Geschichte des Wiener Wohnungsamtes
Unter besonderer Berücksichtigung der Jahre 1933 bis 1945
Bearbeitet von Peter Autengruber und Ursula Schwarz
Die Studie gibt einen Überblick über die Geschichte der Wiener Gemeindebauten und des Wiener Wohnungsamts. Dieses wurde im Laufe seiner Geschichte mehreren Umstrukturierungen unterzogen.[1]
Am Ende des 1. Weltkrieges erfolgte 1916/17 die Einrichtung eines selbständigen Amtes, welches 1920 in die Magistratsabteilung 15 übergeführt wurde. Der Funktionsbereich erstreckte sich von der Organisation und der Gesetzgebung des Wohnungswesens, der Förderung des Wohnungsbaus, Fragen des Mietrechts bis hin zu Wohnungsvormerkungen und Wohnungsvergaben. 1926 wurden die Aufgaben der Magistratsabteilung 17, 1934 der Magistratsabteilung 21 übertragen.
1939 richtete die NS-Verwaltung die Abteilung VIII/1, Wohnungsamt ein. Dessen Agenden umfassten Vormerkungen aller Wohnungssuchenden, Zuweisung von freien Wohnungen, Durchführung des Gesetzes über die Mietverhältnisse mit Juden*Jüdinnen, Anforderung von jüdischen und anderen Wohnungen, Auflassung, Teilung und Vereinigung von Wohnungen sowie die „Judenaussiedlung“. Letztere wurde mit anderen Agenden im Juli 1941 der Abteilung VIII/4 übertragen. Im selben Jahr erfolgte die Umstrukturierung der beiden Abteilungen VIII/1 und 4 zu den Abteilungen H 1 und H 2.
Nach dem Ende der NS-Herrschaft und dem 2. Weltkrieg übernahm die Magistratsabteilung 50 die Geschäfte der Abteilungen H 1 und H 2, die neben den Agenden des allgemeinen Wohnungswesens und der Mietrechtsanforderung von Mietobjekten, der Vormerkung und Klassifizierung der Wohnungswerber*innen, der Wohnungszuweisung und des Wohnungstausches u.a. auch die Mitwirkung bei der Unterbringung von Repatriant*innen und Heimkehrern sowie die Durchführung von Wiedergutmachungen übernahm.
Ein Fokus der Studie liegt auf den Akteuren des Wohnungsamtes. Die politische Zuständigkeit lag 1938/39 bei Vizebürgermeister Thomas Kozich. Es gab eine intensive Zusammenarbeit mit Parteistellen der NSDAP beim Abschluss von Mietverträgen, neu aufzunehmenden Mieter*innen sowie Neueinstellungen von Hausmeister*innen.
16 Biografien von Proponent*innen des Wohnungsamtes bzw. von im Rathaus für das Wohnungswesen zuständigen Beamt*innen geben einen Überblick über die maßgeblichen Akteure und ihre Handlungsspielräume.
Leiter des Wohnungsamtes wurde 1938 Thomas Kozich. Er war bereits seit Februar 1933 Mitglied der NSDAP[2] und ab 1935 SA-Brigadeführer. In dieser Zeit wurde er auch wegen illegaler Tätigkeit verhaftet.[3] Dies trug ihm den Ehrentitel „Alter Kämpfer“ ein und qualifizierte ihn 1938 für die Übernahme wichtiger Funktionen. Kurzfristig war er in diesem Jahr auch dritter Vizebürgermeister von Wien. Vor seiner Einberufung zur Deutschen Wehrmacht bekleidete er noch das Amt eines Stadtrates und Gausportführers. Im Mai 1945 geriet Kozich in sowjetische Kriegsgefangenschaft. 1947 wurde er vom Wiener Volksgericht nach dem Verbotsgesetz und wegen „Arisierung“ einer Villa zu zehn Jahren schwerem Kerker und Vermögensverfall verurteilt.[4] Bundespräsident Theodor Körner begnadigte ihn 1951. Ab Mai 1953 war er Angestellter des Bundes Sozialdemokratischer Akademiker (BSA).
Nachfolger von Kozich als Leiter des Wohnungsamtes wurde Leopold Tavs[5], dem die Hauptverwaltungen G, H und M der NS-Gemeindeverwaltung Wiens oblagen. Auch er war illegaler Nationalsozialist und Landesleiter der verbotenen NSDAP gewesen. Im Jänner 1938 legte er einen Putschplan zur vollständigen Machtübernahme der NSDAP in Österreich vor („Tavs-Plan“[6]). 1948 verurteilte ihn das Volksgericht wegen Hochverrats zu 15 Jahren schweren Kerker.[7] 1957 wurde er amnestiert.
Ein weiterer Fokus der Studie beleuchtet die rassistische und/oder politische Verfolgung von Personen im Bereich des Wohnungsamtes.
Bereits unmittelbar nach dem „Anschluss“ im März 1938 mussten alle städtischen Beamt*innen einen Nachweis ihrer „arischen“ Abstimmung erbringen. Wer dies nicht konnte, wurde nicht vereidigt und gemäß der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938[8] außer Dienst gestellt.
Es wurden Biografien von 17 Beamt*innen (Hausinspektoren und Kanzleikräfte) verfasst, die aufgrund des Berufsbeamtengesetzes entlassen oder vorzeitig in den Ruhestand versetzt wurden. Außerdem werden exemplarisch Biografien von gekündigten Hausmeister*innen vorgestellt. Ihre Entlassung bedeutete für die Betroffenen nicht nur den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern auch den Verlust ihrer Wohnung.
Die Studie wurde auf der Quellenbasis des Bundesarchivs Berlin, des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, des Wiener Stadt- und Landesarchivs und des Privatarchivs von Johann Koß verfasst. Protokolle der Sitzungen des Wiener Gemeinderates, Gesetzestexte, Zeitungen und Zeitschriften sowie eine umfangreiche Literaturliste vervollständigen den Bericht.
[1] Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 215, Sig. 1.3.2.215.
[2] BArch Berlin, Personalblatt, R936I-II/5669/4 (Kopie im DÖW).
[3] BArch Berlin, R936I-I/21814 (Schreiben der Bundespolizei Wien an die Staatsanwaltschaft, 16.5.1935; Kopie im DÖW).
[4] WStLA, LG Wien Vg 1d Vr 1222/46, Volksgerichtsprozess gegen Thomas Kozich.
[5] Der Historiker Peter Black hat 1977 im Rahmen der USHMM Collections mit Leopold Tavs ein Interview geführt, das online zur Verfügung steht: https://collections.ushmm.org/search/catalog/irn43961 [1.2.2025].
[6] Abgedruckt in: Ludwig Jedlicka, Der 13. März in der Sicht der historischen Forschung, in: Der Donauraum, Zeitschrift des Institutes für den Donauraum und Mitteleuropa 13 (1968), S. 141-155, hier S. 149.
[7] WStLA, LG Wien Vg 11b Vr 4105/46, Volksgerichtsprozess gegen Leopold Tavs.
[8] RGBL I 87/1938, Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums (BerufsbeamtenVO, BBV), 31.5.1938.