Ehemalige Synagoge
in der Zirkusgasse 22, 2. Bezirk
Die Synagoge in der Zirkusgasse 22 im 2. Bezirk war das Gebetshaus der türkisch-jüdischen Gemeinde. Ab 1909 wurde sie zum gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Versammlungsort des „Verbandes der türkischen Israeliten (Sephardim) zu Wien“. In ihrer Größe und Ausformung war die nach Plänen des Architekten Hugo von Wiedenfeld in den Jahren 1885 bis 1887 errichtete Synagoge eine wahrer Prachtpalast für die sephardische Lebensgemeinschaft. Im Novemberpogrom 1938 von den Nationalsozialisten zerstört und verwüstet, kam es nach mehreren Zwischenstationen der Enteignung und der Rückstellungen zum Verkauf an die Stadt Wien. Genau 100 Jahre nach der Errichtung der Synagoge wurde auf dem vormaligen Grundstück des sephardischen Tempels in den Jahren 1985 bis 1987 ein Gemeindebau gebaut.
Zur Geschichte der „Sephardim“
Die Glaubensgemeinschaft der türkischen Israeliten nahm einen besonderen Platz innerhalb der jüdischen Glaubensgemeinschaften ein. Ihre Vorfahren waren spanische Jüdinnen und Juden, die 1492 aus Spanien vertrieben worden waren und sich im Ottomanischen Reich niedergelassen hatten. Ihre Präsenz in Wien ist mit Anfang des 17 Jhdt. dokumentiert: 1736 werden die erste türkisch jüdische Gemeinde und ihr erstes Gebetshaus in Wien gegründet. Eine vermehrte Ansiedlung der sephardischen Jüd*innen in Wien ist nach dem Friedens- und Handelsvertrag von Belgrad 1739 zu verzeichnen. Als die weiteren Gebetshäuser zu klein wurden, entschied man sich 1860 das Grundstück in der Zirkusgasse 22 zu kaufen und auf ihm eine Synagoge für die türkisch israelitische Gemeinde zu errichten. Aufgrund von Baumängeln musste der Tempel 1885 wieder abgetragen werden, die neue Synagoge wurde nach Plänen von Hugo von Wiedenfeld in den Jahren 1885 bis 1887 erbaut.
Ein Tempel nach Motiven der Alhambra
Der Tempelbau war geprägt von einem dreiteiligen Steinportal mit zwei großen Haupttoren, einem Vorhof, dessen Fassade an der Ostseite reichhaltig mit Naturstein, Gold und flachem Relief ausgestaltet war. Über eine schmale Mündung kam man von der Zirkusgasse über den Vorhof zum eigentlichen Gebetshaus. Die Zirkusgasse - zuvor „Große Fuhrmannsgasse“ - wurde 1862 nach dem hier für den Zirkus Renz errichteten Gebäude benannt. Die Erscheinungsform der gesamten Anlage sollte sich am strengen Historismus nach Motiven der Alhambra orientieren. Der 12 m hohe achteckige Kuppelbau des Gebetshauses bot 600 Gläubigen Platz. Der Innenraum war reich ausgestattet mit Marmor bzw. Stukkolustro und Goldstuck in Form maurischer Ornamente und Formen. Ein dichtes Dekornetz sowie eine unglaubliche Dichte an Formen und Farben sollten eine „bezaubernde“ Wirkung auf die Besucher ausüben. Der prunkvolle Toraschrein, welcher auf einem dreistufigen Podest stand, war umgeben von einem ebenso prunkvoll gestalteten Bogen.
Die türkischen Israeliten hatten in der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien eine Sonderstellung. Nach Einführung des Israelitengesetzes von 1890 wurde sie in die Israelitische Kultusgemeinde fest eingegliedert. Da sich die sephardischen Jüdinnen und Juden vehement dagegen gewehrt hatten, wurde für sie eine „Sonderregelung“ erlassen. Sie verloren zwar ihren Unabhängigkeitsstatus als eigene Gemeinde und waren fortan im „Verband der türkischen Israeliten (Sephardim) zu Wien“ organisiert, doch wurden ihnen Freiheiten zugesprochen. So gab es ein eigenes sephardisches Komitee für Kultusangelegenheiten und es durfte ein eigener Rabbiner ernannt werden. Da der Verband innerhalb der Kultusgemeinschaft die rechtliche Sonderstellung einer Korporation einnahm, schien er nie im Vereinsregister auf. Sofern die Glaubensanhänger den sephardischen Ritus einhielten, konnten sie Mitglieder des Verbandes sein.
Zerstörung im Novemberpogrom 1938
Am Vormittag des 10. November 1938 wurde die Synagoge in der Zirkusgasse in Brand gesteckt. Die Feuerwehr schützte nur die angrenzenden Häuser vor den Flammen. Zivilisten, die sich als Polizisten legitimierten, unterbanden das Löschen des Gebetshauses. Es wurde völlig zerstört und 1939 abgetragen. Sämtliche im Archiv der türkisch-jüdischen Gemeinde aufbewahrten bedeutenden Dokumente und Notenbücher der orientalisch-sephardischen Musiktradition wurden dabei vernichtet. Der „Verband der türkischen Israeliten“ wurde bei der Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich aufgelöst und 1939 wurden der Besitz und die Liegenschaft des Verbandes in der Zirkusgasse durch den Stillhaltekommissar für Vereine, Verbände und Organisationen enteignet und in das Eigentum der Aufbaufondsvermögensverwaltungs Ges.m.b.H. überführt.
Die Liegenschaft gelangte 1940 in den Besitz der Stadt Wien. Sie verkaufte das Grundstück im selben Jahr wieder, bevor es der Israelitischen Kultusgemeinde Wien im Rückstellungsverfahren 1951/52 als alleinige Eigentümerin übergeben wurde. 1972 erwarb die Stadt Wien die Liegenschaft wieder und ließ auf dem Grundstück 1985 einen Gemeindebau nach den Plänen von Eva Weil errichten.


