtiger Impuls für die Entwicklung des Gebiets war der 1865 eröffnete Nordbahnhof, der als der schönste Bahnhof Wiens galt. Wegen der schweren Schäden des Nordbahnhofs durch die Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg wurde der Nordbahnhof 1965, hundert Jahre nach seiner Fertigstellung, abgerissen. Der Architekt Walter Muchar studierte ab 1942 bei Alexander Popp an der Akademie der bildenden Künste Wien. Nach seinen Plänen wurden ab den 1950er-Jahren mehrere Wohnhausanlagen der Gemeinde Wien errichtet.
Die Deportationen aus Wien nahmen in den Wochen nach dem „Anschluss“ ihren Anfang am Westbahnhof, die großen Verschleppungen aus den Sammellagern in der Castellezgasse 35 oder in der Kleinen Sperlgasse 2a gingen vom Aspangbahnhof im 3. Bezirk in „den Osten“. Insgesamt etwa 50.000 jüdische Wiener:innen wurden hier deportiert. Ab 1943 gingen Deportationen vom ehemals so glamourösen Nordbahnhof und dem Nordwestbahnhof weiter. Die Deportationen fanden nicht mehr in der gleichen Frequenz wie zuvor vom Aspangbahnhof statt, dennoch wurden auch von hier aus Menschen nach Theresienstadt und nach Auschwitz-Birkenau deportiert. In den letzten Kriegsmonaten wurde der Nordbahnhof durch das alliierte Bombardement schwer beschädigt und als einziger Wiener Bahnhof aus dem, 19. Jahrhundert nach 1945 nicht mehr renoviert und in Betrieb genommen.
Heizmann-Hof, Vorgartenstraße 140-142
Der Schlosser Otto Heizmann (geb. am 28. März 1895), der einer kommunistischen Betriebszelle am Wiener Nordbahnhof angehörte, wurde zum Namensgeber für diesen Gemeindebau, der 1925/26 von Hubert Gessner geplant wurde. Heizmann wurde am 17. Februar 1942 verhaftet und nach Monaten in Haft Mitte Juli 1942 in das KZ Mauthausen überstellt, wo er am 2. August 1942 ums Leben kam. Der Gemeindebau wurde 1949 nach nach ihm benannt.
Der Architekt dieses Gemeindebaus Hubert Gessner studierte an der Akademie der bildenden Künste bei Otto Wagner, war aber zuvor bereits in verschiedenen Büros als Bauzeichner tätig gewesen.
Das Ehepaar Rosa und Oskar Lang bewohnte mit ihren vier Kindern eine kleine Hausbesorgerwohnung in der Kleinen Stadtgutgasse 5. Die Räumlichkeiten wurden zu eng, also suchte die Familie eine größere Bleibe, die schließlich im Gemeindebau in der Vorgartenstraße 140–142 Stiege 9 gefunden wurde. Die 46,61 m2 große Wohnung bestand aus Zimmer, Kabinett und Küche.
Oskar Lang verstarb im Jänner 1933, die inzwischen erwachsenen Söhne Wilhelm und Albert übersiedelten in andere Wohnungen. Eduard, der jüngste Sohn, war 1938 an der Adresse der Mutter gemeldet, ebenso die Tochter Anna, die nach ihrer Scheidung wieder hierher gezogen war. Die Kündigung durch den Wiener Magistrat erfolgte am 1. Juli 1938. Gegen diese Kündigung erhob Rosa Lang Einwendungen. Wie in den anderen Verfahren, die vor den Bezirksgerichten abgehandelt wurden, wurde auch in diesem Fall die Aufkündigung für rechtswirksam erklärt und die gekündigte Wohnung sollte „sofort“ zu übergeben sein, abgesehen davon wurde auch ein Kostenersatz bestimmt, der binnen 14 Tagen zu bezahlen wäre. Rosa Lang räumte ihre Wohnung vor dem Urteil und zog voerst in die Herminengasse 21. Um der Deportation zu entgehen, tauchte sie gemeinsam mit Tochter Anna im Mai 1942 unter und lebte ab diesem Zeitpunkt bis Kriegsende als „U-Boot“ in Wien. Karl Kares, Annas Lebensgefährte, wohnte zur Untermiete in einem kleinen Kabinett in der Castellezgasse 13 und versteckte dort Anna. Eduard Lang überstand die Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung ebenfalls als U-Boot. Seine spätere Ehefrau, Margarete Prchal, versteckte ihn. Die gemeinsame Tochter Eva kam im November 1944 zur Welt. Um die Familie nicht zu gefährden, gab Margarete einen anderen Mann als Vater ihres Kindes an. Zeitweise kamen bei ihr auch Anna und Rosa Lang unter. Die letzten Lebensjahre verbrachte Rosa Lang bei ihrer Tochter Anna, die ihren Retter, Karl Kares, am 21. Mai 1947 geheiratet hatte. Gemeinsam übersiedelten sie in eine Wohnung in die Kleine Pfarrgasse 28. Rosa Lang verstarb am 28. März 1953, ohne jemals eine Entschädigung für ihre Verluste erhalten zu haben.
Gekürzte Version der Biografien der Familie Lang von Brigitte Ungar-Klein/DÖW
Robert-Uhlir-Hof, Engerthstraße 148-150
Eine Gedenktafel erinnert an den Namensgeber der Wohnhausanlage Robert Uhlir, der nach dem Bürgerkrieg 1934 einer der führenden Funktionäre der revolutionären Sozialisten war und der sich besonders für Opfer der Verfolgung einsetzte. Uhlir kam am 4. Mai 1900 in Wien zur Welt. Er wurde am 22. August 1939 festgenommen, am 20. November 1940 wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt, am 23. November 1940 wurde er aus der Haft entlassen.
Uhlir war in der jungen Zweiten Republik maßgeblich am Wiederaufbau der Sozialversicherung beteiligt, er verstarb 1982. Von 1945 gehörte Robert Uhlir bis 1966 dem Nationalrat an. 1979 wurde dieser Gemeindebau nach Robert Uhlir benannt.
Der Architekt der Wohnanlage, Edgar Göth (geb. 1933), studierte von 1952 bis 1957 an der Akademie für angewandte Kunst in Wien, wo er die Meisterklasse von Franz Schuster besuchte. Zu seinen wichtigsten Bauten gehört diese Wohnhausanlage. Der zweite Architekt Gottfried Fickl (geb. 1933) studierte ab 1952 bei Clemens Holzmeister an der Akademie der bildenden Künste Wien. Für die Gemeinde Wien war er beispielsweise in einer Arbeitsgemeinschaft an den Plänen zur Wohnhausanlage Krottenbachstraße 122 in Wien 19 beteiligt.


5. Bezirk
Der Spaziergang durch Margareten erzählt, ausgehend vom Gemeindebau in der Brandmayergasse 27, vom kommunalen Wohnbau im nationalsozialistischen Wien, schildert den Widerstand in den Gemeindebauten im Bezirk und berichtet auch über jüdische Wiener*innen, die aus Gemeindebauten delogierten wurden.
TERMINE
• Di., 6. Mai 2025, 17.30 Uhr
• Mo., 30. Juni 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 30. August 2025, 14 Uhr
• Di., 2. September 2025, 17.30 Uhr • Sa., 18. Oktober 2025, 14 Uhr
TREFFPUNKT
Wohnhausanlage Brandmayergasse 27, Ecke Diehlgasse
DIE STATIONEN
1 Wohnhausanlage Brandmayergasse 27
2 Reumannhof, Margaretengürtel 102
3 Julius-Ofner-Hof, Margaretengürtel 22
4 Furtmüllerhof, Ziegelofengasse 12 – 14
Wenn noch Zeit bleibt:
Wohnhausanlage Rechte Wienzeile 71
Wohnanlage Brandmayergasse 27
1937 begann das Wiener Stadtbauamt mit dem Bauvorhaben hier in der Brandmayergasse 27. Wie andere kommunale Wohnbauten aus der Zeit des Austrofaschismus wurde es auch erst unter nationalsozialistischer Stadtverwaltung fertiggestellt. Der Entwurf dieses Gemeindebaus stammte von Adolf Stöhr, errichtet wurde die fünfgeschossige Anlage durch Peter Brich.
Straßenseitig auf der Diehlgasse findet sich ein buntes keramisches Wandbild mit offensichtlich starken NS-ideologischen Bezügen, das von Rudolf Böttger geschaffen wurde. Seit 1937 Mitglied der NSDAP gehörte Böttger bereits ab 1934 einer illegalen nationalsozialistischen Zelle an. Nach dem sogenannten „Anschluss“ verwaltete er eines der größten Ressorts des Wiener Kulturamtes und war auch regelmäßig mit Arbeiten im Haus der Deutschen Kunst in München vertreten. Zu seinen Arbeitsagenden innerhalb des Kulturamtes in Wien gehörte es, öffentliche Gebäude der Stadt mit ideologisch passenden Wandbildern versehen zu lassen. Das hier am Gemeindebau Brandmayergasse angebrachte keramische Wandbild aus dem Jahr 1938 stammte von Böttger selbst. Als Thema wählte er die Frau als Hüterin des Lebens und der deutschen Volksgemeinschaft, mit einem Säugling im Arm. Der ihr beigestellte Mann ist offensichtlich Arbeiter. Eines der insgesamt vier Kinder, der Bub links vor dem Vater, trägt auf diesem Wandbild das braune Hemd und die kurze schwarze Hose der Hitlerjugend. Im ursprünglichen Bild hielt der Bub auch einen Hakenkreuz-Wimpel in seiner Hand.
In der Nachkriegszeit wurde nicht das gesamte Bild von der Fassade abgenommen, sondern lediglich der Hakenkreuz-Wimpel aus der Hand des Buben entfernt. Die HJ-Uniform blieb weiter erkennbar. Lange Zeit scheinbar unbemerkt, erregte das weiterhin gut sichtbare Wandbild viele Jahre später Aufsehen. Um mit dem erhaltenen Wandbild einen zeitgenössischen Umgang zu finden, wurde ein Ideenwettbewerb zur Umgestaltung ausgerufen, den die Künstlerin Ulrike Lienbacher gewann. Sie platzierte eine Glastafel über dem Wandbild mit dem spiegelverkehrt gesetzten Wort „Idylle“. Rudolf Böttger meldete sich 1944 freiwillig zum Kriegsdienst und war in Folge als Frontmaler tätig. Nach dem Verbotsgesetz wurde Böttger aus dem Wiener Künstlerhaus ausgeschlossen. Aber schon im März 1948 wurde Böttger, der sich in Süddeutschland niedergelassen hatte, wieder ins Wiener Künstlerhaus aufgenommen. 1949 nahm er mit Arbeiten, die er der NS-Zeit im Wiener Rathaus eingelagert hatte, an der Frühjahrsausstellung des Künstlerhauses teil. Böttger selbst kehrte nicht nach Wien zurück. Er starb 1973 in Regensburg.
Reumannhof, Margaretengürtel 100-110
Jakob Reumann war von 1919 bis 1923 der erste sozialdemokratische Bürgermeister Wiens. Sein Engagement beeinflusste vor allem das Wohnbauprogramm, den Mieterschutz und das Gesundheitsprogramm in Wien. 1925 starb Reumann 72jährig in Klagenfurt. Noch im Todesjahr wurde der in Bau befindliche Gemeindebau nach ihm benannt. Hubert Gessner, der Architekt des Reumannhofes, gehörte zu jenen Architekten, die palastartige Gemeindebauten des Roten Wiens entwarfen, die das Wiener Stadtbild bis heute prägen.
Der Reumannhof bildete mit seiner 180 Meter langen Fassade und dem symmetrischen Grundkonzept des Ehrenhofes sowie dem monumentalen Mittelteil erstmals die Idee des im Roten Wien so favorisierten Volkswohnpalastes ab. Inmitten anderer Gemeindebauten am Gürtel versteht sich der Reumanhof als zentral wichtiger Bau an der „Ringstraße des Proletariats“. Am 12. Februar 1934 wurde der Reumannhof, dank seiner zentralen Lage in der Stadt, ein Hauptstützpunkt des sozialdemokratischen Republikanischen Schutzbundes. Am frühen Nachmittag brachen beim Reumannhof Gefechte aus, als die Polizei versuchte, den Gemeindebau einzunehmen. Seit 1984 erinnert im Reumannhof zu Füßen der Büste Reumanns eine Gedenktafel an die schweren Kampfhandlungen in diesem Gemeindebau am 12. Februar 1934. Hubert Gessner erlag 1943 einem Herzinfarkt. Zuvor war er von den Nationalsozialisten mit einem zeitweiligen Berufsverbot versehen worden.
Große Gemeindebauten wie der Reumannhof wurden im Roten Wien auch mit Raum für Künstler*innen-Ateliers geplant. So auch für den Architekten Franz Schacherl, der hier im Reumanhof auf Stiege 2, Tür 37 bis 15. Juni sein Atelier unterhielt. Schacherl stammte aus einer sozialdemokratischen Wiener jüdischen Familie. Schacherl, Jahrgang 1895, studierte in Graz Architektur und begann in den 1920er Jahren als Architekt für den „Österreichischen Verband der Siedler in Wien, Kleingärtner und Kleintierzüchter“, der 1921 entstand, zu arbeiten. Zu den Mitarbeiter*innen gehörten Margarete Schütte-Lihotzky, Josef Frank und als Generalsekretär fungierte Volksbildner Otto Neurath. Franz Schacherl entwarf gemeinsam mit Franz Schuster den Karl-Volkert-Hof in Ottakring. Sein Atelier hier im Reumannhof gab Schacherl im Juni 1938 auf, im gleichen Jahr flüchtete er politisch und „rassisch“ verfolgt nach Paris. Dort gelang es ihm mit Hilfe der Familie Rotschild Kontakt mit der portugiesischen Regierung aufzunehmen um in deren angolanischen Kolonie Aufträge für Entwürfe zu bekommen. Am 28. Oktober starb Franz Schacherl in einem Krankenhaus in Luanda, der Hauptstadt Angolas, während einer Operation an einem durchgebrochenen Magengeschwür. Franz Schacherl wurde 48 Jahre alt.
Julius-Ofner-Hof, Margaretengürtel 22
Namensgeber Julius Ofner (1845-1924) war ein ausgebildeter Jurist, wurde 1896 in den NÖ Landtag gewählt und gehörte von 1901 bis 1918 dem Reichsrat an. 1919 war er Mitbegründer der "Demokratischen Partei". Ofner leistete vor allem in den Bereichen des Arbeits- und Strafrechts einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung des österreichischen Rechts. Auf Stiege 5 Tür 17 lebte das Ehepaar Friedrich und Klara Matzner. Friedrich war am 6. September 1868 zur Welt gekommen, Klara am 6. Februar 1874. Friedrich hatte bis zum Einstellen der deutschsprachigen Zeitschrift „Menorah - Illustrierte Monatszeitschrift für die jüdische Familie“ als deren verantwortlicher Redakteur gearbeitet. Die Zeitung war 1923 in Wien gegründet. Bis 1930 erschienen Monatsausgaben, bis 1932 erschien die Zeitung alle zwei Monate als Doppelausgabe.
Die Matzners zogen, ihrem Alter entsprechend, nach der Delogierung aus dem Julius-Ofner-Hof in das Altersheim der Israelitischen Kultusgemeinde in der Seegasse 9. Hier wurden auch alte Menschen aus anderen jüdischen Altersheimen untergebracht, bzw. auch Juden und Jüdinnen, die in allgemeinen Altersheimen nicht mehr weiter wohnen durften. Das jüdische Altersheim in der Seegasse war das größte seiner Art. Mit der Deportation in das Ghetto Theresienstadt ab Sommer 1942 verringerte sich auch die Anzahl älterer Jüdinnen und Juden in Wien. Friedrich und Klara Matzner mussten am 9. Oktober 1942 auf Transport ins KZ/Ghetto Theresienstadt, nahe Prag, gehen. Den Menschen wurde vorgespielt, es wäre ein Kultur- und Vorzeigelager und biete Pflege im Krankheitsfall. Es wurde als Ghetto für prominente und alte Jüdinnen und Juden propagiert. Friedrich starb wenige Wochen nach der Ankunft. Klara starb am 29. April 1945 wenige Tage vor der Befreiung am 9. Mai 1945.
Das Altersheim in der Seegasse wurde im Mai 1943 geschlossen.
Furtmüllerhof, Ziegelofengasse 12-14
Zwei der vielbeschäftigten Architekten der Zwischenkriegszeit, Franz Wiesmann und Konstantin Peller, entwarfen den Furtmüllerhof. Benannt wurde der heutige Gemeindebau bereits wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges nach der emigrierten sozialistischen Politikerin Aline Furtmüller und ihrem Ehemann, dem Individualpsychologen Carl Furtmüller. Den Furtmüllers wird auch im Gemeindebau selbst mit einer Tafel gedacht. Am 20. Oktober 1883 kam Aline Furtmüller in Wien zur Welt. Sie war die älteste Tochter des russischen Revolutionärs Samuel Klatschko. Aline erkämpfte sich das Studium und ergriff den Lehrerberuf; als Frau konnte sie diesen allerdings erst nach 1918 auch ausüben.
Von 1919 bis 1934 gehörte Aline Furtmüller dem Wiener Gemeinderat an. Sie war in der Bildungsbewegung aktiv und auch Vorsitzende der sozialdemokratischen Frauenorganisation im dritten Bezirk. Das Ehepaar Furtmüller lud regelmäßig zu politischen Diskussionen in die eigene Wohnung ein, zu den Gästen gehörten Otto Bauer, Alfred Adler, Max Adler sowie Leopoldine und Otto Glöckel. Im Bürgerkriegsjahr 1934 war Aline Furtmüller für mehrere Wochen in Haft und wurde fristlos entlassen. 1938 flüchteten Aline und Carl Furtmüller nach Paris. Schließlich emigrierten sie nach New York, wo Aline Furtmüller im Dezember 1941 starb. 1949 wurde der Gemeindebau "Aline Furtmüller-Hof" benannt. Seit dem Tod ihres Ehemannes Carl Furtmüller, im Jahr 1951, heißt die Wohnanlage Furtmüllerhof.
Der am 2. August 1880 im Wien geborene Carl Furtmüller kam schon als Student mit der Arbeiterbewegung in Kontakt. Furtmüller gehörte dem Kreis um Alfred Adler und dem von Adler in Wien gegründeten "Verein für freie psychoanalytische Forschung" an und begründete gemeinsam mit Adler 1914 die "Zeitschrift für Individualpsychologie". Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war Furtmüller an der großen Schulreform Otto Glöckels beteiligt und wurde 1919 in die Reformabteilung des Unterrichtsministeriums berufen, Furtmüller gehörte mit zu den einflussreichsten Pädagogen der Ersten Republik. Nach der gemeinsamen Flucht über Paris in die USA arbeitete Carl Furtmüller zunächst als Deutschlehrer in Baltimore, dann bei einer Radiostation in New York und wurde eines der führenden Mitglieder des "Austrian Labor Committee". Nach seiner Rückkehr 1947 war er ab 1948 Direktor des Pädagogischen Instituts der Stadt Wien. In der zeittypischen Sachlichkeit der 1930er Jahre fallen die beiden Schmückungen an der Fassade des Gemeindebaus unter dem Schriftzug Furtmüller-Hof auf, die Arbeiter darstellen. Edwin Grienauer, der Schöpfer der beiden Reliefs, war ab 1936 illegal für die NSDAP tätig und wurde rückwirkend im Mai 1938 in die Partei aufgenommen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges unterrichtete Grienauer an der Akademie der bildenden Künste.


8. und 7. Bezirk
Dieser Spaziergang erzählt unter anderem vom jungen Erich Lessing und seiner Mutter Margit, die aus einem Gemeindebau in der Josefstadt delogiert wurden. Im 7. Bezirk findet sich ein Gemeindebau, der in der NS-Zeit errichtet wurde. Zudem beschäftigen wir uns mit dem Umgang mit „arisiertem“ jüdischem Eigentum nach 1945 in Wien.
TERMINE
• Mi., 7. Mai 2025, 17.30 Uhr
• Mo., 2. Juni 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 30. August 2025, 10 Uhr
• Do., 11. September 2025, 17.30 Uhr • Sa., 22. November 2025, 14.00 Uhr
TREFFPUNKT
Therese-Schlesinger-Hof,
vor dem Eingang Schlösselgasse 14
DIE STATIONEN
1 Therese-Schlesinger-Hof, Schlösselgasse 14
2 Florianigasse 28
3 Ludo-Hartmann-Hof, Albertgasse 13 – 17
4 Schottenfeldgasse
5 Wohnhausanlage Stollgasse 1
6 Wohnhausanlage Mondscheingasse 9
Wenn noch Zeit bleibt:
Dr.-Kronawetter-Hof, Pfeilgasse 47 – 49 Faberhof, Pfeilgasse 42
Therese Schlesinger-Hof
Schlösselgasse 14
Der Therese-Schlesinger-Hof wurde 1929-1930 nach den Plänen von Cesar Poppovits erbaut. Benannt wurde die Wohnanlage nach Therese Schlesinger mit dem Gemeinderatsausschuss für Kultur vom 15. Februar 1949. Therese Schlesinger, die Namensgeberin des Hofes, wurde als eine der ersten Sozialdemokratinnen am 4. März 1919 im österreichischen Parlament für die konstituierende Nationalversammlung angelobt. Am 10. November 1920 erfolgte ihre Angelobung als Mitglied des Nationalrates. Ihre jüdische Herkunft zwang Therese Schlesinger mit 76 Jahren nach Frankreich zu emigrieren. Ihr letztes Lebensjahr verbrachte sie in einem Sanatorium in Blois im Loiretal, wo sie am 5. Juni 1940 starb.
Wilhelm Mendl (geb. 21. April 1892 in Pečky, nahe Prag) wohnte bis 1938 mit seiner Familie auf Stiege 1 Tür 17 in diesem Gemeindebau. Er war Musiker, um genauer zu sein Sänger und Schlagwerker u.a. in der Arche Noah Tanzbar, so hat er es am 11. Mai 1938 in den Fragebogen der Auswanderungsabteilung der Fürsorge Zentrale der IKG Wien geschrieben. Wilhelm Mendl hatte 1922 Irene, geborene Weil, geheiratet. Am 5. Mai 1924 war Tochter Johanna zur Welt gekommen. Es sind keine Unterlagen erhalten, wie Wilhelm Mendl auf die Kündigung 1938 der Wohnung reagierte. Wir wissen nur, dass seine letzte Adresse in Wien am Alsergrund, die Berggasse 29 Türnummer 35 war. Am 26. Oktober 1939 wurde er nach Nisko deportiert. Seine Frau Irene und seine Tochter Johanna blieben noch fast drei Jahre in Wien. Ihre letzte Adresse befand sich am Salzgries 10 Tür 6 in der Inneren Stadt. Die beiden Frauen (Irene 46jährig und Johanna 18 Jahre alt) wurden mit dem Transport 27 am 14. Juni 1942 von Wien in das Vernichtungslager Sobibor deportiert.
Florianigasse 28
Frimet Bloch lebte bis 1938 im Dr. Kronawetter Hof, Stiege 3 Tür 10 in der Pfeilgasse.
Wenn auch die menschenunwürdigen Unterbringungen in den Sammelwohnungen im 2. Bezirk, der in Teilen zu einem Art Ghetto wurde, vor allem bekannt sind, so gab es über die Stadt verteilt, letzte Adressen von Wiener Jüdinnen und Juden, die aus den Gemeindebauten delogiert wurden, wie hier in der Florianigasse 28. Frimet war 64 Jahre alt, Ettel 65 Jahre, als sie am 5. März 1941 mit 997 weiteren jüdischen Frauen, Männern und Kindern deportiert wurden. Von den 999 Jüdinnen und Juden aus Wien im Ghetto Modliborzyc überlebten nur 13. Frimet und Ettel Bloch gehörten nicht zu ihnen.
Ludo-Hartmann-Hof
Albertgasse 13-17
Der Namensgeber Ludo Hartmann (1865-1924) ist vor allem als großer Volksbildner bekannt, der die Bildung der breiten Masse als demokratiepolitische Notwendigkeit verstand. So rief er etwa 1895 an der Universität Wien die "Volkstümlichen Universitätsvorträge“ ins Leben, die allen Menschen zugänglich waren, auch jenen, die nicht zu Studien zugelassen wurden. Von Dezember 1920 bis zu seinem Tod am 14. November 1924 war er Mitglied des Bundesrates. Hartmann verstarb im 59. Lebensjahr an einem Schlaganfall. Der Prokurist Moses Gottesmann, am 5. August 1874 in Cerznowitz zur Welt gekommen, wohnte hier auf Stiege 2 Tür 17. Die Aufkündigung des Wohnverhältnisses vom 1. Juni 1938 ist ebenso erhalten, wie die handschriftliche Kündigung von Herrn Gottesmann selbst, datiert vom 31. Mai 1938. Er musste mit seiner Frau Lotte (geb. am 24. März 1878) und Tochter Mathilde (geb. am 4. Juli 1920) in den 2. Bezirk übersiedeln, ihre letzte Adresse war die Große Sperlgasse 37a, auf Tür Nr. 11. 130 jüdische Frauen, Kinder und Männer mussten hier in schrecklichen Verhältnissen leben, bis sie deportiert wurden. Die Familie Gottesmann wurde am 1. Oktober 1942 nach Theresienstadt verschleppt, Moses starb dort nur wenige Monate später am 19. Februar 1943. Tochter Mathilde musste am 29. Januar 1943 „auf Transport“ nach Auschwitz, wo sie ermordet wurde. Lotte Gottesmann überlebte.
Hier im Ludo-Hartmann-Hof wohnte auf Stiege 2 Tür 18 bis 1938 auch der am 13. Juli 1923 geborene Erich Lessing. Er lebte hier mit seiner Mutter Margit Lessing, geb. Schwarz, einer Konzertpianistin, die am 22. Juli 1895 zur Welt gekommen war. Sein Vater, Dr. Heinrich Lessing, ein Dentist, war bereits 1933 verstorben. Erich besuchte das dem Gemeindebau gegenüberliegende Gymnasium, ehe er wie alle jüdischen Schüler*innen in Wien in eine "Sammelklasse" gezwungen wurde, da es nach dem sogenannten „Anschluss“ nicht mehr erlaubt war, „arische“ und jüdische Schüler*innen gemeinsam zu unterrichten. Nach der Delogierung kamen die beiden nebenan, im Haus Albertgasse 19 auf Tür Nr. 8 unter. Erich verliess im Dezember 1939 Wien und konnte ins Mandatsgebiet Palästina gelangen, wo er das renommierte Technion in Haifa besuchte. Seine Mutter musste am 12. November 1941 in das Ghetto im 2. Bezirk übersiedeln, wo sie mit ihrer Mutter in der Lilienbrunngasse 11 unterkam, wo weitere 84 Personen in Sammelwohnungen zusammengepfercht untergebracht waren. Aus dem Juli 1942 datiert der letzte erhaltene Kontakt zwischen Mutter und Sohn. Am 1. Oktober 1942 wurde Margit Lessing nach Theresienstadt deportiert, wo ihre Mutter starb und von wo sie am 6. Oktober 1944 weiter nach Auschwitz verschleppt wurde. Margit Lessing wurde in Auschwitz ermordet. Der junge Erich arbeitete u.a. in einem Kibbuz und begann sich mit seinem Jugendhobby Fotografie auseinanderzusetzen. Er kehrte über Italien 1947 nach Wien zurück und wurde zu einem der bedeutendsten österreichischen Fotografen. Erich Lessing arbeitete für große internationale Magazine und war Mitglied der Associated Press und der legendären Fotoagentur Magnum Photos. Figls Staatsvertrag-Foto, Belvedere 1955, gehört sicherlich zu den berühmtesten Arbeiten von Erich Lessing. Er starb am 29. August 2018 in Wien.
Schottenfeldgasse 76
Unter den aus dem Karl-Marx-Hof delogierten Mieter*innen befanden sich auch das Ehepaar Hilde und Karl Fürth. Hier an dieser Adresse stehen wir vor der letzten bekannten Adresse der beiden in Wien. Karl kam am 1. November 1893 in Münchengrätz, dem tschechischen Mnichovo Hradiště, zur Welt. Hilde war gebürtig aus Piedekoutz, dem heutigen Nepolokiwzi im ukrainischen Oblast Tscherniwzi, wo sie am 1. Januar 1894 zur Welt kam. In den Archiven, die über andere Auskunft geben können, findet sich zu Hilde und Karl kaum etwas, außer dass Karl Bankbeamter war und dass die beiden mit dem Transport Nr. 25 am 5. Juni 1942 von Wien in das kleine Izbica im polnischen Distrikt Lublin deportiert wurden.
Nur 14 der tausende aus Izbica Deportierten haben die Vernichtungslager überlebt. Hilde und Karl Fürth waren nicht unter den Überlebenden.
Schottenfeldgasse 60 – Bethaus
Bis zum Novemberpogrom 1938 befand sich hier in der Schottenfeldgasse 60 ein Bethaus des Vereins Binjon Chudosch. 1939 ging das Vermögen des Vereins an das dafür eingerichtete Amt des Stillhaltekommissars, der Trägerverein wurde aus dem Vereinsregister gelöscht. Das Gebäude wurde arisiert. Nach dem Krieg bekamen die ehemaligen Eigentümer weder das Gebäude zurück, noch wurde es finanziell restituiert. Versuche, an dem Haus eine Gedenktafel anzubringen, scheiterten, also wurde hier 2004 vor dem Haus – auf öffentlichem Grund – eine Erinnerungs-Stele angebracht.
Wohnhausanlage Stollgasse 1
Im Jahre 1941 wurde die Liegenschaft, auf der die in den 1950er Jahren von Siedek und Kritsch geplante städtische Wohnhausanlage in der Stollgasse steht, in die Grundbücher für die Stadt Wien eingetragen. Das Gebäude, das dort bis dahin existierte, sollte abgerissen werden, um einerseits eine Verbindungsstraße zwischen der Stollgasse und der Lindengasse zu schaffen, wie wir sie heute mit der Überbrückung durch einen Teil der Wohnhausanlage vor uns haben. Andererseits war der Bedarf an Wohnraum in den 1950er Jahren sehr groß, weshalb man schnell viele neue Wohnungen brauchte. Dies ist aber nicht der Grund, weshalb wir auf diesem Spaziergang auch hier Station machen. Es geht vielmehr um die beiden jüdische Familien Guttmann und Weisberger, die auf derselben Liegenschaft auf der nun die Wohnhausanlage steht, ihr Eigentum hatten. Dieses wurde ihnen während der Arisierungsprozesse der Nationalsozialisten geraubt. Aufgrund der ungerechten Rückstellungsprozesse in den 1950 Jahren zog sich die Entschädigung an die Überlebenden bis ins Jahr 2009.
Mondscheingasse 9
An Stelle des späteren Gemeindebaus wurde im Dezember 1887 das erste Wiener Volksbad mit Duschen und damit das erste „Tröpferlbad“ Europas eröffnet. Bereits im ersten Jahr sollen rund 78.000 Personen das Tröpferlbad, das über 42 Brausezellen für Männer und 28 Brausezellen für Frauen verfügte, genützt haben. 1908 wurde es in die Hermanngasse umgesiedelt. Hier sollte es noch dauern, ehe es zur Errichtung des Gemeindebaus kam. In den Jahren des Austrofaschismus wurde hier von der Stadt ein Gebäude als Assanierungsbau mit 19 Wohnungen geplant. Umgesetzt wurde der Bau leicht verändert und erst nach dem sogenannten „Anschluss“ in den Jahren 1939/1940. Die Wohnungen waren überdurchschnittlich groß, sie verfügten über aufwendig angelegte Fenster und Badezimmer sowie Zentralheizung. Sie waren schließlich für NS-Parteifunktionäre vorgesehen.
Ein Blick auf die Plastik an der Wand des Gemeindebaus: Entsprechend der im Nationalsozialismus stark propagierten germanischen Sagenwelt wurde dieser Gemeindebau mit Ferdinand Opitz Terracotta-Arbeit „Siegfried als Drachentöter“ geschmückt. Opitz trat laut seinem Antrag in die Reichskulturkammer am 1. Jänner 1938 der NSDAP bei und wurde Referent für Bildhauerei in der Reichskulturkammer für bildende Künste, Landesleitung Wien. Ab Oktober 1938 war er Leiter der Fachklasse für Bildhauerei an der Kunstgewebeschule. Im Juni 1945 wurde er nach dem Verbotsgesetz aus der Hochschule für angewandte Kunst entlassen. Mit zweifelhaften Entlastungsschreiben gelang es Opitz 1947 als minderbelastet eingestuft zu werden. 1949 setzte er seine künstlerische Arbeit fort, er starb 1960 in Wien.
Der finale Entwurf des Hauses stammte von Walter Pind, der nach der Staatsgewebeschule bei Peter Behrens an der Akademie der bildenden Künste in Wien studierte. Pind, bei der Stadt in der Abteilung Hochbau als Architekt Teil der Beamtenschaft, gehörte später zum Stadtbauamt. In den Jahren des Austrofaschismus entwarf Pind etwa die Konvent Kirche auf der Simmeringer Hauptstraße 173-175 für den Orden der „Schwestern von der schmerzhaften Mutter“. Der 1903 geborene Walter Pind fiel 1944 als Soldat der deutschen Wehrmacht unweit von Budapest.


10. Bezirk
Beim Spaziergang durch mehrere Favoritner Gemeindebauten wird von der Verfolgung jüdischer Wiener*innen erzählt. Aber auch der antifaschistische Widerstand in den Gemeindebauten dieses Bezirks kommt zur Sprache, ebenso wie das wohl größte Bauprojekt des kommunalen Wohnbaus im nationalsozialistischen Wien.
TERMINE
• Sa., 5. April 2025, 10 Uhr
• Sa., 31. Mai 2025, 14 Uhr
• Di., 3. Juni 2025, 17.30 Uhr
• Di., 4. Oktober 2025, 14 Uhr
• Mo., 17. November 2025, 17 Uhr
TREFFPUNKT
Hueberhof vor dem Eingang Quellenstraße 24b
DIE STATIONEN
1 Hueberhof, Quellenstraße 24b
2 Mithlingerhof Rasenstadt,
Neilreichgasse 100 – 106
3 George-Washington-Hof
(die Teile Ahornhof, Birkenhof und Fliederhof)
Wenn noch Zeit bleibt:
Wohnsiedlungen Am Wienerfeld Ost und Am Wienerfeld West
Hueber-Hof, Quellenstraße 24b
Der Hueber-Hof erstreckt sich in Blockrandverbauung über ein von vier Straßen umschlossenes Feld in der rasterförmigen Verbauung von Favoriten. Der Haupteingang wurde mit Klinker massiv gerahmt. Klinkerbänder binden zudem die Balkone aneinander und heben diesen Fassadenabschnitt zusätzlich hervor. Benannt ist die Wohnhausanlage nach dem Gewerkschaftspionier Anton Hueber (1861-1935). Der aus Böhmen stammende Hueber erlernte in Wien zunächst das Drechslerhandwerk und schloss sich bald der sozialdemokratischen Bewegung an. 1895 wurde er zum leitenden Sekretär der Gewerkschaftskommission gewählt. 1928 wurde schließlich der Bund der Freien Gewerkschaften Österreichs gebildet, der ihn zum Vorsitzenden wählte. Als Gewerkschaftsführer hatte Hueber maßgeblich Anteil an der sozialpolitischen Gesetzgebung der Ersten Republik. Die Architekten Heinrich Schopper (1881-1952) und Alfred Chalusch besuchte die Meisterschule Otto Wagners an der Akademie der bildenden Künste Wien.
Hier im Hueber-Hof auf Stiege 11, Tür 6, lebte bis 1938 der aus rassischen Gründen pensionierte Beamte der Wiener Gaswerke Ernst Deutsch mit seiner Ehefrau Julia, einer Nichtjüdin, und mit seinem Vater. Die Wohnung der Deutsch umfasste 2 Zimmer, 1 Kabinett, Vorzimmer und Küche. Der Familie wurde im Mai 1938 gekündigt, was Julia Deutsch zu einem Schreiben an die Behörden veranlasste. Ernst Deutsch war also nachweislich Frontkämpfer und getauft. Dem Antrag wurde dennoch nicht stattgegeben. Sie wurden delogiert. Als Räumungstag wurde der 1. August 1938 angesetzt, es kam aber zu weiteren Verzögerungen, ehe das Ehepaar Deutsch hier aus der Quellenstraße auszog. In den Ankünftsbüchern des KZ Dachau findet sich Ernst Deutsch mit der Häftlingsnummer 29.352. Die Aufnahme erfolgte zwischen dem 12.11.38 und dem 17.11.38 – nach dem Novemberpogrom. Ernst Deutsch gehörte zu den zahllosen Juden, die im Zuge dessen nach Dachau verschleppt wurden, die aber wieder frei kamen, nachdem sie versprachen, das „Reich“ so rasch wie möglich zu verlassen. Ab Anfang 1939 finden sich Schreiben, in denen es um die Eintreibung von Schulden geht. Das Ehepaar Ernst und Julia Deutsch wird dabei als Untermieter an der Adresse der Weißgerberlände 10/10 beschrieben. Die an der gleichen Adresse acht untergebrachten Wiener Jüdinnen und Juden wurden 1942 mit einem Transport nach Riga bzw. Minsk geschickt. Laut den Informationen des DÖW hat Ernst Deutsch überlebt. Ihm gelang es noch 1939 in die USA auszuwandern. 1944 nahm Ernst Deutsch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an. Ob er je nach Wien zurückgekehrt war, ist unbekannt.
Johann-Mithlinger Rasenstadt, Neilreichgasse 100-106
Drei Jahre vor Baubeginn der Rasenstadt, errichtete Karl Schmalhofer gemeinsam mit Otto Nadel eine Ikone des Roten Wien: das Amalienbad am Reumannplatz. Schmalhofer nutzte den Ende der 1920er Jahre noch weitgehend unverbauten Abschnitt Favoritens, um hier 24 Wohnhäuser mit insgesamt 1.136 Wohneinheiten in weitläufigen Grünanlagen zu platzieren und damit den aus England stammenden Gartenstadt-Prinzipien zu folgen.1931 wurde die Rasenstadt fertig gestellt. Am 4. August 1945, wenige Wochen nach der Befreiung Wiens durch die Rote Armee, wurde die Städtischen Wohnhausanlage Neilreichgasse 100 nach Johann Mithlinger benannt. Die „Rasenstadt“ war damit die erste Wiener Wohnanlage, die namentlich an einen hingerichteten antifaschistischen Widerstandskämpfer erinnerte. Die Benennung des Gemeindebaus wurde am 15. Februar 1949 vom Gemeinderatsausschuss für Kultur bestätigt („Johann-Mithlinger-Siedlung“ bzw. „Mithlingerhof“).
Johann Mithlinger wurde am 31. Juli 1898 in Wien geboren. Er absolvierte eine kaufmännische Lehre und arbeitete danach als Praktikant in einer Eisen- und Metallwarenfirma. Im Mai 1916 rückte er zur k.u.k. Armee ein und war an den Kämpfen am Isonzo beteiligt. 1919 wurde er Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, der er bis zu ihrem Verbot im Jahr 1934 angehörte. Am 20. August 1920 heiratete er Maria Wurscher. Wenige Monate danach – am 22. Oktober 1920 – kam Tochter Maria zur Welt, am 22. Februar 1925 folgte Sohn Johann. Mithlinger arbeitete bei der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien. Bis Dezember 1930 war die Familie am Wielandplatz und zog dann in die Wohnung in der Neilreichgasse 100. Sie bestand aus zwei Zimmern, einem Kabinett und Nebenräumen. Seit 1929 war Mithlinger Kommandant eines Schutzbundregiments in Wien-Favoriten. Wegen Teilnahme an den Februarkämpfen des Jahres 1934 wurde er drei Wochen lang in Polizeiarrest genommen. Von der Zentralsparkasse entlassen, folgten Jahre der Arbeitslosigkeit bis 1938. 1936 wurde Mithlinger in der KPÖ aktiv, wurde jedoch im selben Jahr zur Tarnung auch Mitglied der „Vaterländischen Front“. Am 16. März 1938, wenige Tage nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs, wurde Mithlinger als polizeibekannter Kommunist drei Monate in Haft genommen. In den Jahren 1939 und 1940 war er Abteilungsleiter beim Arbeitsamt. Seine Frau Maria leitete bis 1939 eine Kantine. Als im Februar 1941 vom Personalamt der Wiener Gemeindeverwaltung die Wiedereinstellung Mithlingers als Kanzleiangestellter geprüft wurde, charakterisierte ihn die Kreisleitung der NSDAP als „gehässigen Gegner der NSDAP“ und als „politisch unverlässlich“, weshalb seine Einstellung abgelehnt wurde. Seit Juli 1941 war Mithlinger als Inkassant beim Zeitungsvertriebsunternehmen Morawa beschäftigt. Johann Mithlinger wurde am 16. Dezember 1942 im Zuge einer groß angelegten Aktion der Gestapo gegen die KPÖ festgenommen. Ihm wurde vorgeworfen seit Herbst 1940 am Wiederaufbau der illegalen KPÖ leitend beteiligt gewesen zu sein, wobei er vor allem mit Karl Baubelik und Emil Vorreiter, der auch in der „Rasenstadt“ wohnte, zusammenarbeitete. Mithlinger war u.a. auch für die Herausgabe eines Flugblatts verantwortlich, das 1942 mit „Zentralkomitee der freien österreichischen Frontsoldaten“ gezeichnet war. Mithlinger wurde am 29. September 1943 vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat und wegen Feindbegünstigung zum Tode verurteilt und am 7. Juni 1944 im Wiener Landesgericht hingerichtet.
Ebenso in Fänge der Gestapo und der NS-Justiz geriet Johann Mithlingers gleichnamiger Sohn, der am 14. Juli 1941 als 16-Jähriger wegen kommunistischer Betätigung festgenommen wurde und bis November 1942 inhaftiert blieb. Am 8. Oktober 1942 wurde er vom Oberlandesgericht Wien jedoch nicht wegen Hochverrats, sondern wegen „Nichtanzeige eines hochverräterischen Unternehmens“ verurteilt, weshalb er mit einem Jahr Gefängnis davonkam. Die Haft war zu diesem Zeitpunkt bereits verbüßt. Er kam am 10. November 1942 frei. Im April 1945 ergriff der erst 20-jährige Johann Mithlinger die Initiative zur Gründung einer „politischen Polizei“ in Favoriten, in der er bis Mai mitwirkte. Er wurde als Beamter in die Wiener Polizeidirektion aufgenommen und wechselte 1947 zur Wiener Sicherheitswache. Bis 1948 blieb er in der elterlichen Wohnung in der „Rasenstadt“ wohnhaft. Johann Mithlinger jun. Starb 2002 in Wien.
Gekürzte Version der Biografien von Familie Mithlinger von Manfred Mugrauer/DÖW
George Washington-Hof, Fliederhof Stiege 12
Im Fliederhof auf Stiege 12 Tür 8 wohnte bis 1938 Friedrich Kuhner, der als Beamter der Zentralsparkasse tätig war. Von hier musste er in die Seegasse 16 umziehen, wo sich die Schwedische Israelmission in Wien befand. Das Anliegen der Israelmission war Juden mit dem christlichen Glauben vertraut zu machen. Die Not der jüdischen Bevölkerung Wiens verstand die Schwedische Israelmission als Anknüpfungspunkt. Sie begann ihre Tätigkeit in Wien 1920 und beendete sie 1974. Nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland half die Israelmission Jüdinnen und Juden, besonders aber evangelisch getauften Jüdinnen und Juden bei der Ausreise. Die genaue Anzahl an Unterstützten ist nicht bekannt. Von der Israelmission wird oft 3.000 angegeben. Friedrich Kuhner konnte allerdings nicht nach Schweden ausreisen. Er kam von hier in die Volkertstraße 25, wo 50 weitere Personen in Sammelwohnungen untergebracht waren. Friedrich Kuhner wurde am 17. Juli 1942 aus Wien deportiert. Dies war der erste große Transport, der von Wien direkt nach Auschwitz ging.
Mit diesem Transport wurden 1.000 Wiener Jüdinnen und Juden nach Auschwitz deportiert. Wir müssen davon ausgehen, dass Friedrich Kuhner kurze Zeit nach der Ankunft ermordet wurde. Peter Erich Kuhner, der gemeinsame Sohn von Friedrich Kuhner und seine Frau Marie (geb. Krejci), kam 1930 zur Welt. Peter Erich Kuhner verstarb 2013. Die Page of Testemony in Yad Vashem, den Beleg des Todes von Friedrich Kuhner, füllte sein Bruder Joseph Kuhner aus, der in New York lebte.


11. Bezirk
Der Spaziergang in Simmering begibt sich auf die Schicksalsspuren jüdischer Wiener*innen, die aus Gemeindebauten der Stadt gekündigt wurden.
Hier wird aber auch vom politischen Widerstand der Rosa Jochmann erzählt und die Teilnehmer*innen erfahren von den schrecklichen Umständen im Barackenlager in der Hasenleiten.
TERMINE
• Sa., 5. April 2025, 14 Uhr
• Di., 13. Mai 2025, 17.30 Uhr
• Di., 10. Juni 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 4. Oktober 2025, 10 Uhr
• Sa., 22. November 2025, 10 Uhr
TREFFPUNKT
Anton-Schrammel-Hof, Hofeingang Kopalgasse 59, auf dem begrünten Vorplatz
DIE STATIONEN
1 Anton-Schrammel-Hof, Kopalgasse 55 – 61
2 Wohnhausanlage Krausegasse 14
3 Rosa-Jochmann-Hof, Simmeringer Hauptstraße 142
4 Wohnhausanlage Hasenleiten
Anton-Schrammel-Hof, Kopalgasse 55-61
1925 errichtet, wurde dieser Gemeindebau nach Anton Schrammel (1854-1917) benannt, an den im Gemeindebau auch eine Gedenktafel erinnert. Schrammel engagierte sich als Sekretär der Österreichischen Gewerkschaftskommission vor allem für eine engere Zusammenarbeit der Gewerkschaften mit den sozialdemokratischen Mandataren und Funktionären, um sozialpolitische Verbesserungen effizienter durchsetzen zu können. Der Architekt Karl Alois Krist (1883-1941) studierte an der Technischen Hochschule Wien und an der Akademie der bildenden Künste, ehe er für die Stadt Wien ab 1922 zahlreiche Wohnhaussiedlungen, wie den George-Washington-Hof oder den Liebknechthof im 12. Bezirk realisierte.
Hier im Anton-Schrammel-Hof wohnten auf Stiege 7 auf Tür Nr. 1 die Familie Krämer. Max (geb. am 12. Januar 1886) und Aranka (geb. 28. August 1888), die Eltern, beide aus Ungarn stammend und ihre Kinder Klara (Jg. 1915), Franz (Jg.1919), Margarethe (Jg. 1921), Hans (Jg. 1922) und Lilly (Jg. 1927). Max war Kürschnerstückmeister und auch sein Sohn Franz hatte den Kürschnerberuf ergriffen. Klara, die älteste Tochter, war Schneiderin und Margarethe arbeitete als Verkäuferin. Über Hans‘ Beruf ist nichts bekannt. Auf dem Fragebogen der Auswanderungsabteilung der Fürsorgezentrale der israelitischen Kultusgemeinde schrieb sein Vater Max „ohne Beruf“ als Vermerk. Lilly ging noch zur Schule, Aranka führte den Haushalt der siebenköpfigen Familie. Als Max den Fragebogen am 20. Juni 1938 ausfüllte, strich er die zuvor angegebene Adresse in der Kopalgasse 55 durch und ergänzte mit „Hasenleitengasse 6-8, Baracke 30“ Die Familie blieb also im Bezirk, musste aber in die menschenunwürdigen Baracken in der Hasenleiten unterkommen. Die Krämers waren, so schrieb Max Krämer im Antrag, mittellos, kein Zustand, der die Ausreise erleichterte.
Doch die Krämers konnten nicht ausreisen, auch nicht die drei ältesten Kinder zuerst. Max und Sohn Hans wurden am 26. Oktober 1939 nach Nisko deportiert, an die polnisch-sowjetische Grenze, wo die Gefangenen nur zu einem Mindestmaß Unterkünfte vorfanden und ein Großteil über die Grenze in die Sowjetunion getrieben wurde. Am 15. Februar 1941 verließ der erste Deportationstransport mit jüdischen Männern, Frauen und Kindern den Wiener Aspangbahnhof mit dem Ziel Opole, einer polnischen Kleinstadt südlich von Lublin, mit im Zug waren Aranka, Klara, Margarethe, Franz und Lily Krämer.
In Opole lebten 1939 etwa 4.000 Jüdinnen und Juden. Bis März 1941 wurden ca. 8.000 Juden in das in Ghetto Opole deportiert. Die Unterbringung erfolgte bei ortsansässigen Juden, in Massenquartieren und in neu errichteten Baracken. Im Ghetto war die Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt, es fehlten Absperrungen, jedoch war das Verlassen Opoles ohne behördliche Genehmigung verboten. Die Kontrolle des Ghettos übernahmen der Sicherheitsdienst der SS (SD), Gendarmerie und auch deutsche Wehrmachtsangehörige. Im Frühjahr 1942 begann die Liquidation des Ghettos von Opole. Am 31. März 1942 ging ein Transport in das Vernichtungslager Belzec ab, im Mai und Oktober 1942 folgten Deportationen in das Vernichtungslager Sobibor. Von den etwas mehr als 2.000 Wiener Jüdinnen und Juden sind 28 Überlebende bekannt. Aranka, Klara, Margarethe, Franz und Lily waren nicht unter ihnen.
Wohnanlage, Krausegasse 14
Wir befinden uns im ältesten Siedlungskern von Simmering. Von dort entwickelte sich die Ansiedlung zu einem kleinen, 1028 erstmals urkundlich genannten Ort entlang der heutigen Mautner-Markhof-Gasse, wo sich in der Nähe des späteren Brauhauses bereits 1136 nachweislich ein Herrschaftshaus befand. Ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Simmering durch die Ansiedlung großer Unternehmen zu einem Industrie- und Arbeiterbezirk. Die Wohnanlage wurde 1953-54 von Hanns Kunrath (1902-1979) errichtet, der sein Architekturstudium an der Technischen Hochschule Graz absolvierte. 1941 wurde er wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen. Kunrath war ab 1951 Mitglied des Wiener Künstlerhauses. Neben Wohnhausanlagen für die Stadt Wien realisierte er Genossenschaftssiedlungen, Verwaltungs- und Sakralbauten in ganz Österreich.
Bevor dieser Gemeindebau entstand, befand sich hier das Polizeikommissariat Simmering, das heute am Enkplatz zu finden ist. Zu einem Polizeikommissariat gehörten auch Zellen, in einer solchen wurde 1933, nach einer Kundgebung vor dem Zentralfriedhof der damalige sozialistische Jugendfunktionär und spätere Bundeskanzler Bruno Kreisky (1911 - 1990) gefangen gehalten. Kreisky war allerdings nicht der einzige Sozialist, der hier eingesperrt worden war, er war einer von vielen Sozialisten, die hier am früheren Polizeikommissariat Simmering inhaftiert wurden. Benannt ist die Krausegasse übrigens seit 1894 nach Dr. Friedrich Krause (1767-1827), der die erste evangelische Schule in Wien gegründet hatte.
Braunhubergasse 7
„Zuerst zerstörten sie die Gebäude, dann töteten sie die Menschen.“
In der Braunhubergasse 7 stand eine 1898-1899 nach Plänen Jakob Gartners erbaute Synagoge, die während des Novemberpogroms am 10. November 1938 zerstört wurde. Die Vereinssynagoge des Israelitischen Tempelverein Simmering stellte bis 1938 das gesellschaftliche, religiöse und kulturelle Zentrum für die Jüdinnen und Juden Simmerings dar.
Zum Israelitischen Tempelverein Simmering gehörte der I. Israelitischer Frauen-Wohltätigkeitsverein für den XI. Bezirk Simmering. Eigentümer der Liegenschaft war bis 1938 der Israelitische Tempelverein Simmering. Die Liegenschaft wurde in Folge „arisiert“. 1940 kam es zum Kaufvertrag zwischen der Aufbaufond Vermögensverwaltungs Ges.m.b.H und den Bauunternehmern Anton und Julie Duraz. Der Kaufpreis betrug 8.000 Reichsmark. 1946 kam die Liegenschaft in das Eigentum der Österreichischen Bundesbahnen.Anton und Julie Duraz gaben 1946 an, dass sie ihre Anmeldepflicht für „zweifelhaft“ hielten, da sie es nicht auf eine Liegenschaft aus „jüdischem Besitz (…) abgesehen“ hätten. Sie hätten das leere Grundstück vom Vorbesitzer, der Aufbaufond Vermögensverwaltungs Ges.m.b.H „nicht billig erworben“, es diente ihnen als „Lagerplatz“, ein Grundstück, das sie für diesen Zweck bereits lange gesucht hätten. Die Israelitische Kultusgemeinde verzichtete als Rechtsnachfolgerin des Israelitischen Tempelvereins Simmering 1948 auf Restitution und erhielt 35.000 Schilling als Entschädigung. 1977 wurde auf der Liegenschaft von der „Gemeinnützigen Bau- und Siedlungsgenossenschaft Frieden“ eine Wohnhausanlage mit Eigentumswohnungen errichtet. Eine Gedenktafel an dem Haus konnte nicht angebracht werden, da von den Eigentümern Vandalismus befürchtet wurde. 2002 wurde in der Bezirksvertretung der Antrag des SPÖ-Bezirksrats Reinhard Todt einen Antrag auf Errichtung eines Mahnmals eingebracht, er wurde einstimmig angenommen.
Rosa-Jochmann-Hof, Simmeringer Hauptstraße 142-150
Architekten: Josef Frank, Oskar Wlach
Josef Frank (1885-1967) studierte Architektur an der Technischen Hochschule Wien. Für die Gemeinde Wien errichtete er alleine und gemeinsam mit Oskar Wlach und Oskar Strnad mehrere Wohnhausanlagen. Er war am Winarsky Hof im 20. Bezirk beteiligt und die Werkbundsiedlung im 13. Bezirk wurde als Bauausstellung für ein neues, soziales Wohnen von ihm ab 1930 konzipiert. Frank emigrierte 1934 nach Schweden, wo er zum wichtigsten Wegbereiter des modernen Designs wurde. Oskar Wlach (1881-1963) studierte an der Technischen Hochschule Wien, dann besuchte er an der Akademie der bildenden Künste Wien die Meisterschule von Friedrich Ohmann. Als Architekt arbeitete Wlach überwiegend mit Oskar Strnad und ab 1913 mit Josef Frank zusammen. Er war an der Realisierung mehrerer Wohnbauten für die Gemeinde Wien beteiligt, ehe er 1939 in die USA emigrierte.
Rosa Jochmann kam am 19. Juli 1901 als viertes von sechs Kindern zur Welt, sie wuchs in einer sozialistisch geprägten Arbeiter*innenfamilie auf. Ihre Eltern waren aus Mähren zugewandert. Rosa und ihre Geschwister wuchsen zweisprachig auf. Vater Karl (1876-1920), war Eisengießer; Mutter Josefine (1874-1915) arbeitete als Wäscherin und Putzfrau. Nach dem Tod der Mutter 1915 musste Rosa für ihre jüngeren Geschwister sorgen. Mit 14 Jahren fand sie ihre erste Anstellung als Hilfsarbeiterin bei der Süßwarenfabrik Victor Schmidt & Söhne. Rosa Jochmanns erste politische Funktion war im Fabrikausschuss des Chemiearbeiterverbandes. 1926 wurde sie zur Sekretärin der Chemiearbeitergewerkschaft bestellt, sie übernahm die Organisierung der Frauen in dieser Gewerkschaftssparte. Im selben Jahr gehörte sie zu den ersten Absolvent*innen der Arbeiterhochschule. Ihr Lehrer Otto Bauer begann Jochmann zu fördern. 1932 war sie Zentralsekretärin der Sozialistischen Frauen und trat erstmals als Delegierte bei einem Parteitag auf. Ein Jahr später wurde Rosa Jochmann in den Parteivorstand gewählt. Nach dem Februar 1934 engagierte sich Rosa Jochmann bei den Revolutionären Sozialisten unter dem Decknamen Josefine Drechsler. Im August 1934 wurde sie in Wiener Neustadt verhaftet und zu drei Monaten Polizeihaft und einem Jahr Kerker verurteilt. Nach ihrer Freilassung 1935 war sie weiterhin vielfältig engagiert: So verbreitete sie etwa die mittlerweile illegale Arbeiter-Zeitung und organisierte Zusammenkünfte. Im August 1939 wurde sie von der Gestapo verhaftet und im März 1940 ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück deportiert, aus dem sie erst nach der Befreiung des Lagers durch russische Truppen heimkehrte. Rosa Jochmann gehörte zu jenen Ravensbrück-Überlebenden, die Transporte nach Wien organisierten. Von 1945 bis 1967 war sie Abgeordnete zum Nationalrat und Mitglied des Parteivorstandes der SPÖ, ab 1945 Frauen-Zentralsekretärin und 1967 Vorsitzende des Frauen-Zentralkomitees der SPÖ. Von 1948 bis 1990 war sie Vorsitzende des Bundes der Sozialistischen Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus, 1963-1994 Vizepräsidentin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands. Bis ins hohe Alter erinnerte Rosa Jochmann unermüdlich an den nationalsozialistischen Terror und warnte vor Vergessen und Verharmlosen. Sie starb am 28. Jänner 1994 in Wien.
Wohnhausanlage Hasenleitengasse 10-14
Dort, wo sich heute die Wohnhausanlage Hasenleiten befindet, bestand seit dem Ersten Weltkrieg ein Baracken-Lager, das ursprünglich für Kriegsgefangene verwendet wurde und als sogenanntes „Russenlager“ bezeichnet wurde. In den Jahren des Austrofaschismus entstand der Plan, die völlig desolaten Baracken, die auch von den Ärmsten der Wiener Bevölkerung bewohnt wurden, durch kommunalen Wohnbau zu ersetzen. Die Arbeiten daran begannen im Jahr 1937.
Als mit dem sogenannten „Anschluss“ jüdische Mieter*innen aus den Gemeindebauten delogiert wurden, wurde ihnen oftmals die Barackensiedlung Hasenleiten als neue Unterkunft zugewiesen. Die hier Untergekommenen mussten sich mit menschenunwürdigen Umständen abfinden. Schilderungen der Fürsorgezentrale der Israelitischen Kultusgemeinde zufolge, fehlten nicht nur Fenster, Türen und Schlösser, sondern auch die sanitären Anlagen waren nicht benutzbar. Während jüdische Familien hier unter widrigsten Verhältnissen ihr Dasein fristeten, setzten die Nationalsozialisten den Bau der Wohnanlage fort. Wenn auch mit zeitweiligen Unterbrechungen. Bis zum „Anschluss“ war der Bau so weit fortgeschritten, dass von den geplanten 1.200 Wohnungen in 30 Wohnblöcken bereits 421 in Bau befindlich waren. Juden und Jüdinnen, die hier unterbracht waren, hatten kaum Möglichkeiten noch vor Kriegsbeginn zu emigrieren. Sie wurden von hier aus in die Konzentrationslager und Vernichtungslager der Nationalsozialisten deportiert.
Das in den Jahren des Ständestaates auf den Hasenleitengründen errichtete Klostergebäude wurde in der NS-Zeit beschlagnahmt und erhielt, nach seiner Umwidmung in eine Schule, einen Zubau, für den ebenfalls der hauptverantwortliche Architekt für den Bau der Wohnanlage Moritz Servé zuständig war. Der Gemeindebau, dessen Planung im Ständestaat als Gartenstadt begann, wurde 1950 fertiggestellt.
Bis Oktober 1938 hatten Ferdinand und Adele Meisel mit ihren drei Kindern Hermine, Fritz und Ilse im Gemeindebau in der Pramergasse 30 im 9. Bezirk gewohnt. Ferdinand erhielt im Mai 1938 ein Kündigungsschreiben, das er aber nicht einfach hinnahm, sondern anfocht. Dann, am 23. August 1938, wurde vom Bezirksgericht des 8. Bezirks die Zwangsräumung der Wohnung Nr. 8 auf Stiege 6 im Gemeindebau Pramergasse 30 im 9. Bezirk bestätigt. Betreibende Partei war die Stadt Wien, zur Räumung verpflichtet war Ferdinand Meisel, der mit seiner Ehefrau Adele und den drei Kindern Hermine, Fritz und Ilse in diesem Gemeindebau lebte. Als Unterkunft wurde ihnen die Barackensiedlung Hasenleiten zugewiesen. Ferdinand wurde im Zuge des Novemberpogroms von 9. Auf 10. November 1938 verhaftet und ins KZ Dachau verschleppt. Adele blieb mit den Kindern in der Barackensiedlung. Ferdinand hatte schon am 11. Mai 1938 bei der Auswanderungsabteilung der Fürsorgezentrale der Israelitischen Kultusgemeinde Wien einen Auswanderungsantrag gestellt. „Kolumbien, Paraguay, Palästina, Mexico, Ferner, wo Juden einwandern können“ gab Ferdinand als Ziel an. Um für diese erhoffte Auswanderung gerüstet zu sein, sollte die älteste Tochter Hermine an den landwirtschaftlichen Hachschara-Vorbereitungskursen der zionistischen Jugend-Alija für eine Einwanderung ins britische Mandatsgebiet Palästina teilnehmen.
Tatsächlich gab es für Hermine aber, anders als erhofft, keine landwirtschaftliche Ausbildung, wie sie noch vor dem „Anschluss“ üblich gewesen war. Hermine landete vielmehr in einem sogenannten „Auswanderer-Umschulungslager“. In Wirklichkeit waren es von Schikanen und Brutalität geprägte Zwangsarbeitslager. Für die Ausreise ins britische Mandatsgebiet erhielten die Meisels drei Visa für Ferdinand, Adele und Fritz, die beiden Töchter sollten nachkommen. Fritz weigerte sich im August 1939 Wien zu verlassen und so entschied die Familie, dass der 12jährige mit seinen Schwestern nachkommen sollte, wenn diese eine Einreisegenehmigung erhalten sollten. Die Geschwister von Adele blieben vorerst in der Barackensiedlung, die Kinder von Adele und Ferdinand wurden bei Geschwistern Ferdinands und Adeles Mutter untergebracht. Als der Zweite Weltkrieg am 1. September ausbrach, war es für die Meisel-Kinder unmöglich zu ihren Eltern zu gelangen. 1942 wurden Hermine und Fritz in Maly Trostinec ermordet, Ilse wurde mit ihren Tanten Lina, Pepi und Helene in Chełmno in einem mobilen Gaswagen getötet.


16. Bezirk
Der Ottakringer Spaziergang erzählt von Wilhelmine Moik, die sich während der NS-Zeit im Untergrund engagierte, sowie von jüdischen Wiener*innen, die aus den Gemeindebauten im Bezirk delogiert wurden. Und er führt zum beeindruckenden Sandleitenhof, wo vom Widerstand und von der Verfolgung in der NS-Zeit berichtet wird.
TERMINE
• Mo., 7. April 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 31. Mai 2025, 10 Uhr
• Mo., 23. Juni 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 20. September 2025, 14 Uhr • Mi., 1. Oktober 2025, 17 Uhr
TREFFPUNKT
Karl-Volkert-Hof, vor dem Hofeingang Thaliastraße 75
DIE STATIONEN
1 Karl-Volkert-Hof, Thaliastraße 75
2 Wilhelmine-Moik-Hof, Wattgasse 9 – 11
3 Siegelhof, Redtenbachergasse 22 – 32
4 Wohnhausanlage Sandleiten
Karl-Volkert-Hof, Thaliastraße 75,
Am 24. März 1931 wurde die Wohnhausanlage nach dem sozialdemokratischen Politiker Karl Volkert (1868-1929) benannt, der ab 1911 Abgeordneter zum Reichsrat war, der Nationalversammlung und später auch dem Nationalrat angehörte. 1934, zu Beginn des Ständestaates, wurde das hier befindliche Karl-Volkert-Denkmal entfernt, nach 1935 montierte man auch noch die Aufschrift der Wohnhausanlage ab. In der Zweiten Republik wurde der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt. Erbaut wurde der Hof nach den Entwürfen von Franz Schacherl und Franz Schuster. Schacherl (1895-1943) besuchte die Höhere Baufachschule in Wien und studierte danach an der Technischen Hochschule Wien. Franz Schuster (1892-1972) studierte Architektur an der Wiener Kunstgewerbeschule bei Oskar Strnad und Heinrich Tessenow. In verschiedenen Arbeitsgemeinschaften, wie mit Adolf Loos und Franz Schacherl, war er u.a. 1921 an der Realisierung der Gemeindesiedlung "Süd-Ost" in Wien 10, Laaer-Berg-Straße 151-203 beteiligt.
Auf Stiege 11 Tür 7 wohnten bis 1938 Alois und Erna Kuhn. Alois kam am 28. Mai 1885 in Schaffa, dem heutigen Safov in Südmähren zur Welt. Er war als Inkassant beschäftigt. Erna war am 21. September 1889 als älteste Tochter von Ida und Maximilian Singer zur Welt gekommen. Sie hatte vier jüngere Geschwister. Die Familie lebte in der Rembrandstraße 14 im 2. Bezirk. 1898 wurde die Familie vom Tod der jüngsten Tochter, Gertrude, erschüttert. Vater Maximilian starb 1913 nach langer Krankheit. Ernas Brüder Walter, Otto und Heinrich konnten in die USA emigrieren. Als Ernas letzte Adresse in Wien ist die Althanstraße 17 im 9. Bezirk bekannt. Hier war sie gemeinsam mit ihrem Ehemann und mit fünf weiteren jüdischen Wiener:innen untergebracht. Am 6. Februar 1942 ging das Paar gemeinsam mit Ernas Mutter Ida Singer (geb. 1866) auf Transport nach Riga. Ida Singers letzte Adresse war die Glockengasse 4 im 2. Bezirk. Hier waren 110 Menschen in den sogenannten „Sammelwohnungen“ untergebracht. Allein in der Wohnung Nr. 5, in der Ida Singer registriert war, waren 27 Menschen untergebracht. In Riga lebten 1935 43.600 Juden. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht am 1. Juli 1941 kam es zu Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung. Nach zahlreichen diskriminierender Verordnungen, Plünderungen und Massakern wurde im September/Oktober 1941 das Ghetto errichtet. Aus Wien gingen am 3. Dezember 1941, am 11. und 26. Jänner und am 6. Februar 1942 Transporte mit insgesamt 4.200 Jüdinnen und Juden vom Aspangbahnhof nach Riga. Nach dem Transport im Februar 1942, wurde am Bahnhof Skirotava jenen Menschen, denen der lange Fußmarsch ins Ghetto beschwerlich erschien, Lastkraftwagen zur Fahrt ins Ghetto angeboten. Tatsächlich handelte es sich um getarnte „Gaswagen“. Von den 1.000 deportierten Wiener Jüdinnen und Juden erreichten nur 300 das Ghetto zu Fuß. Nur etwa 800 der 20.000 nach Riga deportierten jüdischen Frauen, Männer und Kinder haben die Selektionen, das Ghetto und die verschiedenen Konzentrationslager überlebt. Darunter befanden sich nur 100 österreichische Jüdinnen und Juden. Alois und Erna Kuhn gehörten ebenso wenig zu den Überlebenden wie Ernas Mutter Ida Singer. Sie soll auf einem Transport am 15. März 1942 erschossen worden sein.
Wilhelmine-Moik-Hof, Wattgasse 9-11
Der Architekt Erwin H. Dusl (1922-1999) besuchte ab 1937 die Grazer Baufachschule, er studierte von 1946 bis 1951 an der Technischen Hochschule Graz. Danach arbeitete er im Büro von Michel Engelhart unter anderem am Wiederaufbau des Wiener Burgtheaters mit. In den 1960er-Jahren machte er sich als Architekt selbständig. Frank Schläger (1894-1978) studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Zu seinen Projekten zählen Wohnhausanlagen für die Gemeinde Wien, u.a. in der Breitenfurter Straße 477-485 im 23. Bezirk. Gerhard Kolbe (1922-1992) studierte bis 1949 Architektur an der Technischen Hochschule Wien. Als selbständiger Architekt war er vor allem in den Bereichen Wohnbau und Gewerbebau tätig.
Wilhelmine Moik kam als viertes von neun Kindern der Weißnäherin Adelheid Moik und des Werkzeugmachers Leopold Moik in Ottakring zur Welt. Nach dem Besuch der Bürgerschule wurde sie, wie ihre Mutter, Weißnäherin. Mit 18 Jahren wurde Moik Gewerkschaftsmitglied und trat der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei. Ab 1916 engagierte sie sich verstärkt in der Gewerkschaft der Heimarbeiterinnen. Von 1927 bis 1934 war sie im Referat für Frauenarbeit im Bund freier Gewerkschaften als Frauensekretärin tätig, wo sie eng mit Käthe Leichter zusammenarbeitete. In den Jahren des Austrofaschismus wurde Moik mehrmals verhaftet. Nach der Haft im Februar 1934 engagierte sich Wilhelmine Moik im Untergrund bei den Revolutionären Sozialisten. Wegen dieser illegalen Tätigkeit wurde sie am 27. November 1937 erneut in Haft genommen, sie kam erst am 17. Februar 1938 im Zuge der sogenannten "Februaramnestie" frei. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland wurde sie am 7. Juli 1938 von der Gestapo ein weiteres Mal festgenommen und im ersten Prozess des Volksgerichtshofs gegen Funktionäre der Revolutionären Sozialisten und der Sozialistischen Arbeiterhilfe 1939 wegen Hochverrats zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Jänner 1941 kam sie frei, wurde aber weiterhin von der Polizei überprüft und beobachtet. Nach dem Attentat Stauffenbergs auf Hitler vom 20. Juli 1944, wurde sie erneut verhaftet. Bis Kriegsende arbeitete Wilhelmine Moik als Stenotypistin in einer Versicherung.
Vom 19. Dezember 1945 bis zum 14. Dezember 1962 war Moik für die SPÖ Abgeordnete zum Nationalrat. 1945 wurde sie stellvertretende Obfrau der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter. Moik war federführend am Wiederaufbau der Gewerkschaften beteiligt, hatte von 1945 bis 1959 die Leitung des ÖGB-Frauenreferats inne und übernahm danach den Vorsitz der ÖGB-Frauen. Die Sozialpolitikerin setzte sich zeitlebens vor allem für die Rechte von berufstätigen Frauen ein. Moik war beispielsweise an der Ausarbeitung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, des Mutterschutzgesetzes und des Heimarbeitsgesetzes maßgeblich beteiligt. Am 12. Februar 1970 starb Wilhelmine Moik in Bad Vöslau.
Siegelhof, Redtenbachergasse 22-32
Auf dem Grundstück des heutigen Siegelhofes standen von 1923 und 1926 drei hölzerne, eingeschoßige Fischhallen, die als Verkaufshütten dienten, ehe die städtische Wohnhausanlage in der Redtenbachergasse 22-32 errichtet wurde. Am 3. September 1949 wurde der Gemeindebau nach dem sozialdemokratischen Politiker Franz Siegel (1876-1927) benannt, der Stadtrat, Obmann der Gewerkschaft für Bauarbeiter sowie von 1920 bis 1927 amtsführender Stadtrat für Technische Angelegenheiten gewesen war. Franz Kuhn (1889-1952) studierte an der Wiener Kunstgewerbeschule u.a. bei Oskar Strnad und Heinrich Tessenow und war zunächst Angestellter der Wiener Werkstätten, später war er auch Mitglied des Österreichischen Werkbundes. Als selbstständiger Architekt entwarf Kuhn zwei Wohnbauten für die Gemeinde Wien.
Bernhard Barsam wohnte mit seiner Ehefrau Zofie Amalie (geb. 3. Oktober 1892) und dem gemeinsamen Sohn Edmund im Siegelhof auf Stiege 1, Tür 4. Zofie Amalie war gebürtig aus Buchach, dem heutigen Butschatsch in der Westukraine, nach Wien gekommen. Bernhard (geb. 8. Dezember 1885) stammte aus Grodek, einer polnischen Stadt nordöstlich von Warschau. Sohn Edmund war am 9. April 1928 in Wien zur Welt gekommen. Wie auch die beiden Töchter Dora (1926) und Mathilde (1922).
Bernhards Mutter Bluma Barsam und seine Schwester Paula lebten 1938 bereits mit Paulas Ehemann Zwi Handelsmann im britischen Mandatsgebiet Palästina. Dorthin wollten auch die Barsams auswandern, so steht es im Antrag der Fürsorgestelle der Israelitischen Kultusgemeinde vom 10. Mai 1938. Mathilde fehlt auf dem Ausreiseantrag, denn die älteste Tochter der Barsams starb am 5. April 1926 im St. Anna Kinderspital, knapp 4jährig. Das mittlere Kind, Dora, steht mit ihren Eltern und ihrem Bruder Edmund auf dem Auswanderungsantrag. Aber für Dora gibt es auch noch erhaltene Unterlagen, die Doras Verbindung zur Beratungsstelle der Jugendallijah in der Marc-Aurel-Straße 5 festmachen und die ihre Auswanderung im Dezember 1939 bestätigen. Nach Kriegsbeginn war es nahezu unmöglich für Juden und Jüdinnen noch in das britische Mandatsgebiet zu gelangen. Wenn es dennoch gelang, mussten die zur Ausreise vorgesehenen Kinder und Jugendlichen den Vorgaben, die über die Jewish Agency kommuniziert werden konnten, entsprechen. Schulplätze mussten vorhanden sein und die Versorgung der Kinder sollte sichergestellt werden. Dora, deren letzte Wiener Adresse sich nicht bei den Eltern und bei ihrem Bruder in der Novaragasse 39/18 befand, machte sich von der Grundsteingasse 56 im 16. Bezirk aus auf den Weg zu ihrer Großmutter, ihrer Tante Paula und ihrem Onkel Zwi in Petach Tikwa, östlich von Tel Aviv, die sie bei sich aufnahmen. Doras Eltern und ihr Bruder Edmund wurden am 26. Jänner 1942 mit dem Transport 15 von Wien nach Riga deportiert. Sie überlebten nicht.
Wohnanlage Sandleiten
Der Sandleitenhof wurde in den Jahren 1925-1928 im 16. Bezirk an den Hängen des Wienerwaldes erbaut.
Mit 1.587 Wohnungen stellt der Sandleitenhof die größte Wohnanlage des Roten Wiens dar. Im Vergleich zu anderen Bauten handelt es sich beim Sandleitenhof aber um keinen geschlossenen Hof, sondern um eine nach allen Seiten offene Wohnanlage. Die Architektur ist nicht nur von Otto Wagner (Architekt, 1841-1918) beeinflusst, sondern berücksichtigt auch städtebauliche Überlegungen von Camillo Sitte (1843-1903). An der Erbauung des größten Gemeindebaus der Ersten Republik waren nach einem Wettbewerb gleich sechs Architekten beteiligt: Den Nordteil der Anlage schufen Hans Jaksch, Franz Krauß, Siegfried Theiß und Josef Tölk. Der Südteil wurde von Emil Hoppe, Franz Matuschek und Otto Schönthal umgesetzt. Werkstätten und Geschäfte, ein Gasthaus, ein Postamt, eine Bücherei, ein Kino- bzw. einen Theatersaal, Kindergarten, Wäscherei, Apotheke und Räumlichkeiten für Feuerwehr und Polizei wurden im Sandleitenhof mitgeplant.
Am 12. Februar 1934, als es zum Bürgerkrieg in Österreich gekommen war, kam es durch Polizei und Bundesheer zu schwerem Beschuss auf den Hof, in dem sich Einheiten des sozialdemokratischen Republikanischen Schutzbundes verschanzt hatten. Im April 1945 gelang es dem widerständigen kommunistischen Jugendverband unter der Leitung von Heinrich Klein eine größere Anzahl an Wehrmachtsoldaten zu entwaffnen. Klein hatte Kontakte zur Widerstandsgruppe 05, die ihm bei dem Unternehmen hilfreich waren. Durch das Engagement Kleins und seines kommunistischen Jugendverbands, wurde eine kampflose Befreiung Ottakrings und des benachbarten Bezirks Hernals ermöglicht und damit die Zerstörung verhindert. Den Wehrmachtsoldaten wurden im Zuge der Entwaffnung Zivilkleidung übergeben, womit sie von der Roten Armee, die Wien befreite, nicht als Teile einer gegnerischen Kampfeinheit wahrgenommen werden konnten und ihnen in den letzten Kriegstagen somit das Leben gerettet wurde. Um diesen mutigen jungen Menschen rund um Heinrich Klein zu gedenken, wurde im Sandleitenhof eine Tafel angebracht.
Auf Stiege 8, Tür 7 im Sandleitenhof wohnte die Familie Adler: Vater Erwin, Mutter Rosa und Sohn Karl. 1922 hatten Erwin, der 1898 in Prag zur Welt gekommen war, und Rosa, die 1904 als Rosa Invald in Wien geboren wurde, ebenda geheiratet. Sohn Karl kam 1924 zur Welt. Erwin war Kaufmann, Rosa führte den Haushalt. Die Delogierung der Familie aus dem Sandleitenhof erfolgte umgehend, ohne Aufschub durch einen Einwand Erwins bei den Behörden. Am 1. Juni 1938 datiert der Fragebogen der Fürsorgezentrale der Auswanderungsabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde für den 14jährigen Karl zur Ausreise in die USA. Als Adresse wird der Nietscheplatz 2 angegeben, also wortwörtlich ums Eck der vorherigen Wohnung der Adlers. Handschriftlich ist auf dem Fragebogen notiert: „Hat bereits Avidavit und Schiffskarte“. Als Verwandter in den USA wird Karls Großonkel Rudolf Löwy in Chicago angegeben. Karl also konnte ausreisen. Am 18. Oktober 1939 verließ die SS Black Gull den Hafen von Antwerpen. An Bord waren Erwin und Rosa Adler. In den Schiffslisten wird als Kontaktperson ihr Sohn Karl in Chicago angegeben. Dort ließen sich Rosa und Erwin Adler auch nach ihrer Ankunft in den USA nieder. Rosa starb bereits 1941, Erwin blieb in Chicago wohnen, wo er 1960 verstarb.


19. Bezirk
Dieser Spaziergang durch Döbling erinnert an die emigrierte Architektin Ella Briggs, beschäftigt sich mit dem Umgang mit „arisiertem“ jüdischem Eigentum nach 1945 und besucht den wohl berühmtesten Wiener Gemeindebau, den Karl-Marx-Hof, um dort von Schicksalen jüdischer Gemeindebau-Bewohner*innen zu erzählen.
TERMINE
• Do., 10. April 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 17. Mai, 2025, 10 Uhr
• Mo., 23. Juni 2025, 10 Uhr
• Fr., 4. Juli 2025, 17.30 Uhr
• Mo., 1. September 2025, 17.30 Uhr
TREFFPUNKT
Arthur-Schnitzler-Hof, Döblinger Hauptstraße 1, neben Busstation 35a
DIE STATIONEN
1 Arthur-Schnitzler-Hof, Döblinger Hauptstraße 1
2 Ella-Briggs-Hof, Philippovichgasse 6 – 10
3 Karl-Marx-Hof
Wenn noch Zeit bleibt:
Professor-Jodl-Hof, Döblinger Gürtel 21 – 23 Rebec-Hof, Flotowgasse 12
Arthur Schnitzler Hof, Döblinger Hauptstraße 1
Der 1959/60 errichtete Arthur Schnitzler-Hof ist auf Teilen des alten jüdischen Friedhofs Währing errichtet, der wegen der 1784 von Joseph II. erhobenen Sanitätsordung entstehen musste. Die Sanitätsordnung besagte, dass alle Friedhöfe in Wien vor die Stadt hinaus verlegt werden mussten. Dies betraf alle christlichen und jüdischen Friedhöfe. Die jüdische Gemeinde kaufte ein Grundstück neben dem Allgemeinen Währinger Friedhof. Der christliche Ortsfriedhof Währing wurde in den 1920er Jahren aufgelöst und in den Währinger Park umgewandelt. Der jüdische Bereich blieb aufgrund der jüdischen Religionsgesetze bestehen. Während der NS-Zeit wurde der Friedhof der Israelitischen Kultusgemeinde enteignet und ging 1942 in den Besitz der Stadt Wien über. Zahlreiche Gräber wurden bei Aushubarbeiten für einen Luftschutzbunker zerstört. Im Namen der nationalsozialistischen „Rassekunde“ wurden Gebeine von ca. 400 Personen exhumiert und in das Naturhistorische Museum gebracht, wo sie bis zu ihrer teilweise Wiederbeerdigung im Jahr 1947 in Gemeinschaftsgräbern bei Tor 4 des Zentralfriedhofes verblieben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Friedhof nach langen Verhandlungen an die IKG Wien restituiert. Die IKG konnte aber den Friedhof nicht restaurieren und musste den zerstörten Teil an die Gemeinde Wien abgeben. Trotz Zusicherung, die abgetretene Fläche niemals zu bebauen, wurde im Flächenwidmungs- und Bebauungsplan die Widmung auf Bauland-Wohngebiet abgeändert und dort 1959/60 ein Gemeindebau errichtet.
Die beiden beauftragten Architekten Alois Machatsche und Michel Engelhart waren am Wiederaufbau historischer Bauten in Wien nach Kriegsende beteiligt. Engelhart war für die Neugestaltung des Burgtheaters mitverantwortlich. Mehrere hundert Gräber gerieten durch die damals neu errichtete und nach wie vor bestehende Mauer außerhalb des eigentlichen Friedhofs auf die Parkplatzfläche. Im Mai 1962 beschloss der Gemeinderat, den Bau nach Arthur Schnitzler zu benennen; in den Sitzungsprotokollen wurde Schnitzler nur als „bedeutender österreichischer Dichter“ bezeichnet, der zu seinem 100. Geburtstag geehrt werden sollte. Dass Schnitzler selbst Jude war, blieb unerwähnt. Der Schriftsteller und Arzt Arthur Schnitzler gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Wiener Moderne. Dieses Vorgehen - sowohl mit dem Friedhof, also mit dem jüdischen Erbe Österreichs nach der Shoah materiell als auch immateriell bei der Namensgebung - ist bezeichnend für die Auseinandersetzung der frühen Zweite Republik mit ihrer Verantwortung gegenüber jüdischen Österreicher*innen.
Ella-Briggs-Hof, Philippovichgasse 6-10
Noch vor dem sogenannten „Anschluss“ im März 1938 begann die Planung für den Gemeindebau in der Philipovichgasse 6-10, der von Hans Stöhr entworfen worden war. Die Fertigstellung dieses Gemeindebaus gelang, anders als bei vielen anderen Gemeindebauten, die zeitlich geplant wurden, nicht vor Kriegsbeginn. Erst 1940 wurde dieser kommunale Wohnbau des im nationalsozialistischen Deutschland sogenannten „Reichsgau“ Wien mit Hilfe des Kleinwohnungshausförderungsgesetzes aus dem Jahr 1937 fertig gestellt. Die Schmückung in der Portalzone geht auf das Jahr 1939 und die Keramikerin Christa Vogelmayer zurück, die hier aus braunen Majolika-Fliesen rund um das Haustor die zwölf Tierkreiszeichen in Reliefform angeordnet zeigt. Innerhalb der NS-Elite gab es einen starken Hang zu Okkultem, wie bei Hitler selbst so auch bei Heinrich Himmler und Hitlers „Stellvertreter“ Rudolf Heß, der besonders der Astrologie zugetan war. Wie weit die hier angebrachten Tierkreiszeichen allerdings ein Verweis auf die okkulte Seite des Nationalsozialismus sein sollten, kann nicht nachgewiesen werden. Die Schmückung passt allerdings gut in die Zeit, in der dieser Gemeindebau fertiggestellt wurde.
Ella Briggs, die Namensgeberin dieses Gemeindebaus, war neben Margarethe Schütte-Lihotzky die bedeutendste Architektin des Roten Wiens und gehörte zu den international einflussreichsten Wiener Architekt*innen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Briggs, geborene Baumfeld, kam am 5. März 1880 in Wien zur Welt. Weil das Architekturstudium für Frauen in der Monarchie nicht möglich war, besuchte Ella Baumfeld erst die Kunstschule für Frauen und Mädchen und ab 1901 für drei Jahre die Kunstgewerbeschule. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte sie an der Technischen Hochschule München studieren und schloss 1920 das Architekturstudium als Diplomingenieurin ab. Anschließend ging sie für mehrere Jahre in die USA, wo sie in New York und Philadelphia als Architektin arbeitete. Zurück in Wien wurde sie 1925 mit der Errichtung des Pestalozzi-Hofes, der sich hier nebenan befindet, betraut.
Ab 1927 lebte und arbeitete Ella Baumfeld in Berlin. Mitte der 1930er Jahre flüchtete sie nach London. In Großbritannien konnte Ella Briggs weiter als Architektin arbeiten. Sie starb am 20. Juni 1977 im Alter von 97 Jahren in Middlesex.
Karl-Marx-Hof, Heiligenstädter Straße 82-92
1927 begann der Bau des wohl berühmtesten Gemeindebaus des Roten Wiens: dem Karl-Marx-Hof, der mit 1271 Wohnungen zu den größten der Stadt zählt. 1934 wurde die Anlage in Biedermannhof umbenannt, um den Hauptmann des Bundesheeres Karl Biedermann, der eine maßgebliche Rolle bei der Beschießung und Erstürmung des Karl-Marx-Hofes im Bürgerkrieg im Februar 34 zu würdigen. Noch im gleichen Jahr wurde der Gemeindebau in „Heiligenstädter Hof“ umbenannt.
Moritz Mezei (geb. 1886 im burgenländischen Unterstinkenbrunn) wohnte mit seiner Ehefrau Margarethe (geb. 1899 in Wien) und den beiden Kindern Ilse und Kurt ab März 1929 auf Stiege 38 auf Tür 4. Am 30. Juni 1938 wurde beim Bezirksgericht Döbling die Aufkündigung ihrer Wohnung beantragt. Die Wohnung sollte am 1. August 1938 um 12 Uhr mittags bei sonstiger Exekution der Stadt Wien geräumt übergeben werden. Moritz Mezei legte Einspruch gegen die Kündigung ein und bat um eine Fristverlängerung um einen Monat, da er bald auswandern würde. Außerdem wies er auf seine Verdienste als Offizier an der russischen Front im Ersten Weltkrieg hin. Auch seine Frau Margarethe habe im Krieg als freiwillige Krankenschwester im Reservespital in Teplitz gewirkt. Dem Einspruch wurde nicht stattgegeben. Die ganze Familie zog im August 1938 in den Zweiten Bezirk, Förstergasse 10 zu Johanna Neufeld, der Mutter Margarethes. 1942 mussten Margarethe, Ilse und Kurt Mezei in eine Sammelwohnung im 2. Bezirk, Förstergasse 5 umziehen, wo auch der Bruder Margarethe Mezeis, Leopold Neufeld und seine Frau Emma wohnten. Moritz und Margarethe Mezei versuchten, gemeinsam mit ihren Kindern in die USA auszuwandern, sie standen jedoch nur auf der Warteliste. Moritz Mezei floh im Oktober 1938 nach Ungarn und gelangte nach Abschiebungen ins Deutsche Reich und erneuten Fluchtversuchen im Mai 1939 nach Italien. 1940 wurde er im Lager Urbisaglia interniert und am 5. April 1944 schließlich aus dem Lager Fossoli nach Auschwitz deportiert, wo er ermordet wurde.
Margarethe Mezei arbeitete ab 15. Juli 1939 als Schreibkraft beim Ältestenrat der Juden in Wien. Nach dem sogenannten „Anschluss“ ging die Schulausbildung der Kinder ohne Abschluss zu Ende. Sie versuchten sich weiterzubilden und begannen bei der Kultusgemeinde zu arbeiten. Ilse arbeitete als Telefonistin beim Ältestenrat der Jüdischen Gemeinde. Kurt machte eine Umschulung zum Elektrotechniker und wurde Mitarbeiter des Technischen Amts der Israelitischen Kultusgemeinde. Ilse Mezei starb am 12. März 1945 bei einem Fliegerangriff im oberen Keller der Kultusgemeinde in der Seitenstettengasse 4, in den sie mit ihrer Mutter geflüchtet war. Margarethe Mezei überlebte schwer verletzt und befand sich bis Kriegsende im jüdischen Spital in der Leopoldstädter Malzgasse. Kurt Mezei versteckte sich kurz vor Kriegsende 1945 mit anderen Jüdinnen und Juden in einem Keller in der Förstergasse 7 und wurde am 12. April 1945 in der Förstergasse mit acht weiteren untergetauchten Personen von SS-Angehörigen erschossen. Ihre Mutter Johanna Neufeld wurde am 9. Oktober 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort 1945 befreit. Sie starb 1953 in Wien und wurde am Zentralfriedhof beim 4. Tor im israelitischen Teil des Friedhofes beerdigt.
Margarethe Mezei überlebte den Krieg und führte mit ihrer Mutter Johanna Neufeld bis zu deren Tod einen gemeinsamen Haushalt. Margarethe Mezei starb am 11. Jänner 1993 in Wien und wurde am Zentralfriedhof, ebenfalls beim 4. Tor beerdigt.
(Gekürzte Version der Biografien von Familie Mezei - verfasst von Ursula Schwarz /DÖW)


20. Bezirk
In der Brigittenau wird der Spaziergang, bei der Wohnanlage am Friedrich-Engels-Platz beginnend, über die Delogierungen jüdischer Gemeindebaubewohner*innen nach dem sogenannten „Anschluss“ berichten, aber auch vom Widerstand gegen den Austrofaschismus und Nationalsozialismus in den Gemeindebauten erzählen.
TERMINE
• Do., 3. April 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 5. Juli 2025, 14 Uhr
• Mi., 10. September 2025, 15 Uhr • Di., 7. Oktober 2025, 17 Uhr
• Fr., 7. November 2025, 17 Uhr
TREFFPUNKT
Wohnhausanlage Friedrich-Engels-Platz, vor Hofeingang Friedrich-Engels-Platz 2
DIE STATIONEN
1 Wohnhausanlage Friedrich-Engels-Platz
2 Gerlhof, Stromstraße 39 – 45
3 Winarskyhof, Stromstraße 36 – 38
4 Georg-Schmiedel-Hof , Hannovergasse 13 – 15
Wenn noch Zeit bleibt:
Janecek-Hof, Donaueschingenstraße 30 Beerhof, Engertstraße 83 – 97
Wohnanlage am Friedrich-Engels-Platz
Die Wohnhausanlage ist nach dem Sandleitenhof in Ottakring der zweitgrößte Wohnbau des "Roten Wien". Ursprünglich plante Rudolf Perco die Wohnhausanlage umfangreicher: Statt rund 1.400 Wohnungen sollten 2.300 errichtet werden. Die Stadtgemeinde musste den Umfang der Wohnhausanlage aus Kostengründen reduzieren. Die Eröffnungsfeier 1933 wurde zu einem Fest für die Sozialdemokratie in Wien. Wenige Monate später wurde die Anlage zum Schauplatz für die blutigen Februarkämpfe - nicht zuletzt wegen ihrer strategisch günstigen Lage an der Floridsdorfer Brücke. Perco war in verschiedenen Architekturbüros tätig, bevor er an der Akademie der bildenden Künste Wien und die Meisterschule von Otto Wagner besuchte.
Walter Winterberg kam am 25. Jänner 1924 zur Welt und wuchs in einer sozialdemokratischen Arbeiter*innenfamilie auf. Seine Eltern Max Winterberg und Maria Deyerl heirateten am 16. Februar 1925, also etwas mehr als ein Jahr nach Walter Winterbergs Geburt. 1933 übersiedelte die Familie in den Gemeindebau am Friedrich-Engels-Platz, den 1930/31 erbauten „Engelsplatzhof“, wo sie im Hof 1 eine Wohnung bezogen. 1938 wurde Max Winterberg als „Nichtarier“ von den Wiener Verkehrsbetrieben gekündigt. Daran konnte auch seine 1934 erfolgte evangelische Taufe nichts ändern. Walter Winterberg erfuhr erst 1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, von der jüdischen Herkunft seines Vaters und vom Judentum seiner Großeltern. Der Familie wurde am 1. August 1938 durch die Stadt Wien die Gemeindewohnung gekündigt. Trotz Einspruch von Maria Winterberg wurde ihnen statt der Wohnung nur ein einzelner Raum im selben Gemeindebau zugeteilt, den sie am 8. Oktober 1938 bezogen. Max Winterberg zahlte Beiträge für die „Rote Hilfe“ und arbeitet in einer von Franz Malik geleiteten kommunistischen Zelle mit. Er wurde am 1. Dezember 1939 nach einer Denunziation von der Gestapo verhaftet. Bis August 1940 wurde er im Polizeigefängnis Rossauer Lände festgehalten und dann in weitere Lager überstellt. Vor der Deportation in die in Osteuropa gelegenen Vernichtungslager bewahrte ihn die Ehe mit seiner nichtjüdischen Frau. Max Winterberg wurde „dienstverpflichtet“ und bis 1943 zur Zwangsarbeit ins „Altreich“ verschickt.
Auch Maria Winterberg wurde 1941 ins Siemens-Kabelwerk Leopoldau kriegsdienstverpflichtet. In der Gemeindewohnung im Hof 1 lebte auch Rudolf Winterberg, der Bruder von Max Winterberg, der nach der Delogierung und dem geringen Wohnraum zur Untermiete in der Taborstraße 9 wohnte. Er wurde am 2. Juni 1942 ins weißrussische Maly Trostinec deportiert und dort ermordet. Zwei weiteren Geschwistern gelang die Flucht ins Ausland, die beiden anderen überlebten als „U-Boote“. Ende 1943 fasste Walter Winterberg den Entschluss, ins Ausland zu flüchten, um den bewaffneten Kampf aufnehmen zu können. Sein Plan, über die Schweiz nach Frankreich zu gelangen und sich dort dem Partisanenkampf anzuschließen, zerschlug sich in Vorarlberg, wo er im Nachtzug von der Grenzpolizei festgenommen wurde. Nach vier Wochen Haft in Feldkirch wurde er ins Polizeigefangenenhaus Innsbruck und von dort ins Lager Reichenau bei Innsbruck verlegt. Walter Winterberg musste in der Wäscherei des Lagers arbeiten, bis er Anfang Mai 1944 ins Konzentrationslager Buchenwald eingewiesen wurde. Am 11. April 1945 erlebte er in Buchenwald die Befreiung. Nach Wien zurückgekehrt, arbeitete er ab Dezember 1945 für die Wiener Polizeidirektion. Nach 1955 war er als Kriminalbeamter in Wien-Favoriten im Einsatz. Auch sein Onkel Wilhelm Winterberg arbeitete nach 1945 als Verwaltungsbeamter des Kommissariats Brigittenau für die Wiener Polizei. Unmittelbar nach der Befreiung Wiens im April 1945 konnten Max und Maria Winterberg in ihre alte Wohnung im Hof 1 des Engelsplatzhofes zurückkehren. Walter Winterberg studierte berufsbegleitend an der Universität Wien Jus und starb am 17. März 2022 in Wien.
Gekürzte Version der Biografien von Familie Winterberg von Manfred Mugrauer /DÖW
Gerlhof, Stromstraße 39-45
Die Wohnhausanlage an der Stromstraße 39-45 wurde bis 1931 fertig gestellt. Ursprünglich waren eine Arbeiterbücherei, ein Parteilokal der SPÖ Brigittenau und ein Konsumladen mit Vorzugspreisen nur für Mitglieder Teil der Infrastruktur dieser Wohnhausanlage. Die Wohnhausanlage ist seit 1949 nach dem Schutzbundmitglied Josef Gerl (1911-1934) benannt. Ab 1929 Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend beteiligte sich Gerl aktiv an den Februarkämpfen 1934, floh in die Tschechoslowakei, kehrte nach Wien zurück und wurde 1934 nach einem Sprengstoffanschlag zum Tode verurteilt und gehängt. Der Architekt Heinrich Ried (1881-1957) war am Wiederaufbau des ausgebrannten Justizpalastes beteiligt.
Hanni Helmer wurde am 12. August 1903 als siebtes Kind in die jüdische Friseursfamilie Braunwald geboren. Sie wuchs in Floridsdorf auf. Zwischenzeitlich wohnt Hanni wie ihre Schwester Grete bei ihrer älteren Schwester Adele und ihrem Schwager Ferdinand Meisel im Gemeindebau in der Prammergasse am Alsergrund. Bekannt ist, dass ihr späterer Ehemann Otto Karl Helmer Untermieter bei ihren Eltern in der Schwaigergasse war. Die Ehe hielt zwei Jahre. Hannis und Otto wohnten in der Richtergasse im 7. Bezirk, dann trennten sich ihre Wege. Hanni konnte 1932 ihre Wohnung im Gerlhof auf Stiege 18, Tür 9 beziehen. Otto Karl Helmer stand zwar an dieser Adresse im Telefonbuch, wohnte aber an wechselnden Adressen im 5. Bezirk. Auch Hanni Helmer wurde 1938 aus ihrer Gemeindewohnung delogiert. In ihren Meldedaten nach dem Auszug aus der Stromstraße findet sich die Meldung „Abgemeldet England“. Vielleicht hatte sie gehofft, ihrer im Juni emigrierten Schwester Grete folgen zu können. Es ließen sich aber keine Hinweise finden, dass sie einen entsprechenden Auswanderungsantrag gestellt hatte. Mit 3. Januar 1939 zogen Adeles Schwestern Hanni Hellmer und Hilda Braunwald, Mutter Franziska und ihr Bruder Milan in die Barackensiedlung Hasenleiten, wo Schwester Adele mit ihrer Familie nach der Delogierung aus der Prammergasse lebte. Hanni, Milan und Fanny blieben bis März 1940 in der desolaten Wohnsituation - auch nachdem Adele und Ferdinand im August 1939 ins britische Mandatsgebiet Palästina emigriert waren. Es gab keine andere Möglichkeit, bis Milan die Wohnung in der Oberen Donaustraße 45 bekam und die Familie, unter anderem Hanni zu ihm zog. Von dort wurde Hanni Helmer im Juni 1942 nach Minsk deportiert – im gleichen Transport wie ihr Bruder Leopold und ihr Ex-Ehemann Otto Karl kam sie in Maly Trostinec an, wo sie unmittelbar ermordet wurde.
Winarskyhof, Stromstraße 36-38
Der Wohnbau stellt gemeinsam mit dem benachbarten, gleichzeitig geplanten Otto-Haas-Hof eine städtebauliche Einheit dar. Die beteiligten Architekten gehören zu den großen Namen der österreichischen Architekturgeschichte: Oskar Strnad, Oskar Wlach, Peter Behrens, Josef Frank und Josef Hoffmann.
Die gesamte Anlage enthielt neben Wohnungen ursprünglich auch Geschäftslokale, einen Kindergarten, eine Bibliothek, einen ebenerdigen Bauteil, in dem bis 1936 das Winarsky-Kino betrieben wurde, sowie Ateliers und Werkstätten. Die Wohnhausanlage ist nach dem österreichischen Reichsratsabgeordneten Leopold Winarsky (1873-1915) benannt. 1906 wurde er zum ersten sozialdemokratischen Gemeinderat der Brigittenau gewählt, als er später Reichsratsabgeordneter geworden war, engagierte er sich vor allem für die Rechte von Lehrlingen.
Alice Schleifer wurde am 1. Juni 1922 in Wien geboren. Ihr Vater Eduard Schleifer stammte aus einer jüdischen Familie aus Steyr und war Dreher und Werkzeugschlosser. Ihre Mutter, Anna Schleifer, geb. Kohn stammte aus einer religiösen jüdischen Familie aus Niederösterreich. 1925 bezog die Familie eine Wohnung im neu errichteten Winarskyhof in der Stromstraße 36-38/11/10. Die Wohnung bestand aus einem Zimmer, einem Kabinett, einer Küche und einem Vorraum. Eduard Schleifer arbeitete als Schlosser und Motorführer bei den Wiener städtischen Straßenbahnen, engagierte sich für die Sozialdemokratische Partei und war Mitglied des Republikanischen Schutzbundes. Als 11-Jährige erlebte Alice Schleifer die Februarkämpfe 1934 im Winarskyhof. Im März 1938 wurde ihr Vater, der nun als „Jude“ galt, fristlos entlassen und war arbeitslos. Einsprüche von Eduard Schleifer gegen die Kündigung der Gemeindewohnung führten zu einem gerichtlichen Vergleich, der die Räumungsfrist bis November 1938 verlängerte. Im Zuge des Novemberpogroms wurde ihr Vater in der Wohnung durch den NS-Ortsgruppenleiter festgenommen und im „Notarrest“ in der Karajangasse für drei Tage inhaftiert. Alice und ihre Mutter waren bei der Suche nach einer neuen Wohnung gezwungen, Hausbesitzer zu finden, die noch Juden aufnahmen und fanden schließlich Anfang Dezember 1938 eine Gemeinschaftswohnung in der Taborstraße 7, die sie mit acht Personen aus ihrem Bekanntenkreis teilten. Auch Eduard Schleifer wohnte dort nach seiner Haftentlassung. Am 19. Februar 1941 wurden Alice, Anna und Eduard Schleifer von Wien nach Kielce deportiert. Im selben Transport befand sich der 39-jährige Verkäufer Otto Rusz mit seiner Mutter. Alice Schleifer lernte ihn auf dem Transport kennen, im Ghetto entstand daraus eine Beziehung. Otto Rusz war bei der Ghettowache beschäftigt. Im Zuge der Räumung des Ghettos im August 1942, bei der mehr als 20.000 Juden und Jüdinnen nach Treblinka deportiert und ermordet wurden, waren Ehepaare von „Ordnungsdienstleuten“ vom Transport ausgenommen. Um Alice Schleifer zu schützen, heirateten Otto und Alice daher in einer Sammelhochzeit. Während Alice Schleifer, ihr Mann und ihr Vater im Ghetto zurückbleiben konnten, wurde ihre Mutter nach Treblinka deportiert und dort ermordet.
Alice Schleifer, Eduard Schleifer und Otto Rusz leisteten in Kielce-Ludwigshütte Zwangsarbeit. Anfang August 1944 wurden alle drei nach Auschwitz deportiert, wo Alice Schelifers Vater ermordet wurde. Alice Schleifer wurde von Auschwitz nach Ravensbrück und schließlich ins Außenlager Malchow überstellt, wo sie die Befreiung erlebte. Nach Kriegsende kehrte sie nach Wien zurück.
Otto Rusz wurde von Auschwitz nach Bergen-Belsen überstellt und von dort im März 1945 nach Dachau transportiert, wo er befreit wurde. Nach seiner Rückkehr nach Österreich im Herbst 1945 ließen sich Alice und Otto Rusz wieder in Wien nieder und gründeten eine Familie. Alice Rusz starb am 19. April 2000 im Alter von knapp 78 Jahren in Wien.
Gekürzte Version der Biografien von Familie Schleifer von Wolfgang Schellenbacher /DÖW
Georg Schmiedel-Hof, Hannovergasse 13-15
Der Georg-Schmiedel-Hof schließt zwei sich in einem Straßenblock gegenüberliegende Baulücken und verbindet sie mit mehrfach abgewinkelten Seitentrakten zu einer geschlossenen Hofbebauung. Nicht zuletzt hier zeigen sich Einflüsse des zeitgenössischen holländischen Sozialbaus, der in Wien damals sehr aufmerksam verfolgt wurde. Über dem Eingang in der Kluckygasse 16-18 befindet sich der ornamentale Keramikfries "Vindobona" von Josef Riedl. Architekt Viktor Ignaz Weixler studierte an der Technischen Hochschule Wien. 1912 und 1913 war er im Stadtbauamt der Gemeinde Wien tätig. Weixler unterrichtete von 1922 bis 1944 an der Wiener "Frauenakademie", von 1945 bis 1952 an der Modeschule der Stadt Wien, der späteren "Modeschule Hetzendorf", die er mitbegründete. Die Wohnhausanlage wurde nach Georg Schmiedel (1855-1929), dem Mitbegründer der "Naturfreunde", benannt. Die ihm gewidmete Tafel wurde von den Nationalsozialisten zerstört und 1955 wieder angebracht.
Philipp Rottenberg, geboren am 28. September 1890, arbeitete als Kassenbeamter der Stadt Wien und war Bezirksrat der Brigittenau. Mit seiner Ehefrau Fanny bewohnte er hier im Gemeindebau bis 1938 die Wohnung 7 auf der Stiege 4. Nach der Delogierung mussten die Rottenbergs in einer der zahlreichen Sammelwohnungen im 2. Bezirk in die Weintraubgasse 30 unterkommen. Hier gehörten sie zu den insgesamt 108 Personen, die hier vor den Deportationen einquartiert worden waren. Philipp und Fanny Rottenberg wurden am 5. Juni 1942 Wien in das Ghetto Izbica deportiert und ermordet. Izbica war ein Durchgangslager in die Vernichtungslager, vor allem nach Belzec und Sobibór. Von 9. April bis 5. Juni 1942 gingen insgesamt vier Deportationstransporte mit 4.000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern vom Wiener Aspangbahnhof nach Izbica ab. Der Ort Izbica liegt etwa 18 km südlich der Kreishauptstadt Krasnystow im Distrikt Lublin. Wir sehen hier die Gedenktafel an die Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bewohner*innen dieses Gemeindebaus und den "Kündigungsgrund Nichtarier".
Kluckygasse 11
Wenn wir aus vor dem Georg-Schmiedel-Hof auf die Kluckygasse treten und Richtung Wallensteinstraße sehen, fällt der Blick auf eine Straßenleuchte in Form eines Davidsterns vor dem Gemeindebau Kluckygasse 11. Hier befand sich von 1900 bis 1938 die Brigittenauer Synagoge, die als religiöses Zentrum für Brigittenauer Jüdinnen und Juden fungierte. Während des Novemberpogroms vom 9. auf 10. November 1938 wurde die Synagoge zerstört.
Von 1931 bis 1938 arbeitete Benjamin Murmelstein hier als Rabbiner, der später Judenältester in Theresienstadt gewesen war. Die Liegenschaft wurde in Folge arisiert. 1949 kam es zur Rückstellung an die Israelitische Kultusgemeinde Wien. 1953 kam die Stadt Wien in Besitz der Liegenschaft. Heinrich Schmid jun. war der Architekt des 1955-1956 errichteten Gemeindebaus.


22. Bezirk
Durch die Donaustadt spazieren wir unter anderem zum Goethehof, dessen Geschichte gerade in den Jahren des Austrofaschismus und des nationalsozialistischen Terrors von großem Interesse ist. Auch auf dieser Route wird nicht darauf verzichtet, von jenen jüdischen Wiener*innen zu berichten, die im Bezirk nach dem sogenannten „Anschluss“ aus den Gemeindebauten delogiert wurden.
TERMINE:
• Di., 22. April 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 5. Juli 2025, 10 Uhr
• Fr., 19. September 2025, 17.30 Uhr
• Di., 21. Oktober 2025, 17 Uhr
• Di., 4. November 2025, 17 Uhr
TREFFPUNKT
Gemeindebau Meißnergasse 4 – 6, rechts vom Hofeingang
DIE STATIONEN
1 Wohnhausanlage Meißnergasse 4 – 6
2 Goethehof, Schüttaustraße 1 – 39
3 Schüttauhof, Am Kaisermühlendamm 55–57
Wohnhausanlage Meißnergasse 4-6
In den Jahren 1925 und 1926 wurde die Wohnhausanlage mit 123 Wohnungen in der Meißnergasse 4-6 nach Entwürfen der Architekten Karl Richard Felsenstein (1878-1932) und Hans Seitl errichtet. Felsenstein besuchte erst die Höhere Staatsgewerbeschule in Wien und ab 1904 die Meisterklasse von Otto Wagner an der Akademie der bildenden Künste. Vor dem Ersten Weltkrieg war Felsenstein u.a. am Ausbau der Neuen Hofburg und der Errichtung der Handelskammer beteiligt. Nach 1918 machte er sich als Architekt selbstständig. Sein größtes realisiertes Werk als selbständiger Architekt in Wien ist die gemeinsam mit Hans Seitl entworfene Wohnhausanlage hier in der Meißnergasse. Seitl (1886-1958) studierte ab 1901 an der Technischen Hochschule Wien und war an der Baufirma J. Seitl & Al. Klee beteiligt, die eine Reihe von Mietshäusern in Wien errichtete.
Der Gemeindebau hier in der Meißnergasse wurde in den 1930er Jahren als „rote Festung“ bezeichnet. Dass diese Zuschreibung nicht aus der Luft gegriffen war, zeigte sich vor allem während der Februarkämpfe 1934.
Auf Stiege IV, Tür 7 lebte die Familie Wundsam. Anna und Georg Wundsam waren beide in der Sozialdemokratie aktiv, Georg war Mitglied des Republikanischen Schutzbundes. Die Kinder Hildegard (geb. 12. September 1920) und Othmar (geb. 23. Oktober 1922) waren bei den Kinderfreunden und den Roten Falken aktiv. Anna und Georg, die Eltern, waren an den Februarkämpfen 1934 als überzeugte Sozialdemokrat*innen aktiv beteiligt. Anna half u.a. beim Barikadenbau, Georg war Sanitäter. Nachdem sowohl der Vater, der vom austrofaschistischen Ständestaat nach der Niederschlagung des Arbeiter*innenaufstandes für sechs Monate im Anhaltelager Wöllersdorf inhaftiert worden war und auch die Mutter für zwei Monate ins Gefängnis kam, blieben Othmar, gerade 12 Jahre alt und seine 14jährige Schwester Hilde, auf fremde Hilfe und Unterstützung angewiesen, die in Form der „Roten Hilfe“ und der Quäker Gestalt annahm. Othmar, Otto genannt, war wie seine Schwester Hilde schon in der Jugend politisch aktiv. 1936 ließen sich Anna und Georg Wundsam scheiden. Beide Kinder waren schon früh politisch organisiert. Der 17jährige trat 1939 der KPÖ bei und beteiligte sich an illegalen Aktionen gegen das NS-Regime. Bereits im gleichen Jahr wurden Bruder und Schwester wegen Besitz eines Flugblattes mit kommunistischen Parolen festgenommen. Otto übernahm die Verantwortung, um seine Schwester zu schützen. Er wurde von der Gestapo erkennungsdienstlich erfasst und kam ohne Anklage für neun Monate in Haft. Nach diesen Haftmonaten schloss er seine Lehre zum kaufmännischen Angestellten ab. Wenig später wurde Otto zur Wehrmacht eingezogen. Der zeichnerisch talentierte Otto begann an der Ostfront den Horror des Krieges zu zeichnen. Hilde studierte von 1941 bis 1944 an der Wiener Frauenakademie Bildhauerei. Als Otto im März 1944 auf Fronturlaub bei seiner Familie in der Meißnergasse war, wurde er gemeinsam mit seiner Schwester und der Mutter wegen „Feindbegünstigung“ festgenommen. Die Wundsams hatten gemeinsam mit der befreundeten Familie Hochmeister den von der Sowjetunion eingesetzten Fallschirmspringer Josef Zettler versteckt. Per Feldurteil vom 24. Oktober1944 wurde Otto Wundsam zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 2. Dezember 1944 wurde er ins KZ Buchenwald eingewiesen und von dort wenige Tage später, am 7. Dezember 1944 in das KZ Mittelbau (Dora) überstellt, von hier kam er noch ins KZ Mauthausen, musste von dort aber noch in das Mauthausen-Außenlager Steyr-Münichholz weiter, wo er am 5. Mai 1945 die Befreiung erlebte. Seine Mutter Anna und Hilde wurden zeitgleich mit Otto verhaftet und kamen ins Frauen-KZ Ravensbrück. Mutter und Schwester überlebten die KZ-Haft. Hilde war nach 1945 weiter künstlerisch tätig, aber arbeitete hauptberuflich als Brillendesignerin. Mutter Anna arbeitete nach ihrer Rückkehr wieder als Notariatsbeamtin und war im KZ-Verband und in der Lagergemeinschaft Ravensbrück aktiv. Anna Wundsam starb 1987 in Wien. Nach der Befreiung begann Otto Wundsam seine künstlerische Ausbildung u.a. bei Gerda Matejka-Felden, Josef Dobrovsky und bei Herbert Böckl. 1947 heirate er seiner Frau Else. 1948 folgte die Geburt der Tochter Inge. Um seine Familie zu erhalten, brach er seine Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste ab und begann bei der ÖBB zu arbeiten. Otto Wundsam nahm im fortgeschrittenen Alter die Tätigkeit als Zeitzeuge auf und widmete sich später wieder mehr seiner künstlerischen Tätigkeit. Er starb 2014 in Wien.
Goethehof, Schüttaustraße 1-39
Der in den Jahren 1928 bis 1930 von den Architekten Hugo Mayer, Alfred Chalusch, Karl Hauschka, Heinrich Schopper, Victor Mittag, Rudolf Frass und Johann Rothmüller erbaute Goethehof umfasst 784 Wohnungen. Wir beschäftigen uns mit einer Familie, die ab 1931 hier im Goethehof gewohnt hat. Der Vater Jakob Meisel stammte aus der Westslowakei, (geb. am 2. April 1876 in Neustadt an der Waag/Nové Mesto nad Váhom), arbeitete ab 1903 als selbstständiger Tischler in Wien und war jüdischer Herkunft. Er heiratete Friederike Brod, die in Wien als Weißnäherin arbeitete und drei gemeinsame Söhne zur Welt brachte: Alexander (Jg. 1904), Paul (Jg. 1909) und Josef (Jg. 1911). Nach dem frühen Tod seiner Frau 1925 heiratete Jakob Meisel Johanna Stern, die im Februar 1928 den gemeinsamen Sohn Karl zur Welt brachte. Sie wohnten in Brigittenau, in einem Zinshaus. Die Wohnung bestand aus einem Zimmer und der Küche. 1931 zogen Jakob Meisel mit seiner Frau Johanna und den Kindern in die Gemeindewohnung im Goethehof auf Stiege 29. Jakob Meisel und seine Söhne Paul und Josef waren in der Arbeiterbewegung aktiv. Jakob gehörte ab 1900 der Sozialdemokratischen Partei an, bevor er 1929 zur KPÖ überwechselte. Paul und Josef waren zunächst Mitglied der Kinderfreunde, im Arbeiter Turnverein und in der Sozialistischen Arbeiterjugend, schlossen sich aber 1925 dem Kommunistischen Jugendverband (KJV) an. Sowohl Paul als auch Josef Meisel gerieten aufgrund ihrer politischen Aktivitäten widerholt ins Visier von Polizei und Justiz. Jakob Meisel und seine Söhne waren im Goethehof aktiv an den Februarkämpfen 1934 beteiligt. Nach der Flucht nach Brünn gelangte Jakob Meisel Ende April 1934 mit dem ersten Schutzbundtransport in die Sowjetunion, sein Sohn Josef folgte im Juni 1934. Im August 1934 ließ Jakob seine Frau Johanna und seinen jüngsten Sohn Karl nach Charkiv nachkommen. Auch Paul kam im August 1934 mit seiner Lebensgefährtin nach Charkiv, wo er als Dreher im gleichen Betrieb wie sein Vater arbeitete. Paul Meisel wurde am 21. September 1937 unter der Anschuldigung, einer „konterrevolutionären faschistischen Spionage- und Diversantenorganisation“ anzugehören, vom NKWD verhaftet. Noch im Dezember 1937 wurde seine Ausweisung beschlossen und im Mai 1938 wurde er an die polnische Grenze gebracht. Nach seiner Ankunft in Wien am 20. Mai 1938 wurde Paul Meisel von der Gestapo vernommen und in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Im März 1942 wurde Meisel in KZ Natzweiler eingeliefert und im Oktober 1942 ins KZ Auschwitz überstellt, wo er am 22. Jänner 1943 ermordet wurde.
Jakob Meisel gelangte im Oktober 1937 mit Hilfe der österreichischen Gesandtschaft in Moskau nach Wien zurück. Nach dem „Anschluss“ Österreichs wurde er im Juni 1938 von der Gestapo einvernommen. Er musste sich dazu verpflichten, binnen Wochen das Reichsgebiet zu verlassen. Im Juli 1938 gelangte er nach Polen. Er dürfte auf sowjetisches Territorium geflohen sein, denn Jakob Meisel wurde in Lwiw verhaftet und ins nordrussische Archangelsk verbannt, wo er bald nach seiner Ankunft flüchtete. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Alexander Meisel, sein ältester Sohn, entwickelte sich in Wien zu einem der bekanntesten Sportjournalisten Österreichs. Er schrieb für das „Wiener Tagblatt“ und den „Telegrafen“. Verheiratet war er mit der Schauspielerin und Eiskunstläuferin Olly Holzmann, die 1938 intervenierte, als er mit einem der ersten Transporte ins Konzentrationslager Dachau eingeliefert wurde. Er war nach wenigen Wochen wieder frei und wurde an die Grenze zur Tschechoslowakei gebracht. In Prag wurde Meisel am 31. Oktober 1939 von der Gestapo erneut verschleppt. Er starb am 24. Februar 1942 im KZ Sachsenhausen. Sein Bruder Josef wurde nach seiner Ankunft in Moskau an die Internationale Lenin-Schule delegiert, die er bis August 1936 besuchte. Danach wurde er nach Österreich zurückgeschickt, um illegale Arbeit im Widerstand gegen die austrofaschistische Diktatur zu leisten. Im Mai 1938 ging Meisel nach Spanien, um hier in den Internationalen Brigaden gegen die faschistischen Generäle zu kämpfen. Nach der Niederlage der Spanischen Republik ging Meisel mit anderen Spanienfreiwilligen nach Frankreich und kehrte 1943 nach Wien zurück, wo er verhaftet wurde und nach Auschwitz deportiert wurde. Dort traf er u.a. auf Rudolf Friemel, Alfred Klahr und Hermann Langbein. Am 22. Juli 1944 organisierte die internationale Lagerorganisation die Flucht von Meisel und des Spanienkämpfers Szymon Zejdof-Wojnarek. Meisel war damit der einzige Nichtpole, der die Flucht aus Auschwitz überlebte.
Im September 1945 kam er nach Wien zurück. Er wurde Landessekretär der KPÖ Niederösterreich und blieb dies bis Juli 1966. Bis 1969 gehörte er dem Zentralkomitee der KPÖ an. Im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes war Meisel ehrenamtlicher Mitarbeiter. Als Zeitzeuge war er ein Gesprächspartner in Schulen und bei politischen Veranstaltungen. Josef Meisel starb am 11.Februar 1993 in Wien.
(Gekürzte Version der Biografien von Familie Meisel - verfasst von Manfred Mugrauer /DÖW)
Schüttauhof, Am Kaisermühlendamm 55-57/Schiffmühlenstraße 58-64
Am 20. Oktober 1926 wurde die städtische Wohnhausanlage, die 1924 bis 1925 errichtet wurde, hier am Kaisermühlendamm als "Schüttauhof" benannt. Der Name bezieht sich auf die ehemalige Donauinsel "Schütt", auf der sich einst Auen befanden. Diese Insel ist seit der Donauregulierung in den 1870er-Jahren nicht mehr existent. Architekt Ludwig Tremmel (1875-1964) absolvierte die Meisterschule von Viktor Luntz an der Akademie der bildenden Künste Wien. Eines seiner frühen Bauwerke in Wien ist das Gebäude des Hygieneinstituts der Universität Wien in der Kinderspitalgasse 15. Alfred Stutterheim (1879-1929) studierte an der Technischen Hochschule Wien bei Karl Mayreder, Karl König und Max Ferstel. 1905 und 1906 arbeitete er in Ferstels Atelier. Anschließend ging Stutterheim ins tschechische Troppau, wo er bis 1909 im Stadtbauamt wirkte. Alfred Rodler (1881-1948) studierte von 1902 bis 1905 an der Technischen Hochschule Wien bei Heinrich Ferstel und Karl Mayreder und von 1906 bis 1908 bei Friedrich Ohmann an der Akademie der bildenden Künste Wien. Alfred Rodler wurde 1906 Assistent von Karl Mayreder an der Technischen Hochschule Wien.
Auf Stiege 7 des Schüttauhofes, Tür Nr. 14, wohnten bis 1939 der Antiquitätenhändler Max Deutsch (geb. 6. September 1889), seine Ehefrau Isabella (geb. am 6. August 1901) und Sohn Friedrich, der am 30. August 1925 in Wien zur Welt gekommen war, in einer Wohnung, die aus einem Zimmer und Küche bestand. Max und Isabella hatten 1921 in Wien geheiratet. Im gleichen Jahr, am 1. Dezember kam Tochter Getrud zur Welt, die nur wenige Tage alt wurde. Der Kündigung durch den Wiener Magistrat begegnete Familie Deutsch nicht mit sofortigem Auszug. Max Deutsch schrieb Anträge, ging vor Gericht und es gelang ihm die Delogierung aus der Wohnung, bis in den Juni 1939 aufzuschieben. Sohn Friedrich begann nach dem „Anschluss“ mit der Umschulung zum Automechaniker. Nach der Delogierung im Juni 1939 musste die Familie Deutsch in die Wiesingerstraße 6 in die Innere Stadt ziehen, wo mehr als 35 delogierte Wiener Jüdinnen und Juden unterkamen. Friedrich war in den verbleibenden Monaten in Wien in Breitenlee in der Schottergrube als Hilfsarbeiter verpflichtet. Mit dem Transport am 26. Jänner 1942 wurden Max, Isabella und Friedrich nach Riga deportiert. Max und Isabella wurden dort ermordet. Sohn Friedrich überlebte. In einem Antragschreiben zur Unterstützung an die ISO aus dem Jahr 1951 gab Friedrich an, dass seine Eltern in Riga mit Gas ermordet wurde. Aus dem Ghetto von Riga kam er selbst ins KZ Riga-Kaiserwald, wo er in der KZ-eigenen Autowerkstätte arbeitete. Von dort wurde Friedrich im Jänner 1944 ins KZ Stutthof nördlich von Danzig überstellt und musste schließlich in der Schichtau Werft bei Danzig Zwangsarbeit leisten. Nach der Befreiung im Mai 1945 und Erholungsaufenthalten in verschiedenen Krankenhäusern in Danzig kam der knapp 20jährige Friedrich nach Wien zurück. Es war ihm, laut der Angaben in diesem Antragsschreiben in den ersten Nachkriegsjahren nicht möglich, eine Existenz in Wien aufzubauen. Seine traumatische Belastung zeigt sich in folgenden Zeilen: „Meine ganze Familie wurde 1942 ins KZ deportiert. Nur ich kam mit dem Leben davon. Hier haben sich die Menschen gar nicht geändert, sie denken über uns genauso wie vor 10 Jahren. Ich kann unter diesen Menschen nicht leben, ich fürchte mich, die Verfolgungen könnten sich wiederholen. Ich möchte in ein wirklich demokratisches Land, in dem ich mir ohne Furcht eine Existenz aufbauen kann.“
Zum Zeitpunkt der Antragstellung wohnte Friedrich Deutsch wieder in der Zimmer-Küche-Wohnung auf Stiege 7, Tür Nr. 14, aus der er mit seinen Eltern 1939 delogiert worden war. 1997 gab Friedrich Deutsch in Wien der USC Shoah Foundation ein Interview.
Alle Termine zu den Bezirksrundgängen im Überblick
RUNDGANG 1
1. Bezirk
• Do., 24. April 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 17. Mai 2025, 14 Uhr
• Mo., 2. Juni, 2025 10 Uhr
• Fr., 29. August 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 20. September 2025, 10 Uhr
RUNDGANG 2
2. Bezirk
• Mo., 28. April 2025, 17.30 Uhr
• Mo., 19. Mai 2025, 17.30 Uhr
• Mi., 25. Juni 2025, 17.30 Uhr
• Mi., 8. Oktober 2025, 17 Uhr
• Mo., 10. November 2025, 17 Uhr
RUNDGANG 3
5. Bezirk
• Di., 6. Mai 2025, 17.30 Uhr
• Mo., 30. Juni 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 30. August 2025, 14 Uhr
• Di., 2. September 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 18. Oktober 2025, 14 Uhr
RUNDGANG 4
8. und 7. Bezirk
• Mi., 7. Mai 2025, 17.30 Uhr
• Mo., 2. Juni 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 30. August 2025, 10 Uhr
• Do., 11. September 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 22. November 2025, 14 Uhr
RUNDGANG 5
10. Bezirk
• Sa., 5. April 2025, 10 Uhr
• Sa., 31. Mai 2025, 14 Uhr
• Di., 3. Juni 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 4. Oktober 2025, 14 Uhr
• Mo., 17. November 2025, 17 Uhr
RUNDGANG 6
11. Bezirk
• Sa., 5. April 2025, 14 Uhr
• Di., 13. Mai 2025, 17.30 Uhr
• Di., 10. Juni 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 4. Oktober 2025, 10 Uhr
• Sa., 22. November 2025, 10 Uhr
RUNDGANG 7
16. Bezirk
• Mo., 7. April 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 31. Mai 2025, 10 Uhr
• Mo., 23. Juni 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 20. September 2025, 14 Uhr
• Mi., 1. Oktober 2025, 17 Uhr
RUNDGANG 8
19. Bezirk
• Do., 10. April 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 17. Mai, 2025, 10 Uhr
• Mo., 23. Juni 2025, 10 Uhr
• Fr., 4. Juli 2025, 17.30 Uhr
• Mo., 1. September 2025, 17.30 Uhr
RUNDGANG 9
20. Bezirk
• Do., 3. April 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 5. Juli 2025, 14 Uhr
• Mi., 10. September 2025, 15 Uhr
• Di., 7. Oktober 2025, 17 Uhr
• Fr., 7. November 2025, 17 Uhr
RUNDGANG 10
22. Bezirk
• Di., 22. April 2025, 17.30 Uhr
• Sa., 5. Juli 2025, 10 Uhr
• Fr., 19. September 2025, 17.30 Uhr
• Di., 21. Oktober 2025, 17 Uhr
• Di., 4. November 2025, 17 Uhr